Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Heute Vormittag – wir erinnern uns alle – debattierten wir noch über die Frage, ob bzw. wie der Ausbau der Inklusion vorankommt. Trotz der guten Vorarbei ten der christlich-liberalen Koalition geht es in diesem wich tigen Bereich bisher leider nicht so richtig voran. Wie so oft folgen den großen Versprechungen beim Regierungsantritt von Grün-Rot zwar weitere salbungsvolle Absichtserklärun gen, aber dann keine oder nur sehr wenige konkrete Umset zungen – jedenfalls bislang.
Herr Minister, ich bin sehr gespannt, ob Sie die Versprechun gen, die Sie heute Morgen hier gemacht haben, auch tatsäch lich einhalten werden.
Nun könnten wir, die Opposition, einfach unsere fundierte Kritik von heute Vormittag auf die Situation im Sport übertra gen und sagen: „Ja, auch die Inklusion im Sport geht nicht so recht voran.“ Sie würden dann entsprechend Ihrer Stellung nahme zum Berichtsantrag reagieren und sich mit den zahl reichen Aktivitäten im Bereich der Inklusion im Sport schmü cken. Eine solch oberflächliche Auseinandersetzung will ich aber hier mit Ihnen nicht führen. Denn sie geht an der tatsäch lichen Situation in Baden-Württemberg vorbei.
Denn glücklicherweise gibt es in unserem Land viele Projek te zur Inklusion im Bereich des Sports. Man kann also nicht sagen, in der Inklusion im Sport sei keine Bewegung drin. Die Aktivitäten in diesem Bereich verdanken wir aber ganz ent scheidend dem ehrenamtlichen Engagement Tausender Bür gerinnen und Bürger. Hier wie in anderen Bundesländern trai nieren mittlerweile zahlreiche behinderte und nicht behinder te Sportler in gemeinsamen Trainingsgruppen, gibt es Sport feste; das bekannteste davon ist wohl „Jugend trainiert für Pa ralympics“. Besonders erwähnenswert erscheint mir auch das seit 1991 jährlich stattfindende Sportfest sehbehinderter und blinder Schüler aus Baden-Württemberg und Bayern.
Die praktisch stattfindende Inklusion ist also ein Erfolg der engagierten Bürgerinnen und Bürger in den Behinderten- und Sportverbänden. Dann wollen wir dies aber auch ganz klar so benennen. Ich nutze an dieser Stelle die Gelegenheit, mich hier bei allen engagierten Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes hierfür sehr herzlich zu bedanken.
Sie leisten eine wichtige Arbeit, die wir sehr gern unterstüt zen. Das Recht auf selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen des Lebens darf niemandem auf grund körperlicher, geistiger oder seelischer Einschränkungen verwehrt bleiben. In der Realität sind wir leider noch nicht so weit, aber es geht vorwärts, nämlich vor allem durch das bür gerschaftliche Engagement.
Damit bin ich bei der Frage nach Ihrem Anteil an der positi ven Entwicklung, sehr geehrte Mitglieder der Landesregie rung. Nach zwei Jahren Regierungszeit wusste ja offensicht
lich noch nicht einmal die die Regierung tragende SPD-Frak tion, was Sie denn in Sachen Inklusion tatsächlich vorhaben; nicht anders ist der hier zu debattierende Antrag vom April 2013 zu verstehen. Das ist in der Tat bemerkenswert.
Erstens: Vorhandenes Engagement der Verbände und enga gierter Bürger unterstützen Sie grundsätzlich; das sollte man allerdings auch erwarten können.
Zweitens: In der Lehrerausbildung berücksichtigen Sie Fra gen der Inklusion. Das ist angesichts der UN-Behinderten rechtskonvention zwingend und auch keine besondere Leis tung Ihrerseits.
Drittens wollen Sie die Vernetzung engagierter Menschen un terstützen. Der Ansatz ist richtig und wird von Ihnen u. a. wie folgt beschrieben:
Bei der Geschäftsstelle des Landesbehindertenbeauftrag ten wurde zur Förderung der gemeinsamen sportlichen Betätigung von Menschen mit und ohne Behinderung ein sportinklusives Projekt angesiedelt. Ziel ist es, im Bereich des Breitensports inklusive Angebote für Menschen mit und ohne Behinderungen sozialraumorientiert weiterzu entwickeln und die Bildung sportinklusiver Netzwerke zu fördern.
Hört sich gut an, dieses Projekt BISON. Allerdings besteht es lediglich aus zwei engagierten Menschen, einem sehr aktiven Sonderschullehrer und einer FSJlerin. So ruht das „besonde re Engagement“ der Landesregierung letztlich auf den Schul tern zweier Personen.
Übrigens gibt es auf der Homepage des Projekts den Reiter „Mutmacher“. Diesen braucht man bei dem dann doch sehr übersichtlichen Engagement der Landesregierung allerdings auch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Grün-Rot, es bleiben Ih nen noch zwei Jahre Zeit, im Bereich „Inklusion im Sport“ deutlich engagierter zu Werke zu gehen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wir ha ben heute Morgen bereits über das Thema Inklusion debat tiert. Wir haben auch darüber gesprochen, dass das Thema In klusion nicht nur für den Schulbereich, nicht nur für den Bil dungsbereich, sondern für die gesamte Gesellschaft eine rie sengroße Herausforderung ist. Ich möchte deswegen einlei
tend nochmals darauf hinweisen, dass für uns, die Landesre gierung, die Inklusion von Menschen mit Handicaps ein gro ßes, ein zentrales Projekt ist, an dem sich alle staatlichen wie auch zivilgesellschaftlichen Akteure beteiligen müssen, wenn es gelingen soll. Gerade im Sport zeigt sich, dass sich beide Seiten ergänzen müssen, dass nicht der eine auf den anderen warten darf.
Da das Thema Inklusion zentral auch den schulischen Raum betrifft, möchte ich im Folgenden auch darauf eingehen, aber auch die weiteren Aspekte im außerschulischen und sportli chen Bereich ansprechen.
In Artikel 3 des Grundgesetzes ist festgelegt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Die von Deutschland ratifizierte UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung konkretisiert dieses Recht für al le gesellschaftlichen Bereiche. Dementsprechend hat diese Landesregierung dieses Ziel auch im Koalitionsvertrag fest verankert.
Für uns ist die Inklusion von behinderten Menschen, insbe sondere auch von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung, integraler Bestandteil einer Gesellschaft, die sich durch Chan cengerechtigkeit und die gleichberechtigte Teilhabe aller Men schen auszeichnet.
Sportinklusion ist dabei ein wichtiges, mitunter auch schwie riges Thema. Gelingende Inklusion im Sport ist ein wichtiger Beitrag dafür, dass ein gleichberechtigtes Miteinander von be hinderten und nicht behinderten Menschen ohne Benachteili gungen und auf Augenhöhe vorangebracht werden kann. Sport ist dabei ein besonders geeignetes Feld, da Sport mit Werten wie Teamgeist, Fairness und Toleranz eng verbunden ist. Die se sind wichtige Bestandteile eines gemeinschaftlichen Mit einanders, wichtige Bestandteile, die auch für die Inklusion in unserer Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind.
Der Sport leistet damit auch einen großen Beitrag für eine po sitive soziale und emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung und kann daher auch ein Bindeglied von Jung und Alt, zwischen Menschen unter schiedlicher Kulturkreise und eben auch zwischen Menschen mit und ohne Behinderung sein.
Nicht behinderte Menschen erfahren bei gemeinsamen sport lichen Aktivitäten unmittelbar, welche Herausforderungen, aber auch welche Möglichkeiten mit einem Leben mit Han dicap verbunden sind. Menschen mit Behinderung profitieren durch ein verbessertes Selbstwertgefühl und ein gestärktes Selbstbewusstsein.
Angesichts einer Umwelt, in der es immer weniger Bewe gungsanreize und -möglichkeiten gibt, spielen dabei Sport- und Bewegungsangebote generell und gerade auch für die ge sundheitliche Entwicklung junger Menschen eine immer wichtigere Rolle.
Die Inklusion im Sport verlangt dabei nicht nur gemeinsame Angebote für behinderte und nicht behinderte Menschen. Vo raussetzung für ein Gelingen ist auch, dass Sportangebote für behinderte Menschen insgesamt vorangebracht werden.
Darüber hinaus ist auch der Ausbau von Netzwerken in die sem Bereich wichtig. Die verschiedenen Akteure – Lehrer und Lehrerinnen, aber auch die Übungsleiter in den Vereinen, die
Trainer – müssen für diese wichtige Aufgabe fortgebildet wer den. 2012 wurde daher von dieser Landesregierung ein Fort bildungskonzept für Lehrerinnen und Lehrer mit inklusions- und sportpädagogischem Schwerpunkt entwickelt. 2013 fan den die ersten Fortbildungsveranstaltungen zum Thema „Um gang mit Heterogenität – Inklusiver Sportunterricht“ statt, die sehr gut nachgefragt wurden. Für das nun begonnene Jahr 2014 sind weitere Fortbildungen gerade in diesem Bereich ge plant; sie werden sicherlich sehr gut angenommen.
In Zusammenarbeit mit dem Badischen Behinderten- und Re habilitationssportverband, einem behinderten Athleten und der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg arbeiten wir zurzeit an einer Handreichung mit dem Titel „Alle zusammen im Schulsport – gemeinsam von Anfang an“. Diese Handreichung soll Informationen und Anregungen für den Schulsport lie fern, Bedenken abbauen und Sportlehrerinnen und Sportleh rer dazu ermutigen, behinderten Kindern eine unbeschwerte Teilnahme am Schulsport zu ermöglichen.
Ich kann aus aktuellem Anlass sagen: Gestern fand die letzte Autorensitzung statt. Wir sind sehr zuversichtlich, dass diese Arbeit gut gelingen wird und wir in Kürze den Sportlehrerin nen und Sportlehrern bei uns im Land Baden-Württemberg eine entsprechende Handreichung an die Hand geben können.
„Behindertensport macht Schule“ ist ein weiteres gemeinsa mes Projekt mit dem Badischen Behinderten- und Rehabili tationssportverband. Kinder und Jugendliche sollen dabei für die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung sen sibilisiert werden, beispielsweise durch den Umgang mit dem Rollstuhl beim gemeinsamen Rollstuhlbasketball und Roll stuhlrugby.
Das Landesschulsportfest für Sehbehinderte und Blinde oder Basketballturniere für Gehörlose und Hörgeschädigte sind weitere Maßnahmen, die bereits seit Jahren durchgeführt wer den.
Ebenfalls gut bewährt hat sich mittlerweile die Ausbildung von Schülermentorinnen und -mentoren zur Betreuung von Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung.
Kollege Kern hat es angesprochen: Der Schulsportwettbewerb „Jugend trainiert für Paralympics“ bietet aktuell, kurz vor Be ginn der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi, eine be sonders gute Plattform, um öffentliche Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema zu erzeugen.
In Anlehnung an den Wettbewerb „Jugend trainiert für Olym pia“ wurde der Schulsportwettbewerb „Jugend trainiert für Paralympics“ für Schülerinnen und Schüler mit geistiger und körperlicher Behinderung eingerichtet. Hier bietet sich neben dem sportlichen Vergleich die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen und durch den Einsatz von Schülerhelferinnen und -helfern ohne Behinderung die Gemeinschaft mit Nichtbehin derten zu erleben.
Ich kann als Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Schulsportstiftung, die für diese Wettbewerbe „Jugend trai niert für Olympia“ und „Jugend trainiert für Paralympics“ zu ständig ist, mit einigem Stolz sagen, dass es uns jedes Jahr von Neuem gelingt, verschiedene Geldgeber, auch Sponso ren, anzuwerben, damit diese wichtigen Wettbewerbe für Kin der mit und ohne Behinderung auch weiter erfolgreich durch
geführt werden können. Wir sind zuversichtlich, auch dieses Jahr spannende Wettbewerbe erleben zu dürfen.
Im Land gibt es solche Wettbewerbe seit dem Schuljahr 2011/2012 in den Sportarten Leichtathletik, Tischtennis, Roll stuhlbasketball und Fußball für Schülerinnen und Schüler mit geistiger und körperlicher Behinderung. Im Skilanglauf gibt es Wettbewerbe für blinde und sehbehinderte sowie geistig behinderte Kinder und Jugendliche.
Aufgrund der Vorreiterrolle und des großen Engagements von Baden-Württemberg ist es gelungen, alle Wettbewerbe auf Bundesebene fest zu installieren. Das Bundesfinale Winter – im vergangenen Jahr war ich dort zu Gast – findet vom 23. bis 27. Februar in den Sportarten Langlauf, Ski alpin und Ski sprung in Schonach statt. Ich freue mich schon jetzt darauf, bei diesen spannenden Wettbewerben dabei zu sein, und lade natürlich auch Sie alle ein, bei diesen tollen Schulsportwett bewerben dabei zu sein und sich selbst ein Bild von den tol len sportlichen Leistungen von behinderten und nicht behin derten Kindern zu machen.
Die Paralympics in Sotschi beginnen unmittelbar nach den Wettbewerben in Schonach. Derzeit sind acht Athletinnen und Athleten aus Baden-Württemberg nominiert, darunter bekann te Namen wie die Skifahrerin Andrea Rothfuß aus Freuden stadt, Behindertensportlerin des Jahres 2009, oder der Biath let Willi Brem aus Freiburg, der bei den Paralympics 2010 in Vancouver die Goldmedaille gewann.
Daraus wird, glaube ich, deutlich: Inklusion ist, genau wie im schulischen Kontext, kein Projekt auf Zeit, das schnell abge arbeitet werden kann. Inklusion im Sport ist ein gesamtgesell schaftlicher Prozess aller Ebenen – öffentlicher, staatlicher Ebenen, aber auch der Verbände und der Privaten.