Das kann ich nicht anders sagen. Ein bisschen Basisverständ nis sollte man schon haben, wenn man Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg ist.
Meine Damen und Herren, wir brauchen – die Anlagen dazu sind ja von Ursula von der Leyen und anderen gelegt – ein großes europäisches Konjunkturprogramm, um diese Krise zu meistern.
Es ist doch auch klar, meine Damen und Herren, dass wir dann, wenn die Krise vorbei ist, einen Kassensturz machen müssen und auch Überlegungen zu unseren Prioritäten anstel len müssen.
Weiter ist klar, dass wir eine Verschiebung unserer Einstellun gen und Achsen benötigen, was die Versorgungssicherheit un serer Bevölkerung im Bereich Pharma, im Bereich Medizin, im Bereich Chemie und möglicherweise auch in anderen Bran chen anbelangt.
Da ist es doch wichtig, dass wir, Europa – nicht Baden-Würt temberg und nicht Deutschland allein; dafür sind diese viel zu klein –, eine europäische Architektur bauen, damit die Wert schöpfungsketten von Entwicklung und Forschung über die Produktion bis hin zu Dienstleistungen und Wartungen und auch die Kreislaufwirtschaft hier in Europa besser organisiert und optimiert werden. Die Krise ist eine Chance, das neu zu gestalten. Das ist die Chance, die wir in Baden-Württemberg ergreifen sollten. Denn wir profitieren von solch einem Pro zess mehr, als dass wir Schaden nehmen.
Die Frage muss natürlich auch darin eingebettet sein, wie es für den Klimaschutz besser wird. Auch hier gibt es gute und richtige Antworten. Denn es ist natürlich klar, dass beispiels weise die Schwerindustrie in China mehr CO2 produziert, als das in einer europäischen Architektur der Fall wäre. Das be
deutet aber auch, dass die Programme, die jetzt auf europäi scher Ebene umgesetzt werden sollen – ich nenne die Klima schutzverordnung, die Biodiversitätsstrategie, den Aktions plan Kreislaufwirtschaft, die EU-Industriestrategie, die Stra tegie „Farm to Fork“, also die regionale landwirtschaftliche Versorgung vom Erzeuger zum Verbraucher –, Nachhaltig keitsstrategien sind, die Baden-Württemberg und den Klima schutz voranbringen werden.
Wir brauchen – ich habe hier im Landtag schon oft darauf hin gewiesen –, wenn die Energiewende gelingen soll, auch eine europäische Architektur der Energiewende. Darin stecken große Chancen. Sehen Sie nach Norwegen, sehen Sie nach Schwe den, sehen Sie nach Dänemark. Aber auch im Süden oder hier in Baden-Württemberg gibt es große Möglichkeiten.
Deswegen, meine Damen und Herren, gilt: Es nützt nichts, zu sagen, die Verordnungen überforderten Baden-Württemberg und Deutschland. Denn die Wahrheit ist – das wissen wir aus der Vergangenheit –: Sie unterstützen unser Geschäftsmodell. Es geht also nicht um ein Gegeneinander der Menschen, um ein Auseinandertreiben durch Hetze und Falschmitteilungen, es geht auch nicht darum, ein Gegeneinander der Nationen zu schaffen. Wir werden vielmehr in den kommenden Monaten und Jahren sehr viel Arbeit haben, dieses europäische Modell des Friedens und des Wohlstands zusammenzuhalten und die europäische Architektur mit den Ländern, die jetzt besonders unter der Krise leiden – Italien, Spanien, Frankreich und vie le andere –, weiter nach vorn zu bringen. Das wird sehr viel Energie und sehr viel Kraft benötigen. Da sollten wir BadenWürttemberger, die wir sehr stark von diesem Modell profi tieren, sehr genau darauf achten, dass das in einem konstruk tiven und verantwortungsvollen Modus geschieht.
Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Millionen Menschen befinden sich in Kurzar beit, unsere Gastronomie kämpft ums Überleben,
Ärzte kümmern sich um Patientinnen und Patienten, Kinder und Familien warten darauf, wieder geregelt Bildung und Betreuung in Anspruch nehmen zu können, und der rechte Rand des Landtags möchte über EU-Verordnungen sprechen.
Daran erkennt man wieder einmal: Sie sind von der Lebens wirklichkeit der Menschen so weit entfernt wie Boris Palmer vom diplomatischen Dienst, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Wie groß muss die Verzweiflung bei Ihnen eigentlich sein, wenn man wegen dieser weltweiten Coronapandemie kein an deres Thema findet?
Die Begründung ist sehr einfach. Ihr eigentliches Lieblingsthe ma Flüchtlinge ist Ihnen in den letzten Wochen abhandenge kommen, und jetzt suchen Sie verzweifelt nach einem Thema und einer Plattform, um Aufmerksamkeit zu erlangen.
Eines gleich zu Beginn, weil ich diese Zwischenrufe ja bei je der europäischen Debatte höre: Man kann nicht gleichzeitig behaupten, dass man für Europa und gegen die EU sei.
Das erkläre ich Ihnen an einem Beispiel, das Sie vielleicht nachvollziehen können, nachdem Sie vorhin die kommunale Ebene so gelobt haben: Sie können auch nicht gleichzeitig für die kommunale Selbstverwaltung und gegen Gemeinderäte sein. Das schließt sich nun mal aus.
Werte Kolleginnen und Kollegen, angesichts des Titels der heutigen Debatte habe ich vielmehr das Gefühl, dass EU-Ver ordnungen weder Deutschland noch Baden-Württemberg, son dern allein Sie, die AfD, überfordern. Denn Sie haben ganz offensichtlich noch immer nicht begriffen, oder – das liegt nä her – Sie wollen aus Prinzip nicht begreifen, wie Europa funk tioniert.
Die Europäische Union ist allerdings keine Bedrohung, und das haben wir von den vernünftigen Vorrednern gehört. Sie ist die Basis für unseren Frieden und für unseren Wohlstand.
Dazu gehören auch Regularien. Verordnungen, und zwar egal, welche, fallen allerdings nicht vom Himmel. Vielmehr kom men sie nach demokratischen Prinzipien der EU-Mitglieds staaten, der Parlamente, der Regierungschefs, der Länder und auch der Regionalparlamente zustande. Beteiligt und gehört werden im Rahmen der öffentlichen Konsultationen Verbän de und Organisationen. Auch jede Bürgerin und jeder Bürger kann Anregungen und Bedenken ins Verfahren einspeisen.
Auch unser Landtag hat über das Gesetz über die Beteiligung in EU-Angelegenheiten bzw. über die Landesregierung über den Bundesrat ein indirektes Mitwirkungsrecht. Aus den Sit zungen des Europaausschusses dürften Sie eigentlich wissen, dass wir bei jedem Vorgang sehr sorgfältig prüfen, ob die Prin zipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit gewahrt sind.
Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt europäi sche Regulierungen, die man kritisch hinterfragen kann. Auch die Kollegen von der FDP/DVP reagieren regelmäßig relativ allergisch auf das Wort „Verordnung“. Trotzdem stehen die vernünftigen Parlamentarier in grundsätzlichen Europafragen eng beieinander. Denn wir wissen, dass diese EU für uns Frie den, Freiheit, Wohlstand, Stabilität und Sicherheit bedeutet. Das ist eben der Unterschied.
Überzeugte Europäerinnen und Europäer diskutieren enga giert darüber, wie man unsere Union besser machen kann, oh ne die vorhandenen Strukturen zerstören zu wollen. Das ist in Baden-Württemberg nicht nur Staatsräson, sondern gelebtes Miteinander über Fraktionsgrenzen. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass dies so bleibt, werte Kolleginnen und Kol legen.
Auch die EU-Kommission ist lernfähig und hat reagiert. So wurde eine Taskforce Subsidiarität eingesetzt. Diese prüft, wo die EU weniger, dafür aber effizienter handeln kann.
Wir sollten die Bürger Europas nicht mit RegelungsKlein-Klein nerven, sondern in großen Dingen Größe zei gen, nicht pausenlos neue Initiativen vom Zaun brechen, sondern uns auf die Befugnisse zurückziehen, die für uns notwendig sind.
Deshalb hat diese Kommission versucht, in großen Din gen Größe zu zeigen und sich – und das hat sie getan – in kleinen Dingen zurückzuhalten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen ganz nüchtern feststellen: Viele Herausforderungen lassen sich nicht mehr national, sondern nur noch international oder glo bal lösen. Die Europäische Union mit ihren rund 450 Millio nen Einwohnern ist dabei nur ein Teil im Weltgefüge, aber ein wichtiger, wenn es darum geht, sich geschlossen gegenüber den USA oder China zu behaupten. Das ist für ein exportori entiertes Bundesland wie Baden-Württemberg und ein High techland wie Deutschland von ganz besonderer Bedeutung.
Zu diesen Herausforderungen zählt zweifellos die Bekämp fung des Klimawandels. Der vorliegende Verordnungsvor schlag ist darauf eine richtige Antwort. Klimaschutz ist eine globale Angelegenheit und macht vor Grenzen nicht halt. Dank der EU sind die Standards im weltweiten Vergleich die höchsten und geben der Weltgemeinschaft durchaus entschei dende Impulse. Daher wäre der Klimaschutz ohne die EU nicht da, wo er heute ist. Auch wenn wir in der EU und welt weit noch ambitionierter werden müssen – Kritik daran kann nur von denen kommen, die ernsthaft die Sonnenenergie und die Sonnenintensität für den Klimawandel verantwortlich ma chen wollen.
Ich nenne Ihnen gern noch weitere positive Beispiele für EURegelungspolitik. Der gesamte Bereich des Verbraucherschut zes sorgt nicht nur für sichere Lebensmittel, sondern auch für bezahlbares Telefonieren und günstiges mobiles Surfen in der EU. Die EU-Zahlungskontenrichtlinie regelt das Recht auf ein sogenanntes Basiskonto. Alle Menschen, egal, ob reich oder arm, sollen so am Zahlungsverkehr teilnehmen können. Ver braucher können sich sogar aussuchen, bei welchem Kredit institut sie ein Konto haben möchten. Davon profitieren dann auch Obdachlose und Asylsuchende. Wer könnte da etwas da gegen haben? Die Medizinprodukte-Verordnung sorgt dafür, dass Verbraucher künftig vor schädlichen Medizinprodukten geschützt werden. Als letztes Beispiel noch etwas leicht Ver ständliches: Wir alle sind froh darüber, dass wir inzwischen nicht mehr 30 verschiedene Ladekabel für unsere Handys be nötigen, sondern eben maximal nur noch drei.
Werte Kolleginnen und Kollegen, was passiert, wenn die ge wohnten EU-Standards nicht mehr gegeben sind, sehen wir doch momentan auch bei uns in Baden-Württemberg. Die Si tuation an der innereuropäischen Grenze zwischen Deutsch land und Frankreich wird zunehmend unerträglich. Hierbei geht es nicht um den Einkaufstourismus, sondern um Existen zen von Unternehmen und Arbeitsplätzen. Es geht aber auch z. B. um Paare und Familien, die getrennt sind und sich nun schon seit mehr als sechs Wochen nicht mehr gesehen haben.
Für uns ist es deshalb wichtig, dass das alltägliche Leben in einem vereinten Europa wieder möglich werden muss. Die Si tuation vor Ort zeigt uns doch, wie wichtig die Europäische Union ohne Grenzen ist. Die Jobsuche in den Niederlanden, als Azubi mit ERASMUS nach Finnland, der Liebe wegen nach Österreich – eigentlich sollte das alles problemlos mög lich sein. Deshalb freuen wir Sozialdemokraten uns schon heute auf den Tag, an dem die Grenzen in der EU wieder ge öffnet sein werden – und das muss möglichst bald geschehen, werte Kolleginnen und Kollegen.