Protokoll der Sitzung vom 29.01.2020

Können Sie die Uhr anhalten?

Ich habe das im Griff. – Herr Abg. Dr. Fiechtner,

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Frau Prä sident!)

ich habe es schon mehrfach gesagt: Zwischenrufe sind zwar erlaubt, aber es kann nicht sein, dass ein Abgeordneter Dau erzwischenrufe macht, sodass man hier – –

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Ja, aber wenn dauernd Lügen verbreitet werden!)

Herr Abg. Dr. Fiechtner

(Unruhe bei der SPD)

Moment! –, für diesen Ausdruck erteile ich Ihnen hiermit einen Ordnungsruf.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Vielen Dank! Danke schön!)

Jetzt bitte ich um mehr Ruhe.

Herzlichen Dank, Frau Präsiden tin. – Absurd ist es, wenn der Innenminister bewusst und aus drücklich gegen die Interessen der Wirtschaft handelt, wenn er Geflüchtete in Arbeit abschieben lässt. Denn dass diese Ge flüchteten Arbeit gefunden haben, ist doch nicht nur ein Aus druck von Wohlfahrt. Sie haben Arbeit, weil sie in unserem Land gebraucht werden. Sie machen Arbeit, für die sich teil weise keine anderen Mitarbeiter finden und bei der der Meis ter oder Inhaber gottfroh ist, jemanden zu haben.

Wir haben die Wirtschaft vor Jahren aufgefordert, das Ihre zur Integration beizutragen. Dabei gab es sicherlich nicht nur Er folgsgeschichten. Aber jetzt schiebt dieses Land ausgerech net jene Frauen und Männer ab, bei denen es tatsächlich eine Erfolgsgeschichte ist. Meine sehr geehrten Damen und Her ren,

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Das ist Unrecht!)

das ist wirtschaftspolitisch Unfug, das ist absurd.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Damit werden kleine Handwerksbetriebe nicht nur vor den Kopf gestoßen, sondern teilweise sogar in existenzielle Not gebracht.

Weil man das noch nicht auf jedem Sofa verstanden hat, sage ich es noch einmal: Es geht hier nicht um die Frage, ob ein ausländischer oder einheimischer Mitarbeiter die Arbeit macht, es geht schlicht um die Frage, ob überhaupt ein Mitarbeiter diese Arbeit macht. Wenn man nur zu dritt in der Backstube steht, dann fehlt eben ein Lehrling oder Geselle ganz enorm.

Absurd ist aber auch die Begründung des Innenministeriums. Angeblich sei man mit den Grünen einer Meinung – so im Ko alitionsausschuss angeblich vereinbart –, dass man sich im Bundesrat für bessere Bleibeperspektiven einsetzen will. Aber solange man im Bundesrat noch nicht zum Zuge kommt, wird genau das gemacht, was man in Zukunft angeblich verhindern will.

Am absurdesten ist aber das Bild, das diese Regierungskoali tion abgibt. Die Koalition koaliert an diesem Punkt nicht, sie sabotiert sich. Es nützt offenbar nichts, wenn man im Koali tionsausschuss Einigungen herbeiführt; denn der Innenminis ter ignoriert sie einfach – in einem Revier, in dem es nicht um Vernunft und nicht um die baden-württembergischen Betrie be geht, nicht um Integration und nicht um die, die sich dafür einsetzen.

Wenn wir der Zeitung glauben dürfen, wird das Land, wird der Innenminister des Landes Baden-Württemberg sogar von der eigenen Parteifreundin Frau Widmann-Mauz für die Ab schiebepraxis in Baden-Württemberg kritisiert. Meine sehr geehrten Damen und Herren, so kann es nicht weitergehen im Land Baden-Württemberg.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der FDP/DVP)

Aber es stellt sich natürlich auch die Frage: Was machen der grüne Ministerpräsident und die scheinbar stärkste Fraktion in diesem Landtag? Sie lassen diesen Minister gewähren. Es wird geflucht und geschimpft, man beteiligt sich an Protesten gegen Abschiebungen

(Zuruf von der CDU: Oijoijoi!)

und droht nun sogar, die Änderung des Polizeigesetzes zu blo ckieren. Das alles sind eigentlich nicht Mittel einer Regie rungsfraktion, sondern Mittel der Opposition. Deswegen kann man die Grünen auch aus dieser Verantwortung nicht entlas sen. Eine Landesregierung kann kein anarchisches Nebenei nander von Parteien sein, in der jeder sein Ministerium wie einen kleinen Freistaat regiert, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

In der Landesverfassung steht klipp und klar:

Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Poli tik...

Von einer Ausnahme für den Innenminister steht dort nichts.

Es gibt sogar Menschen in diesem Land, die diesen Wahnsinn für Methode halten.

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

Sage A und lasse gleichzeitig B zu, halte Sonntagsreden über Abschiebestopps, protestiere hier und sei betroffen dort, wa sche deine Hände in Unschuld, aber unternimm nichts. So sa gen Sie ja auch, Sie akzeptierten keine Abschiebungen aus Schulen und Kitas.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Warum nicht?)

Ein schönes Lippenbekenntnis, aber genau diese Abschiebun gen – wir haben es dieser Tage einem Antrag entnehmen kön nen – finden in unserem Land statt. So ist man gleichzeitig links und konservativ, macht auf liberal und Law and Order, weil die Grünen gleichzeitig für alles stehen wollen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das geht nicht. Glaubwür digkeit fängt bei Ihnen an.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Es kann so nicht weitergehen, erst recht nicht in dieser Sache. Es muss auch nicht so weitergehen.

Der Innenminister wird nachher wieder erklären, es gebe für ihn keinen Ermessensspielraum, er könne leider rein gar nichts tun. Schuld wird wieder einmal die Bundesregierung sein, in der aber seine Partei genau das verhindert, was das Land an geblich im Bundesrat erreichen will.

(Zuruf von den Grünen: Aha!)

Nun ist Baden-Württemberg zwar – das wissen wir alle – das allerschönste, aber nicht das einzige Bundesland. In anderen Bundesländern gilt das gleiche Bundesrecht wie in BadenWürttemberg. Nicht nur in Nordrhein-Westfalen hat man sich längst auf Linien geeinigt und nutzt für einen Abschiebestopp für Geflüchtete in Arbeit genau jene Ermessensspielräume, die es laut Innenminister Strobl gar nicht gibt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht noch weiter. Das Innenministerium ignoriert nicht nur die Vereinbarungen in der Koalition, sondern setzt sich auch immer häufiger über den Rat der Härtefallkommission hinweg. Das Votum der Här tefallkommission war früher von der Politik respektiert und wurde in aller Regel – nicht in allen Fällen, aber in aller Re gel – befolgt. Man hat jetzt den Eindruck, dass es nur noch darum geht, dass die Härtefallkommission dem Ziel im Wege steht, um jeden Preis höhere Abschiebezahlen zu erreichen.

Er schiebe mit „Herz und Härte“ ab, sagt der Innenminister. „Herz und Härte“ – Herr Innenminister, wie wäre es mit Hirn an dieser Stelle?

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Thomas Blenke CDU: Frechheit! – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Das ist unglaublich! Ich glau be, daran fehlt es Ihnen ein bisschen! – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Er weiß gar nicht, was das ist! – Weitere Zurufe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschen, die in unser Land gekommen sind, die sich vorbildlich integriert haben und hier arbeiten, sollten wir nicht abschieben. Denn unab hängig von ihrem Bleiberecht als Flüchtlinge haben sie durch ihre Arbeit gezeigt, dass wir sie brauchen. Es wurde bewie sen, dass die Firmen und Handwerksbetriebe in unserem Land sie brauchen, teils sogar dringend benötigen. Sie sind in der Summe nur ein kleiner Beitrag gegen den Fachkräftemangel, aber dort, wo sie gebraucht werden, sind sie ein ganz entschei dender Beitrag.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, dass alles dafür getan wird, hier für unsere Gesellschaft integrati onspolitisch die richtigen Signale zu setzen.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Das wäre jetzt neu!)

Wir wollen, dass die Landesregierung im Bundesrat auf eine Regelung dringt, die Geflüchteten in Arbeit gerecht wird und unnötige Härten vermeidet. Wir fordern die Landesregierung auf, bis zu dieser Regelung nicht frontal gegen den Geist ih rer eigenen Initiative zu arbeiten, sondern alle Ermessensspiel räume zu nutzen, die es gibt und die man nutzen kann, damit die Menschen, die in Arbeit sind, die Schulen und Kitas be suchen, nicht abgeschoben werden müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es reicht nicht, A zu sagen und B zu tun. Wir müssen endlich das tun, was Sie an gekündigt haben: Wir müssen die Menschen, die in Arbeit sind, in unserem Land lassen.

Wir werden nachher über einen Änderungsantrag abstimmen, den meine Fraktion einbringen wird.

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

Wir werden Sie zu einer Entscheidung darüber zwingen, ob Sie bereit sind, als Landtag von Baden-Württemberg zu erklä ren, dass diese Ermessensspielräume vom Land Baden-Würt temberg genutzt werden.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Kriegen wir den Antrag auch noch? Ist der geheim?)

Mit Erich Kästner schließe ich: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“