Protokoll der Sitzung vom 20.05.2020

(Beifall)

Unter anderen Umständen wäre das ein Spaß für die Opposi tion, unter den heutigen Umständen ist es schlicht traurig.

Herr Ministerpräsident, dieser Kleinkrieg in der Regierung, dieser Wahlkampf zur Unzeit hat etwas damit zu tun, dass in dieser Regierung derzeit keine Führung erkennbar ist.

(Zuruf: Genau!)

Es ist offensichtlich, dass die CDU mit aller Macht immer mehr Lockerungen fordert, und es ist ebenso offensichtlich, dass Sie, Herr Ministerpräsident, sich gegen viele dieser Lo ckerungen sträuben. Sie mögen dafür einige gute Argumente haben. Für viele Lockerungen gibt es aber eben auch gute Ar gumente. Man könnte darüber reden, sich einigen, eine ge meinsame Marschrichtung beschließen. Das tut man aber of fensichtlich nicht.

Stattdessen protestiert die Regierung gegen sich selbst. Die Lockerer protestieren gegen die Vorsichtigen und die Vorsich tigen gegen die Öffnungen. Sie, Herr Ministerpräsident, ma chen dabei den Eindruck, als hätten Sie sich im Frust zurück gezogen. Sie können die Lockerungen nicht verhindern, wol len aber eigentlich nichts damit zu tun haben. Der Effekt ist der Eindruck von Führungslosigkeit. Denn Politik macht man, wenn man am Steuer steht, und nicht, wenn man in der Schmoll ecke sitzt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall)

Der Effekt ist schlimm und ruft mehr und mehr Kritik hervor. Ich muss Ihnen nicht erzählen, was Kommunen und Behör den vor Ort sagen, wie sie sich alleingelassen fühlen, weil man sich eben in der Regierung nicht einig wird, keinen Plan ent wickelt. Es wird nicht geregelt, was die nächsten Schritte sind. So kann es unter normalen Umständen nicht gehen, und un ter den Umständen der Krise, meine sehr geehrten Damen und Herren, darf es auf diese Weise nicht gehen. Ihre Verantwor tung ist, dieses Land zu regieren, und nicht, sich in aller Öf fentlichkeit zu streiten und zu zerlegen.

Herzlichen Dank, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall)

Vielen Dank. – Für die AfDFraktion erteile ich das Wort Herrn Fraktionsvorsitzenden Gö gel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst noch einmal auf die Kul tusministerin eingehen. Mir hat das Loriot-Zitat – sie ist jetzt leider nicht mehr hier – sehr gut gefallen. Ich bedaure, dass die Intelligenz der Regierenden nicht ausreicht, um die Prob leme zu lösen, und ich bin froh, dass meine ausreicht, um die Versäumnisse anzuprangern.

(Beifall – Zurufe, u. a. Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Was zu beweisen wäre!)

Die wesentlichen Probleme dieses Landes und der Regieren den in dieser Pandemie, in dieser herbeigeredeten Krise, lie gen eigentlich in vier Verben, die mit V beginnen: verschla fen, versäumt, verschuldet und versagt.

(Beifall)

Das sind vier Hauptverben, mit denen man das Regierungs handeln in Berlin und in Stuttgart in dieser Pandemie beschrei ben kann. Darüber wollen wir heute als Erstes debattieren, nicht über Verordnungen, die überhaupt von der falschen Sei te her diskutiert werden. Es ist nicht die Frage, wann die Ver ordnung erstellt sein kann, sondern die Frage ist, wann das Kabinett Beschlüsse fasst und zu welchem Termin diese Lo ckerungen dann stattfinden. Wenn dies rechtzeitig geschieht, dann haben die Beamten ausreichend Zeit, diese Verordnun gen rechtssicher zu formulieren. Ich glaube, das ist sicher kein Thema, über das man eine Debatte führen muss.

Das Thema, über das wir eine Debatte führen müssen, ist: Sind Verordnungen überhaupt legitim? Wir sagen, sie sind nicht le gitim. In Niedersachsen werden jetzt auch die Kollegen von Herrn Schwarz, die Grünen, zusammen mit der FDP eine Ver fassungsklage einreichen.

(Zuruf: Das ist eh alles das Gleiche!)

(Vereinzelt Heiterkeit)

Das muss man sehen. Hier sind die Auffassungen in unserem Land sehr unterschiedlich.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Jetzt gehe ich!)

Seit Monaten wird dieses Land mit Corona-Verordnungen re giert, obwohl seit acht Jahren ein Pandemieplan auf dem Tisch der Regierenden liegt, der Risikoanalysen und Handlungswei sen beschreibt sowie Schutzmaßnahmen festlegt – Punkt für Punkt, Kapitel für Kapitel. Bei aller Kurzsichtigkeit der Re gierenden hätte dieser Plan von Anfang an Bedeutung erlan gen müssen, meine Damen und Herren. Das hat er nicht ge tan. Das ist das wesentliche Versäumnis, das man Ihnen und Ihren Kollegen in Berlin vorhalten muss. Es hätte einfach ge nügt, dieses Papier unter die Lupe zu nehmen.

(Beifall)

Der Lockdown wäre nicht notwendig gewesen. Das wissen wir heute.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Und was ha ben Sie gefordert? – Weitere Zurufe)

Dieser Lockdown wäre nicht notwendig gewesen. Es wäre nicht notwendig gewesen, dass Sie das soziale und wirtschaft liche Leben in diesem Land gen null fahren.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Und was ha ben Sie gefordert?)

Sie haben andere Möglichkeiten gehabt. Sie haben dem RKI vertraut. Dem RKI vertrauen Sie noch heute. Das RKI ist si cher ein seriöses Institut, aber das RKI hat keine belastbaren Zahlen und Daten.

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD)

Bei einem Anteil von Infizierten in der Bevölkerung von 0,2 Promille haben Sie den Lockdown veranlasst,

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Und was ha ben sie gefordert?)

haben Sie – zwangsweise – die Wirtschaft auf null herunter gefahren. Sie haben den Bürgern ihre Bürgerrechte und Grund rechte entzogen,

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Und Sie ha ben Ausgangssperren gefordert! Das haben Sie ver drängt!)

haben Berufsverbote erteilt an einem Punkt, an dem Sie wuss ten, dass der R-Faktor bereits 1,0 unterschritten hatte.

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Haben Sie Aus gangssperren gefordert oder nicht?)

Sie haben am 31. Dezember 2019, als das Frühwarnsystem ProMED eine Lungenkrankheit aus Wuhan gemeldet hat, die se Nachricht beiseitegeschoben. Das hat Sie überhaupt nicht interessiert.

(Zurufe)

Sie wussten Ende Dezember über die Daten exakt Bescheid.

Warum haben Sie da eigentlich gelassen reagiert? Die Aussa gen vom Gesundheitsminister und von anderen Verantwortli chen waren: „Wir sind gut gerüstet, wir sind gut vorbereitet. Wir haben auch Pandemiepläne. Wir sind voll ausgestattet. Es gibt keinen Grund, sich über irgendetwas Sorgen zu machen.“ Diese Aussagen haben Sie alle im besten Wissen getroffen, dass in diesem Land das Schutzmaterial für Kliniken und für Pflegeeinrichtungen nicht in ausreichender Zahl zur Verfü gung stand. Solche Aussagen und Stellungnahmen bezeichne ich als unverantwortlich.

Ende Januar traten dann die ersten Fälle in Deutschland auf. Das spielte für Sie noch immer keine bzw. eine völlig unter geordnete Rolle. Der Gesundheitswissenschaftler Professor Gerd Glaeske von der Uni Bremen hielt Ihr Verhalten für ein unverantwortliches Versäumnis, weil Sie auf den Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz nicht ausreichend re agiert haben. Zum damaligen Zeitpunkt hätten Sie die ersten Vorkehrungen treffen müssen.

Das zu Ihrer Kritik: Natürlich haben wir das gefordert. Wir haben das rechtzeitig gefordert. Wir wären heute schon alle über das Thema hinweg. Wir hätten nicht nur den Berg über wunden, sondern wir würden uns in einem Anstieg des wirt schaftlichen und sozialen Lebens befinden.

(Beifall)

Das ist die Grundkritik am Handeln der Regierung.

Noch am 12. Februar sagte Bundesgesundheitsminister Spahn, dass die Pandemiegefahr eine „zurzeit irreale Vorstellung“ wä re.

(Abg. Anton Baron AfD: Versager!)

Mit dieser Aussage konnten sich Hotspots im Fasching und beim Après-Ski überhaupt erst entwickeln.

Meine Damen und Herren, 78 Tage haben die Regierenden gebraucht, um überhaupt auf die Pandemie zu reagieren, 78 Tage sind verstrichen seit der ersten Meldung des Frühwarn systems ProMED, und in diesen 78 Tagen wurde von den Han delnden nichts unternommen.

(Abg. Anton Baron AfD: Beschwichtiger!)

Dann kam dieser ominöse Lockdown bei einem R-Faktor von 1,0 Mitte März. Da wäre es nicht mehr notwendig gewesen,

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Genau da haben Sie es gefordert!)