Protokoll der Sitzung vom 29.01.2014

Zur Integration gehört daher die Bildung einer neuen Werte gemeinschaft mit dem Einbezug anderer, neuer Wertevorstel lungen. Integration aber ist kein Hebel, den man umlegt, son dern ein lange andauernder und differenzierter Prozess des Zusammenwachsens. Dazu müssen wir alle aufeinander zu gehen.

Deutlich wird dies nicht zuletzt bei der Bestattungskultur; denn der Umgang mit Verstorbenen ist – wenn auch im All tag oft nicht spürbar – ein zentraler Bestandteil von kulturel ler Identität. Wirkliche Heimat kann nur dort entstehen, wo Bestattungen stattfinden in einer Art, die mit der eigenen kul turellen Prägung vereinbar ist. Daher war es richtig und wich tig, das Bestattungsrecht der Wirklichkeit in Baden-Württem berg im Jahr 2014 anzupassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Gesetzesvor haben, über die im Landtag beraten wurde, konnten erst nach zähem Ringen und häufig bei inhaltlicher Differenz verab schiedet werden. Daher freut es mich, dass es uns in seltener politischer Eintracht gelungen ist, Bestattungsformen anderer Kulturen und Religionen mehr Raum zu geben.

Den nun vorgelegten Gesetzentwurf halte ich für ein gelun genes Beispiel für die Abwägung zwischen unseren bisheri gen, christlich geprägten Ritualen und den Ritualen anderer Religionen. Entscheidend ist, dass alle gelebten Rituale beim Verlust geliebter Menschen Halt und Trost spenden können. Deshalb ist der Schritt, die Sargpflicht aufzuheben, richtig.

Die Abschaffung der Mindestwartezeit von 48 Stunden nach Eintritt des Todes bis zur Bestattung ist ebenfalls richtig, weil durch die ärztliche Leichenschau die in der Vergangenheit vor handene Gefahr, Scheintote zu bestatten, nicht mehr besteht.

Beide Maßnahmen kommen Angehörigen anderer Religionen wie des Islams oder des Judentums entgegen. Sie tragen si cherlich dazu bei, dass wir bei der Integration neuer Mitbür gerinnen und Mitbürger ein Stück weiterkommen.

Die konsequente Verwendung des Begriffs „Verstorbener“ statt „Leiche“ stellt eine bessere Basis für einen würdigen Um gang mit dem Sterben, aber auch mit dem Tod dar.

Es wird die Möglichkeit geschaffen, reine Urnenfriedhöfe in der Trägerschaft von Kommunen oder Religionsgemeinschaf ten mit Körperschaftsstatus einzubeziehen, bei denen ein Teil der Regularien für Erdbestattungen entfallen.

Die für Juden und Muslime wichtige ewige Ruhe ist bereits nach geltendem Recht möglich; es bedarf daher hier keiner Gesetzesänderung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte an die ser Stelle die Gelegenheit nutzen, mich bei allen vier im Land tag vertretenen Fraktionen für die gemeinsame Arbeit zur Än derung des Bestattungsrechts zu bedanken. Wenn das Sozial ministerium hier behilflich sein konnte, dann kann uns das nur recht sein.

In diesem Sinn: Herzlichen Dank für die Beratungen zum Ge setzentwurf.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Frau Ministerin, gestat ten Sie noch eine Frage des Herrn Abg. Dr. Bullinger?

Gern.

Sie wird gestattet. – Bit te, Herr Abg. Dr. Bullinger.

Frau Ministerin, Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich mit diesem Thema erst heute im Detail befasst. Ich möchte mich ganz herzlich – aufgrund eigener Betroffenheit vor 23 Jahren – für § 30 Absatz 2 im Entwurf des Bestattungs gesetzes bedanken. Damals war es nur aufgrund des Engage ments des von der Diakonie getragenen Krankenhauses mög lich, ein kleines Kind würdig zu bestatten. Dafür herzlichen Dank.

Ich habe aber auch zwei Fragen, Frau Ministerin, die man viel leicht noch im Ausschuss ansprechen sollte. Mir ist aufgefal len, dass die Mindestruhezeit bei Kindern auf sechs Jahre re duziert wird. Hierzu habe ich die Frage: Gibt es Erfahrungen mit geologisch problematischen Friedhöfen, beispielsweise mit degradierten Tonböden oder Lettenkeuper mit entspre chender Wasserführung? Vielleicht kann man noch Erfahrun gen dazu einholen, ob vor diesem Hintergrund die Reduzie rung der Mindestruhezeit auf sechs Jahre richtig ist.

Meine zweite Frage: Sie haben gerade gesagt, dass Sie den Terminus „Leiche“ durch „Verstorbener“ ersetzen wollten. Al lerdings wurde dieses Wort als Bestandteil des Begriffs „Lei chenhalle“ nicht ersetzt. Ist man bewusst bei diesem Begriff

geblieben, oder hat man dies einfach übersehen? Ich habe die Frage, ob man für „Leichenhalle“ auch einen anderen Termi nus finden könnte, z. B. „Verstorbenenhalle“ oder etwas Ähn liches. Vielleicht kann man das im Ausschuss noch einmal an sprechen.

Vielen Dank, Herr Abg. Dr. Bullinger, für Ihre Fragen und Ihre Anregungen.

Wir werden sicherlich noch die Erfahrungswerte der betrof fenen Kommunen einholen, um in der Frage nach der Reduk tion der Mindestruhezeit auf sechs Jahre bei Vorliegen prob lematischer geologischer Gegebenheiten vertiefende Erkennt nisse zu gewinnen.

Zum zweiten Punkt: Mir wäre es auch recht, wenn wir für „Leichenhalle“ zu einer anderen Begrifflichkeit gelangen könnten. Mit dem entsprechenden Begriff sollte aber auch ein normaler Mensch klarkommen, und der Begriff sollte nicht noch verschrobener sein als der derzeitige. Wenn Sie Ideen haben, ist der Sozialausschuss bestimmt gern bereit, sich die se anzuhören und möglicherweise in den endgültigen Geset zesvorschlag aufzunehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen deshalb zur Frage: Was machen wir mit dem vorlie genden Gesetzentwurf?

(Ministerin Katrin Altpeter: An den Sozialausschuss überweisen!)

Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 15/4543 zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Sozial ordnung, Familie, Frauen und Senioren zu überweisen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Damit ist so beschlossen.

Wir kommen nun zur geschäftsmäßigen Behandlung des An trags der Fraktion der SPD, Drucksache 15/1654 (Geänderte Fassung). Der Antrag ist ein reiner Berichtsantrag und kann für erledigt erklärt werden. – Sie stimmen dem zu.

Bevor wir in die Mittagspause eintreten, weise ich die Mit glieder des Innenausschusses darauf hin, dass in 15 Minuten die Sitzung des Innenausschusses im Königin-Olga-Bau, Raum 433, beginnt.

Wir unterbrechen die Sitzung für die Mittagspause bis 13:45 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung: 12:26 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 13:45 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne den Nachmittagsteil der heutigen Sit zung des Landtags von Baden-Württemberg.

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

Regierungsbefragung

Für die Regierungsbefragung wurde von der SPD-Fraktion das Thema

L a n d ä r z t e p r o g r a m m

angemeldet. Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort zur Einbringung dieses Themas Herrn Abg. Wahl.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! In Baden-Württemberg gibt es eine im Durch schnitt gute hausärztliche Versorgung – aber eben nur im Durchschnitt. Gerade im ländlichen Raum haben wir das Pro blem, dass sich oftmals keine Nachfolger für Hausärztinnen und Hausärzte finden, die in Rente gehen oder sich zur Ruhe setzen. In diesen Regionen wird – für eine immer älter wer dende Gesellschaft – die Hürde zur nächsten Arztpraxis im mer höher.

Deswegen arbeiten verschiedene Verantwortliche auf unter schiedlichen Ebenen, wie die Kassenärztliche Vereinigung in Baden-Württemberg mit ihrem Modell der RegioPraxis und die betroffenen Kommunen, mit bestimmten Anreizsystemen, um Ärztinnen und Ärzte in diese Kommunen zu locken. Auch die Bundesregierung und der Bundesgesetzgeber sind tätig geworden und haben verschiedene Rahmenbedingungen ver ändert.

Auch die Landesregierung ist ein wichtiger Akteur in diesem Spiel. Deswegen haben wir auch im Koalitionsvertrag wich tige Punkte festgeschrieben, z. B. die Stärkung der Position der Hausärztinnen und Hausärzte in ärztlichen Gremien und bei der Abzeichnung der erbrachten Leistungen, Modellvor haben zur Erprobung neuer Formen der Substitution ärztlicher Leistungen oder verbesserte Zulassungsmöglichkeiten für me dizinische Versorgungszentren, auch wenn ihre Träger natür lich die Kommunen sind.

Meine Frage an die Landesregierung ist: Wie und warum wur de das Landärzteprogramm in den letzten Jahren weiterentwi ckelt, und welche Zwischenbilanz kann die Landesregierung für dieses Programm ziehen?

Herzlichen Dank.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Kann man das nicht daheim klären? – Heiterkeit)

Für die Landesregie rung erteile ich das Wort Frau Ministerin Altpeter.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, meine sehr geehrten Damen und Herren! Baden-Würt temberg weist insgesamt betrachtet einen hohen Versorgungs grad der Bevölkerung mit ambulanten ärztlichen Leistungen auf. In den meisten Planungsregionen herrscht zwar rechne risch Überversorgung, in Einzelfällen kommt es jedoch ins besondere im ländlichen Raum lokal begrenzt zu Versorgungs engpässen, die von der derzeitigen großräumigen Bedarfspla nung nur unzureichend abgebildet werden. Es bestehen zum Teil Schwierigkeiten, Nachfolgerinnen und Nachfolger für ei ne Arztpraxis zu finden, und in einzelnen Gemeinden droht

die Situation, dass eine haus- oder fachärztliche Versorgung innerhalb der Kommune nicht gewährleistet werden kann.

Im Jahr 2011 wurde von der damaligen Landesregierung das Aktionsprogramm „Landärzte“ beschlossen. Teil dieses Kon zepts war u. a. ein Förderprogramm, mit dem familienfreund liche, innovative Modelle zur ärztlichen Versorgung im länd lichen Raum finanziell gefördert werden sollten. Allerdings stellte sich im Laufe der Umsetzung des Förderprogramms heraus, dass insbesondere die Beschränkung auf familien freundliche Projekte ein Förderhemmnis darstellte. So konn ten bis zum Jahresende 2011 von 20 Förderanträgen lediglich drei positiv beschieden werden.

Daher entschied sich die neue Landesregierung, das Förder programm umzugestalten und die Zielsetzung der Förderung auf eine Verbesserung der hausärztlichen Versorgung im länd lichen Raum zu verschieben. Dabei wird die zukünftige För derung von familienfreundlichen Projekten mit eingeschlos sen. Das hat dazu geführt, dass das Förderprogramm im Som mer 2012 mit dem Ziel der Sicherstellung der ambulanten hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum überarbeitet wurde, um damit die ambulante hausärztliche Versorgung im ländlichen Raum zufriedenstellend zu gestalten.

Das Programm insgesamt richtet sich an Fachärzte für Allge meinmedizin, Kinder- und Jugendärzte sowie hausärztlich tä tige Internisten. Bis zu 30 000 € Landesförderung kann ein solcher Arzt, eine solche Ärztin erhalten, wenn er bzw. sie sich in Baden-Württemberg in einem vom Sozialministerium aus gewiesenen Fördergebiet im ländlichen Raum niederlässt. Zu wendungsvoraussetzung ist die Aufnahme einer vertragsärzt lichen Tätigkeit in einem vom Sozialministerium ausgewie senen Fördergebiet. Dabei wird nicht unterschieden, ob es sich um eine selbstständige Tätigkeit oder ein Anstellungsverhält nis handelt; das sind alles keine Unterscheidungsmerkmale.

Vielen Dank, Frau Mi nisterin. – Eine weitere Frage des Abg. Haußmann.