Protokoll der Sitzung vom 06.05.2020

Alles, was dem grünen Bereich – das sind die Stufen 0 und 1 – zugeordnet ist, haben wir bereits geöffnet oder werden wir in einem nächsten Schritt am 11. Mai wieder öffnen. In die Stufe 0 gehören der Einzelhandel, Friseure, alle nicht körper nahen Dienstleistungen, Gottesdienste, Museen und Ausstel lungshäuser, Zoos und botanische Gärten sowie der Schulun terricht für Schülerinnen und Schüler, bei denen in diesem oder im nächsten Jahr die Abschlussprüfungen anstehen. Auch die Notbetreuung für Klein- und Grundschulkinder haben wir deutlich erweitert.

Mit der Stufe 1 verfolgen wir dann ab dem 11. Mai weitere Öffnungen unter strengen Hygienevorgaben und Infektions schutzmaßnahmen, die ebenfalls zum grünen Bereich gehö ren. Dazu zählen Outdoorsportanlagen für Kontaktlossportar ten wie z. B. Leichtathletik, Tennis oder Golf, ferner Musik schulen, Fahrschulen, körpernahe Dienstleistungen wie bei spielsweise Massage-, Kosmetik- oder Nagelstudios.

Alles, was dem gelben Bereich der Stufe 2 zugeordnet ist, wird nach heutigem Stand des Infektionsgeschehens vor Pfingsten geöffnet werden. Dazu gehören die Rückkehr der Viertkläss ler in die Schule, die Öffnung der Außengastronomie und der Campingplätze sowie kontaktarme Ausflugsziele wie z. B. der Fahrrad- oder Bootsverleih.

Für das weitere Vorgehen habe ich meiner Landesregierung Folgendes vorgeschlagen: Danach sind mögliche weitere Öff nungen im gelben Bereich der Stufe 3 zugeordnet. Sollte die Infektionsrate weiter stabil bleiben, wären Öffnungen im In nenbereich von Speisegaststätten und bei den Schulen mög lich.

Ab Pfingsten können dann in Stufe 4 weitere Einrichtungen aus den Bereichen Sport und Tourismus öffnen: Tanzschulen, Kletterhallen, Sporthallen, Besucherzentren, Freizeitparks. Natürlich sind dabei immer strenge Hygienevorgaben und In fektionsschutzmaßnahmen einzuhalten.

Allem, was dem roten Bereich zugeordnet ist, können wir nach heutigen Maßstäben aus epidemiologischer Sicht keine konkrete Öffnungsperspektive bieten.

(Zuruf)

Dazu gehören vor allem Großveranstaltungen wie Messen, Kongresse, Volksfeste und Sportveranstaltungen sowie Frei zeit- und Kultureinrichtungen wie Theater, Kinos, Diskothe ken und Musikfestivals. Für den Gastronomie- und Touris musbereich gehören dazu der Innenbereich von Kneipen und Bars sowie Sauna- und Wellnessbetriebe. Für diese Bereiche müssen aufgrund ihrer Natur stringente Hygienekonzepte er arbeitet und geprüft werden. Diese liegen noch nicht vor. Da her können wir zum heutigen Stand nicht abschätzen, wann diese Bereiche wieder öffnen können. Wir müssen das auch erst mit den Ministerien schlussabstimmen.

Meine Damen und Herren, das sind die Bereiche. Klar ist na türlich, dass man jetzt an eine Oper sehr viel einfacher mit be stimmten Kriterien wird herangehen können als an das Cann statter Volksfest, das sicher sehr weit in die Zukunft gescho ben wird.

Im Kulturbereich geht es immer um drei Bereiche: Zuschau er, Beschäftigte und Spieler. Diese erfordern jeweils unter schiedliche Herangehensweisen. Das muss man sorgfältig prü fen und aufeinander abstimmen.

Das heißt, rot bleibt nicht rot – wenigstens bei vielen, die da aufgeführt sind. Vielmehr müssen sie erst mit Konzepten un terlegt werden. Dann können sie in den gelben Bereich rü cken, und dann kann man dafür auch eine Ausstiegsperspek tive formulieren.

So weit, meine Damen und Herren. Vielen Dank.

(Beifall)

Vielen Dank. – Nun erteile ich das Wort für die FDP/DVP-Fraktion Herrn Fraktionsvorsit zenden Dr. Rülke.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Herr Ministerprä sident, namens meiner Fraktion herzlichen Dank für diese In formation, auch wenn ich nicht verhehlen kann, dass das Ver fahren am heutigen Tag schon etwas merkwürdig gewesen ist. Das kann Ihnen ja nicht entgangen sein. So hat der Landtag von Baden-Württemberg nun erfahren, dass Sie das Ziel hat ten, nach dieser Konferenz die Presse zu informieren, wobei die Abgeordneten des Landtags von Baden-Württemberg aber auf dem Stand waren: Der Ministerpräsident hat sich für den gesamten Plenartag entschuldigt. Ich hätte schon erwartet, Herr Ministerpräsident, dass Sie dazu ein paar Worte sagen und uns diesen Zusammenhang erklären. Oder war es so, dass Sie tatsächlich Ihre Pläne geändert haben, nachdem Sie ein sehen mussten, dass es einfach nicht geht, dass der Minister präsident an einem Plenartag mit der Presse, aber nicht mit dem Parlament redet?

(Beifall)

Dann sprachen Sie wieder von Vorpreschen. Sie haben in den letzten Tagen häufiger zu verstehen gegeben, dass Ihnen bei

spielsweise nicht gefällt, dass der Ministerpräsident von Sach sen-Anhalt zu einer Lockerung bei den Kontaktbeschränkun gen kommt. Allerdings ist es offensichtlich so, dass es in Sach sen-Anhalt Tage ohne eine einzige Neuinfektion gibt. Das rechtfertigt Kontaktbeschränkungen einfach nicht mehr. Denn – ich darf eine Aussage des Kollegen Reinhart vom heutigen Vormittag zitieren und auch das, was ich in der letzten Woche selbst gesagt habe – der geistige Urheber ist ja Herr Papier, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der gesagt hat: Diejenigen, die Freiheitsrechte einschränken, sind in der Rechtfertigungspflicht, nicht diejenigen, die sie fordern.

(Beifall)

Deshalb ist es eben nicht gerechtfertigt, Kontaktsperren auf rechtzuerhalten, wenn es, wie im Land Sachsen-Anhalt, kei ne Neuinfektionen mehr gibt. Da wäre etwas mehr Verständ nis nachvollziehbar.

Sie haben ja offensichtlich am heutigen Tag auch einem Kon zept zugestimmt, das in diese Richtung geht. Sie haben vor hin gesagt, der eigentlich wichtigste Beschluss des heutigen Tages seien künftige Maßnahmen, die eher regional ausge richtet sind. Wenn nämlich über sieben Tage hinweg in einer Region auf 100 000 Einwohner mehr als 50 Neuinfektionen feststellbar seien, dann müsse man darauf reagieren, um lo kale Infektionsherde zu isolieren und die Ausbreitung zu ver hindern. Das ist der heutige Beschluss.

Ich habe am heutigen Vormittag gesagt – das lief ja schon über den Ticker –: Das ist nachvollziehbar. Denn wir haben sowohl in Deutschland als auch insbesondere in Italien oder Frank reich festgestellt, dass aus Hotspots solche schwierigen Infek tionslagen – genau das ist das Problem bei dieser Krankheit – entstehen können. Deshalb ist es auch nachvollziehbar, dass man sagt: „Wir tun uns schwer, in absehbarer Zeit beispiels weise Fußballspiele mit 80 000 oder 100 000 Zuschauern zu zulassen.“ Auch die regionale Komponente der Seuchenbe kämpfung ist nachvollziehbar.

Dann muss man aber auch den Regierungschefs einzelner Bundesländer zugestehen, dass sie regional unterschiedliche Entscheidungen treffen, und darf nicht immer fordern, dass 16 Regierungschefs zur Befehlsausgabe durch die Kanzlerin gehen und anschließend die ganze Republik im Gleichschritt marschiert. Das ist der falsche Weg der Seuchenbekämpfung, meine Damen und Herren.

(Beifall – Zuruf der Abg. Dr. Christina Baum AfD)

Nun sagen Sie, die Kontaktbeschränkungen seien weiter not wendig – einen Abstand von 1,5 m halten, eine Alltagsmaske tragen. Und weiterhin wird Menschen in unserem Land vor geschrieben, ob sie sich treffen dürfen oder nicht.

(Abg. Dr. Christina Baum AfD: Wahnsinn!)

Dies bedeutet eine Einschränkung von Grundrechten auch in naher Zukunft.

Ich kann nur noch einmal daran erinnern, wie die Grundrechts einschränkung immer begründet worden ist: Sie wurde mit ei nem exponentiellen Anstieg der Zahl der Infektionen begrün det, mit der Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens, die dazu führen könne, dass am Ende Schwerkranke nicht

mehr angemessen behandelt werden könnten und es zur Triage komme, dass also Ärzte entscheiden, wer noch behan delt wird und wen man sterben lässt. Das war die Rechtferti gung. Und wenn ich mir die aktuellen Zahlen anschaue, muss ich sagen: Diese Einschränkung der Grundrechte ist eben nicht mehr gerechtfertigt. Eine Begründung, die nachvollziehbar ist, sind uns all diejenigen, die heute verhandelt haben, schul dig geblieben. Diese Maßnahmen, die Einschränkungen der Grundrechte sind nicht mehr nachvollziehbar.

(Beifall)

Herr Abg. Dr. Rülke, lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Dr. Baum zu?

Ja. Ich gehe davon aus, sie ist kompetent.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Die Frage oder die Person?)

Sehr freundlich, Herr Rülke. – Wir sehen ja jetzt, dass wir bezüglich der Corona-Epidemie eigentlich die gleiche Einschätzung der Lage haben. Warum haben Sie dann heute Vormittag unserem Dringlichkeitsantrag bezüglich einer Neubewertung nicht zugestimmt?

Sie können sich wieder setzen. Ich habe die Frage verstanden.

(Heiterkeit)

Sie können mir auch gern so antworten.

Frau Baum, Sie ha ben gerade behauptet, wir hätten die gleiche Einschätzung der Coronakrise. Ich zitiere noch einmal Ihren Fraktionsvorsit zenden, Herrn Gögel. Er hat am 19. März erklärt:

Wenn Sie die Pandemie eindämmen wollen, müssen Sie die Menschen zwangsweise separieren und deshalb auch eine Ausgangssperre verhängen.

Frau Baum, das ist das Gegenteil von dem, was die FDP ver tritt. Es trifft eben nicht zu, dass wir dieselbe Meinung vertre ten würden. Es ist nur so, dass Sie in einem Anflug von De menz Ihre Auffassung geändert haben, weil Sie der Meinung sind, dies bringt Ihnen populistisch mehr. Das ist Ihre Politik von der AfD.

(Beifall – Zurufe, u. a. der Abg. Dr. Christina Baum AfD)

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, es ist not wendig, eine andere, eine bessere Begründung zu liefern, als sie Ihnen am heutigen Tag gelungen ist. Und die Begründun gen werden ja auch ständig gewechselt. Wie gesagt, zunächst war die Rede davon: „Wir müssen darauf achten, dass das Ge sundheitswesen nicht überlastet wird.“ Dann wurde von ei nem Verdopplungszeitraum geredet – 14 Tage. Der Verdopp lungszeitraum liegt inzwischen bei über 70 Tagen. Deshalb hat man sich davon verabschiedet.

Dann kam der Reproduktionsfaktor. Es wurde behauptet, die ser Faktor könne mit den bisherigen Maßnahmen gar nicht un

ter 1 sinken. Und wenn er wieder auf 1,1 steigen würde, wä re das Gesundheitssystem spätestens im Oktober am Ende. In zwischen liegt der Reproduktionsfaktor deutlich unter 1 – bei allen Unschärfen, die das Robert Koch-Institut da immer wie der einräumen muss.

Dann hieß es vom Robert Koch-Institut plötzlich, man möge den Reproduktionsfaktor nicht absolut setzen, sondern es ge he auch um die Gesamtzahl der Infizierten. Die ist mittlerwei le deutlich gesunken.

Anschließend hat man vor einer zweiten Welle gewarnt, und jetzt geht es plötzlich um das lokale Geschehen.

Meine Damen und Herren, bei dieser Widersprüchlichkeit ei ner Seuchenbekämpfungspolitik, einer Widersprüchlichkeit der Regierungspolitik brauchen Sie sich nicht darüber zu wun dern, dass die Akzeptanz dieser Politik in der Bevölkerung schwindet und Sie eine Entwicklung erleben, in der die Wut der Menschen steigt. Sie laufen mit dieser Politik Gefahr, die Bevölkerung zu verlieren. Sie müssen diese Maßnahmen bes ser erklären. Am heutigen Tag haben wir keine Erklärungen gehört.

(Beifall)

Richtig ist es, eine Tracing-App anzubieten. Es gefällt uns gut, wenn hier das Prinzip der Freiwilligkeit genannt wird und sie eben nicht verpflichtend zu nutzen ist – Pläne, wie sie Herr Spahn jetzt zurückziehen musste. Wenn Sie, Herr Minister präsident, davon redeten: „Es wurde Zeit verloren“, hätten Sie vielleicht auch einmal den Mut haben können, an dieser Stel le die von Ihnen so verehrte Bundeskanzlerin zu kritisieren. Ich lese überall: Alles, was Sie machen, stimmen Sie mit der Bundeskanzlerin ab. Es geschieht nichts, was die Bundeskanz lerin nicht will. Aber die Bundeskanzlerin und ihre Regierung verantworten, dass wir diese App noch nicht haben, weil die Bundesregierung bis vor gut einer Woche einem zentralen An satz gefolgt ist und erst dann den Ansatz geändert hat. Das ist ein Versagen der Bundesregierung; das kann man an dieser Stelle einmal deutlich sagen.

(Beifall – Zuruf der Abg. Dr. Christina Baum AfD)

Sie sprachen davon, schrittweise die Schulen zu öffnen – nach Pfingsten, in einem rollierenden System – und anschließend die Kindertagesstätten mit einzubeziehen. Das klang, Herr Mi nisterpräsident, als stünde dieser Plan schon unumstößlich fest.