Protokoll der Sitzung vom 11.12.2019

Als Erster spricht Herr Fraktionsvorsitzender Stoch für die SPD.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Schönes Gefühl, oder? – Weitere Zurufe von der CDU)

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen!

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Er strahlt! – Zu ruf von der CDU: Schönes Gefühl, gell? – Heiterkeit)

Die CDU denkt mit; das ist schon mal erfreulich.

Ich freue mich, auf die Ausführungen von Herrn Ministerprä sident Kretschmann reagieren zu dürfen. Herr Ministerpräsi dent, ich möchte vorwegschicken: Sie haben zu Beginn Ihrer Rede ausführlich die Frage der Veränderungen in unserer Ge sellschaft analysiert. Sie haben das Thema „Strukturwandel in der Wirtschaft“ angesprochen. Es ist die Frage, ob es sich um einen Strukturwandel oder um Strukturbrüche handelt. Sie haben die Herausforderungen durch den Klimawandel, aber auch im Bereich des Artenschutzes angesprochen. Sie haben das Thema „Zunehmende Individualisierung in unserer Ge sellschaft“ angesprochen. In dieser Analyse wird Ihnen, glau be ich – bis auf einen ganz kleinen Teil dieses Parlaments –, grundsätzlich niemand widersprechen.

Ich habe vorhin in meinen Ausführungen und auch schon vor vier Wochen in der Haushaltsrede darauf hingewiesen, dass diese Veränderungen Antworten benötigen. Bei dem, was Sie uns jetzt in fast einer Stunde geboten haben, kam zu einem Bereich sehr viel – auch da wird Ihnen sinnvollerweise nie mand widersprechen –, nämlich zum Thema „Investitionen und Innovationen“ und zur Frage, ob Innovationen – wir könnten es auch Erfindergeist nennen – der Schlüssel sein können, um den Wohlstand unseres Landes, Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Erfolg, vor allem aber auch gesellschaftli chen Zusammenhalt sicherzustellen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, wie es Ihnen erging. In den Ausführungen des Ministerpräsiden ten zur Frage der Investitionen, z. B. im Bereich der künstli chen Intelligenz, im Bereich der Digitalisierung – dort hatte er insbesondere über die Infrastruktur gesprochen –, ging es um Aufgaben, die, glaube ich, in allen Bundesländern, in al len Ländern, die in diese Zukunft gehen wollen, selbstver ständlich sind. Deswegen halten wir diesen Teil der Aufga ben, die das Land hat, auch für richtig. Aber wir müssen dann schon schauen, ob hinter der Überschrift, die gesetzt wird, auch konkretes politisches Handeln steht.

Ich nehme einmal ein ganz konkretes und sehr aktuelles Bei spiel, nämlich die Ausführungen des Chefs von Bosch, Herrn Denner, der davor warnt, dass Strukturbrüche zu nachhalti gem Schaden in einem Land wie Baden-Württemberg führen können, dass aber ein Strukturwandel etwas ist, was wir in Baden-Württemberg durch die Qualität unserer Produkte, durch die Qualität der Menschen, die hier arbeiten, bewälti gen können. Er nimmt ganz konkret Bezug auf die Europäi

sche Kommission, den dort angekündigten „Green New Deal“ und die – so jedenfalls die politische Absicht – möglicherwei se zu verschärfenden Grenzwerte im politischen Bereich.

Dann brauchen wir Antworten. Dann brauchen wir Antwor ten, Herr Ministerpräsident, auf die Frage: Was sind die rich tigen politischen Rahmenvorgaben, die es uns ermöglichen, diesen Strukturwandel mit den Menschen in diesem Land ge meinsam zu bewältigen, oder ab welcher Stelle sorgt die Po litik selbst dafür, dass Strukturbrüche entstehen, die nachhal tigen Schaden verursachen? Dazu haben wir von Ihnen kein Wort gehört.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Sie haben sich sehr ausführlich mit dem Thema Innovationen beschäftigt. Ganz am Ende Ihrer Rede – Sie haben mehrfach gesagt, Sie kämen zum Ende; bei einem dieser Ansätze war es – haben Sie gesagt, Sie wollten noch etwas zum Zusam menhalt der Gesellschaft sagen. Ich sage Ihnen: Die Voraus setzung dafür, den Wandel in den verschiedenen Bereichen gut zu meistern, ist, dass wir diesen Zusammenhalt der Ge sellschaft auf der Strecke dorthin nicht verlieren. Zu diesem Punkt waren Sie – außer in einigen sehr abstrakten Sätzen – relativ wenig konkret.

Ich nehme jetzt einmal einen Punkt aus dem Themenbereich „Klima- und Umweltschutz“. Wenn wir im Moment in der po litischen Debatte über die Frage „Wie schnell kann die Ener giewende gelingen?“ sprechen, dann höre ich von der Landes regierung von Baden-Württemberg regelmäßig, dass der Bund die Wurzel allen Übels sei.

(Zuruf: Stimmt ja auch!)

Jetzt habe ich aber gehört, dass das Land Rheinland-Pfalz, das bekanntermaßen auch in Deutschland liegt, es in diesem Jahr schafft, mehr als zehn Mal so viele Windkraftanlagen aufzu stellen wie das Land Baden-Württemberg. Meine sehr geehr ten Damen und Herren, könnte die schlechtere Bilanz BadenWürttembergs etwas mit Ihrer Verantwortung zu tun haben?

(Beifall bei der SPD)

Es hat ganz konkret etwas mit Politik zu tun, wenn z. B. Herr Mastiaux auf dem Parteitag der Grünen davon redet, dass ein Genehmigungsverfahren für eine Windkraftanlage in BadenWürttemberg mittlerweile nicht mehr 36 Monate – was auch schon lang ist –, sondern 59 Monate dauert. Das ist konkrete politische Verantwortung, und der wird diese Landesregierung nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD)

Werden wir doch konkret beim Thema Klimaschutz: Ja, für uns, die SPD, waren die Verhandlungen mit der CDU/CSU im Bund nicht einfach. Wir hätten uns beim Thema Klima schutz an manchen Stellen mehr vorstellen können.

(Zuruf des Ministers Winfried Hermann)

Nehmen Sie einmal als ein Beispiel den CO2-Preis. – Auch wenn Herr Hermann wieder nicht an sich halten kann, er muss jetzt einfach zuhören.

(Vereinzelt Heiterkeit – Zuruf des Abg. Sascha Bin der SPD)

Der CO2-Preis ist ein wichtiger Schlüssel; Herr Ministerprä sident, da gebe ich Ihnen recht. Denn wenn wir den logischen Schluss ziehen, dass umweltschädliches Verhalten teurer wer den soll und umweltfreundlicheres Verhalten entlastet werden soll, dann kann der CO2-Preis da eine ganz wichtige Schrau be sein.

Aber wir dürfen dann nicht nur über den CO2-Preis reden, oh ne die Frage zu stellen: Was heißt denn das nicht nur für die Wirtschaft in diesem Land, sondern auch für die Menschen in diesem Land? Wenn jemand ein Fahrzeug fährt, das vielleicht sechs, sieben oder acht Jahre alt ist und noch einen Verbren nungsmotor hat, dann will derjenige von einem Ministerpräsi denten des Landes Baden-Württemberg nicht dafür beschimpft werden, dass er ein „dreckiges Auto“, gar einen „dreckigen Diesel“ fährt, sondern dann will dieser Mensch erfahren, wie er sich für die Zukunft aufstellen soll.

Da spielen z. B. Prämien eine Rolle, um dies zu unterstützen, aber da spielt es eben auch eine Rolle, dass Menschen, die dringend auf ihr Fahrzeug angewiesen sind, um an ihren Ar beitsplatz zu kommen, nicht unnötig belastet werden, sondern dass eben auch ein sozialer Ausgleich stattfindet. Der fehlt in Ihrer Argumentation, Herr Ministerpräsident, und den brau chen wir dringend, wenn wir alle Menschen mitnehmen wol len bei mehr Klimaschutz.

(Beifall bei der SPD, der Abg. Winfried Mack und Paul Nemeth CDU sowie des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Über den Zusammenhalt der Gesellschaft haben Sie im Zusam menhang mit Resilienz philosophiert. Es wird ganz konkret, wenn wir über die Aufgaben des Staates reden. Ein Thema wie „Sozialpolitische Herausforderungen“ habe ich in Ihrer Rede vermisst. Der einzige Schlenker in diese Richtung war, als Sie darüber gesprochen haben, dass Baden-Württemberg für Gesundheitsberufe ein wichtiger Standort sein kann, dass auch dort die Digitalisierung eine wichtige Rolle spielt. Ich höre bloß komischerweise von Ihnen nie, wie es mit den Ar beitsbedingungen in der Pflege, wie es mit den Arbeitsbedin gungen in der Gesundheitsbranche aussieht. Wir brauchen doch in Baden-Württemberg bei einer alternden Gesellschaft vor allem motivierte Beschäftigte in diesem Bereich. Davon höre ich nichts von Ihnen, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der SPD)

Es ist eben Tatsache, dass wir in Baden-Württemberg inzwi schen bei den Menschen, die in stationärer Unterbringung, in stationärer Pflege sind, Zuzahlungen von über 2 500 € pro Mo nat leisten. Das heißt, dass wir den Menschen das Gefühl ge ben, dass ihre Rente möglicherweise im Alter nicht mehr aus reicht. Das ist natürlich auf Bundesebene zu lösen,

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Aha!)

aber aus meiner Sicht ist es dringend notwendig, dass wir da rüber sprechen, wie wir die Menschen gerade auch dann, wenn sie alt und krank sind, entlasten.

Ganz konkret wird es dann in Baden-Württemberg, wenn von etwa 400 000 Pflegebedürftigen in Baden-Württemberg 300 000

in ambulanter Pflege und etwa 100 000 in stationärer Pflege sind. Dann spielt es natürlich für die politische Debatte eine ganz große Rolle, wie wir mit den Menschen umgehen, die vielleicht noch nicht in stationärer Pflege sind. Wenn wir aber im Bereich der Kurzzeit- und Tagespflege in Baden-Württem berg so schlecht aufgestellt sind, wie wir es tatsächlich sind, dann hätte ich von dem Ministerpräsidenten erwartet, dass er zu diesem wichtigen Thema, nämlich wie wir gute Pflege in Baden-Württemberg schaffen können, heute auch etwas sagt.

(Beifall bei der SPD)

Diejenigen, die gerade vor dem Landtag demonstrieren, näm lich die Träger von Einrichtungen, die nicht von Ihrem Deal mit den Kommunen profitieren, werden auf den Folgekosten des Bundesteilhabegesetzes – nach Berechnungen in etwa 17 Millionen € – sitzen bleiben. Den Trägern, die in dem Be reich arbeiten, in dem es um die soziale Teilhabe von Men schen mit Behinderungen geht, entstehen durch das Bundes teilhabegesetz Umstellungskosten. Zu diesen Umstellungs kosten habe ich von der Landesregierung überhaupt noch nichts gehört.

Deswegen: Es reicht nicht, nur Überschriften zu setzen, son dern wir brauchen gerade bei den sozialpolitischen Heraus forderungen Antworten der Politik. Das gilt auch für diese Landesregierung.

Tauchen wir in die verschiedenen Bereiche ein, beispielswei se in den Bereich der Mobilität. Herr Ministerpräsident, Sie haben über die Investitionen in Busse und Bahnen gesprochen. Da sind wir nicht weit voneinander entfernt. Ich habe vorhin gesagt: Wir brauchen attraktive Angebote, damit die Men schen ihr Mobilitätsverhalten ändern. Aber wenn wir über die Qualität sprechen, dann sagen Ihnen viele Menschen, die z. B. die Deutsche Bahn benutzen – der Kollege Palmer, der Ober bürgermeister von Tübingen, hat diesbezüglich kürzlich mal wieder einen Brief geschrieben –, dass im Bereich der Quali tät vieles im Argen liegt.

(Zuruf: Ja!)

Gerade wenn es um die Umstellung auf die verschiedenen Bahnbetreiber geht, die Herr Minister Hermann verhandelt hat, stellen wir fest, dass an vielen Stellen die Strecken nicht bedient werden, Zugmaterial nicht vorhanden ist, Lokführer fehlen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir können hier noch so viel von einer Mobilitätswende reden, wir können noch so viel davon reden, die Menschen zu bewegen, ihr Auto stehen zu lassen – wenn die Alternative nicht funktioniert, wird das auch in Baden-Württemberg nicht umgesetzt.

(Abg. Daniel Rottmann AfD: Die Alternative funkti oniert!)

Bei der Bildung sind Sie wirklich extrem an der Oberfläche geblieben, Herr Ministerpräsident. Bildung ist für mich eines der zentralen, wenn nicht das zentrale Thema, das wir bei der Bewältigung des Wandels im Auge behalten müssen. Wenn ich bei der Bildungsbiografie eines Kindes anfange, dann stel le ich fest, dass Sie sich dafür rühmen, dass wir in diesem Be reich das, was bis 2011 in diesem Land versäumt wurde, und zwar von CDU-FDP/DVP-Regierungen, ganz erheblich auf geholt haben.

Wir haben damals in unserer Regierungszeit durch die Erhö hung der Grunderwerbsteuer die Grundlage dafür geschaffen, dass in unseren Kommunen sehr viele neue Plätze entstanden sind, dass in Qualität investiert werden konnte und sich die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher nahezu verdoppelt hat.

In jeder Sonntagsrede hören wir: „Auf den Anfang kommt es an.“ Schauen Sie sich Ihre Bilanz mit Ihrem jetzigen Koaliti onspartner an. So arg viel Innovationen und vor allem Inves titionsfreude stelle ich im Bereich der frühkindlichen Bildung nicht fest.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Stimmt doch nicht! „Pakt für gute Bildung und Betreuung“! – Abg. Ni cole Razavi CDU: Das sagt der Richtige!)

Schauen wir uns an, wo das Geld herkommt. Der Bund hat das „Gute Kita“-Gesetz beschlossen, und zwar mit Regie rungsbeteiligung der SPD.

(Abg. Tobias Wald CDU: Ja, ja!)

Sie waren auch dabei, Herr Wald; CDU und CSU waren da bei. – Daraus erhält das Land Baden-Württemberg in den nächsten dreieinhalb Jahren 729 Millionen €. Andere Bundes länder legen noch mal das Gleiche obendrauf, und zwar neu es Geld. Das kommt von der Landesregierung Baden-Würt tembergs nicht.

Wer es ernst meint mit der These: „Auf den Anfang kommt es an“, wer es ernst meint mit dem Thema „Qualität in der früh kindlichen Bildung“, der muss hier investieren und darf nicht nur zuschauen, wenn der Bund investiert.

(Beifall bei der SPD)