Protokoll der Sitzung vom 20.05.2020

und zweitens stellt sich eine ganz einfache Frage: Wer regiert denn dieses Land seit neun Jahren? Wer stellt denn seit neun Jahren den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg? Und dann kommt so eine Aussage!

(Beifall)

Das ist das Eingeständnis des Totalversagens – des eigenen Totalversagens! – im Bildungsbereich. Dabei gibt es ja durch aus Bundesländer, in denen die Kommunen den zuständigen Minister für die Öffnung der Kitas loben. So begrüßte der Landkreistag Nordrhein-Westfalen z. B. das Konzept der stu fenweisen Kitaöffnung von Familienminister Joachim Stamp, beginnend bereits am 14. Mai. Und selbst von der oppositio nellen SPD kam vorsichtiges Lob.

Damit ich nicht missverstanden werde: Ich behaupte natürlich nicht, dass es eine leichte Aufgabe wäre, Kitas, Kindergärten und Kindertagespflege zu öffnen. Jeder, der das behauptet, macht es sich in der Tat viel zu einfach. Das heißt aber, die FDP anerkennt, dass sich die Kultusministerin hinter das wichtige Ziel einer Kitaöffnung geklemmt hat; allerdings neh men wir bei dieser Anerkennung die Professionalität ihres Vor gehens ausdrücklich aus.

Was also hat Nordrhein-Westfalen besser gemacht als BadenWürttemberg? An Engagement lässt es unsere Kultusministe rin ja nicht mangeln. Der nicht minder engagierte Joachim Stamp aus Nordrhein-Westfalen hatte aber den Vorteil, sich nicht auch noch um die Öffnung der Schulen kümmern zu müssen. Also konnte er sich zusätzlich noch auf Bundesebe ne stark einbringen, den Vizevorsitz in der Arbeitsgruppe der Länderminister zur Kitaöffnung zu übernehmen und denjeni gen eine Stimme zu geben, die eine zügige Kitaöffnung für ein dringendes Gebot der Stunde halten.

Warum haben Sie, Frau Ministerin, sich nicht auf die Schul öffnung konzentriert und die Kitaöffnung z. B. Ihrem Staats sekretär überlassen? Denn die Bedeutung des Themas und die momentane Not von Familien und Kindern würden es durch aus rechtfertigen, damit jemanden in Vollzeit zu betrauen, und es hätte womöglich auch geholfen, Ihrem generell öffnungs scheuen grünen Koalitionspartner in dieser Frage mehr ent gegenzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Eltern nun schon vor Gericht ziehen, um die Öffnung der Kita zu erstreiten, dann ist das ein Ausdruck größter Verzweiflung.

(Beifall)

Denn nicht nur diejenigen Eltern, die Kinderbetreuung und Beruf vereinbaren müssen, sondern vor allem auch die Kin der, die bisweilen gänzlich auf den Kontakt zu anderen Kin dern verzichten müssen, sind immer dringender auf ein Be treuungsangebot angewiesen. Und dabei geht es natürlich nicht nur um die Betreuung, sondern Kinder haben ein Recht auf Bildung, dessen Einlösung gerade auch in Coronazeiten von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung der jun gen Menschen ist.

(Beifall)

Die FDP/DVP-Fraktion erhebt deshalb folgende neun Forde rungen:

Erstens: Das Kultusministerium muss sich als Motor der Kin derbetreuungsöffnung verstehen. Es muss den engen Schul terschluss mit den Kommunen und den freien Trägern suchen und sie vielfältig unterstützen, vor allem mit Rat und Tat, mit Best-Practice-Beispielen, mit Angeboten für Erfahrungsaus tausch. Das Konzept der Kultusministerin enthält vernünfti ge Elemente wie die Entscheidungsspielräume für die Träger oder die festen Kleingruppen. Es gilt nun aber, dieses Kon zept weiter mit Leben zu füllen und Vertrauen in die neuen Wege zu schaffen.

Zweitens gilt es, beim weiteren Öffnungsfahrplan für Kinder betreuung und Schule auch kinder- und jugendmedizinische Erkenntnisse zu berücksichtigen. Die Kinder- und Jugendärz te fordern in einer Stellungnahme, zunächst wissenschaftlich zu klären, ob Kinder und Jugendliche überhaupt epidemiolo

gisch relevante Überträger des Virus sind, und sie mahnen, abzuwägen zwischen möglichen epidemiologischen Auswir kungen einer Öffnungsstrategie einerseits und den erheblichen Risiken eines verlängerten Lockdowns für die gesunde kind liche Entwicklung andererseits. Nach Auffassung der FDP/ DVP-Fraktion gilt es, in die weitere Planung neben den Be funden zum Infektionsgeschehen auch die beiden schwerwie genden Einwände der Kinder- und Jugendmedizin mit einzu beziehen.

(Beifall – Zuruf: Das ist richtig!)

Drittens: Betreuungsangebote auch in den Ferien schaffen! Viele Eltern haben bereits jetzt Urlaub und Überstunden für die Betreuung ihrer Kinder während der Zeit der Coronapan demie eingesetzt; u. a. deshalb werden in den Sommerferien viele Familien auf eine Kinderbetreuung angewiesen sein. Dieser voraussichtlich höhere Bedarf muss bei den weiteren Planungen für die Öffnung der Kinderbetreuung berücksich tigt werden. Im Sommer dürfen nicht erneut Familien in Not situationen geraten.

(Beifall)

Viertens: Musik- und Kunstschulen sowie Bildungsangebote von Vereinen und Trägern für außerschulische Bildungsarbeit, wenn irgend möglich, wieder öffnen! Die Angebote zahlrei cher Träger außerschulischer Bildungsarbeit sind bislang nicht nutzbar, bzw. diese dürfen nur sehr eingeschränkt arbeiten. Sie konsequent anhand des Kriteriums Gesundheitsschutz wieder zu öffnen würde Kindern und Jugendlichen wichtige Orte der Bildung und Entwicklung zurückgeben.

Fünftens: Nachhilfeschulen wieder öffnen! Sie dürfen derzeit nur Schüler unterrichten, die vor Prüfungen stehen. Diese Ein schränkung ist nicht nachvollziehbar. Deshalb sollten auch die Nachhilfeschulen konsequent anhand des Kriteriums Gesund heitsschutz wieder geöffnet werden.

Sechstens: Ferienspiele und Sommercamps ermöglichen!

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Ferienspiele werden meist von Trägern außerhalb der Kinder tagesbetreuung – beispielsweise privaten Initiativen oder Ver einen – organisiert. Die Träger und Organisatoren planen längst und müssen sich bald entscheiden, ob sie ihre Ferien spiele stattfinden lassen können. Gleiches gilt auch für die Sommercamps. Hier gilt es, zügig Regelungen zu erarbeiten, bei deren Beachtung Ferienspiele und Sommercamps stattfin den können.

Siebtens: Für ausreichend Spielflächen sorgen! Nachdem die Spielplätze wieder geöffnet sind, gilt es aus unserer Sicht auch, eine Öffnung der noch geschlossenen Bolzplätze unter Einhaltung des Gesundheitsschutzes ins Auge zu fassen. Au ßerdem schlagen wir eine zügige Prüfung vor, inwieweit und unter welchen Bedingungen den Kommunen ermöglicht wer den kann, für Kinder zusätzliche Spielflächen auszuweisen.

Achtens: Räume für Bildung eröffnen! In geeigneten, derzeit geschlossenen Gebäuden sollen zusätzliche Lernräume ein gerichtet werden, in denen Schülerinnen und Schüler unter Einhaltung des Abstandsgebots arbeiten können. Die Kultus ministerin wird aufgefordert, deshalb auf die Kommunen zu zugehen und sie zu unterstützen.

Neuntens: Für eine Urlaubsperspektive sorgen! Der Jahresur laub dient nicht nur der Erholung, sondern spielt für die Zu sammengehörigkeit der Familie oft eine bedeutsame Rolle. Eine verantwortungsbewusste Öffnung im Bereich des Tou rismus wäre für viele Familien ein echter Hoffnungsschimmer am Ende einer schwierigen Zeit und muss von der Landesre gierung zeitnah ermöglicht werden.

(Zuruf)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Familien und Kinder ha ben in den letzten neun Wochen wahrlich viel auf sich genom men und einen entscheidenden Beitrag im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus geleistet. Dafür gebühren ihnen allen unser Dank und unsere Anerkennung. Eine Rückkehr zur Normalität ist für sie nicht nur dringend geboten, sondern sie haben sie auch wirklich verdient.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Nun erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Gedeon.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn ich a l l e s wissenschaft lich begründen will, dann bin ich nicht wissenschaftlich, son dern lächerlich. Das gilt auch für die Öffnungspolitik, die wir jetzt betreiben.

Wenn wir jetzt sagen, bis zum Alter von 16 Jahren wird so fort alles renormalisiert – wie man es in Schweden von An fang an gemacht hat –, dann ist das nicht wissenschaftlicher und nicht weniger wissenschaftlich als das, was wir jetzt ma chen.

Die Wissenschaft wird zur Phrase missbraucht. Letztlich geht es um politische Entscheidungen, hinter denen man sich ver steckt. Man schiebt irgendwelche Virologen vor. Wenn wir noch irgendjemanden in Quarantäne schicken sollten, dann diese Virologen, meine Damen und Herren – allen voran Herrn Drosten und Herrn Wieler, der nicht einmal Virologe ist, son dern Tierarzt.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Den Gates nicht vergessen!)

Herr Rülke, Sie haben viel Humor. Ich finde Ihren Humor immer toll, muss ich sagen – nur nebenbei bemerkt.

Vielleicht haben Sie heute Nacht Herrn Drosten im NDR ge hört. Es ist hanebüchen, was wir Politiker uns von Wissen schaftlern vorsetzen lassen. Herr Kretschmann, das, was ich mache, ist keine Beleidigung. Dafür muss man nicht einmal Arzt sein. Der Mann stellt sich hin und sagt: „Wir brauchen für die Impfstoffe Verstärker, Adjuvantien.“ Was ist das? Das sind Squalen, Aluminiumsalze und so etwas. Die Aluminium salze haben wir aus den Deodorants endlich raus.

(Zuruf)

Aber das Schärfste bei den Impfungen: Bestimmte Adjuvan tien kennen wir gar nicht. Die dürfen wir auch nicht kennen; das ist das Betriebsgeheimnis der Firmen. Das sagt der füh

rende Virologe in Deutschland. Die Zusammensetzung der Impfstoffe ist das Betriebsgeheimnis der Firmen. Wo sind wir denn? Das widerspricht allen Grundsätzen der Wissenschaft, meine Damen und Herren. Da geht es um Transparenz und Nachprüfbarkeit. Und da berufen die sich auf ein Betriebsge heimnis – heute Nacht, Herr Drosten im NDR.

(Zuruf)

Hören wir auf, diesen Glaskugellesern weiterhin zu gehor chen.

(Zuruf)

Machen wir endlich unsere selbstständige Politik, die heißt: Für alle bis zum Alter von 16 Jahren machen wir sofort alles wie vor dem 20. März. Bei den Älteren appellieren wir an die Vernunft und die Freiwilligkeit. Das klappt auch, siehe Schwe den.

Danke schön.

Für die Landesregierung er teile ich nun das Wort Frau Ministerin Dr. Eisenmann.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir uns heute über Familien und Kinder unter halten, ist, glaube ich, wichtig. Zu dem, was man allerdings heute alles gehört hat, kann ich nur sagen: Manche Familien bilder kenne ich aus dem Geschichtsbuch. Frau Baum, das war wirklich eine Zumutung.

(Beifall)

Aber es ist auch gut, wenn man mal Gelegenheit hat, sich das anzuhören.

Das Thema „Familien und Kinder“ ist es wert, dass wir uns damit befassen. Deshalb hätte ich mir eigentlich gewünscht, dass wir uns konkreter mit der Frage befassen, was wir tat sächlich tun können und wo es vielleicht Ansätze gibt.

Herr Kern, Sie haben die Öffnung von weiteren Angeboten angesprochen. Das halte ich für richtig. Das sind auch die nächsten Schritte. Sie haben Beispiele genannt wie die voll umfängliche Öffnung von Musikschulen, Sie haben Nachhil feinstitute genannt. Das ist, glaube ich, der nächste Schritt, den wir uns zutrauen müssen. Allerdings haben wir ein grund sätzliches Diskussionsthema. Es ist mir nicht ganz deutlich geworden – Herr Born, auch bei Ihnen nicht –: Will die SPD jetzt für alle öffnen?

(Zuruf von der SPD: 100 %!)