Protokoll der Sitzung vom 20.05.2020

Jedenfalls kann man dieses Verwaltungshandeln natürlich un terschiedlich bewerten. Viel wichtiger ist aber doch die Fra ge: Was ist das richtige Kriterium? Woran muss man Veröf fentlichungen von Verordnungen in einer Pandemie messen?

Ich finde, wir haben klare Kriterien: Ist es gut gelungen, die Bevölkerung an Leib und Leben zu schützen? Haben wir das Gesundheitssystem gut aufgestellt? Konnten wir wirtschaft

liche und gesellschaftliche Schäden eindämmen? Nicht zu letzt: Haben wir dafür auch die Zustimmung der Bevölkerung?

Meine Damen und Herren, denken Sie doch einmal an die Si tuation vor einigen Wochen zurück. Wir waren tief besorgt, wir sahen die schrecklichen Bilder aus New York, aus Nord italien, aus dem benachbarten Elsass. Bei uns stieg die Zahl der Infizierten auch exponentiell. Wir waren besonders betrof fen, durch die Skiheimkehrer aus Risikogebieten und wegen eines Coronahotspots in Grand Est, bei unseren französischen Freunden. Aber den schlimmen Verlauf der Pandemie, den es in vielen Ländern der Welt gab, konnten wir bei uns bislang abwenden. Heute haben wir knapp 2 200 gemeldete akut In fizierte; Anfang April waren es noch mehr als sechs Mal so viele, und die Zahl der Neuinfektionen lag gestern bei 65 Fäl len. Das zeigt: Das Krisenmanagement war erfolgreich.

(Beifall)

Herr Ministerpräsident, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Schweickert und danach eine von Herrn Abg. Rottmann zu?

Herr Ministerpräsi dent, vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage. – Zum Stichwort Chaos: Zugegebenermaßen ist die Lockerung schwie riger als das Schließen. Da gebe ich Ihnen recht. Das hängt aber natürlich auch damit zusammen, welche Signale man sendet.

Jetzt habe ich von Signalen aus dem Staatsministerium bezüg lich der Größe von Veranstaltungen gehört. Gerade wenn man mit Gastronomen redet und darüber spricht, wie es weiterge hen soll, geht es immer auch um die Frage: Was ist eigentlich eine Veranstaltung? Wenn mehr als zwei Hausstände zusam men sind, ist das ja eine Veranstaltung, und die wird im Mo ment unabhängig davon, ob das jetzt zehn Personen oder 1 000 Personen sind, gleich bewertet.

Sie werden nicht darum herumkommen, das Thema Veran staltungen/Veranstaltungsgrößen zu definieren. Jetzt hört man die Zahlen 100 ab Juni und 500 ab Juli. Wenn man möchte, dass es kein Chaos gibt, sollte man solche Themen rechtzei tig klar regeln und sagen, wie man das dann machen möchte.

Wenn Sie also sagen, man müsse so etwas rechtzeitig machen, dann bitte ich Sie: Nehmen Sie bitte auch einmal Stellung da zu, wie man in Baden-Württemberg in Zukunft mit Veranstal tungen umgehen möchte.

Das überlegen wir gerade, Herr Abgeordneter.

(Zurufe, u. a. Abg. Anton Baron AfD: Ja, ja! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Und Sie kommen damit dann am 31. Mai! – Gegenruf des Abg. Anton Baron AfD: Genau!)

Dazu ist eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden; darin sind Be amte aus den verschiedenen Häusern tätig, die das jetzt ge wichten und werten sollen. Das ist jetzt leider an die Öffent lichkeit geraten. Das erzeugt natürlich sofort Verwirrung. Denn das ist ja alles nicht beschlossen.

Es ist aber das normale Vorgehen in der Verwaltung, dass man zunächst einmal auf Arbeitsebene eine Arbeitsgruppe einsetzt, die das berät und Vorschläge macht. Damit muss sich dann die politische Führung befassen und Entscheidungen treffen. Das werden wir machen. Das ist allerdings ein sehr komple xer Vorgang.

(Zuruf)

Warum ist das so? Erstens wissen wir schon aus Erfahrung, dass Großveranstaltungen zu den gefährlichsten Infektions herden gehören können. Also muss man damit sorgfältig um gehen.

Jetzt hat die Ministerpräsidentenkonferenz klar gesagt, dass Großveranstaltungen bis Ende August verboten sind, und hat diese enumerativ aufgeführt: Volksfeste, Kirmes usw.

Jetzt ist natürlich die Frage aufgetaucht: Ab wann ist eine Großveranstaltung eine Großveranstaltung? Das ist infektio logisch ein großes Problem. Wenn man das macht, muss das plausibel sein, damit es auch handelbar ist.

Ich will es einmal so sagen: Eine erste Zahl haben wir, als es um die Kirchen ging, schon genannt. Bei den Kirchen haben wir als Höchstwert im Freien die Zahl 100 genannt. Das ist eine Zahl, die auch mir vorschwebt.

(Zuruf)

Aber das gilt nicht generell. Schauen Sie: Es ist ein Unter schied, ob Sie einen Parteitag bzw. eine Delegiertenversamm lung machen – sagen wir, zur Aufstellung von Kandidaten –, wo Sie wissen, wie viele Personen kommen und wer kommt und welche Räumlichkeiten benötigt werden, oder ob Sie ein Feuerwehrfest organisieren, bei dem man eben nicht weiß, wer da kommt.

Sie sehen also: Allein mit einer Zahl kommen Sie da nicht weiter. Das hängt von den Gegebenheiten und den Umstän den ab. Das ist unter Infektionsschutzgesichtspunkten nicht einfach zu machen. Das muss man sehr, sehr sorgfältig abwä gen. Denn natürlich denken jetzt alle – die Zahlen habe ich Ihnen genannt –: Aha, es ist vorbei.

(Zurufe, u. a. Abg. Anton Baron AfD: Der Veranstal ter weiß es doch!)

Aber es ist lediglich die Wahrscheinlichkeit geringer, sich an zustecken. Die Gefahr selbst ist nicht geringer; sie ist genau gleich. Das Virus hat sich hinsichtlich seiner Ansteckungsge fahr nicht verändert. Also müssen wir doch aufpassen, dass nicht neue Infektionsherde entstehen, die eine zweite Welle auslösen würden – mit katastrophalen Folgen für die Gesell schaft und die Wirtschaft.

(Zurufe, u. a. Abg. Anton Baron AfD: Aber die Men schen wissen jetzt doch, dass sie Abstand halten müs sen!)

Deswegen, Herr Abgeordneter, prüfen wir das sehr sorgfältig. Wir werden aber hoffentlich noch vor Pfingsten zu einem Er gebnis dazu kommen, wie der Fahrplan dann aussieht.

(Zuruf: „Hoffentlich“!)

Aber Sie müssen einfach verstehen, dass ich solche Fragen sehr gründlich und vorsichtig angehe.

(Beifall)

Herr Ministerpräsident, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Rottmann zu?

Herr Ministerpräsident, vielen Dank. – Sie sprachen vorhin von einer Zustimmung der Be völkerung zu den aktuellen Maßnahmen. Wie erklären Sie sich dann die Demonstrationen? Wie erklären Sie sich, dass Tausen de auf die Straße gehen und sehr sachlich, sehr friedlich für Grundrechte demonstrieren? Es waren in Stuttgart Tausende; es waren in Ulm Hunderte. Ich selbst war mit dabei.

Wie erklären Sie sich das?

Das ist halt der Teil, der dem nicht zustimmt.

(Lebhafte Heiterkeit – Beifall)

Ich will es noch einmal sagen: Das Ganze zeigt auch die Qua lität unseres Gesundheitssystems. Wir haben in dieser Krise gemerkt, dass unser Gesundheitssystem zu den besten der Welt gehört. Innerhalb von nur zwei Monaten haben wir die Zahl der Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit um 50 % erhöht, nämlich von 2 200 auf 3 300. Auch die Zahl sonstiger Intensivbetten wurde in der gleichen Größenordnung erhöht. Wir haben ein landesweites System zur Verteilung der zu be atmenden Patienten an den Start gebracht, und wir haben al len extrem schwierigen Voraussetzungen zum Trotz für Schutz ausrüstungen gesorgt. Jetzt haben wir im Kabinett als eine der ersten Konsequenzen der Krise beschlossen, dass wir uns da bei nicht mehr so abhängig vom Ausland machen sollten. Wir haben also auch in der Krise schon erste Maßnahmen ergrif fen, damit dies in Zukunft besser gehandelt werden kann.

Wir haben auch unsere Testkapazität stark ausgebaut, sodass inzwischen bis zu 160 000 Tests pro Woche durchgeführt wer den können. Damit haben wir eine bundesweit einmalige Test strategie aufgelegt, mit der auch asymptomatische Personen umfasst werden. Die Kosten übernimmt das Land. Wir stel len zudem 3 000 Personen ein, die die Gesundheitsämter bei der Nachverfolgung unterstützen. Auf diese Weise können lo kale Nachverfolgungen besser vonstattengehen und kann die Pandemie besser eingedämmt werden.

Herr Ministerpräsident, es gibt eine weitere Zwischenfrage, und zwar von Herrn Abg. Wein mann. Lassen Sie diese zu?

Herr Ministerpräsident, vielen Dank. – Wir hatten vorhin gerade über die Zwei-Haus halte-Regelung gesprochen. Ich habe heute Morgen in der „Heilbronner Stimme“ gelesen, dass der Sprecher der dorti gen Polizeidirektion in Bezug auf den morgigen Vatertag ge sagt hat, dass es für die Polizei nicht mehr möglich sei, die Haushaltszugehörigkeit jeweils zu überprüfen. Wenn eine sol che Überprüfung aber nicht mehr möglich ist, dann kann die se Verordnung doch nicht mehr rechtskonform sein, oder?

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich kenne den Vorgang selbst nicht und kann dies nicht bewerten. Ich liefere Ihnen die Antwort gern nach; das muss ich aber zunächst mit dem Innenminister besprechen.

Ich denke, es ist von tragender Bedeutung gewesen, dass wir unser Gesundheitssystem nicht überlasten dürfen. Da kann doch von Chaos überhaupt keine Rede sein.

Zu dem, was Sie jetzt angemahnt haben, der Frage, was jetzt geschieht: Wir haben ja jetzt ein neues Regime. Es geht jetzt mit dem Notfallplan, den wir gemacht haben, sozusagen her unter auf die Landkreise: Die Zahl von 50 Neuinfizierten pro 100 000 Einwohner, kumuliert in sieben Tagen, löst sozusa gen die Alarmstufe Rot aus, 35 Neuinfizierte führen zur Alarm stufe Gelb. Dies haben wir so festgelegt, damit wir dort ad äquat handeln können. Das heißt, jetzt wird lokal reagiert. Das können wir, glaube ich, aufgrund der Infektionszahlen verant worten. Wir haben auch die Grundlagen geschaffen, dass lo kal ein Containment erfolgen kann. Das ist mit den Landkrei sen besprochen. Ich kann Ihre Kritik nicht nachvollziehen, zu mal die Landkreise an den Lenkungskreis angedockt sind. Ich glaube, so, wie wir das gemacht haben, ist das ganz vorbild lich.

Wenn Sie gesagt haben, es liege gar kein Handlungsleitfaden vor, so stimmt das einfach nicht. Es gibt einen Handlungsleit faden. Dieser ist Ihnen gestern Abend übermittelt worden. Er liegt also vor.

Ich habe heute mit dem Innenminister und dem Sozialminis ter besprochen, dass wir noch vor Pfingsten eine Landrätekon ferenz per Videokonferenz durchführen, in der wir die ganzen Fragen noch einmal besprechen, sodass klar ist, dass alle gut aufgestellt sind.

Auf die Landräte und Oberbürgermeister der kreisfreien Städ te kommt eine große Verantwortung zu.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Ich denke, auch hier geht dieser Vorwurf ins Leere. Von Cha os kann überhaupt keine Rede sein. Es ist gut vorbereitet, gut eingeleitet. Die Kabinettsvorlage ist in der letzten Kabinetts sitzung beschlossen und zusammen mit den Landkreisen be sprochen worden. Das ist ordentliches, gutes Regierungshan deln.

(Beifall)

Nun zu den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Dabei muss ich zunächst noch einmal betonen: Nicht unsere Maß nahmen sind der Grund für die schlimmen wirtschaftlichen Folgen, sondern die Pandemie selbst. Wer das nicht glaubt, sollte sich einmal den Zustand der Wirtschaft in anderen Län dern anschauen, die keine oder nur unzureichende medizini sche Maßnahmen ergriffen haben. Dort ist der Zustand der Wirtschaft sehr viel schlimmer.