Protokoll der Sitzung vom 29.01.2014

Die CDU-Landtagsfraktion hat in der vergangenen Woche ei ne Umfrage über die Realschulen in Baden-Württemberg ver öffentlicht. Danach haben 86 % der Befragten der Realschu le ein gutes bis sehr gutes Ansehen bescheinigt. 44 % der Be fragten sagten dies über die Gemeinschaftsschule aus. Das Gymnasium lag bei 89 %.

Für uns ist diese Umfrage sehr interessant, da wir in BadenWürttemberg noch gar nicht von einem flächendeckenden Ausbau der Gemeinschaftsschulen sprechen können. Das heißt, viele Regionen kennen die Gemeinschaftsschule vor Ort überhaupt nicht. Daher ist es interessant, dass bereits 44 % der Befragten die Gemeinschaftsschule als gut oder sehr gut betrachteten.

Gleichzeitig wurden am Montag die Übergangszahlen der ein zelnen Schularten veröffentlicht. Daraus kann man ableiten, dass die Heterogenität an den Realschulen weiter angestiegen ist. Das heißt, die Realschulen spiegeln im Prinzip momentan die Schülerschaft der Gemeinschaftsschule wider.

(Lachen des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Daher wird es für die Realschulen eher schwieriger, in den kommenden Jahren all diesen Schülerinnen und Schülern ge recht zu werden.

(Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Daher interessiert es mich, wie der Minister bzw. wie die Lan desregierung die Sinnhaftigkeit dieser Umfrage zum jetzigen Zeitpunkt einschätzt,

(Zurufe von der CDU)

wie die Landesregierung die methodische Qualität dieser Um frage bewertet und was die Landesregierung dazu sagt, dass die Opposition ein weiteres Mal versucht, die Realschule ge gen die Gemeinschaftsschule auszuspielen, anstatt sich mit den Realitäten im Land auseinanderzusetzen

(Zurufe der Abg. Volker Schebesta und Karl-Wilhelm Röhm CDU)

und Antworten auf die Frage zu geben, wie man den Schüle rinnen und Schülern im Land dauerhaft gerecht wird, wenn die Zahl der Haupt- und Werkrealschulen weiter zurückgeht.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Getroffene Hunde bel len!)

Nur noch 15 % der Grundschüler wechseln auf Haupt- und Werkrealschulen. Wo können Haupt- und Werkrealschüler zu künftig noch einen Hauptschulabschluss machen? Hierzu bit te ich um eine Antwort der Landesregierung.

Vielen Dank.

Vielen Dank. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Kultusminister Stoch das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat stellt sich bei im politischen Raum gefertigten Umfragen im mer auch die Frage nach dem Sinn. Es stellt sich ferner die Frage nach dem Auftraggeber. Außerdem stellt sich natürlich auch immer die Frage nach dem gewünschten Ergebnis.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Wenn Sie die Sinnhaftigkeit dieser Umfrage ansprechen, muss ich Ihnen sagen, dass es bei der Mehrheit der Menschen in Baden-Württemberg eher unwahrscheinlich ist – ich gehe da von aus, dass dies auch für die knapp 1 000 volljährigen Be fragten gilt –, dass sie tatsächlich schon eine Gemeinschafts schule kennengelernt haben. Die meisten haben weder eine Gemeinschaftsschule von innen gesehen, noch kennen sie Schülerinnen und Schüler, die eine Gemeinschaftsschule be suchen.

Dagegen ist die Realschule aufgrund der schulischen Traditi on der vergangenen Jahrzehnte in Baden-Württemberg allen Menschen ein Begriff. Im Zweifel haben die Menschen auch eine Vorstellung von einer Realschule.

Das hängt aber davon ab, wen man befragt, wie tief der Ein blick der befragten Personen ist und inwiefern sich diese Per sonen aus eigener Anschauung ein Urteil bilden können oder inwieweit sie nur Urteile wiedergeben, die letztlich die Mei nungen anderer darstellen.

Wir können sagen, dass zwei Jahre nach der Einführung der neuen Schulart Gemeinschaftsschule, die bislang nur in den Klassenstufen 5 und 6 existiert und für die es bislang nur 129 Standorte gibt, diese in der Breite der Bevölkerung noch nicht so bekannt ist,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Tübingen ist schon viel weiter!)

wie wir uns dies wünschen. Es überrascht daher nicht, dass 28 % der Befragten auf die Frage, welches Ansehen die Ge meinschaftsschule bei ihnen persönlich habe, sagen: „Weiß nicht“. Dies sagen die Menschen schlicht und einfach aus der Ehrlichkeit heraus, dass sie sich noch kein Urteil bilden konn ten.

Natürlich ist es ein bekanntes Phänomen – wir können das bei der CDU-Fraktion und bei der FDP/DVP-Fraktion beobach ten –, dass etwas Neues zunächst einmal auf Abwehr trifft.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Quatsch! So ein Blödsinn!)

Herr Kollege Kern, wenn Sie sich da von der Mehrheit ab heben wollen, dann gern.

Es ist nun einmal so – das sagt auch die Sozialpsychologie –, dass neue Dinge auf Skepsis stoßen. Neue Dinge stoßen zu mindest auf die Vorsicht der Menschen.

Dennoch hat mich positiv überrascht, dass sich 63 % derjeni gen Personen, die sich bereits eine eigene Meinung über die

Gemeinschaftsschule gebildet haben – es wurde allerdings nicht gefragt, auf welcher Basis diese Meinung gebildet wur de –, positiv zur Gemeinschaftsschule äußern. Deswegen mei ne ich, dass für diesen relativ kurzen Zeitraum, in dem die Ge meinschaftsschule Teil der schulischen Realität in BadenWürttemberg ist, eine erfreuliche Entwicklung zu verzeich nen ist.

Den 129 Gemeinschaftsschulen stehen knapp 430 Realschu len gegenüber. Ich sage eines ganz deutlich: Selbstverständ lich haben die Realschulen in der Vergangenheit hervorragen de Arbeit geleistet. Die Realschulen haben die Schülerschaft, die die Realschule besucht hat, zu großen Teilen erfolgreich in die Zukunft geführt, sei es in eine berufliche Ausbildung, sei es in eine weiterführende Ausbildung, z. B. an einem be ruflichen Gymnasium.

Aber jetzt kommt offensichtlich der Denkfehler, der aufseiten der Auftraggeber dieser Studie, nämlich der CDU, besteht: Der Denkfehler ist die Annahme, dass es einfach so weiterge hen kann. Ich glaube, deswegen sollten alle, die sich ernsthaft mit dem Schulsystem auseinandersetzen, fragen: Sind die Re zepte der Vergangenheit Lösungen für die Gegenwart und für die Zukunft?

Sie haben auch nach der methodischen Qualität dieser Unter suchung gefragt. Ich habe es vorhin angedeutet: Jede Unter suchung lebt von der Qualität und der Offenheit der Fragen. In diesem Fragebogen sind sogenannte dichotome Fragen ent halten, das heißt Fragen, die schwarz-weiß zeichnen, die also nur ein Entweder-oder zulassen.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Es entspricht nicht mehr der me thodischen Qualität, die heute an Untersuchungen gestellt wird

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So, wie Sie nur die Gemeinschaftsschule zulassen! Das ist auch nur schwarz-weiß!)

Herr Kollege Röhm, auch Sie dürften den Begriff einer Sug gestivfrage kennen –, wenn eine Frage gestellt wird, die lau tet: „Was zeichnet die Realschule gegenüber der Gemein schaftsschule besonders aus? – Die Vermittlung einer soliden Allgemeinbildung“, und dann dabeisteht: „Trifft zu“ oder „Trifft nicht zu“. Ich glaube, jeder, der sich schon einmal mit Fragestellungen, mit Statistik beschäftigt hat, kann nicht so blind sein, dass er nicht erkennen würde:

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD)

Diese Frage soll den Antwortenden zu einer Antwort hinfüh ren. Deswegen kann man die Ergebnisse der Umfrage leider nicht sehr ernst nehmen, weil diese den Ansprüchen an die Qualität einer wirklich objektiven Umfrage in keiner Weise genügt.

(Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Sie fragten weiter, inwiefern nach meiner Auffassung das Bild, das Image der Gemeinschaftsschule – auch durch die Kam pagnen der CDU, die sich ja offensichtlich mit dieser Schul art weder beschäftigt noch mit ihr angefreundet hat – beschä digt worden ist.

Natürlich beziehen Menschen ihre Informationen auch aus dem, was in der öffentlichen Debatte stattfindet. Gerade aus

dem ländlichen Raum kommen auch Vertreterinnen und Ver treter aus den Reihen der CDU-Fraktion, die sehr genau wis sen, wovon ich rede. So muss nämlich die Frage von pädago gischen Konzepten gerade im Bereich der weiterführenden Schulen vor allem für den ländlichen Raum bei zurückgehen den Schülerzahlen unter neuen Gesichtspunkten gestellt wer den.

Es kann uns daher nicht wirklich überraschen, dass gerade un ter denen, die Anträge auf Genehmigung einer Gemeinschafts schule stellen, viele Kommunen sind, die einen CDU-Bürger meister haben, die eine konservative Mehrheit im Gemeinde rat haben, aber genau wissen: Wir können den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land nur dann eine qualitätsvolle Bil dung im Bereich der weiterführenden Schulen mit differen zierten Schulabschlüssen bieten, wenn wir uns für das Kon zept der Gemeinschaftsschule öffnen.

Deswegen: Es ist leider so, dass diese massiven Kampagnen auch dem Ansehen der Gemeinschaftsschule schaden. Auf der anderen Seite nehmen wir aber wahr, dass sich viele dann doch lieber mit den Fakten und nicht mit Kampagnen beschäf tigen und sich dadurch auch ein deutlich positives Urteil über die Gemeinschaftsschule ergibt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Eine weitere Zusatzfra ge für die CDU-Fraktion, Herr Abg. Wacker.

Herr Minister, es ist richtig, dass die CDU-Fraktion diese Umfrage in Auftrag gegeben hat. Aber es ist auch richtig, dass wir ein sehr renommiertes Mei nungsforschungsinstitut beauftragt haben. Jedes Meinungs forschungsinstitut legt größten Wert auf Seriosität. Denn ein Meinungsforschungsinstitut hat auch ein eigenes unternehme risches Interesse.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Sollte es haben!)

Sowohl Methodik als auch Qualität einer solchen Umfrage dürfen nicht infrage gestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich darf dennoch eine Frage stellen, Herr Minister. Was mich jetzt etwas verwundert: Zumindest in Worten haben Sie in der Vergangenheit die Arbeit der Realschulen immer gewürdigt; Sie haben es eben auch gesagt. Sie haben der Realschule stets eine hervorragende Arbeit bescheinigt. Die politischen Kon sequenzen aus Ihren Aussagen allerdings haben Sie daraus bisher nicht gezogen. Ist es dann nicht kontraproduktiv, wenn Sie zum einen mit Worten die Realschule würdigen und da mit im Grunde unterstreichen, dass sie eine hohe Akzeptanz bei den Menschen, bei den Unternehmen, den Eltern, den „Abnehmern“ hat, aber gleichzeitig ein solches Ergebnis hier infrage stellen?

Das ist etwas verwunderlich. Deswegen möchte ich, Herr Mi nister, daraus den Schluss ziehen, dass Sie offensichtlich nicht bereit sind, die Ergebnisse dieser Umfrage wirklich zu akzep tieren. Deswegen muss ich auch Ihre Aussagen, Ihr Loblied auf die Realschulen in der Vergangenheit an dieser Stelle in frage stellen.