Daran gibt es in dieser Lage nichts zu rütteln. Das sage ich in aller Klarheit. Diskutieren ja, aber an die Vorgaben muss sich jeder halten.
Ob wir in Zukunft ein Ausgangsverbot erlassen müssen, wis sen wir heute noch nicht. Wir wollen das vermeiden. Aber wenn sich die Menschen nicht an die Maßnahmen halten, wird es wahrscheinlich dazu kommen. Wie lange wir die Einschnit te brauchen, können wir heute noch nicht sagen, auch nicht, wann es einen Impfstoff oder wirksame Medikamente geben wird.
Aber hier kann ich Ihnen von einem Signal der Hoffnung be richten: Ich habe mich gestern mit der Führung des Tübinger Unternehmens CureVac ausgetauscht. Sie arbeiten unter Hoch druck an der Herstellung eines Impfstoffs gegen das Corona virus. Das, was ich da gehört habe, war beeindruckend. Ich bin froh und dankbar, dass wir solch großartige, innovative Unternehmen im Land haben. Sie werden jede Unterstützung, die sie benötigen, von der EU, vom Bund, vom Land und von der Kommune Tübingen bekommen.
Das zweite Paket hat zum Ziel, die Behandlungskapazitäten des Gesundheitssystems massiv hochzufahren. Unsere Kran kenhäuser werden in den kommenden Wochen und Monaten auf eine harte Probe gestellt. Denn unsere Maßnahmen wer den erst mit einer Verzögerung von zehn bis 14 Tagen grei fen. Bis dahin werden die Fallzahlen massiv ansteigen, ein fach, weil sich zunächst einmal die Ansteckungen der letzten zwei Wochen niederschlagen werden.
Um wirklich allen Menschen bestmöglich helfen zu können, haben wir einen Notfallplan für die Krankenhäuser beschlos sen. Rehaeinrichtungen, Hotels oder Hallen werden aus- und umgerüstet, vor allem für leichtere Fälle. Für die schweren Verläufe wollen wir die Zahl der Intensivbetten verdoppeln.
Durch den Ihnen vorliegenden Nachtragshaushalt können wir all diese Maßnahmen schnell und umfassend finanzieren.
Unser drittes Paket betrifft die Wirtschaft. Denn uns ist voll und ganz bewusst, wie sehr die Unternehmen unter der Coro nakrise leiden. Ausbleibende Aufträge und dramatisch sinken de Erlöse bringen sie in existenzielle Nöte. Lieferketten sind unterbrochen, und die Nachfrage bricht ein.
Deshalb unterstützen wir die Unternehmen nach Kräften. Der Bund hat seine Förderprogramme aufgestockt und den Zu gang zum Kurzarbeitergeld erleichtert. Fällige Steuerzahlun gen können gestundet werden. Unsere Bürgschaftsprogram me werden über die L-Bank und die Bürgschaftsbank unbü rokratisch ausbezahlt. Die Bürgschaftsquote für betroffene Unternehmen haben wir von 50 % auf 80 % erhöht.
Heute legen wir mit unserem Nachtragshaushalt nach. Wir verfünffachen den Bürgschaftsrahmen von 200 Millionen € auf 1 Milliarde €, und wir sorgen dafür, dass die Rücklage auch für die Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen verwendet werden kann. Gleichzeitig arbeiten wir mit Hoch druck an einer Lösung für die kleinen Betriebe und Selbst ständigen. Denn sie trifft die Krise besonders hart. Wenn ih nen heute das Geschäft wegbricht, dann können sie morgen keine Kredite mehr zurückzahlen. Der Gastwirt, der Einzel händler, der Handwerker, die Klavierlehrerin: Bei ihnen geht es um nicht weniger als ihre Existenz. Deshalb bereiten wir ein Hilfsprogramm mit Direkthilfen in Milliardenhöhe vor, um weiter eine Welle von Insolvenzen zu verhindern.
Das ist das große wirtschaftspolitische Ziel dieser Direkthil fen: eine Welle von Insolvenzen zu verhindern.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei der Wirtschaftsministe rin Nicole Hoffmeister-Kraut herzlich bedanken, die jetzt un ter dem größten Stress steht, was die Betriebe betrifft. Danke, dass auch sie unter Hochdruck daran arbeitet, dass wir das schnell umsetzen können.
Um keine Zeit zu verlieren, gehen wir folgenden Weg: Wir bringen heute den Antrag ein, dass der Landtag nach § 18 Ab satz 6 der Landeshaushaltsordnung feststellt, dass wir es bei der Coronakrise mit einer Naturkatastrophe zu tun haben. Die ser Schritt ist notwendig, weil wir so unter den Bedingungen der Schuldenbremse Kredite zur Finanzierung des Hilfspro gramms aufnehmen können.
Anschließend bringen wir einen Nachtragshaushalt in den Landtag ein, um dann das Hilfsprogramm verabschieden und umsetzen zu können. Das ist der schnellste Weg, um Direkt hilfen für die kleinen Unternehmen zu ermöglichen und einer Insolvenzwelle zuvorzukommen. Wir können jetzt schon sa gen: In wenigen Tagen werden die betroffenen Kleinunterneh men die Hilfe beantragen können, die sie benötigen. Wir las sen sie nicht im Stich.
Bei allem ist mir noch eines wichtig: Alleingänge sind jetzt nicht das Mittel der Wahl. Wir arbeiten deshalb eng mit dem Bund und den anderen Ländern zusammen und stimmen uns auch mit der EU ab. So habe ich heute Nachmittag eine tele fonische Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin zu den geplanten Wirtschaftshilfen, damit wir diese aufeinander abgestimmt bekommen.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich mich an die Bürgerinnen und Bürger wenden, die diese Debatte im Livestream verfolgen: Uns ist bewusst, dass wir Ihnen viel zu
muten. Ihr Alltag wird radikal auf den Kopf gestellt, Freihei ten werden eingeschränkt, Sie müssen Ihr Leben vollkommen neu organisieren.
Wir tun das, weil es im Kampf gegen das Virus unbedingt not wendig ist. Ich sage aber nochmals ganz deutlich: Ob wir Er folg haben, hängt davon ab, ob wir alle uns konsequent an die Vorgaben halten.
Jede und jeder von uns muss jetzt Verantwortung für sich und andere übernehmen, die Jüngeren müssen an die Älteren den ken und die Gesunden an die chronisch Kranken, und die al lermeisten Menschen tun dies auch. Ich sage aber auch ganz klar: Es kann nicht sein, dass sich jetzt junge Leute zu Coro napartys treffen, und es kann genauso wenig sein, dass Rent ner gemütlich auf dem Wochenmarkt ein Schwätzle halten. Das sind keine gegriffenen Beispiele, sondern solches ist mir berichtet worden. Wenn nicht alle ihr Verhalten grundlegend umstellen, dann kommen wir um härtere Maßnahmen und Sanktionen nicht herum. Deshalb bitte ich Sie alle eindring lich: Helfen Sie mit, und halten Sie sich an die beschlossenen Maßnahmen! Die Kontakte, die Sie heute vermeiden, können morgen Menschenleben retten. Jeder Kontakt, den Sie ver meiden, hilft.
Es ist an dieser Stelle aber auch Zeit, Danke zu sagen: Danke an alle, die im Brennpunkt dieser Krise stehen, Danke dem Pflegepersonal, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Laboren, den Ärztinnen und Ärzten, aber auch jenen, die un ter widrigen Umständen unsere Versorgung und unsere Sicher heit garantieren, Danke der Feuerwehr und der Polizei, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Handel und in der Lo gistik, im öffentlichen Dienst und in vielen anderen Branchen mehr.
In diesen Zeiten wird besonders sichtbar, wie wichtig sie für das Funktionieren unseres Gemeinwesens sind. Herzlichen Dank allen Baden-Württembergerinnen und Baden-Württem bergern in dieser schwierigen Situation.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Das ist im Kampf gegen die Pandemie ganz entscheidend. Unsere größte Stärke in diesem Kampf aber ist das große Wirgefühl, das ich in diesen Tagen vernehme. Lassen Sie uns also zusammenhalten, aufeinander achten und uns gemeinsam an die beschlossenen Maßnahmen halten. Dann werden wir diese Krise bewältigen.
Bevor ich den nächsten Red ner aufrufe, wird erst einmal das Redepult desinfiziert. Wir wollen ja Risiken minimieren. Deshalb bitte ich kurz um Ge duld.
Nachdem Herr Ministerpräsident Kretschmann das Wort er griffen hat, wird § 82 Absatz 4 der Geschäftsordnung wirk sam. Daher hat zunächst Herr Fraktionsvorsitzender Stoch für die SPD-Fraktion das Wort. – Bitte.
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Ich denke, wir alle haben es heute Mor gen, als wir ins Gebäude hier gekommen sind, so empfunden: Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Situation. Jeder verantwortungsvolle Politiker, egal, ob auf kommunaler Ebe ne, auf Landes-, Bundes- oder europäischer Ebene, weiß, dass wir in außergewöhnlichen Zeiten arbeiten, dass wir Heraus forderungen gegenüberstehen, wie wir sie in unserem Land bisher – zumindest in Friedenszeiten – noch nie gekannt ha ben.
Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, geht es jetzt darum, das Richtige zu tun. Das Richtige zu tun heißt, das Richtige auch so schnell zu tun, dass es wirksam ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die SPD wird sich natürlich dem Wunsch der Landesregierung nicht verschlie ßen, alle nötigen Maßnahmen, die das gesellschaftliche, das soziale Leben in unserem Land betreffen, die aber vor allem auch wirtschaftliche Auswirkungen haben und damit auch fi nanzielle Herausforderungen bedeuten, jetzt ganz entschieden zu ergreifen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra ten fordern schon immer ein starkes Gemeinwesen, einen Staat, der Verantwortung übernimmt und Fürsorge für seine Bürger betreibt. Eine Regierung, die diesem Auftrag gemäß handelt, wird unsere Unterstützung haben, gleich, ob wir Teil dieser Regierung sind oder nicht.
Wir werden natürlich Ja sagen zu den Maßnahmen, die Sie, Herr Ministerpräsident, gerade in Ihren Ausführungen hier am Redepult erwähnt haben, die notwendig sind, die wir brau chen, um in katastrophalen Zeiten angemessen zu handeln. Denn auch wir sind aufgerufen, alles zu unternehmen, dass die Pandemie selbst nicht zu einer Katastrophe wird, wenn gleich wir schon jetzt zur Kenntnis nehmen müssen, dass über die gesundheitlichen Auswirkungen dieses Virus auch unsere Gesellschaft und insbesondere auch unser Wirtschaftssystem unter Auswirkungen leidet, die die Gefahr bergen, dass wir ei ne nachhaltige Katastrophe für unser Land erleben werden. Deswegen muss jetzt entschlossen und schnell überzeugt ge handelt werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Das fordert uns alle auf ganz unterschiedliche Weise und auf extrem komplizierte Weise heraus. Wir alle merken, dass tag täglich, teilweise stündlich neue Fragen auftauchen. Es ist die falsche Zeit, wenn wir jetzt darüber diskutieren würden, ob Fehler passiert sind, ob Fehler gemacht werden können. Ich glaube, in einer solchen Situation sind auch wir, der Staat, ei ne lernende Institution. Deswegen müssen wir sehr solidarisch miteinander umgehen.
Wir sind in wenigen Tagen dazu gekommen, dass wir den Bür gerinnen und Bürgern in unserem Land Einschnitte zumuten, die natürlich auch an kritische Grenzen gelangt sind. Es sind
Einschränkungen beschlossen worden, wie sie dieses Land zuletzt in Kriegszeiten erleben musste. Das ist ein Vergleich, der sich normalerweise, unter normalen Umständen, verbie tet, aber wir müssen ihn wahrscheinlich sogar ziehen.
Ich bitte an dieser Stelle aber auch um etwas Nachdenklich keit. Herr Ministerpräsident, Sie haben es angesprochen: Es hilft nichts, in der öffentlichen Debatte gerade von politischer Seite in einen Überbietungswettbewerb einzutreten und be sonders markig aufzutreten. Wir haben dann nämlich das Pro blem, dass wir die Bürgerinnen und Bürger verunsichern. Die Bürgerinnen und Bürger sollten nicht den Eindruck gewinnen, dass wir in einem Überbietungswettbewerb sind, sondern soll ten die Überzeugung gewinnen, dass wir die wirklichen Her ausforderungen entschlossen angehen, aber gleichzeitig auch Besonnenheit gewährleisten. Das ist ein Signal, das auch von diesem Parlament ausgehen muss, meine sehr geehrten Da men und Herren.
Deswegen sind alle Maßnahmen, die wir einleiten wollen, auf Rationalität zu prüfen. Denn wir müssen eines Tages auch wieder sagen, welche Maßnahmen wir zu welcher Zeit auch zurücknehmen. Und wir müssen dann auch begründen kön nen, warum bestimmte Maßnahmen, die wir heute rational be gründet haben, zu einem Zeitpunkt in der Zukunft nicht mehr notwendig sind.
Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir auch allem entgegentreten, was jetzt in der politischen, aber auch in der gesellschaftlichen Debatte ein Überziehen der Situation angeht. Sie wissen alle, dass manche Menschen irrational handeln. Wir haben kein Verständnis, wenn jetzt Hamsterkäufe Platz greifen, und müssen ganz klar sagen: Die se Hamsterkäufe schaden der Versorgung der Bevölkerung. Wir brauchen hier auch bei der Bevölkerung Besonnenheit. Wir brauchen Klarheit in der Argumentation und Kommuni kation: Wir werden keinen Mangel im Bereich der Lebens mittel und der Lebensgüter erleiden. Deswegen appelliere ich: Liebe Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs, behal ten Sie Ruhe! Wir brauchen Besonnenheit, wir brauchen kei ne Panikreaktionen.
Es ist nicht damit getan, einen Katastrophenfall auszurufen. Denn es gibt keinen Knopf, auf den wir drücken können, um ein Programm ablaufen zu lassen, mit dem man eine Katast rophe bewältigen kann. Entscheidend ist, ob die Strukturen, die wir uns zur Bewältigung einer solchen Krise geben, auch funktions- und handlungsfähig sind.