Wir müssen doch sehen, dass wir genau diese Verrohungsten denzen, die Sie auch angesprochen haben, in den sozialen Me dien, die wir nicht als solche diskreditieren, aber deren Ver wendung – – Beim Setzen von Grenzen müssen wir einfach aktiver sein. Da müssen wir auch Farbe bekennen.
Der Dauererregung, der Aggression, der Gewalt, der Ressen timents, die Hass und Hetze immer wieder multiplizieren, müssen wir auch das Gegenmodell entgegensetzen. Unser achtsames Miteinander ist für uns alle doch die erfolgreiche re Form. Dabei können wir angenehm und wertschätzend mit einander zusammenleben und umgehen.
Sie haben ja die Zitate gebracht. Die Dauerattacken von Tei len Ihrer Fraktion auf unsere geschätzte Präsidentin haben suggeriert, weil sie Wurzeln hat, die eben nicht in Bempflin gen liegen, sondern wie bei vielen von uns irgendwo anders auf der Welt, hätte dies etwas mit ihrer Leistung als Bürgerin dieses Landes zu tun. Das ist doch genau dieser permanente Versuch, einfache Stereotypen zu verwenden, Leute zu Sün denböcken für eine Politik zu machen, die ausgrenzen will, die einfache Lösungen in komplexen Zeiten sucht. Und da müssen wir sagen: Da dulden wir gar nichts – und schon gar nicht Alltagsrassismus.
Ich sage Ihnen: Wenn der Gauland Boateng nicht als Nach barn haben will oder Ihr Parteifreund Maier Noah Becker als „kleinen Halbneger“ bezeichnet, dann wird es in der Tat dunk ler und kälter in diesem Land. Das dürfen wir nicht zulassen.
Denn dieser Alltagsrassismus darf sich nicht wie ein Gift in unsere Gesellschaft einschleichen und darf sich nicht weiter verbreiten.
Glauben Sie mir, meine Damen und Herren: Als Vater von zwei dunkelhäutigen Kindern weiß ich, wovon wir sprechen. Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA hat mein Sohn – einige von Ihnen wissen es: meine Kinder sind ursprünglich aus Haiti – zunächst Bekannte und Freun de gefragt, wie sie Rassismus in Deutschland erleben. Daraus ist mittlerweile ein viel beachtetes Instagram-Projekt gewor
den, ein Projekt, das aufzeigt, wie der Alltag von farbigen Menschen und anderen Menschen in unserem Land aussieht. Das sind traurige, unfassbare Geschichten, die sich da häufen. Lassen Sie mich nur ganz wenige Beispiele zitieren. Die Sei te heißt im Übrigen: „Was ihr nicht seht!“
Ich bin zwölf und laufe mit meiner Mutter in einen Fri seursalon. Eine Friseurin blickt nur kurz von ihrer Arbeit auf, sieht mich und sagt: „So etwas schneiden wir hier nicht.“
Bei einem Schulausflug werde ich von einem Mann ange rempelt. Statt sich zu entschuldigen, dreht sich der Mann um und sagt: „Oh, das war ja nur ein Schwarzer.“
Ich war abends mit Freunden aus, und neben uns saßen vier junge Leute, darunter ein Mädchen, das ihren I-Pod verloren hatte. Schnell stand ich unter Verdacht und wur de mit den Worten „Schwarze N... klauen immer“ be schuldigt.
Meine Damen und Herren, dass so etwas in unserem weltof fenen und vielfältigen Land im 21. Jahrhundert, mitten im Herzen Europas, geschieht, muss uns fassungslos machen. Dass Menschen keine Wohnung oder keinen Job finden, weil ihr Name fremd klingt, das darf nicht sein.
Wir müssen uns fragen, warum dieser Rassismus im Alltag immer stärker sichtbar wird. Menschen schlagen zu, verbal oder mit roher Gewalt, weil sie merken, dass sie mit ihrer Hal tung nicht allein sind und dafür am Ende noch Beifall oder gar zustimmendes Gejohle bekommen. In den sozialen Medi en werden dann einzelne Personen oder Gruppen – wie gera de gehört – zu Sündenböcken erklärt und an den Pranger ge stellt. Wie Fakt, Fake und Fiktion heillos durcheinandergera ten und einfache Lösungen für komplizierte Herausforderun gen produziert werden, zeigt sich dort.
Ja, meine Damen und Herren, wir dürfen nicht zulassen, dass sich solches Gedankengut weiter verbreitet. Darum ist eine Debatte, die sich auch um die Frage dreht, wie wir damit um gehen, derzeit sehr wichtig.
Ich zitiere ebenfalls eine Berühmtheit, nämlich Nelson Man dela – ich glaube, Herr Mandela wusste, was Rassismus ist –:
Deshalb gehört dies heute auch in den politischen Raum; wir sind Vorbilder, und wir müssen das vorleben. Dabei dürfen wir es natürlich nicht bei moralischer Empörung gegenüber Rassisten und auch gegenüber Antisemiten belassen. Denn auch das muss man an dieser Stelle im selben Atemzug be nennen: Das Wiederaufflammen des Antisemitismus bedeutet dasselbe grausame Gift; auch hiergegen müssen wir uns ganz intensiv wenden. Beides gehört zusammen.
Kollege Binder, in Anlehnung an das Zitat von Herrn Stein meier – es steht selbstverständlich auch in meinem Redema
nuskript – sage ich: Wir dürfen es eben nicht bei einer mora lischen Empörung belassen, sondern wir müssen aufstehen und handeln. Dabei müssen wir entschlossen handeln, und wir müssen im Kampf gegen Rassismus, gegen Hass und Gewalt – gegen dieses Dreieck der so unsäglich miteinander verbun denen Komponenten – noch mehr bewegen.
Ich bedanke mich, meine Damen und Herren, bei Ihnen, den demokratischen Fraktionen. Bereits unter der Vorgängerregie rung haben wir am Thema gearbeitet. Wir haben im Jahr 2018 – Kollege Lede Abal war jemand, der das sehr stark betrieben hat – die Antidiskriminierungsstelle des Landes im Ministe rium eingerichtet. Danke auch noch einmal für die Mittel, die Sie uns hierfür bereitgestellt haben. Diese Stelle ist die erste Anlaufstelle für Betroffene, und sie informiert darüber, wel che lokalen Beratungsstellen helfen. Gleichzeitig informiert und sensibilisiert sie die Menschen im Land in Bezug auf das Thema „Rassismus und Diskriminierung“.
An unsere Antidiskriminierungsstelle wenden sich Menschen, denen in Diskotheken wegen ihres Migrationshintergrunds der Eintritt verwehrt wird, die wegen ihres Namens keinen Job oder keine Wohnung finden oder die Opfer von Racial Profi ling werden.
Wie bundesweit, so sind auch hier in Baden-Württemberg im mer mehr Vorfälle explizit rassistisch motiviert. Im Vergleich zum Durchschnitt des Vorjahrs hat sich die Zahl der Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern zum Diskriminierungsgrund Rassismus seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA mehr als versechsfacht. Aber diese Zahl lässt keine wirklichen Rückschlüsse auf die Menge der tatsächlich erfolg ten Diskriminierungen zu. Die Bertelsmann Stiftung hat 2018 in ihrem Bericht aufgezeigt, dass nur ein Bruchteil der Dis kriminierungen bei offiziellen Beschwerdestellen gemeldet oder gar von Gerichten behandelt werden. Umso wichtiger ist es, dass unsere Beratungsstellen aus dieser Dunkelziffer eine Hellziffer machen. Denn mit jedem Punkt, den wir öffentlich diskutieren, leisten wir einen Beitrag und stellen klar, dass wir uns dagegen verwahren und dagegen auch Politik machen.
Wir sind sehr stolz, dass wir acht lokale Beratungsstellen und eine überregionale Beratungsstelle haben, dass wir ein flä chendeckendes Netz haben. Sie beraten, unterstützen und be gleiten die Menschen vor Ort, helfen den Betroffenen, auch ihr Recht zu finden, so, wie es beispielsweise die lokale Be ratungsstelle adis in Reutlingen getan hat, als ein dunkelhäu tiger Mann vor drei Jahren in einem Drogeriemarkt ohne er sichtlichen Grund von einem Ladendetektiv nach dem Aus weis gefragt wurde. Der Mann widersetzte sich und bekam mit Unterstützung der Beratungsstelle recht.
Wir setzen vor allem auf Prävention, auf Information, damit man keinerlei Ressentiments aufbaut. Wir fördern – Frau Hu ber hat es genannt – „Schule ohne Rassismus“, das Netzwerk für Demokratie und Courage. Wenn Sie sich das anschauen, stellen Sie fest, dass das sehr engagierte Projekte sind. Wir fördern gemeinsam mit dem Innenministerium das Demokra tiezentrum Baden-Württemberg, das sich um die Extremis musprävention, um präventive Bildungsarbeit, um Menschen rechtsbildung kümmert.
Meine Damen und Herren, ich bin Ihnen als zuständiger Res sortminister, aber auch als Bürger und Vater sehr dankbar, dass wir heute in diesem Parlament über dieses Thema diskutieren.
Ich glaube, mehr denn je gilt: Das ist das Allerwichtigste. Wir haben auf allen Ebenen eine wunderbare, freiheitliche Demo kratie, eine soziale Demokratie, eine Teilhabedemokratie zu verteidigen. Es ist gerade der Vielfältigkeit dieser Gesellschaft zu verdanken, dass wir auch wirtschaftlich so erfolgreich sind, wenn 57 % der Einwohner der Landeshauptstadt Wurzeln ha ben, die überall sind, und die Landeshauptstadt heute so gut dasteht.
Wenn Sie im Übrigen sehen – das ist auch heute in der „Stutt garter Zeitung“ zu lesen –, welch gute Arbeit Stuttgart im in terkulturellen Bereich leistet, an der Sie, Frau Präsidentin, auch seit vielen Jahren beteiligt sind, und wenn Sie gleichzei tig heute lesen, dass der Integrationsbeauftragte gesagt hat, dass es zu einer neuen Herausforderung komme, dann ist klar, dass wir die Einzigen sind, die das auch wirklich schaffen wer den, weil wir einen klaren Wertekompass haben.
Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel zur Polizei – der Kollege Strobl kommt gerade wieder –: Mein Sohn hat in Stuttgart und Berlin studiert. Als er in Berlin einmal seine Wohnung verlas sen hat, wurde er von der Polizei auf einmal freundlich ein gekastelt. Er hat sich gedacht: „Ich werde kontrolliert.“ Nein, er wurde vielmehr geschützt, weil sich gerade zwei rechtsra dikale Fanklubs von Dynamo und Union verklopfen wollten und die Polizei gesehen hat, dass da ein Dunkelhäutiger läuft, den sie nicht zu den Nazifans gehen lassen konnten.
Das war Polizeiarbeit, meine Damen und Herren. Wir haben auch erlebt, dass unsere Polizei Flüchtlingsunterkünfte ge schützt hat, als der Mob gegen Geflüchtete vorgegangen ist. Auch das ist ein wichtiger Teil dieses Selbstverständnisses.
Wir müssen uns tatsächlich alle immer wieder ein bisschen an die eigene Nase fassen. Natürlich geht es auch darum, das ei gene Handeln immer ein bisschen zu hinterfragen, unsere ei genen Stereotype immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Und ja, lieber Herr Binder, Sie haben das Zitat stibitzt – –
Rassismus erfordert Gegenposition, Gegenrede, Handeln, Kritik und – was immer am schwierigsten ist – Selbstkri tik, Selbstüberprüfung. Antirassismus muss gelernt, ge übt, vor allen Dingen aber gelebt...
und vorgelebt werden. Wir, der demokratische Teil dieses Par laments, sind dafür die besten Vorbilder.