Protokoll der Sitzung vom 22.07.2020

(Zurufe)

die speziell gegen das Singen und das Musizieren getroffen werden. Das erwarte ich jetzt von Ihnen, meine Damen und Herren. Bitte schön. Das ist mein Geschäftsordnungsantrag.

(Zurufe, u. a.: Das ist doch gar nicht zulässig! – Das ist doch kein Geschäftsordnungsantrag!)

Vielen Dank, Herr Abg. Dr. Gedeon. Schauen Sie einfach in die Geschäftsordnung: Sol

che Anträge sind in einer Aktuellen Debatte nicht zulässig. Deshalb gibt es hierüber nun auch keine Abstimmung.

(Zurufe, u. a. Abg. Dr. Wolfgang Gedeon [fraktions los]: Das haben wir doch jetzt mehrfach schon ge macht! Wir dürfen nicht singen, weil die Geschäfts ordnung des Landtags dagegen ist! Bravo! Wir soll ten jetzt eigentlich singen, Frau Präsidentin! – Ge genruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Lieber nicht! – Unruhe)

Für die Landesregierung erteile ich das Wort Frau Ministerin Dr. Eisenmann.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde meine Rede in zwei Teile untergliedern.

Der erste Teil widmet sich dem, was ja auch heute das zent rale Thema war: die Bedeutung der Musik und des Musizie rens für Schulen.

Zunächst zum Normalfall: Selbstverständlich ist Musik für das Musikland Baden-Württemberg – Herr Becker hat es be reits angesprochen – ein ganz entscheidendes Element. Mu sik machen, Singen, Musikunterricht oder Sportunterricht sind daher elementare Bestandteile unseres Bildungswesens. Das war so, und das muss auch so bleiben. Dass wir über Musik, gerade auch über frühzeitiges Singen in den Grundschulen oder sogar schon in den Kitas bei Kindern viel erreichen – das gilt übrigens auch für Malen, Zeichnen, für das Halten von Stiften –, ist, glaube ich, völlig unbestritten. Da muss man sich auch gar nicht auf Professor Spitzer von der Uni Ulm bezie hen; das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand.

Deshalb ist es richtig – das war auch immer Tradition im Bil dungssystem Baden-Württembergs –, dass wir auf diese so genannten weichen Kompetenzen – die ich gar nicht als weich bezeichnen würde – großen Wert gelegt haben und dass dies auch bei der Bildungsplanreform 2016 eine große Rolle ge spielt hat. Baden-Württemberg steht dabei auch im Vergleich der Bundesländer, wie ich finde, sehr gut da.

(Zuruf)

Das Problem ist jetzt aber, dass wir nicht von normalen Zei ten reden. Ich habe bei manchem Vorredner bzw. mancher Vorrednerin den Hinweis auf die Tatsache vermisst, dass wir in einer Pandemie leben und dass wir ab Herbst wieder weit gehend normalen Schulunterricht, Präsenzunterricht unter Pandemiebedingungen ermöglichen möchten. Es muss doch unser gemeinsames Ziel sein, in Baden-Württemberg wie auch in ganz Deutschland eine zweite Welle von Corona-Infektio nen zu verhindern und damit auch zu verhindern, dass Schul standorte aufgrund des Infektionsgeschehens durch die Ge sundheitsämter geschlossen werden müssen. Das steht zu nächst einmal über allem.

(Beifall)

Frau Wölfle, auch in folgendem Punkt kläre ich gern noch ein mal auf – es gibt ein zentrales Missverständnis –: Wir haben keine Konzentration auf die Kernfächer. So haben Sie argu mentiert. Das wären jetzt tatsächlich Mathe, Deutsch, Fremd sprachen.

(Zuruf: Das Kerncurriculum!)

Vielmehr gibt es eine Konzentration auf das Kerncurriculum.

(Zuruf der Abg. Sabine Wölfle SPD)

Diesen Eindruck hatte ich, mit Verlaub, nicht. – Denn es werden alle Fächer unterrichtet. Auch der Musikunterricht ist seit Wochen in den Schulen Pflicht. Das gilt bei den Schulen, die im rollierenden System geöffnet haben; in den Grundschu len ist es Bestandteil des Lehrplans. Der Musikunterricht fin det statt. Es trifft auch nicht zu, dass im Herbst vorgesehen wäre, sich auf die Kernfächer zu konzentrieren; vielmehr wer den alle Fächer unterrichtet, aber jeweils konzentriert auf die Kernlerninhalte, auf das Kerncurriculum. Das ist ein großer Unterschied.

(Zuruf)

Dann habe ich Sie vielleicht missverstanden. In Ihrer Argu mentation wurde dieser Unterschied nicht deutlich. Da hatte ich den Eindruck, dass Sie das munter miteinander verwech selt haben. – Deshalb ist auch Musikunterricht wie Sportun terricht und anderes momentan Bestandteil und wird es natür lich auch im Herbst sein.

Frau Ministerin, lassen Sie ei ne Zwischenfrage der Frau Abg. Wölfle zu?

Ja, gern.

Frau Ministerin, ich habe das fak tisch als Beispiel gebracht, habe aber vielleicht vergessen, et was hinzuzufügen. Das Problem ist: Wenn die Musiklehrer z. B. in den Arbeitsgemeinschaften nicht mehr unterrichten können, stehen sie nicht automatisch auch für andere Fächer zur Verfügung. Das ist etwas, was mir alle Schulleiter gesagt haben.

Wenn Sie tatsächlich auch die Präsenz der Lehrkräfte für das, was Sie gerade angesprochen haben, nutzen wollen, dann stehen die Lehrkräfte in diesem Bereich nicht unbedingt zu 100 % zur Verfügung. Die sind dann faktisch arbeitslos. So wurde es auch im „Mannheimer Morgen“ in der Überschrift betitelt: Arbeitslosigkeit oder mehr oder weniger Berufsverbot für Mu siklehrer.

Frau Wölfle, jetzt wird es ganz schwierig.

(Abg. Sabine Wölfle SPD: Immer schwierig!)

Berufsverbot ist schwierig, und die Musiklehrer seien damit arbeitslos: Sie haben gehört, dass fast 98 % der Lehrerinnen und Lehrer bei uns im Beamtenverhältnis oder Angestellte im öffentlichen Dienst sind, je nach Schulart. Der Begriff „Ar beitslosigkeit“ könnte hier vielleicht zu einer gewissen Ver wirrung führen. Es soll nicht morgen wieder heißen, im Land lassen wir weitere Massenarbeitslosigkeit zu.

Zweitens ist es Gott sei Dank so, dass wir in Baden-Württem berg immer auf das Zwei-Fach-Lehrer-Prinzip gesetzt haben. Das heißt, der Musiklehrer unterrichtet selten nur allein Mu sik, sondern hat in der Regel ein zweites Fach. Deshalb wäre ich dankbar, wenn man das in der Argumentation vielleicht auch berücksichtigen könnte.

Klar ist, es gibt auch nicht nur Arbeitsgemeinschaften. Ich sag te eben, der Musikunterricht findet statt. Der Musikunterricht besteht übrigens nach Bildungsplan aus mehr als Musizieren und Singen. Es ist Teil des Bildungsplans, aber nicht der aus schließliche Teil.

Deshalb wäre ich dankbar, wenn man da etwas stärker diffe renziert und nicht den Eindruck erweckt, als gäbe es keinen Musikunterricht mehr. Bei manchen Zuschriften und E-Mails, die mich erreichen, hatte ich diesen Eindruck.

(Zuruf der Abg. Sabine Wölfle SPD)

Nein, das hatten Sie nicht gesagt. Mir ging es um das The ma Kerncurriculum. Vor diesem Hintergrund bin ich dankbar, wenn ich das heute mal wieder richtigstellen kann. Es gibt Musikunterricht, es bleibt so, und auch in Zukunft spielt das eine Rolle.

(Beifall)

Doch nun haben wir die Erkenntnis, und zwar nicht nur bezo gen auf die Schulen und nicht nur in Deutschland, dass das Musizieren, Singen und Blasmusikspielen ein ganz konkretes Problem haben. Dafür können sie nichts. Das ist aber das The ma der Verbreitung von Corona in diesen Bereichen. Natür lich gibt es dazu weltweit Studien, und es gibt übrigens welt weit auch Infektionsgeschehen, das genau dadurch ausgelöst wurde. Blasmusik und Singen müssen unter besonderer Be obachtung stehen, weil sie zu einer massiven Verbreitung des Coronavirus führen können.

Das hat aber – das möchte ich klarstellen – nicht Frau Eisen mann erfunden, es ist auch kein Thema des Kultusministeri ums, sondern es ist ein medizinisches Thema, ein virologi sches Thema. So unterschiedlich die Virologen zum Teil The men beurteilen, weil die Themen auch für sie neu sind – in diesem Punkt sind sie sich weltweit einig.

Vor diesem Hintergrund bitte ich um Verständnis, wenn ich vorsichtig bin, was wir in den Schulen ermöglichen, und zwar nicht, weil ich es nicht gut oder wichtig finde – vielmehr bin ich froh, wenn wir es wieder erlauben können –, sondern weil die Bedingungen momentan so sind, dass keine Normalität gegeben ist und wir das Thema Gesundheitsschutz nach wie vor im Blick haben müssen.

(Beifall)

Es wurde schon angesprochen, dass wir – nehmen wir das Bei spiel der Uni Freiburg – eine Weiterentwicklung der Einschät zungen haben. Im Mai hieß es noch, das gehe gar nicht, weil das hochgefährlich sei, Stichwort Aerosole. Inzwischen sagt man sich, unter bestimmten Bedingungen könne man es tun. Es ist überhaupt kein Vorwurf an die Wissenschaft – damit ich nicht missverstanden werde –, aber auch die Wissenschaft ist unsicher.

Wir haben aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Grund lagen einen Abstand zwischen 2 und 7 m, nach vorn und zur Seite unterschiedlich. Diese Aussage müssen wir aber bewer ten, damit die Schulen zu Recht wissen – so habe ich Sie alle auch immer verstanden –, auf welcher Basis sie handeln kön nen. Sie brauchen die Vorgaben des Kultusministeriums, die ich gern zitiere. Mir wird immer vorgeworfen, wir machten

zu wenig Vorgaben. Die Schulen wollen wissen – das verste he ich auch –: Auf welcher Grundlage und mit welchen Rah menbedingungen können wir Singen und Blasmusik ange sichts der großen Gefahr, die davon ausgeht, ermöglichen? Deshalb sind wir vorsichtig – ja – und prüfen Schritt für Schritt.

Frau Ministerin, lassen Sie ei ne Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Gedeon zu?

Nein. Er hat mich schon vorhin beeindruckt. Ich glaube, dass die Frage nicht wesentlich dazu beiträgt, meinen Eindruck zu verbessern.

(Heiterkeit – Beifall – Abg. Rüdiger Klos AfD: So kann man sich täuschen! – Gegenruf des Abg. Dr. Ste fan Fulst-Blei SPD: Oh ja, die Qualität aus dem Hin tergrund!)

Grundsätzlich gilt übrigens – Frau Wölfle, da muss ich Sie auch korrigieren –: An den Schulen sind Singen und Blasmu sik im Freien nicht verboten. Das dürfen die Schulen machen. Worüber wir jetzt reden und worum es geht, ist das Vorgehen in den geschlossenen Räumen. Das steht in der Verordnung klar drin. Es geht um geschlossene Räume. Draußen ist es selbstverständlich möglich und findet es auch statt. Ich habe schon Bilder von Klassen bekommen, die das draußen ma chen. Auch dieser Ansatz stimmt also nicht. Es geht tatsäch lich um die geschlossenen Räume.

Was ist jetzt der Unterschied beispielsweise zu den Musik schulen? Der ganz entscheidende Unterschied ist die Frage des Abstands. Da gelten der 2-m-Abstand – wir haben uns ent schlossen, diesen zu wählen; einige raten auch zu 5 m oder 7 m; das gehört auch zur Wahrheit dazu – und die Begrenzung auf 20 Personen.

Was ist jetzt der Unterschied zu den Schulen? Wenn wir die Schulen – wir sprechen jetzt vom kommenden Schuljahr – im September öffnen, heben wir das Abstandsgebot gezielt auf, weil wir sonst unter Coronabedingungen keinen Präsenzun terricht ermöglichen könnten.

Das heißt, die Frage ist, wie viel Abstand ich ermöglichen kann und wie viel Abstand auch umsetzbar ist, wenn ich alle Schüler in die Schule lasse. Kann ich dem Blasmusikorches ter der Bläserklasse zumuten, dass nur 20 Schüler dabei sein dürfen, wenn die Klasse aus 22 oder 23 Schülern besteht? Schickt der Lehrer dann rollierend zwei oder drei nach Hau se, oder wie machen wir das? Das mag sich für Sie jetzt alles ganz kleinlich anhören. Das ist aber die Realität, mit der wir uns vor Ort beschäftigen müssen und worauf die Schulen zu Recht eine Antwort erwarten.

Warum lassen wir keine Durchmischung der Gruppen zu? Aus dem einfachen Grund: Wenn wir den Abstand aufheben, set zen wir auf feste Gruppen. Das ist ein Teil aus einer Diskus sion, die wir mit Lehrerverbänden geführt haben und worauf wir reagieren – Stichworte „Maskenpflicht auf Bewegungs flächen“, Hygienekonzepte, Durchlüften etc.

Die Aufhebung des Abstands führt aber dazu, dass wir ande re Regeln brauchen. Das macht Singen und Blasmusik nicht einfacher – wie gesagt, nicht weil diese nicht wichtig oder

nicht schön wären oder den Schülern nicht guttäten, sondern weil sie schlicht und einfach unter dem Gesichtspunkt des In fektionsgeschehens eine immens große Herausforderung dar stellen.