Kollege Kern, Sie müssen sich an irgendeiner Stelle mal ent scheiden, ob Sie hier den Schulfriedensmann spielen oder das alte Gemeinschaftsschul-Bashing weiter fortführen und den Kreuzritter der Dreigliedrigkeit geben. Wir haben hier nicht ohne Grund diese Reformen durchgeführt, denn dort gibt es Probleme.
Wenn wir uns jetzt einmal die Ergebnisse von VERA genau er anschauen, dann bin ich ja völlig bei Ihnen, dass wir insbe sondere in den Bereichen Mathematik und Orthografie die Er gebnisse so nicht stehen lassen können und daran arbeiten müssen.
Und es bestätigt uns auch im Nachhinein, dass es richtig war, dass wir da massiv Ressourcen im Bereich der individuellen Förderung bereitgestellt haben.
Ich darf Sie aber auch darauf hinweisen, dass es bei VERA auch bestimmte Fragestellungen gibt. Mich freut ja das Er gebnis der Gymnasien, aber es gibt z. B. keine Aussagen da rüber, Kollege Röhm, wie es mit der sogenannten Drop-outQuote auf dem Weg in die achte Klasse aussieht, wie viele Schüler da möglicherweise herausgefallen sind.
Übrigens stelle ich als Vater fest, dass es an der Schule mei ner Söhne ein Drittel Sitzenbleiber von der siebten auf die ach te Klasse gibt.
Das muss man auch erwähnen. Das ist kein Einzelfall. Da muss man schon genauer hinschauen, insbesondere auch was das Thema „Unterstützungsleistung durch die Eltern“, also Nachhilfe, angeht. Ich behaupte immer noch: Es war eben kein
Zufall, dass das erste Kind, das in der Klasse meines älteren Sohnes sitzengeblieben ist, der Sohn einer alleinerziehenden Mutter war. Diese konnte die Kosten für die Lateinnachhilfe einfach nicht finanzieren. Deswegen mussten wir an diesen Bereich herangehen und müssen wir auch weiterhin verstärkt dort etwas tun.
Deswegen war es richtig, dass wir in der vorherigen Legisla turperiode für diesen Bereich massiv Mittel bereitgestellt ha ben. Es ist auch richtig, dass Sie hier im Grunde noch aufsto cken. Das entspricht einer Forderung, die wir, die SPD, auch erhoben haben.
Das Ergebnis bei den Hauptschulen ist in der Tat mehr als er schreckend. Ich darf aus dem „Mannheimer Morgen“ zitieren. Direktor Pfeiffenberger – mir bekannt – von der GeschwisterScholl-Werkrealschule sagt: „Wir merken diesen Leistungs abfall über die letzten Jahre. Ein Riesenproblem ist für uns insbesondere die Erreichbarkeit der Eltern. Dort fehlt sozusa gen die nötige Unterstützung.“ Er sagt, sie zu erreichen sei – wörtlich – „sehr, sehr schwierig“. Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen.
Ein Wort noch – das Thema stand jetzt doch nicht im Mittel punkt, auch nicht beim Kollegen Kern, obwohl ich dies ei gentlich erwartet hatte – zum Thema Gemeinschaftsschule. Hierzu ein methodischer Hinweis – das kommt auch in der Studie von Herrn Bohl zur Gemeinschaftsschule zum Aus druck –: Wir haben bislang noch relativ wenige Studienerfah rungen, was das Thema „Individualisierung im Unterricht“ angeht. Konkret: Ich kann eine Schule eben nicht pauschal be urteilen; ich muss auch schauen, auf welchem Niveau welche Schüler in welcher Zusammensetzung in der Differenzierung von G-, M- oder E-Niveau arbeiten. Das ist von Schule zu Schule unterschiedlich, kann aber auch von Lerngruppe zu Lerngruppe unterschiedlich sein. Wir haben auch die Hinwei se bekommen, dass bei VERA 8 bestimmte Qualifikationen, die an der Gemeinschaftsschule verstärkt vermittelt werden – Lernmethodik, Sozialkompetenz, Selbstorganisation –, von dem Test gar nicht erfasst werden können. Da muss man in der Tat schauen: Wo ordnet man die Schule ein?
Noch einmal ein Artikel aus dem „Mannheimer Morgen“. Thi lo Engelhardt, Waldparkschule in Heidelberg, hat sinngemäß gesagt: „Vom Start her sind wir gar nicht mal so schlecht, weil man am Anfang eine sehr starke Schülerzusammensetzung mit Hauptschulempfohlenen hatte. Da ist die Gemeinschafts schule im Verhältnis der Leistungsziffern ganz gut herausge kommen.“ Er selbst sagt, er sei optimistisch, dass sich das weiterhin verbessert.
Summa summarum: Leistungsvergleiche sind zulässig. Man muss wissen, wo sie ihre Grenzen haben. Für uns ist in der Nachfolgezeit interessant, Frau Ministerin: Wie gehen Sie mit den Daten um, wie transparent ist das, wie transparent und wie gut einbezogen sind die beteiligten Schulen, was die Ana lyse angeht, auch was, daraus abgeleitet, die Zielsetzung durch das Kultusministerium angeht? Es gibt gegenüber der neuen
Kultusspitze bestimmte Vorbehalte. Man fragt: Gibt es dort bestimmte Steuerungspräferenzen – ich drücke es einmal so aus –, wie werden die Daten dort genutzt? Frau Ministerin, ich bin gespannt auf Ihre Ausführungen.
Aber alles in allem – das sage ich auch durchaus in Richtung von Kollegen der Grünen – ist die Botschaft doch diese: Wir dürfen nicht nachlassen in den Anstrengungen, was das Bil dungssystem angeht. Bildung kostet vor allem Geld, und Bil dung darf eben kein Steinbruch für irgendwelche Sparrunden sein. Es hat mich schon befremdet, dass – wenn ich bei mei ner Heimatstadtzeitung bleibe – die neue Finanzministerin Sitzmann im ersten Interview, das ich von ihr gelesen habe, gegenüber dem „Mannheimer Morgen“ ausdrücklich gesagt hat, dass auch der Bildungsetat in die Sparrunden einbezogen wird. Das kann es eben nicht sein. Wir brauchen eher mehr Geld für die Bildung und nicht weniger. Wir werden uns ins besondere bei den Haushaltsberatungen genau ansehen, ob das hier mehr als Lippenbekenntnisse sind, die auch vonsei ten der Grünen zum Thema Bildung kommen.
Im Jahr 2009 war eine Gruppe von Lehramtsstudenten zum Schulpraktikum in einer siebten Klasse bei Freiburg zu einer Lehrprobe. Ein Student führte an diesem Tag den Unterricht und wurde von einem Professor der Pädagogischen Hochschu le beim Unterrichten beobachtet. Es war in Gemeinschafts kunde, und der Student zeigte den Kindern ein Bild. Auf dem Bild stand „Happy Independence Day“. Eine Schülerin frag te den Lehrer: „Was heißt jetzt ,happy‘?“ Der Lehrer sagte: „Das weißt du doch.“ Die Schülerin hat sich ein bisschen er schrocken: „Nee, das weiß ich nicht, sonst hätte ich ja nicht gefragt.“ Der Lehrer hat gesagt: „Das weißt du.“ Die Schüle rin hat gesagt: „Nein, das weiß ich nicht.“ Der Lehrer hat ge sagt: „Das weißt du.“ Die Schülerin hat wieder gesagt: „Nein, das weiß ich nicht.“ Dann hat der Lehrer gefragt: „Worin kommt ,happy‘ noch vor?“
Dann sagte die Schülerin: „Happy Birthday.“ Dann hat der Lehrer gefragt: „Ja, und, was heißt ,happy‘?“ Sagte die Schü lerin: „Ah,“ – dann hat es bei ihr Klick gemacht – „fröhlich.“
Das Kind ist in diesem Moment zwei Zentimeter gewachsen, weil dieses Wissen aus ihr heraus gekommen ist. Nicht der Lehrer hat es ihr gesagt, sondern das Kind hat es selbst ent wickelt.
Was ist am Ende dieses Tages passiert? Die Studenten kamen zusammen, der Hochschullehrer, der Professor hat das evalu iert und hat gesagt: „Sie, Herr Lehramtsanwärter, sind jetzt durch das Praktikum gefallen; denn so, wie Sie das Kind vor
der gesamten Klasse bloßgestellt haben, das geht überhaupt nicht. Und solche Lehrer können wir nicht brauchen.“
Meine Damen und Herren, dieser Student hat alles richtig ge macht. Das „Fördern durch Fordern“ von gestern hat er 1 : 1 umgesetzt, ein richtiger pädagogischer Ansatz. Was ist pas siert? Er ist deshalb durchgefallen, weil er das Richtige getan hat.
Ja, wenn man in Baden-Württemberg denn das Fordern jetzt nur zuließe! Aber wie ist es denn in unseren Hochschulen? Was wird den jungen Lehrern an unseren Hochschulen beige bracht? Diese Gutmenschenpädagogik, dieser Relativismus, die Krankheit des Zeitgeistes seit 1968,
diese Laissez-faire-Pädagogik – einfach machen lassen, die Kinder selbst darüber entscheiden lassen –, das ist die Seuche unseres Bildungssystems.
Im Namen einer völlig falsch verstandenen Toleranz und An tidiskriminierung lassen linksgrüne Bildungsideologen die Kinder sukzessive geistig und moralisch verwahrlosen.
Grenzen werden den Kindern überhaupt nicht mehr aufge zeigt, Regeln gibt es nicht mehr, und wenn es doch einmal Re geln gibt, hat kaum ein Lehrer noch die Zeit oder ist konse quent genug, um diese Regeln auch wirklich durchzusetzen. Wie sollen sie es auch, wenn schon im Studium die guten Leh rer, die strengen Lehrer, die konsequenten Lehrer plötzlich ausgeschlossen werden? Weg.
Wie kann es sein, dass Hochschulprofessoren selbst so grau enhaft schlechte Pädagogen sind und die fähigsten Studenten durch das Praktikum fliegen lassen? Wie kann das sein?
Ich fordere Kultusministerin Eisenmann und Wissenschafts ministerin Bauer – in Abwesenheit; schade, dass sie heute nicht da ist; denn zur Lehrerausbildung gehört auch die Wis senschaft dazu – auf, endlich eine Positivauslese unter den Lehramtsstudenten vorzusehen. Ich fordere Sie dazu auf. Ge stalten Sie die Rahmenbedingungen des Studiums so, dass für die Kinder die Besten und die Leistungsfähigsten
und nicht diejenigen Studenten, die am besten auswendig ler nen und wieder vergessen können und Ihre linksgrüne Ideo logie am besten reproduzieren können.
Diese Leute sind nicht die besten Lehrer. Wir haben sehr gu te Leute, und die müssen wir finden, aufspüren und an unse ren Hochschulen professionell ausbilden.
(Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Nein, nein, nein! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Davor muss man Kollegen Röhm schützen!)