Protokoll der Sitzung vom 29.01.2020

Mit Erich Kästner schließe ich: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP – Zuruf: Bravo! – Abg. Dr. Heinrich Fiecht ner [fraktionslos]: Genau!)

Für die Fraktion GRÜNE er teile ich Herrn Abg. Lede Abal das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegin nen und Kollegen! Die heutige Debatte betrifft das Bleibe recht, ein wichtiges Thema, das wir derzeit in der Koalition diskutieren. Das ist hinlänglich bekannt.

Es wundert mich aber schon, wenn Sie, die SPD, im Bund Ge setze beschließen, um dann die Landesregierung zu fragen, weshalb sie diese anwendet. Die SPD hat im vergangenen Jahr Seehofers Migrationspaket durchgewunken,

(Staatssekretärin Bärbl Mielich: Genau!)

das uns jetzt diese Probleme beschert. Herr Stoch, Sie haben von Ermessen gesprochen. Genau darüber, ob die Ermessens duldung erteilt werden kann, wird unter Juristinnen und Ju risten allein deshalb gestritten, weil Sie im Bund die unklare Rechtslage verursacht haben.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU – Abg. Andreas Stoch SPD: Da klatscht die CDU!)

Es gäbe diesen Streit nicht, wenn Sie ihn nicht verursacht hät ten.

Sie hatten im letzten Jahr die Gelegenheit, eine Regelung zu schaffen, die den Menschen und den Unternehmen hilft. Was haben Sie stattdessen getan? Sie haben das schärfste Migrati onspaket beschlossen, das je durch den Bundestag gegangen ist. In Ihrer eigenen Partei, sogar in Ihrer Bundestagsfraktion, gab es Proteste gegen dieses Gesetz – und auch in der Öffent lichkeit.

Ich zitiere PRO ASYL in einer Stellungnahme vom Juni 2019 zu diesem Gesetz:

Auch die Beschäftigungsduldung ist offensichtlich gewollt als Rohrkrepierer konstruiert... Die allermeisten Men schen in Arbeit und Arbeitgeber werden weiterhin stän dig eine Abschiebung befürchten müssen.

Weiter:

Die verschärften Zugangshürden... kommen einer Zer trümmerung der realen Chancen auf Abschiebungsschutz während Ausbildung und Beschäftigung gleich.

Oder:

Sie

damit sind Sie, die SPD, gemeint –

haben sich beim politischen Tauschhandel... bei den Neu regelungen für eine Bleiberechtsperspektive über Ausbil dung und Beschäftigung über den Tisch ziehen lassen.

So weit die Stellungnahme von PRO ASYL.

Nun möchten Sie mit uns darüber diskutieren, wie wir die An wendung dieser Gesetze rechtlich sauber vermeiden können.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Erklären Sie uns das mal! – Zuruf des Abg. Andreas Stoch SPD – Unruhe)

Ich kann mich auch noch an die vollmundigen Ankündigun gen aus der SPD erinnern, was Sie an Seehofers Gesetzent wurf alles ändern wollen würden. Nichts davon ist passiert, nichts davon haben Sie eingehalten.

Ich möchte dem, was die SPD mitzuverantworten hat, gegen überstellen, was wir Grünen fordern und woran wir arbeiten.

(Lachen bei der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Sa gen Sie uns, was Sie in Baden-Württemberg machen! Was Sie machen, interessiert uns! – Weitere Zurufe von der SPD)

Wir wollen Menschen, die eine Arbeit haben und sich integ rieren, eine dauerhafte Perspektive in Baden-Württemberg er möglichen.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, lie be Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion!

Ich habe Ihnen auch zugehört, Herr Stoch.

Herr Abg. Lede Abal hat das Wort. – Danke.

Wir wollen Men schen, die eine Arbeit haben und sich integrieren, eine dauer hafte Perspektive in Baden-Württemberg ermöglichen. Wir wollen, dass pragmatische und humanitäre Entscheidungen getroffen werden. Das Land hat eine Verantwortung für die Menschen und für die Unternehmen, die wir 2015/2016 dar um gebeten haben, diese Menschen auszubilden und einzu stellen. Wir dürfen kein Interesse daran haben, dass Ermessen zulasten von Menschen und zulasten von Unternehmen in die sem Land ausgeübt wird. Deshalb brauchen wir eine Geset zesinitiative im Bundesrat, damit wir an dieser Stelle voran kommen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Reinhold Gall SPD: Sie machen aber nichts!)

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eine persönliche Aus führung machen, eine Ausführung, die Sie dafür sensibilisie ren soll, warum es eben einen Unterschied macht, ob wir Er messensspielräume nutzen oder nicht. Ermessen ist ein juris tischer Fachbegriff. Er räumt gewisse Freiheiten bei der Rechts anwendung ein. Aber Ermessen ist nicht Belieben, sondern egales Verwaltungshandeln,

(Abg. Andreas Stoch SPD: Richtig!)

um unter den gegebenen Umständen im Einzelfall zu einer sachgerechten Entscheidung zu gelangen.

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Eine Willkür grenze!)

Damit wird Ermessen auch eine Frage von Verantwortung, ei ne Verantwortung für Biografien und eine Verantwortung für gesellschaftliches Miteinander.

So, wie wir jetzt über Menschen aus Syrien, aus Afghanistan, aus dem Irak oder anderen Ländern sprechen, die unsere Spra che lernen, eine Lehre machen, einen Arbeitsplatz suchen, so hat 1998 ein bosnischer Teenager in einer Heidelberger Aus länderbehörde gesessen und gehofft. Drei Optionen lagen da mals auf dem Tisch: die Ausreise mit den Eltern nach Ameri ka, die freiwillige Rückkehr nach Bosnien oder eine Abschie bung.

Herr Abg. Lede Abal, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Binder zu?

Ich lasse jetzt von der SPD keine Zwischenfrage zu, weil Sie ein Verfahren ge wählt haben, das Ihnen doppelt so viel Redezeit einräumt wie uns.

(Abg. Sascha Binder SPD: Das wird doch gar nicht angerechnet!)

Die Frage nicht, aber meine Antwort darauf schon.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Feige Ausrede! – Zuruf des Abg. Sascha Binder SPD – Unruhe)

Ja, wenn Zeit übrig ist, komme ich darauf zurück.

(Abg. Gabi Rolland SPD: Dann käme vielleicht et was Sinnvolles heraus!)

Ich würde gern zurück zu diesem Fall kommen. In ebendie sem Fall hat ein Sachbearbeiter der Ausländerbehörde im wahrsten Sinn des Wortes eine Ermessensentscheidung ge troffen. Er hat eine Situation in ihrer ganzen Bedeutung er fasst, er hat nach einem Spielraum gesucht. Der junge Mann sprach ausgezeichnet Deutsch, er hatte feste Pläne, er plante ein Studium in Heidelberg. Der Verwaltungsmitarbeiter kann te auch die ganze Familie. Die Mutter arbeitete in einer Wä scherei, der Vater auf dem Bau, beide eigentlich Akademiker, sie haben sich in die USA orientiert.

Der Mitarbeiter der Ausländerbehörde fand einen Weg, um dem jungen Mann eine Duldung zu ermöglichen, und zwar über eine Immatrikulation an der Universität – ein Studium der Literaturwissenschaft. Das war sein Weg. Heute ist dieser junge Flüchtling von damals Träger des Deutschen Buchprei ses. Er heißt Sasa Stanisic. Sie kennen seine Bücher.

Ja, meine Damen und Herren, auch das ist eine Dimension von Ermessen. Daran sollten wir uns orientieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Abg. Gabi Rolland SPD: Sie sollten sich mal die Realität anschauen!)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Blenke.