Protokoll der Sitzung vom 06.05.2020

(Zurufe, u. a. des Abg. Anton Baron AfD – Unruhe)

Moment, Herr Abg. Baron.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Einfach nach Geschäftsordnung!)

Es geht nach der Geschäftsordnung. Es wurde heute Vormit tag so besprochen. – Im Anschluss an die Regierungsinforma tion findet die Aussprache statt. Hierfür gilt nach § 83 a – –

(Zurufe, u. a. des Abg. Anton Baron AfD)

Herr Abg. Baron, warten Sie einmal. – Nach § 83 a Absatz 3 Satz 5 der Geschäftsordnung beginnt nach der Regierungsin formation des Ministerpräsidenten ein Redner, eine Rednerin der Oppositionsfraktionen. Dieses Mal wäre die FDP/DVP an der Reihe. Es gibt eine Reihenfolge, die von der Verwaltung festgehalten wird. Sie können sicher sein: Das ist auch kor rekt.

Wenn ich jetzt keinen erheblichen Widerspruch sehe – den ich nicht feststelle –, dann verfahren wir so.

Ich erteile das Wort Herrn Ministerpräsident Kretschmann für die Regierungsinformation.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie über die Besprechung der Länderchefs mit der Kanzlerin in formieren. Dabei muss ich vorausschicken, dass wir eine Rei he wichtiger Fragen leider nicht mehr behandelt haben. Der Grund dafür ist, dass einige Länder in den vergangenen Ta gen vorgeprescht sind und sehr konkrete Lockerungspläne an gekündigt oder sogar beschlossen haben.

(Zuruf)

Aus meiner Sicht wird diese Entwicklung die Akzeptanz der Maßnahmen erschweren. Deshalb habe ich im Vorfeld dieser Konferenz bewusst keine eigenen Pläne veröffentlicht, ge schweige denn sind solche beschlossen worden, obwohl wir natürlich auch solche Pläne in der Schublade hatten.

(Zurufe, u. a.: Hört, hört!)

In der Folge haben sich Bund und Länder heute darauf ver ständigt, dass künftig einige Bereiche – das ist eine Folge des sen, was ich gerade gesagt habe – wie Gastronomie, Touris mus oder Kultur nun landesspezifisch und vor dem Hinter grund des jeweiligen lokalen Infektionsgeschehens geregelt werden. Wir haben aber auch vereinbart, dass wir weiter ei nen gemeinsamen Rahmen sicherstellen wollen, z. B. durch gemeinsame Hygiene- und Abstandskonzepte der jeweiligen Fachministerkonferenzen.

Folgende gemeinsame Beschlüsse haben die Kanzlerin und die Länderchefs heute gefasst:

Erstens: Wir waren uns einig, dass Abstandhalten weiter obers tes Gebot sein muss, wenn wir jetzt schrittweise weitere Öff nungen vornehmen. Der Mindestabstand von anderthalb Me tern ist unsere schärfste Waffe im Kampf gegen die Pandemie.

(Beifall)

Deshalb werden wir ihn noch für lange Zeit brauchen. Das Gleiche gilt für die Pflicht, in bestimmten öffentlichen Berei chen zumindest eine Alltagsmaske zu tragen. Die Kontaktbe schränkungen haben wir im Grundsatz bis zum 5. Juni verlän gert. Sie wissen, das ist ein starker Grundrechtseingriff.

(Zurufe, u. a. Abg. Anton Baron AfD: Ja, und der ist nicht mehr gerechtfertigt! – Abg. Dr. Christina Baum AfD: Mit welcher Begründung?)

Deswegen haben wir uns angesichts der niedrigen Infektions zahlen auf eine Erleichterung verständigt. Bisher durfte man nur mit einer weiteren Person oder mit den Menschen, mit de nen man zusammenlebt, auf die Straße gehen. Künftig darf man auch mit mehreren Personen eines weiteren Hausstands – also einer anderen Familie oder Wohngemeinschaft – hin ausgehen.

Zweitens – das ist uns sehr wichtig – haben wir ein Konzept für den Umgang mit regionalen und lokalen Infektionshot spots beschlossen. Um die Zeitspanne zu überbrücken, bis ein Impfstoff vorliegt, brauchen wir eine möglichst große Kont rolle des Infektionsgeschehens. Das bedeutet erstens, dass die Zahl der Neuinfektionen möglichst niedrig sein muss, weil wir nur so die Nachverfolgung sicherstellen können. Daher gelten weiter die harten Einschränkungen, damit die Zahl wei ter sinkt und dann niedrig bleibt. Das bedeutet zweitens, dass wir neue Infektionsherde schnell erkennen und eindämmen müssen. Dafür haben wir ein Konzept für eine lokale Eindäm mung beschlossen.

Das Konzept sieht Folgendes vor: Wenn ein Landkreis inner halb von sieben Tagen mehr als 50 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner zu verzeichnen hat, die nicht an einem klar be grenzten Ort wie etwa einem Altenheim oder einer Landes erstaufnahmeeinrichtung auftreten, müssen regional konse quente Beschränkungen eingeführt werden. Es geht also dar um, regionale und lokale Brandherde umgehend durch schnel le, örtlich begrenzte Beschränkungen zu bekämpfen. Das ist wichtig, da ja alle Öffnungen das Risiko mit sich bringen, dass die Zahl der Infektionen wieder zunimmt. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass gerade lokale Infektionsherde zu einem echten Problem werden können.

Das ist sozusagen der wichtigste Beschluss heute. Wir gehen weiter in den Öffnungen, haben aber bestimmte Grundstruk turen erhalten, die etwa Abstände und Kontakte betreffen, auch wenn es hierbei Erleichterungen gibt. Das heißt aber, dass dann, wenn lokale Brandherde auftreten, sozusagen lo kale Lockdowns stattfinden. Das muss allen klar sein.

Herr Ministerpräsident, lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Dr. Baum zu?

Nein. – Drittens werden Bund und Länder bei den Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam für die Nutzung der vom Bund geplanten TracingApp werben. Bei der App setzen wir auf Datenschutz und Freiwilligkeit, aber vor allem auch auf das Verantwortungs bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger. Es wird entschei dend sein, dass große Teile der Bevölkerung die App nutzen. Sie ist ein wichtiges Instrument, um die Infektionsketten nach vollziehen und unterbrechen zu können. Deshalb appelliere ich an den Bund, die App bald an den Start zu bringen. Wir haben hier schon viel Zeit verloren.

Viertens haben wir uns auf einen gemeinsamen Rahmen für weitere Öffnungsschritte geeinigt, nämlich bei den Schulen, bei der Kinderbetreuung, für den Sport.

Bei den Schulen haben wir beschlossen, den Unterricht für al le Schülerinnen und Schüler schrittweise wieder aufzuneh men. Auch hier gelten natürlich die Abstands- und Hygiene regeln. Nur so kann es funktionieren. Ziel ist es, dass abhän gig vom Infektionsgeschehen alle Schülerinnen und Schüler vor den Sommerferien tage- oder wochenweise die Schule wieder besuchen können.

In Baden-Württemberg gehen ja bereits seit dieser Woche die Jugendlichen wieder in die Schule, bei denen in diesem oder im nächsten Jahr die Abschlussprüfungen anstehen. In einem nächsten Schritt werden die Viertklässler voraussichtlich ab dem 18. Mai wieder starten. In einem weiteren Schritt sollen dann nach Pfingsten alle Schüler der anderen Klassenstufen in einem rollierenden System wieder an die Schulen kommen. Außerdem werden für die Schülerinnen und Schüler, die wir mit dem Fernlernen in den vergangenen Wochen nicht erreicht haben, Lerngruppen an den Schulen eingerichtet. In den Som merferien wird es zudem freiwillige Lern- und Förderange bote geben.

Auch bei der Kinderbetreuung haben wir uns auf einen ge meinsamen Rahmen für eine stufenweise Öffnung verständigt. Ab dem 11. Mai wird in allen Ländern eine flexible und stu fenweise Erweiterung der Notbetreuung eingeführt. Dabei soll sichergestellt werden, dass jedes Kind, das nach den Sommer ferien in die Schule kommt, vorher noch einmal die Kita be suchen kann. Bei uns in Baden-Württemberg haben wir die Notbetreuung ja schon seit dem 27. April deutlich ausgewei tet.

Über eine weiter gehende Öffnung bei der Kinderbetreuung werden wir entscheiden, sobald Mitte Mai die Ergebnisse un serer Studie vorliegen. In dieser Studie lassen wir derzeit un tersuchen, in welchem Maß Kinder ansteckend sind und wie häufig sie sich selbst anstecken.

Beim Sport haben die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten beschlossen, kontaktlosen Outdoorsport unter freiem Himmel wieder zu erlauben. Damit ist Sport im Freien gemeint, bei dem man die Abstandsregeln unproblematisch einhalten kann, also z. B. Tennis, Leichtathletik oder Golf. Für Baden-Würt temberg werden wir das bereits für die kommende Woche be schließen.

Fünftens halten Bund und Länder die Fortsetzung des Spiel betriebs der Ersten und Zweiten Fußballbundesliga ab der zweiten Maihälfte unter dem von der DFL erarbeiteten Schutz konzept für vertretbar.

(Zuruf: Und der Amateursport?)

Mir ist bewusst, dass das sehr umstritten ist. Das wird sehr, sehr kontroverse Diskussionen auslösen.

(Abg. Bernd Gögel AfD: Jetzt schon!)

Da gibt es harte Befürworter und genauso harte Gegner. Für mich war ausschließlich die Frage entscheidend, welche Aus wirkungen die Fortsetzung des Spielbetriebs auf das Infekti onsgeschehen hat. Die Risiken halte ich für epidemiologisch

vertretbar, wenn das Schutzkonzept strikt eingehalten wird. Die Voraussetzungen sind vor allem engmaschiges Testen – dabei dürfen die Tests nicht zulasten medizinisch notwendi ger Tests aus anderen Bereichen gehen –, Einhaltung der Qua rantäneregeln bei Infektionen. Hier darf es keinen Sicherheits rabatt geben.

Ich will noch einmal sagen – das haben wir heute nicht ange sprochen, das will ich Ihnen aber sagen –, dass ich mir ein ähnliches Vorgehen auch für andere Branchen und Berufe vor stellen kann, z. B. aus dem Kulturbereich. Auch da gibt es ja sozusagen Gruppen, die nicht kontaktlos arbeiten können. Ich denke beispielsweise an eine Ballettkompanie oder an ein Schauspielensemble. Auch sie könnten unter ähnlichen Vor aussetzungen wie die Bundesligaspieler wieder trainieren und spielen.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Exakte Überlegungen, die wir hier anstellen, sind heute auf der MPK nicht besprochen worden.

Sechstens sollen künftig überall in der Republik auch Ge schäfte mit mehr als 800 m2 Verkaufsfläche öffnen dürfen. Da für sollen strenge Regeln gelten, um möglichst zu vermeiden, dass zu viele Menschen in den Geschäften sind oder sich War teschlangen bilden. Das ist bei uns ja schon geregelt.

Siebtens wurde beschlossen, dass Bewohner von Pflegehei men, Krankenhäusern oder Behinderteneinrichtungen regel mäßig Besuch durch eine ausgewählte Person erhalten kön nen. Das ist wichtig, damit alte Menschen oder Menschen mit Behinderungen nicht vereinsamen. Gleichzeitig versuchen wir, das Infektionsrisiko dadurch zu minimieren, dass nur ei ne einzige Person zu Besuch kommen darf – das aber regel mäßig. Selbstverständlich müssen auch dabei strenge Hygie nevorschriften eingehalten werden. Wir wissen, bei den ange sprochenen Bewohnern handelt es sich um besonders vulne rable Gruppen.

Diese Vereinbarungen werden wir in Baden-Württemberg schnell umsetzen.

Meine Damen und Herren, wie ich bereits sagte, hat auch mei ne Regierung in den vergangenen Tagen und Wochen inten siv an einem Stufenplan gearbeitet, wie und wann wir Wirt schaft und Gesellschaft im Land weiter öffnen können. Wir sind damit nur nicht vor der heutigen Besprechung der Kanz lerin mit den Länderchefs hausieren gegangen – sehr bewusst und im Gegensatz zu anderen.

(Beifall)

Ich möchte Ihnen diese Stufenplanung kurz vorstellen. Der Plan folgt weiterhin dem Prinzip der Umsicht und Vorsicht – so, wie wir es auch mit Bayern abgestimmt haben. Unser oberstes Ziel ist und bleibt der Schutz der Gesundheit der Menschen in Baden-Württemberg. Dementsprechend bleibt auch weiterhin der Infektionsschutz der wichtigste, grundle gende Maßstab unseres Handelns. Eine zweite Infektionswel le wollen wir unbedingt vermeiden.

Wie ich Ihnen in den letzten Tagen und hier im Plenum schon gesagt habe, ist der Stufenplan in Form eines Ampelsystems ausgestaltet. Es folgt klaren, nachvollziehbaren Kriterien: ers

tens dem Ansteckungsrisiko. Hier stellt sich die Frage, wie hoch die Infektionsgefahr ist, wenn man einen bestimmten Bereich wieder öffnet – z. B. Restaurants oder den Outdoor sport.

Zweitens prüfen wir, ob es eine Möglichkeit gibt, ein wirksa mes Konzept zur Minimierung des Infektionsrisikos zu ent wickeln, also, wie gesagt, Abstands- und Hygieneregeln so wie eine Maskenpflicht wie beim Einkaufen.

Drittens schätzen wir ab, ob eine solche Konzeption zur Risi kominimierung wirksam durchgesetzt und auch deren Einhal tung kontrolliert werden kann. Dabei können wir umso schnel ler lockern und öffnen, je besser sich die Infektionszahlen ent wickeln. Sollten sie sich allerdings wieder verschlechtern, müssten Lockerungen und Öffnungen auf später verschoben oder sogar befristet zurückgenommen werden.

Dieser Vorbehalt ist mir aus zwei Gründen besonders wich tig. Zum einen müssen wir eine zweite Welle und damit eine mögliche Überlastung des Gesundheitssystems unbedingt ver meiden. Zum anderen sollen auch keine falschen Erwartun gen und Hoffnungen geweckt werden. Darum umfasst das System natürlich – wie bei einer Ampel gewohnt – drei Far ben: grün, gelb und rot.

Alles, was dem grünen Bereich – das sind die Stufen 0 und 1 – zugeordnet ist, haben wir bereits geöffnet oder werden wir in einem nächsten Schritt am 11. Mai wieder öffnen. In die Stufe 0 gehören der Einzelhandel, Friseure, alle nicht körper nahen Dienstleistungen, Gottesdienste, Museen und Ausstel lungshäuser, Zoos und botanische Gärten sowie der Schulun terricht für Schülerinnen und Schüler, bei denen in diesem oder im nächsten Jahr die Abschlussprüfungen anstehen. Auch die Notbetreuung für Klein- und Grundschulkinder haben wir deutlich erweitert.