Protokoll der Sitzung vom 19.03.2020

Es ist nicht damit getan, einen Katastrophenfall auszurufen. Denn es gibt keinen Knopf, auf den wir drücken können, um ein Programm ablaufen zu lassen, mit dem man eine Katast rophe bewältigen kann. Entscheidend ist, ob die Strukturen, die wir uns zur Bewältigung einer solchen Krise geben, auch funktions- und handlungsfähig sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf allen Ebenen müssen jetzt die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Die Europäische Union hat bereits erklärt, dass sie in ganz er heblichem Umfang Finanzmittel zur Verfügung stellen wird, um vor allem auch die wirtschaftlichen Auswirkungen zu be kämpfen. Wir haben vorhin die Meldung erhalten, dass der Bund über die bereits beschlossenen Maßnahmen der Kurz arbeit und über die bereits beschlossenen Maßnahmen im Be reich der Steuerstundungen hinaus ein Sofortprogramm in Hö he von 50 Milliarden € auflegt, damit Betrieben, Soloselbst ständigen und Betreibern kleiner Gewerbe sofort geholfen werden kann.

Daher ist es wichtig, dass auch das Land Baden-Württemberg klarmacht: Wir sind an der Seite der Menschen in diesem Land, wir sind an der Seite von jedem, der jetzt aufgrund der nicht abwendbaren Maßnahmen, die wir ergriffen haben, in wirtschaftliche Not gerät. Wir müssen den Menschen helfen und Zuversicht geben, dass wir gemeinsam über diese Krise hinwegkommen.

(Beifall)

Deswegen machen wir mit dem heutigen Beschluss, nämlich gemäß der Landeshaushaltsordnung eine Naturkatastrophe an zuerkennen, den Weg für ein massives Sonderprogramm frei, das den schon jetzt katastrophalen Auswirkungen der Pande mie Rechnung trägt.

Aktivieren Sie nicht nur die verfügbaren Haushaltsmittel, son dern machen Sie auch Kreditaufnahmen möglich. Wir müs sen diesem Land helfen, und ich glaube, die Diskussion über die schwarze Null oder über eine Schuldenbremse haben wir im Moment, in der jetzigen Situation nicht zu führen.

Wir brauchen jetzt finanzielle Mittel, die schnell verfügbar sind. Dafür ist der Landtag von Baden-Württemberg verant wortlich, und dafür hat der Landtag auch die Entscheidungen zu treffen.

Wir müssen die Rücklagen des Landes, die ja gerade für Ri siken zurückgelegt wurden, aktivieren. Wir müssen prüfen, ob wir nicht in Anspruch genommene Kreditermächtigungen in Anspruch nehmen können. Wir müssen auch auf Ersparnis se zurückgreifen. Aber wir müssen eben auch, um das Leben in diesem Land weiterführen zu können und nicht ein mas senhaftes Sterben von Firmen und Einzelhändlern zu verur sachen, in der Not in Kreditaufnahmen gehen, damit wir die Zukunft dieses Landes sichern können und nicht später ein mal verwüstete Innenstädte haben, in denen Einzelhandel nicht mehr vorkommt. Das muss mit allen Kräften verhindert werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall)

Es ist richtig: Es ist gerade bei Kleinbetrieben, bei kleinen Selbstständigen, bei Kunst- und Kulturschaffenden nicht eine Frage von Monaten, ja nicht einmal eine Frage von Wochen, sondern es ist teilweise eine Frage von Tagen, bis sie an der Schwelle zum Ruin stehen. Deswegen geht es jetzt auch um schnelle Hilfe.

Die extremen Herausforderungen für unser Land werden nicht dadurch gemeistert, dass wir ihnen den Stempel „Katastro phe“ geben. Vielmehr müssen wir durch unsere Maßnahmen zeigen, dass wir in der Lage sind, eine Katastrophe zu vermei den. Deswegen gilt es jetzt, für klare Schritte und klare Ansa gen zu werben, die nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger, sondern die für alle Ebenen der öffentlichen Hand eindeutig sind.

In diesem Punkt lief bisher – ich habe vorhin auch etwas zur Fehleranfälligkeit der jetzigen Situation gesagt – nicht alles optimal. Wir haben von den Bürgermeisterinnen und Bürger meistern, von den Oberbürgermeisterinnen und Oberbürger meistern in unserem Land Rückmeldungen, die eben durch aus auch auf Probleme hinweisen. Wir hatten gerade, wenn es um die Frage geht, wie die Verordnung vom vergangenen Montag zu gewichten war, anschließend ja die Übereinstim

mung in der Ministerpräsidentenkonferenz und dann Ände rungen. Es war für die Kommunen schwierig, die Änderun gen, auch die Widersprüche, die darin teilweise bestanden, zu kommunizieren und vor Ort umzusetzen.

Wir müssen es als lernende Organisation schaffen, bei diesen Schritten zukünftig Klarheit in die erste Reihe zu stellen, den Menschen klarzumachen: Was ist jetzt die notwendige Maß nahme? Vor allem die Entscheidungsträger auf kommunaler Ebene sind auf diese Klarheit angewiesen, meine sehr geehr ten Damen und Herren. Hier dürfen uns Fehler nicht passie ren. Besonnenheit und Klarheit sind an diesem Punkt beson ders wichtig.

(Beifall)

Wichtig ist auch, dass wir alle – auch die Landesregierung – ohne blinde Flecken vorgehen. Die Auswirkungen des Virus machen keinen Unterschied zwischen großen und kleinen Fir men, sie machen keinen Unterschied zwischen den Branchen, wenngleich auch bestimmte Branchen – ich nenne die Gast ronomie, ich nenne den Einzelhandel – im Moment besonders stark betroffen sind.

Es spielt keine Rolle, ob das Stoppen von Bändern im Fern sehen gezeigt wird oder die Schließung eines Cafés nicht ein mal in den Lokalnachrichten erwähnt wird. Und es spielt auch keine Rolle, ob Maschinen produziert werden oder gerade auch im sozialen Bereich gearbeitet wird.

Wir dürfen auch den Bereich der sozialen Wirtschaft nicht ver gessen. Wir haben in den Alten- und Pflegeheimen, in den Krankenhäusern in unserem Land, gerade was die Einrich tungsträger angeht, im Moment eine extrem schwierige Situ ation, und zwar nicht nur, was die Bereitstellung von Betreu ungsmöglichkeiten für die Kinder der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeht. Vielmehr haben wir auch eine extrem dün ne finanzielle Decke, die manche dieser Träger schon jetzt überfordert.

Deswegen müssen wir, wenn wir jetzt über Soforthilfe reden, wirklich alle Bereiche mit in den Blick nehmen. Es darf uns nicht passieren, dass wir zwar Gastronomie und Einzelhandel retten – was richtig ist –, aber gleichzeitig z. B. im Bereich der sozialen Wirtschaft wichtige Zweige vergessen. Wir brau chen alle: Wir brauchen Kunst und Kultur, wir brauchen Wirt schaft, wir brauchen aber auch gerade diejenigen, die die so zialen Dienstleistungen in diesem Land erbringen. Niemand darf aufgrund der Corona-Epidemie in irgendeiner Weise in Insolvenz geraten oder vernichtet werden. Wir müssen diesen Firmen helfen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall)

Wir müssen natürlich auch darüber nachdenken, in welchen Zeithorizonten dieses Land handeln muss. Einschränkungen des öffentlichen Lebens werden über Nacht erlassen und kön nen über Nacht auch wieder aufgehoben werden – hoffentlich so bald wie möglich. Und so schnell, wie man Schulen schließt, kann man Schulen auch grundsätzlich wieder hochfahren.

Aber uns muss klar sein: Wenn dieser Tag kommt, wenn wir den Bereich der Katastrophe und der starken Auswirkungen überwunden haben, dann müssen wir alles dafür tun, die nach haltigen Wirkungen dieser Krise auch in unserer Gesellschaft

nachhaltig zu bekämpfen. Das heißt, dass nicht mit dem Tag, an dem die Maßnahmen aufgehoben werden, alles wieder in den Normalbetrieb geht. Wir müssen wissen, dass Firmen, In stitutionen und Einrichtungen Wochen, Monate, vielleicht so gar noch längere Zeit brauchen werden, um wieder in einen Normalbetrieb zu finden. Das heißt, die Unterstützung darf nicht dann abreißen, wenn sie vielleicht nicht mehr auf den ersten Blick erkennbar ist, sondern sie muss über einen län geren Zeitraum angelegt sein.

Vor allem müssen wir, meine sehr geehrten Damen und Her ren – ich habe es hier an diesem Pult schon gesagt, bezogen auf das Gesundheitswesen –, auch die richtigen Lehren dar aus ziehen. „Richtige Lehren“ bedeutet, dass wir in Zukunft auf vergleichbare Stresssituationen besser vorbereitet sein müssen, als wir es in dieser Krise sind. Da geht es um die Fra ge der Kapazitäten im Gesundheitswesen. Aber da geht es z. B. auch um die Versorgungssicherheit, wenn es um Themen wie die Medikamentenversorgung in unserem Land geht.

Deswegen: Krisen dieser Art können dann etwas Segensrei ches haben, wenn man auch mittel- und langfristig die richti gen Schlüsse aus ihnen zieht. Ich möchte uns ermuntern, nach dieser Krise nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen, sondern dann in einer kritischen Analyse die richtigen Schlüs se aus dieser Krise zu ziehen und danach auch zu handeln.

(Beifall)

Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen in diesem Land ge rade zum ersten Mal so richtig merken, was es heißt, aufein ander angewiesen zu sein,

(Zuruf: Richtig!)

auch auf den Gedanken der Solidarität angewiesen zu sein. Denn das, was wir als diejenigen tun, die nicht als Hochrisi kogruppe gelten, ist ja insbesondere, dass wir solidarisch mit denen sind, die als besonders ansteckungsgefährdet gelten und die natürlich auch, was die gesundheitlichen Folgen angeht, als besonders gefährdet gelten.

Deswegen sollte der Gedanke der Solidarität nach dieser Kri se nicht wieder aus dieser Gesellschaft verschwinden. Viel mehr sollten wir erkennen, dass ein funktionierendes Gemein wesen ein Gut an sich ist, dass wir auch Solidarität als ein ge sellschaftliches Gut bewahren müssen, dass wir alle darauf achten müssen, dass wir aus dieser Krise auch lernen. Wir, die Gesellschaft, funktionieren nur dann, wenn wir Verantwor tung füreinander übernehmen, und zwar sowohl was die Fra gen der Gesellschaft, aber auch was die Fragen der Wirtschaft angeht.

(Beifall)

Ich sage noch einmal, was ich hier am Dienstag in der Präsi diumssitzung gesagt habe: Gerade auch der Landtag von Ba den-Württemberg ist in einer solchen Situation eine sehr, sehr wichtige Institution, nicht nur, weil die Frage der finanziellen Handlungsfähigkeit des Landes hier im Landtag von BadenWürttemberg festgelegt wird. Vielmehr müssen wir auch nach außen deutlich machen, dass die Politik handlungsfähig ist.

Deswegen brauchen wir eine Regierung, die handelt, die die richtigen Entscheidungen trifft, aber wir brauchen auch einen

Landtag von Baden-Württemberg, der den Menschen das Ge fühl vermittelt, dass die Fragen, die sie haben, die sie auch in ihrem täglichen Leben beschäftigen, beantwortet werden. Der Herr Ministerpräsident hat z. B. über die Möglichkeit von Ausgangssperren gesprochen. Hier greifen wir so weit in die persönliche Freiheit von Menschen ein, dass es aus meiner Sicht notwendig ist, dass wir, der Landtag von Baden-Würt temberg, über diese Fragen auch diskutieren können, auch wenn wir dies unter besonderen Bedingungen tun müssen. Dieser Landtag von Baden-Württemberg ist in einer Krise nicht weniger wichtig; er ist aus meiner Sicht wichtiger denn je, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall)

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren und lie ber Herr Ministerpräsident: Wir können Ihnen zusagen, dass wir in diesen schwierigen Wochen und Monaten nicht nur für unser Bundesland Baden-Württemberg, sondern für unsere Welt insgesamt an der Seite der Landesregierung stehen. In diesem Haus machen wir heute den Weg dafür frei, dass die Landesregierung in dieser schwierigen Zeit Schaden von Ba den-Württemberg abwenden kann, soweit das irgend möglich ist.

Wir verhalten uns dabei nicht anders als die überwältigende Mehrheit aller Menschen in diesem Land. Wir vertrauen un serem Gemeinwesen, wir vertrauen den Experten, den Behör den, den Bürgermeistern, den Ärzten und der Regierung. Wir vertreten das Volk, und deswegen gibt das Volk Ihnen all die se Mittel an die Hand. Das Volk schenkt Ihnen Vertrauen. Han deln Sie deswegen richtig – und die Betonung liegt auf „rich tig“ und „handeln“, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Herzlichen Dank.

(Beifall)

Vielen Dank. – Jetzt erteile ich das Wort für die AfD Herrn Fraktionsvorsitzenden Gögel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, die AfD-Frak tion wird selbstverständlich Ihrem Wunsch nachkommen, die Naturkatastrophe hier zu bestätigen und damit die Handlungs fähigkeit des Landes Baden-Württemberg aufrechtzuerhalten. Das ist überhaupt keine Frage.

(Abg. Dr. Christina Baum AfD: Ja!)

Bei dem, was wir heute Morgen schon an Danksagungen ge hört haben, habe ich eine Bevölkerungsgruppe vermisst. Das möchte ich – in Ihrem Namen – hier gern nachholen. Ange sprochen wurden bereits verschiedene Einkaufsmöglichkei ten – die Öffnung der Lebensmittelmärkte und Baumärkte –, und ich möchte mich bei den Mitarbeitern in diesen Branchen ganz herzlich bedanken, speziell auch bei den Kassiererinnen, die nicht die Möglichkeit haben wie wir Abgeordnete hier, mit einem nötigen Sicherheitsabstand zu arbeiten. Es ist unglaub lich, was diese Menschen in dieser Krise leisten. Dafür gilt ihnen nicht nur unser Respekt, sondern auch unser Dank, mei ne Damen und Herren.

(Beifall)

Es ist bezeichnend, dass nur die AfD-Fraktion es für würdig hält, sich zu bedanken.

(Unruhe – Widerspruch)

Ich denke, dass die Menschen draußen im Land das sehr wohl zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren.

(Zurufe – Abg. Karl Zimmermann CDU: Haben Sie vorher nicht zugehört?)

Die Ausführungen, die Herr Stoch gemacht hat, haben sich angehört – Entschuldigung, Herr Stoch – wie eine Regierungs erklärung. Für mich ist das nachvollziehbar. Auch Sie waren an Regierungen beteiligt und sind es – bei der Bundesregie rung – noch heute. Sie können sicherlich keine Kritik an den aktuellen Handlungsweisen oder an den Handlungsweisen der vergangenen Wochen üben.

Wir seitens der AfD-Fraktion hingegen können das sehr wohl, und wir müssen das auch sehr wohl, meine Damen und Her ren.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)