Das Trauerspiel geht weiter, wenn es um die Frage der Digi talisierung von Bildung geht. Wir alle bekommen doch regel mäßig von Wissenschaftlern oder auch von Stiftungen, wie zuletzt von der Bertelsmann Stiftung, den Spiegel vorgehal ten mit der Aussage: Im Bereich der Digitalisierung der Bil dung ist zu wenig passiert. Lernprozesse, Bildungsprozesse finden heute anders statt. Wir haben funktionierende Hilfsmit tel, die aber nicht eingesetzt werden.
Dass sich Baden-Württemberg in diesem Punkt gegen das Geld gestemmt hat, das den Ländern vom Bund für diesen Zweck gegeben werden sollte, ist schon ein eigenes Thema. Aber wer nicht kapiert, dass wir gerade in die Digitalisierung der Bildung, und zwar gerade im schulischen Bereich, inten siv investieren müssen – nicht nur in Hardware, sondern vor allem in die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte –, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Wir brauchen in diesem Land Baden-Württemberg endlich funktionierende Bildungsprozesse an den Schulen unter Zu hilfenahme von Digitalisierung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Desaster, was „ella“ angeht, hat Baden-Würt temberg in diesem Bereich drei Jahre zurückgeworfen. Das ist eine Katastrophe für ein Bildungsland.
(Beifall bei der SPD – Abg. Nicole Razavi CDU: Wer hat’s erfunden? – Abg. Tobias Wald CDU: An die ei gene Nase fassen!)
(Abg. Nicole Razavi CDU: Wer war denn da Kultus minister? – Gegenruf des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Er hat es anständig gemacht!)
dass es eine solche digitale Bildungsplattform geben soll; ei nige Anwesende wissen das sehr genau. Wir haben dann im heraufziehenden Wahlkampf einen solchen Beschluss gefasst, aber haben noch lange keine Beauftragung irgendeiner Firma vorgenommen.
Sie kommen mir jetzt mit Ihren Zwischenrufen so vor wie je mand, der irgendwann einmal jemanden heiratet, der vorher mit jemand anderem zusammen war. Anfänglich haben sich diese beiden vielleicht einmal überlegt, ob sie sich zusammen ein Häuschen kaufen. Es kam nie dazu – also bei uns jetzt.
und geheiratet. Dann haben sie ein Haus gebaut und irgend wann festgestellt, dass das Haus eine Bruchbude ist, aus der man tunlichst herausgehen sollte bzw. in die man nie einzie hen sollte. Sie kommen mir vor wie die, die zum früheren Ge liebten dieser Frau kommen, um zu sagen: „Hör mal zu: Ei gentlich bist ja du schuld, denn die Idee mit dem Haus kam von dir.“ Wie blöd kann man eigentlich argumentieren? Die Verantwortung liegt allein bei Ihnen.
(Abg. Nicole Razavi CDU: Nebelkerzen werfen! – Gegenruf des Abg. Sascha Binder SPD: Rechnungs hofbericht!)
Ich habe gerade etwas zur Weiterbildung von Lehrkräften ge sagt. Jetzt darf ich Ihnen einmal sagen, was unter der Über schrift „Qualität“ gerade passiert. Die Landesregierung, vor allem die Kultusministerin, schmückt sich mit einer „Quali tätsoffensive“ – dieses Wort kann man in ganz, ganz große Anführungszeichen setzen. Die Kultusministerin hat nämlich eines geschafft: Sie hat die komplette Struktur der Fort- und Weiterbildung für Lehrkräfte in Baden-Württemberg, verkör pert durch die staatlichen Seminare, zerschlagen und hat zwei neue Institute geschaffen.
Diese beiden neuen Institute sind aber in keiner Weise arbeits fähig, sodass mir Personen aus der Bürokratie, aus der Ver waltung sagen: „Wir werden nächstes Jahr, im Jahr 2020, noch ein paar Fortbildungen haben, die noch aus der alten Struktur
stammen, aber wir werden aus dieser neuen Struktur auf ab sehbare Zeit keine einzige Fortbildungsmaßnahme für unse re Lehrkräfte anbieten können.“
Und das in einer Zeit, in der die Fortbildung von Lehrkräften ein Lebenselixier ist! Das ist die Leistungsbilanz dieser Lan desregierung im Bereich der Bildungspolitik.
Der Bereich Bildung wird in diesem Land Baden-Württem berg vor allem für die Zeit eine zentrale Aufgabe sein, wenn es mit Schule, Ausbildung oder Hochschule vorbei ist. Ich sa ge es ausdrücklich: Es ist richtig, dass diese Landesregierung in Hochschulen investiert. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es Wochen und Monate gedauert hat und in dieser Zeit viele Angehörige von Hochschulen, Studierende, Professoren auf der Straße waren, um gegen die ursprünglichen Pläne die ser Landesregierung zu demonstrieren. Das sollte auch im Staatsministerium hoffentlich niemandem entgangen sein. Die Erhöhung der Mittel in diesem Bereich ist definitiv richtig.
Aber das, was Sie, Herr Ministerpräsident, vorhin als Wandel – auch mit dem Stichwort Disruption – beschrieben haben, zeichnet sich besonders durch die Geschwindigkeit dieser Ver änderung aus. Wir alle haben die Aussagen von Zukunftsfor schern im Ohr, wonach in etwa drei Viertel der heutigen Grund schüler einmal in einem Beruf tätig sein werden, den es heu te noch nicht gibt. Das heißt, es bestehen riesengroße Heraus forderungen für unsere Bildungsinstitutionen, mit diesem Wandel umzugehen und die junge Generation in unserem Land darauf vorzubereiten. Aber von diesem Wandel ist ja nicht nur die junge Generation betroffen. Von diesem Wandel sind alle Menschen in diesem Land betroffen, vor allem jene, die mit ihrer Hände oder Köpfe Arbeit ihr Geld verdienen.
Wenn dann Menschen, die 40, 45 Jahre alt sind, merken, dass sie mit ihrer ursprünglichen beruflichen Qualifikation nicht mehr ihren Platz auf dem Arbeitsmarkt finden, weil ihre Ar beit durch Rationalisierung oder Digitalisierung wegfällt, dann wird daran deutlich, dass wir nicht nur in den Sonntags reden vom lebenslangen Lernen sprechen dürfen, sondern dass wir Bildungsstrukturen brauchen, die uns helfen, diese Her ausforderung zu bewältigen. Denn die Menschen brauchen in diesem Wandel eines: Das ist Sicherheit. Sicherheit im Wan del muss die Aufgabe von Politik sein. Deshalb muss die Bil dungsaufgabe ein Kern dessen sein, was in der Verantwortung des Staates liegt. Auch dazu, Herr Ministerpräsident, habe ich heute leider kein Wort von Ihnen gehört.
Wozu ich ebenfalls nichts gehört habe, und zwar überhaupt nichts, das ist das Thema Wohnen. In diesem Bereich liegt ei ner der größten sozialen Sprengsätze, die wir im Land BadenWürttemberg haben. Wir stellen fest, dass wir inzwischen nicht mehr nur in den Ballungsräumen erheblich steigende
Mietkosten und Kaufpreise für Immobilien haben und dass sich diese Welle jetzt quasi schon flächendeckend auf das gan ze Land Baden-Württemberg ausbreitet. Festzustellen ist die se Entwicklung nicht mehr nur in einem Speckgürtel von 20 bis 30 km um die Ballungsräume, sondern bereits 70 bis 80 km außerhalb.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir nicht wol len, dass unsere Gesellschaft an dieser Stelle auseinanderfällt, dann brauchen wir dringend mehr Wohnraum. Ich sage Ihnen eines: Es wird nicht ausreichen, nur zu sagen, der Markt wür de das schon irgendwie richten. Das haben wir viel zu lange geglaubt, weil wir auch davon ausgegangen sind, dass die Ge sellschaft kleiner werde. Vor 15 Jahren haben uns Statistiker gesagt: Die Gesellschaft wird kleiner, und sie wird älter. Die Bevölkerung wird im Durchschnitt älter, aber es werden nicht weniger, sondern mehr Menschen.
Darin liegt ein riesengroßes Problem: Der Standort BadenWürttemberg hat eine solche Wirtschaftskraft und Attraktivi tät, dass Menschen zu uns kommen, um hier zu arbeiten – aus anderen Bundesländern, aus der EU und darüber hinaus. Mei ne sehr geehrten Damen und Herren, für diese Menschen brau chen wir Wohnraum. Das, was bisher passiert, nämlich hier ein Töpfchen und dort ein Töpfchen hinzustellen, reicht nicht aus. Wir, die Politik, müssen eines ganz klar formulieren: Wohnen ist nicht nur eine Frage von marktwirtschaftlichen Prozessen. Wohnen ist für die Menschen ein existenzielles Be dürfnis und gehört für mich zur Daseinsvorsorge. Deshalb müssen wir natürlich auch Investitionsanreize für privates Ka pital schaffen.
Das ist ein wichtiger Teil der Wirklichkeit. Aber wir werden das nicht allein durch das private Kapital schaffen.
Wir brauchen Grund und Boden, der nicht meistbietend ver kauft wird, sondern der z. B. über kommunale Wohnungsbau gesellschaften mit Häusern und Wohnungen bebaut wird, die für die Menschen auch bezahlbar und leistbar sind. Wir brau chen bis 2025 – das sind nur noch fünf Jahre – etwa 500 000 zusätzliche Wohnungen in Baden-Württemberg. Im Moment entsteht etwas mehr als die Hälfte dieser notwendigen Zahl.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen uns dann über Mietendeckel oder Ähnliches überhaupt keine Ge danken mehr zu machen. Die Mieten gehen durch die Decke. Mietpreissteigerungen von 8 bis 10 % pro Jahr sind auch bei einer exzellenten Wirtschaftslage und Lohnzuwächsen von 3 % für die Menschen eine Katastrophe.
Herr Ministerpräsident, zu solch grundlegenden Themen, die den Zusammenhalt der Gesellschaft wirklich entscheiden, ha ben wir in Ihrer Rede heute nichts gehört. Diese Landesregie rung und dieser Landtag müssen mehr dafür tun, dass nicht
nur über den Zusammenhalt der Gesellschaft geredet wird, sondern dass dieser auch garantiert werden kann.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Es genügt nicht, an dieser Stelle nur über die Innovationskraft des Landes zu sprechen. Sie ist eine wichtige, notwendige und zwingende Vorausset zung. In der Mathematik gibt es eine notwendige, aber auch eine hinreichende Bedingung. Um den Wohlstand, aber vor allem den Zusammenhalt der Gesellschaft zu bewahren, ist die Investitionstätigkeit, die Sie angesprochen haben, eine not wendige, aber noch lange keine hinreichende Bedingung.
Wir brauchen ein Bewusstsein, dass diese Gesellschaft den Wandel, vor dem wir alle stehen, nur dann bewältigen wird – und zwar in einer solidarischen Gesellschaft –, wenn wir uns unserer Verantwortung als staatliche Institutionen bewusst sind. Es genügt nicht, nur Investitionsanreize zu setzen. Es ge nügt nicht, nur den Rahmen zu definieren, sondern wir brau chen einen gestaltenden Staat, der den Menschen eines gibt: Sicherheit im Wandel. Wir brauchen keine Angst vor der Zu kunft zu haben, sondern können mit Zuversicht in die Zukunft gehen. Dazu kommt von dieser Landesregierung zu wenig, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie hätten sich, was diese 11 000 Wissenschaftler angeht, von Ihrem Assistenten viel leicht besser beraten lassen sollen. Das sind keine 11 000 Wis senschaftler.