NE und der Fraktion der CDU – Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Feststellung einer Naturkatastrophe, der Höhe der Ausnahmekomponente und zur Festle gung eines Tilgungsplans nach § 18 Absatz 6 der Lan deshaushaltsordnung für Baden-Württemberg – Druck sache 16/8834
Das Präsidium hat für die Aussprache eine Redezeit von ins gesamt zehn Minuten pro Fraktion zur Verfügung gestellt. Für die Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der CDU stehen zusätzlich fünf Minuten Rede zeit zur Verfügung, die sich die beiden Fraktionen CDU und GRÜNE aufteilen wollen.
Zur Begründung der Gesetzentwürfe der Landesregierung, Drucksachen 16/8857 und 16/8858, hat jetzt zuerst Frau Mi nisterin Sitzmann das Wort.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzten Monate haben uns allen viel abverlangt, haben manche von uns vielleicht auch an ihre Grenzen oder manchmal sogar darüber hinaus gebracht. Denken Sie etwa an die Alleinerziehende, die nicht weiß, wie sie es hinbekommen soll, zu Hause zwei Kinder zu betreuen – vielleicht auch zu beschulen – und gleichzeitig ih rer Arbeit nachzugehen. Oder denken Sie an den Arzt, der nicht weiß, ob die Zahl der Intensivbetten tatsächlich ausrei chen wird und ob Patienten, um deren Leben er kämpft, durch kommen.
Denken Sie an die Unternehmerin, die nicht weiß, wie lange die Rücklagen tatsächlich ausreichen werden, um ihr Unter nehmen aufrechtzuerhalten, und die sich vielleicht Sorgen macht, ob sie ihre verdienten Mitarbeiterinnen und Mitarbei ter wird weiterbeschäftigen können. Oder denken Sie an die Pflegebedürftige, die sich in den letzten Wochen ihres Lebens alleingelassen fühlt, weil sie phasenweise keine Besuche ih rer Familie haben durfte.
Existenzsorgen, Einschränkungen durch Ausgangs- und Kon taktbeschränkungen, wenige oder keine sozialen Kontakte so wie auch ein dramatischer Einbruch der Wirtschaft – meine Damen und Herren, die letzten Monate waren wahrlich nicht leicht, und die kommenden werden wahrscheinlich ebenfalls nicht leicht werden.
In den letzten Monaten hat sich aber auch gezeigt, wie viele Kräfte wir als Gesellschaft mobilisieren können, wenn es da rauf ankommt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ge sundheitsämtern machen Zusatzschichten, um möglichst vie le Kontakte nachverfolgen und damit die Ausbreitung des Vi rus eindämmen zu können. Nachbarinnen sorgen für Nach barn, die sie vielleicht zuvor gar nicht so gut kannten, und be sorgen ihnen Dinge, die sie zum Leben zu Hause brauchen.
Es gibt Medizinstudierende, die freiwillig in Krankenhäusern ausgeholfen haben. Lehrkräfte mussten von heute auf morgen versuchen, den Unterricht aus der Ferne und digital zu ermög lichen. Kassiererinnen und Kassierer haben auch in Phasen
mit hohen Infektionszahlen trotz der Ansteckungsgefahr im Supermarkt ihren Job gemacht, um uns alle mit Lebensmit teln zu versorgen. Ihnen allen und vielen mehr gilt deshalb unser großer Dank, meine Damen und Herren.
Solidarität leben, aufeinander Rücksicht nehmen, Verantwor tung wahrnehmen, das „Wir“ vor das „Ich“ stellen, anpacken statt abwarten, schnell und entschlossen handeln, wenn es da rauf ankommt – all das sind Stärken, die die Menschen in un serem Land in den letzten Monaten gezeigt haben. Ohne all diese Stärken – da bin ich mir sicher – würden wir heute deut lich schlechter dastehen; das Virus hätte sicherlich noch mehr Schaden anrichten können, als es der Fall war.
Wir hatten im Gegensatz zu anderen Ländern Gott sei Dank ein Gesundheitswesen, das in dieser schwierigen Phase gut aufgestellt war; anders als in anderen Ländern hat es keinen Zusammenbruch gegeben.
Es gibt nun eine neue, aktuelle Wirtschaftskonjunkturprogno se der Bundesregierung von Anfang September dieses Jahres. Die Bundesregierung rechnet für dieses Jahr mit einem Ein bruch der deutschen Wirtschaft um 5,8 %; für 2021 wird ein Wachstum von 4,4 % im Vergleich mit diesem Jahr erwartet. Das ist schon dramatisch; aber im Vergleich mit anderen Län dern steht unser Land damit doch relativ gut da.
Sowohl gesundheitlich als auch wirtschaftlich ist unser Land also bislang besser durch die Krise gekommen als viele ande re Länder, und das, meine Damen und Herren, ist in erster Li nie das Verdienst der Bürgerinnen und Bürger, die Verantwor tung übernommen und Solidarität gelebt haben.
Aber auch Bund, Länder und Kommunen haben Verantwor tung übernommen und haben schnell, entschlossen und um fassend gehandelt. Bund und Länder haben sich gemeinsam parteiübergreifend mit einem gigantischen Kraftakt gegen die negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie gestemmt. Als Beispiele dafür, meine Damen und Herren, nenne ich hier das Kurzarbeitergeld, Liquiditäts- und Soforthilfen, Steuer stundungen, Konjunkturpakete und vieles mehr.
Bereits am 19. März haben Sie, liebe Kolleginnen und Kolle gen, als Haushaltsgesetzgeber auf Antrag von vier Fraktionen einstimmig das Vorliegen einer Naturkatastrophe festgestellt und der Landesregierung eine Kreditermächtigung in Höhe von 5 Milliarden € zur Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen eingeräumt. Von dieser Möglichkeit der Ausnahme von der Schuldenbremse Gebrauch zu machen war richtig und wichtig.
Zusammen mit unserer Rücklage in Höhe von 1,2 Milliarden € konnten wir eine Vielzahl von Maßnahmen bewilligen, um die Pandemie und ihre negativen wirtschaftlichen Auswirkun gen entschlossen zu bekämpfen. So haben wir bislang über 350 Millionen € für Maßnahmen des Gesundheitsschutzes ein gesetzt. Für Maßnahmen im Bereich der Wirtschaftsförderung wurden rund 1,8 Milliarden € bereitgestellt, um den Unter nehmen im Land schnell und zielgerichtet zu helfen und da mit Arbeitsplätze zu sichern.
Neben den 6,2 Milliarden € an Landesmitteln – also 1,2 Mil liarden € Rücklage und 5 Milliarden € Kreditermächtigung –, die inzwischen verausgabt bzw. mit konkreten Maßnahmen belegt sind, wurden flankierend Bundesmittel in Höhe von über 3 Milliarden € in Baden-Württemberg eingesetzt, davon für den Gesundheitsbereich knapp 1 Milliarde €, für den Wirt schaftsbereich 1,9 Milliarden € und für den ÖPNV 0,3 Milli arden €.
Hinzu kommen umfassende steuerliche Erleichterungen. Al lein von März bis Juni haben die Finanzämter in Baden-Würt temberg Stundungen von Steuerzahlungen in Höhe von 1,3 Milliarden € gewährt und für dieses Jahr, 2020, die Voraus zahlungen um insgesamt mehr als 2 Milliarden € herabgesetzt.
Damit wir auch weiterhin, liebe Kolleginnen und Kollegen, handlungsfähig bleiben und uns weiter bestmöglich gegen die Krise stemmen können, bringe ich für die Landesregierung heute einen Zweiten Nachtrag zum Haushalt und eine Ände rung des Finanzausgleichsgesetzes ein. Die wichtigsten Eck punkte möchte ich Ihnen kurz erläutern.
Punkt 2: Über die Konjunkturkomponente der Schuldenbrem se gleichen wir Steuermindereinnahmen aus. Wir wollen Vor sorge für Risiken betreiben, und wir wollen das Land durch Zukunftsinvestitionen stärken. Darüber hinaus finanzieren wir über die Ausnahmekomponente der Schuldenbremse die Un terstützung der Kommunen.
Der Bund hat Hilfspakete auf den Weg gebracht, die wir sei tens des Landes ergänzt, angepasst und dort, wo erforderlich, auch ausgeweitet haben. Wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Wirtschaft, die Unternehmen und die Beschäf tigten zu stützen. Dazu gehören auch Bürgschaften. Mit dem Ersten Nachtrag wurde der Bürgschaftsrahmen bereits erhöht. Mit diesem Zweiten Nachtrag soll er im Jahr 2021 auf 5 Mil liarden € ausgeweitet werden. Die Voraussetzungen hierfür sollen mit diesem Nachtrag geschaffen werden. Außerdem wollen wir mit diesem Nachtrag auch Vorsorge für mögliche Bürgschaftsausfälle treffen.
Meine Damen und Herren, seit der außerordentlichen Steuer schätzung im September wissen wir, dass wir in Baden-Würt temberg im Vergleich mit dem, was wir noch Mitte Dezem ber letzten Jahres im Doppelhaushalt für 2020 und 2021 ver anschlagt haben, mit Steuermindereinnahmen in Höhe von 4,4 Milliarden € rechnen müssen. Diese Mindereinnahmen müs sen wir im Nachtragshaushalt ausgleichen.
Mit den kommunalen Landesverbänden haben wir in der Ge meinsamen Finanzkommission Ende Juli einen kommunalen Stabilitäts- und Zukunftspakt vereinbart. Diesen setzen wir mit dem Nachtragshaushalt um. Insgesamt umfasst der Pakt ein Volumen von fast 4,3 Milliarden €. Von diesen 4,3 Milli arden € sind vonseiten des Landes 2,9 Milliarden € zu finan zieren; 1,4 Milliarden € steuert der Bund bei.
Die wichtigsten Maßnahmen dieses Stabilitäts- und Zukunfts pakts sind, dass wir gemeinsam mit dem Bund in diesem Jahr die Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer ausgleichen wer
den. Da geht es in der Summe um 1,9 Milliarden €. Der Bund trägt davon 840 Millionen €, das Land etwas über 1 Milliar de €. Ferner gleichen wir die Rückgänge im kommunalen Fi nanzausgleich gegenüber dem, wie die Beträge auf der Basis der Mai-Steuerschätzung gewesen wären, aus. Das sind ins gesamt über 1 Milliarde €.
Angesichts der dramatischen Lage fangen wir nicht heute oder Mitte Oktober damit an, die Kommunen zu unterstützen, wenn der Nachtrag hoffentlich von Ihnen beschlossen worden ist. Nein, wir haben das schon sehr viel früher getan: mit Entnah men aus der Rücklage oder eben auch mit einem Vorschuss auf die Schlüsselzuweisungen im Juni in Höhe von über 500 Millionen €. Dieser Vorschuss wird jetzt zum Zuschuss. Da wollen wir noch einmal 500 Millionen € obendrauf legen. Ins gesamt gibt es also auch hier 1 Milliarde € über den kommu nalen Finanzausgleich.
Nicht nur Bund und Länder, sondern auch die Kommunen hat ten bedingt durch Corona natürlich Mehrausgaben, und auch hier haben wir bereits 200 Millionen € als Soforthilfe vor Ab schluss des Pakts an die Kommunen überwiesen. Jetzt geht es darum, 2,2 Milliarden € für diesen Stabilitäts- und Zukunfts pakt zu finanzieren. Wir müssen sie über Schulden finanzie ren.
Warum tun wir das, meine Damen und Herren? Wir tun das, weil die Kommunen das Rückgrat unseres Gemeinwesens sind, weil sie auch in Zukunft ihre Aufgaben der Daseinsvor sorge erfüllen können müssen und weil wir wollen, dass die Kommunen auch in Zukunft in der Lage sind, zu investieren und damit eben auch die Wirtschaft vor Ort zu stärken. Wir wollen also, dass die Kommunen bestmöglich durch die Kri se kommen. Deshalb haben wir diesen bundesweit vorbildli chen Pakt mit ihnen geschlossen.
Wir wissen leider nicht, wie sich die Pandemie in den nächs ten Monaten entwickeln wird. Wir wissen nicht, welche Maß nahmen notwendig sein werden, um die Bürgerinnen und Bür ger bestmöglich zu schützen. Aus diesem Grund führen wir 800 Millionen € der Rücklage für Haushaltsrisiken zu. Sofern der weitere Pandemieverlauf es erfordert, können wir auch auf Mittel zurückgreifen, die in einer Rücklage „Zukunftsland BW – Stärker aus der Krise“ vorgesehen sind. Dies haben wir durch eine haushaltstechnische Verknüpfung der beiden Rück lagen sichergestellt, die sogenannte einseitige Deckungsfähig keit. Das ist wichtig; denn wir wollen und müssen stets hand lungsfähig sein und bleiben, um schnell und umfassend auf die Coronapandemie reagieren zu können.
Meine Damen und Herren, Vorsorge ist der eine Teil, Zu kunftsinvestitionen sind der zweite Baustein. 1,2 Milliarden € sind hier vorgesehen. Die Schwerpunkte sind Maßnahmen zur Stärkung des Gesundheitsstandorts. Gerade die Krise hat ja auch bewiesen, dass unser Land gut aufgestellt ist, dass es aber auch das Potenzial hat, noch besser zu werden. Es wird Inves titionen in bw-invest geben, in Klimaschutz, Mobilität, Wei terbildung, Digitalisierung und auch in künstliche Intelligenz. Denn unser Ziel ist es, möglichst stark aus dieser schwierigen Zeit, aus dieser Krise herauszukommen, und wir wollen, dass Baden-Württemberg auch in Zukunft innovativ bleibt und ein wirtschaftlich starkes Land ist.
Ja, manche, meine Damen und Herren, fordern jetzt, dass wir auch sparen. Da frage ich: Wo und wie sollte das gehen? Denn wir wollen die Konjunktur sicherlich nicht zusätzlich belas ten, und wir wollen auch eine Erholung der Wirtschaft nicht gefährden, weil wir diese brauchen, um die Steuereinnahmen der Zukunft zu sichern. Deshalb, meine Damen und Herren: Jetzt zu sparen oder bereits gebundene Ausgabereste zu kür zen, das würde meines Erachtens die Krise verschärfen, und deshalb tun wir das auch nicht.
Aber wir werden im Haushaltsvollzug selbstverständlich auch coronabedingte Minderbedarfe in den Einzelplänen heben. Deswegen wird die globale Minderausgabe um 320 Millio nen € erhöht.
Leider, muss ich sagen, kommen wir bei den bereits darge stellten Finanzierungsbedarfen natürlich nicht um weitere Kredite herum. Ich sprach bereits von der im Ersten Nachtrag ausgebrachten Kreditermächtigung in Höhe von 5 Milliar den €. Wir werden weitere Kredite auf der Grundlage der Kon junkturkomponente der Schuldenbremse in Höhe von 6,4 Mil liarden € aufnehmen. Diese Summe resultiert aus der Wirt schaftsprognose der Bundesregierung. Damit finanzieren wir den Ausgleich der Steuermindereinnahmen. Damit finanzie ren wir die Vorsorge und die Zukunftsinvestitionen.
Um den kommunalen Stabilitäts- und Zukunftspakt ausfinan zieren zu können, müssen wir aber auch von der sogenannten Ausnahmekomponente der Schuldenbremse Gebrauch ma chen, und zwar in Höhe von weiteren 2,2 Milliarden €.
Das Virus ist noch nicht besiegt, die Wirtschaftskrise noch nicht überwunden. Wir befinden uns noch immer – leider – in einer Krise historischen Ausmaßes. Genau für solche tiefgrei fenden Krisen sieht die Schuldenbremse aus guten Gründen Ausnahmen vor. Diese nutzen wir wie alle anderen Länder und der Bund auch, und zwar vollkommen unabhängig davon, wer jeweils regiert.
Ja, es ist ein großer finanzieller Kraftakt. Und ja, meine Da men und Herren, es ist auch eine Belastung für die Zukunft. Wir sollten uns aber jetzt mit allen Mitteln gegen die Krise stemmen, damit wir sie schnellstmöglich überwinden können.
Ich kann sagen, dass sich die solide Haushaltspolitik der ver gangenen Jahre auszahlt. Wir haben die guten Zeiten genutzt, um den Haushalt wetterfest zu machen. Sie wissen, wir haben seit 2015 keine neuen Schulden aufgenommen.
Sie wissen, wir haben 2017 bis 2019 mehr als 6 Milliarden € explizite und implizite Schulden getilgt. Wir haben damit den Sanierungsstau kräftig abbauen können, und wir hatten zum Glück eine Haushaltsrücklage von 1,2 Milliarden €. Damit waren wir sofort handlungsfähig, als das Virus zugeschlagen hat.
Aufgrund dieser soliden Haushaltspolitik genießt unser Land seit Jahren beste Bonität und können wir uns lang laufende Kredite zu äußerst günstigen Konditionen sichern. Wir haben also in guten Zeiten den Haushalt wetterfest gemacht. Meine Damen und Herren, das zahlt sich jetzt im Sturm der Pande mie aus.
Wir sind jederzeit handlungsfähig. Wir haben die finanzielle Kraft, um uns entschlossen gegen die Krise stemmen zu kön nen, solange das notwendig ist.
Klar ist aber auch: Wenn wir erfolgreich sind und die Krise eines Tages hinter uns gelassen haben, die Wirtschaft sich er holt hat, es eine Impfung gegen das Virus gibt, dann werden wir auch wieder zu sparsamem Haushalten zurückkehren müs sen.