Protokoll der Sitzung vom 29.01.2014

Im letzten Jahr hat meine Fraktion die inzwischen neu ernann te Beauftragte der Bundesregierung – damals war sie es noch nicht; jetzt ist sie es – für die Belange von Menschen mit Be hinderung, Verena Bentele, zu einem Fachgespräch mit Ver tretern des Sports eingeladen. Verena Bentele, von Geburt an blind, ist eine der erfolgreichsten deutschen Paralympioniken. Sie hat immerhin viermal an Paralympischen Spielen teilge nommen, sie war bei drei Weltmeisterschaften, bei zwei Eu ropameisterschaften und hat bei den Paralympischen Spielen insgesamt zwölf Goldmedaillen geholt. Sie ist aufgrund die ser Biografie sicher eine der besten Expertinnen genau für die ses Thema.

Ihre Aussage war klar; denn für sie steht die Inklusion im Sport erst am Beginn, wenngleich es bereits sehr viele gute Initiativen gibt. Bentele sieht den Grund vor allem darin, dass es für eine gelungene Inklusion engagierte Trainer geben muss, aber auch die Bereitschaft der Mitglieder eines Sport vereins, auf die Menschen mit Behinderung zuzugehen. Sie machte allerdings auch sehr deutlich, dass es hier nicht aus schließlich auf die Vereine ankommt, sondern auch auf die Menschen mit Behinderung selbst. Auch sie müssen aktiv werden und ihre Forderungen an die Vereine stellen.

Ein Hindernis sei – so Bentele –, dass viel zu spät Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung im Alltag aufeinandertreffen und hier große Berührungsängste, ja auch Vorurteile bestehen, nicht nur bei Nichtbehinderten, sondern natürlich auch bei den Menschen mit Behinderung selbst. Oft mals ziehen sie den geschützten Raum vor und – so sagt Ve rena Bentele – sind froh über die Sicherheit von Grenzen.

Wie in der schulischen Inklusion muss man aber auch im Be reich Sport behutsam vorgehen. Denn alle Beteiligten müssen auf diesem schwierigen, aber auch sehr spannenden Weg mit genommen werden, und beide Seiten müssen lernen, dass in klusiver Sport eben ganz andere Schwerpunkte hat als nur den Gedanken der Leistung. Viele Vereine ohne Erfahrung mit In klusion brauchen gute Beispiele, die aufzeigen, dass es nicht um die Vergleichbarkeit von Leistung geht, sondern aus schließlich um das Miteinander.

Erst am Dienstag dieser Woche hatte ich ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister von Schorndorf und Vorsitzenden der Sportregion Stuttgart, Matthias Klopfer, sowie mit Michael Bofinger, ebenfalls Sportregion Stuttgart. Hier konnte ich sehr eindrucksvoll erfahren, wie man Berührungsängste überwin den kann. Das Projekt „Handicap macht Schule“ bringt Kin dern das Thema Inklusion näher. Kinder ohne Behinderung spielen Ball mit verbundenen Augen nach Gehör, nur ein Glöckchen ist als Orientierung im Ball, oder sie spielen Bas ketball im Rollstuhl. So kann man hervorragend an das The ma herangehen und damit die Berührungsängste abbauen.

Was kann man nun von politischer Seite aus auf den Weg brin gen? Bereits 2012 wurde durch das Landesinstitut für Schul sport ein Konzept für die Lehrerfortbildung entwickelt. Die ses soll helfen, dass Sportlehrer im Sportunterricht Kinder mit und Kinder ohne Behinderung gemeinsam unterrichten ler nen.

Die Zusammenführung von Sport- und Inklusionspädagogik ist die zentrale Herausforderung; hier gilt es ein zukunftsfä higes Konzept zu erarbeiten. Hilfreich dabei ist auch der ge plante Arbeitskreis „Netzwerk inklusiver Sportunterricht“. Hier geht es nicht nur um neue Konzepte, sondern auch um die Zusammenführung von sogenannten Best-Practice-Bei spielen.

Dass wir mit Herrn Dr. Martin Sowa in der Geschäftsstelle des Landesbehindertenbeauftragen einen ausgesprochenen Experten in Sachen Behindertensport haben, ist sicher ein Glücksfall. Denn sein Projekt BISON zeigt exemplarisch, wie Inklusion im Sport gelebt werden kann, und man findet neben guten Beispielen auch sehr konkrete Umsetzungsvorschläge in Bezug auf Problemstellungen und auch sehr gute Hand lungsempfehlungen. Auch für das kommende Jahr ist ein sehr großes Programm von ihm geplant, und es werden wieder vie le Gespräche, Fortbildungen und natürlich auch inklusive sportliche Veranstaltungen stattfinden.

Gerade die praktische Umsetzung findet Nachahmer. So hilft BISON in hervorragender Weise, dass der Inklusionssport im mer mehr Aufmerksamkeit bekommt.

Wir wollen aber noch mehr. Meine Fraktion verfolgt den Ge danken einer Inklusionsoffensive in den baden-württember gischen Sportvereinen. Dabei geht es auch um eine Professi onalisierung von Experten für Inklusionssport, um den Verei nen bei dieser so wichtigen Aufgabe zu helfen. Wir werden diesen Gedanken weiterverfolgen und zu gegebener Zeit das Ergebnis bekannt geben. Die ersten Gespräche dazu waren schon sehr vielversprechend.

Lassen Sie mich schließen mit einigen der von Dr. Sowa for mulierten Faktoren für das Gelingen, die man als gute Grund lage fortführen kann. Inklusionssport braucht Partner, eine gu te Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen, aber auch Assistenten und Begleiter. Man braucht Übungsleiter als Inklusionsmotoren, die mit dem Herzen dabei sind und auch Brücken bauen können.

Am Ende jedoch zählt immer, dass der Mensch mit Behinde rung in seiner Ganzheit wahrgenommen und respektiert wird und er den Sport so betreiben kann, dass es ihm Spaß macht und seinen Bedürfnissen nach Bewegung, aber auch nach so zialen Kontakten in allen Bereichen unserer Gesellschaft ent gegenkommt, und zwar genau so viel, wie er selbst es will.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abg. Schmid das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen haben wir schon ausführlich über das Thema Inklusion diskutiert. Aber, meine Damen und Herren, was bedeutet Inklusion im Sport?

Der Antrag der SPD-Fraktion ist eher eindimensional. Es geht vor allem um das Thema „Inklusion im Sportunterricht“. Doch klar ist: „Sport und Inklusion“ umfasst deutlich mehr. Men schen mit Behinderung sollen auf allen Ebenen in unserer Ge sellschaft eingebunden sein. Dies bedeutet für den Sport, dass die Teilnahme an allen gesellschaftlichen Aktivitäten auf al len Ebenen, auch der sportlichen Ausbildung, ermöglicht wer den muss. Ich denke dabei an den Leistungssport, den Brei tensport und auch den Schulsport. Wir müssen Angebote und Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung bereitstellen.

Im Februar 2014 finden die Olympischen Spiele statt. Sie wer den die Menschen wieder mit Begeisterung, Spannung, sport lichen Höchstleistungen in ihren Bann ziehen; sie sind das größte internationale Sportfest. Das Gleiche gilt auch für die Paralympics, die Weltspiele für Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung. Sie finden einen Monat später statt. Die Para lympics haben eine wichtige Vorbildfunktion und ermutigen Menschen mit Behinderung, ebenfalls sportlich aktiv zu wer den. Mitmachen zu dürfen, teilzuhaben, Siege zu feiern, Nie derlagen zu erleiden – all das ist eine hoch emotionale Sache. Dabei hat der Sport eine zusammenbringende Kraft.

Einen Einstieg und eine wichtige Grundlage, um Menschen mit Behinderung an den Sport heranzuführen, sind Sportver anstaltungen und Wettkämpfe. Besondere Wertschätzung gilt deshalb auch dem Wettbewerb „Jugend trainiert für Paralym pics“, der Schülerinnen und Schüler mit Behinderung bundes weit zusammenführt. In der Stellungnahme zum vorliegenden Antrag zeigen Sie auf, dass es bereits viele Veranstaltungen und Wettkämpfe solcher Art gibt. Sie haben das eben auch schon erwähnt.

Auch die Sportverbände und ebenso die Profivereine in Ba den-Württemberg, z. B. der Verein „Anpfiff ins Leben“, die Trainingsstätte der TSG 1899 Hoffenheim, schaffen ganz her vorragende Möglichkeiten für Sportler mit Behinderung. Sie bieten dabei in ihren einzelnen Projekten viele vorbildliche Berührungspunkte mit jungen Sportlern im Rahmen einer ganzheitlichen Förderung.

Aber, meine Damen und Herren: Wie sieht Inklusion im all täglichen Sportunterricht an einer Regelschule aus? Es ist Ih re Aufgabe, die Schulen auf die Herausforderungen der Inklu sion vorzubereiten. Inklusion im Sportunterricht stellt hohe Anforderungen an die Lehrkräfte. Wie wollen Sie diese be sonderen Herausforderungen bewältigen? Wie wollen Sie ver hindern, dass sich Kinder mit Behinderung im Sportunterricht anders als Kinder ohne Behinderung fühlen? Denn im Sport unterricht wird eben sofort sichtbar, wenn ein Schüler oder ei ne Schülerin einen Ball nicht fangen kann, eine Übung an ei nem Gerät nicht ausführen kann oder beim Dauerlauf nicht mitmachen kann.

Klar ist: Lehrkräfte haben im Sportunterricht eine ganz be sondere Verantwortung, vor allem auch im Hinblick auf die Sicherheit. Der Sportunterricht unterliegt ganz besonderen Be dingungen. Da geht es nämlich auch um die Themen Lärm, Akustik und Sicherheitsanforderungen. Wie wollen Sie die Lehrkräfte dahin gehend schulen? Haben Sie die Idee, dass es künftig vielleicht eine sonderpädagogische Lehrkraft im Sportunterricht gibt? Welche sachlichen und finanziellen Rah menbedingungen werden Sie schaffen, um den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung gerecht zu werden?

Ich bin sehr gespannt auf Ihre Antworten, Herr Minister.

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Ich auch!)

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Herrn Abg. Poreski.

Vielen Dank. – Herr Präsi dent, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute anlässlich unserer Debatte ein kleines Maskottchen mitge bracht, das ich für meinen Einsatz für das vom Land BadenWürttemberg geförderte Projekt BISON erhalten habe.

(Der Redner hält ein Plüschtier hoch. – Abg. Gün ther-Martin Pauli CDU: Gleiche Frisur wie du! – Hei terkeit der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

BISON steht für – das wissen alle, die die Drucksache zu der heutigen Debatte gelesen haben – „Baden-Württemberg in kludiert Sportler ohne Norm“.

Der Bison ist ein bodenständig uriges, wenn auch in dieser Form niedliches Symbol – immerhin steht „ungiftig“ darauf –, und er ist das Wildtier des Jahres 2014. Aber zurück zur Sa che.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Nicht bei jedem An trag kommt man zum Naturschutz als Thema!)

Das Projekt steht für einen starken Anspruch: von der Integ ration zur Inklusion. Integration bedeutet eine positive Akzep tanz. Die Stellungnahme des Ministeriums zeigt, dass wir in Baden-Württemberg nicht erst seit heute – das gestehe ich gern zu –, aber in zunehmendem Maß vielfältige Anstrengun gen unternehmen, um Menschen mit Behinderung eine sport liche Betätigung zu ermöglichen und sie am soziokulturellen Leben des Sports zu beteiligen.

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Richtig!)

Es ist großartig, dass der Spitzensport von Menschen mit Be hinderung über die Special Olympics und die Paralympics in zwischen einen großen Stellenwert und eine positive Vorbild funktion besitzt. Hier hat sich in den letzten Jahren vieles zum Guten verändert. Wir fördern dies auch gern und, so denke ich, leidenschaftlich parteiübergreifend.

Dabei muss uns klar sein: ohne Integration keine Inklusion. Integration ist ein notwendiger Zwischenschritt und vielleicht sogar langfristig eine unterstützende Entwicklung parallel zur Inklusion.

Gleichzeitig können wir feststellen: Ohne das Ziel der Inklu sion, also ohne eine vollständige und selbstverständliche Teil habe von Menschen mit Behinderung, ist Integration nur die Hälfte wert.

Das sieht auch die TSG Reutlingen – aus meinem Wahlkreis – so. Sie arbeitet seit über 30 Jahren vorbildlich auf diesem Weg.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das stimmt!)

Es gelang ihr durch gute Vernetzung und systematische Kom munikation nach innen und mit anderen Vereinen immer wie der, dass behinderte Leistungssportlerinnen mit Nichtbehin derten gemeinsam im Mannschaftssport für das gleiche Ziel kämpfen. Das klappt, je nach Behinderung, durchaus auch auf dem gleichen Leistungsniveau.

Darüber hinaus war es dem Verein immer wichtig, dass Be wegung und Sport in erster Linie Freude und menschliche Be gegnung bedeuten. Sie haben sich Gedanken darüber gemacht, wie Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam auf Augen höhe in den sportlichen Wettstreit gehen können. Sie haben dafür auch die Regeln vorhandener Sportarten und sportlicher Spiele kreativ verändert, damit alle gleich viel Spaß daran ha ben. Diese Gemeinsamkeit im Sport ist die ideale Brücke, um Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung miteinander in Kontakt zu bringen,

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

um gegenseitige Vorbehalte und Hemmungen zu überwinden und Selbstverständlichkeit erlebbar zu machen, wo unser Zu sammenleben noch allzu oft von ängstlicher Distanz und Aus grenzung geprägt ist.

Viele Vereine und Schulen – weit über die Region Neckar-Alb hinaus – haben sich davon anstecken lassen und in Koopera tion Aktionstage mit überwiegend sehr guter Resonanz ver anstaltet.

Dr. Martin Sowa hat diese Arbeit der TSG Reutlingen seit drei Jahrzehnten ehrenamtlich geprägt und die Inklusion im Sport zudem systematisch in die Lehrerbildung und -fortbildung ein gebracht. Er ist mit vergleichbaren Initiativen in anderen Bun desländern vernetzt.

Viele Jahre lang hat sich dieser Verein vergeblich darum be müht, das Beispiel und die gesammelte Erfahrung landesweit zur Verfügung zu stellen und mit einer professionellen Basis abzusichern. Ich habe mich gemeinsam mit dem Landesbe hindertenbeauftragten Gerd Weimer dafür eingesetzt, dass dies nun endlich gelingt. Deshalb gibt es nun seit einem Jahr, an gesiedelt beim Landesbehindertenbeauftragten, das Inklusi onsprojekt BISON. Dr. Martin Sowa leitet dieses mit vielen Drittmitteln unterstützte Projekt. Er unterstützt und vernetzt mit seinem Team landesweit viele vorhandene Initiativen im Sport, in Kooperation mit den Behindertensportverbänden und der Lehrerbildung. Sie beraten und schulen Vereine, wie sie sich organisatorisch mit Projekten, Angeboten und anderen Maßnahmen inklusiv aufstellen und im Sozialraum vernetzen können – in einer beeindruckenden Vielfalt von Sportarten.

Der inklusive Sport in Baden-Württemberg hat nun ein krea tives und alle Akteure vernetzendes Zentrum. Ich empfehle allen Fraktionen, dieses Projekt kennenzulernen und weiter zuempfehlen.

(Der Redner hält ein Plüschtier hoch.)

Dieser kleine Bison steht für ein gelebtes Stück Inklusion.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das kennen wir schon lange!)

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)