Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Das inklusive Wahlrecht haben wir, die grün-schwarze Koalition, uns am Anfang der Wahlperio de vorgenommen. Heute werden wir es in Baden-Württem berg endgültig und dauerhaft verankern. Das ist eine erfreuli che Nachricht. Ich danke bei unserem Koalitionspartner ins besondere dem Kollegen Hockenberger für seine verlässliche und konsequente Unterstützung.
Der heutige Tag ist ein guter Tag für die bürgerlichen Rechte in unserem Land. Der Weg dorthin war nicht einfach. Wir ha ben zuerst auf Schwarz-Rot im Bund gewartet; denn die hat ten eine inklusive Bundesregelung angekündigt.
Wir wollten mit unserem Wortlaut keinen Widerspruch hier zu produzieren. Ansonsten hätten wir gleich nachbessern müs sen. Als sich in Berlin aber nichts tat, haben wir gemeinsam eine Übergangsbestimmung beschlossen, um für die Kommu nalwahl 2019 eine inklusive Regelung zu schaffen, die übri gens auch die kommende Landtagswahl noch umfasst hätte.
Schwarz-Rot wurde auf den letzten Drücker vom Bundesver fassungsgericht gezwungen, eine inklusive Wahl zum Euro paparlament zu ermöglichen, die zeitgleich mit unserer Kom munalwahl stattfand. Das war aber eine peinliche Situation. Während bei der Kommunalwahl in Baden-Württemberg selbstverständlich inklusiv, ohne Hürden und Diskriminierung gewählt werden konnte, war dies bei der gleichzeitig stattfin denden Europawahl nur auf gesonderten Antrag möglich, wenn Menschen eine gesetzliche Betreuung in allen Angele genheiten hatten – eine unnötige Behinderung.
Wie wir aus der Ersten Beratung wissen, ist einzig die AfD gegen ein inklusives Wahlrecht. Sie stellt sich damit gegen das Bundesverfassungsgericht, das klargestellt hat, dass eine gesetzliche Betreuung keine Vormundschaft und kein Krite rium dafür ist, ob jemand wahlmündig ist oder nicht. Dass die AfD dies nicht verstanden hat oder nicht verstehen will, lässt an ihrer eigenen Urteilsfähigkeit zweifeln.
Der Gesetzentwurf von SPD und FDP/DVP ist mit dem Bun desrecht nicht synchronisiert. Er ist bei den Themen Wählbar keit und Bürgermeisterwahlen weniger weitgehend und un konkreter als der Gesetzentwurf von Grün-Schwarz, auch wenn er im Großen und Ganzen die gleiche Zielrichtung hat wie unser Gesetzentwurf. Dies wurde auch in der Ersten Be ratung und in den Ausschussberatungen – das ist übrigens auch im Protokoll vermerkt – sehr deutlich. Daher ist es sehr verwunderlich, dass SPD und FDP/DVP ihren Entwurf wei ter aufrechterhalten.
Dennoch glaube ich, dass die demokratischen Parteien wie auch die Öffentlichkeit den heutigen Tag feiern können. Wir bekommen endlich ein widerspruchsfreies inklusives Wahl recht.
(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Der Gelobte! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Die Allzweckwaffe! – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE zu Abg. Ulli Ho ckenberger CDU: Du wirst aufgebaut! Oberbürger meister!)
Frau Präsidentin, werte Kol leginnen und Kollegen! Ich hatte es bei verschiedenen Bera tungen schon ausgeführt: Das Wahlrecht ist das vornehmste Recht des Wählers in einer Demokratie. Deswegen behandeln wir heute zu Recht und für die Zukunft eine Initiative, die das Wahlrecht für alle Menschen sichert.
Den Rückblick hat bereits Kollege Poreski vorgenommen. Ich möchte mich an dieser Stelle, auch im Namen meiner Frakti on, bei ihm ganz besonders für die vertrauensvolle Zusam menarbeit bedanken.
Er hat deutlich gemacht, dass man so etwas im Landtag erle ben darf. Das habe ich nicht gewusst, aber es tut gut. Keine Frage.
Die bundesverfassungsrechtliche Situation ist hinreichend be schrieben. Das möchte ich nicht wiederholen. Ich lege in der Tat Wert auf die Feststellung, dass wir im Land Baden-Würt temberg rechtzeitig reagiert haben.
Herr Kollege Poreski hat unser Übergangsgesetz angespro chen. Wir haben auf der Grundlage der Entscheidung des Bun desverfassungsgerichts reagiert. Wir haben das Gesetz geän dert, bevor der Bund das Gesetz geändert hat. Er hat nämlich sein Gesetz erst nach der Europawahl geändert und ist vom Bundesverfassungsgericht auf der letzten Rille zu den Miss lichkeiten gezwungen worden, die Herr Kollege Poreski be schrieben hat. Ich hatte es das letzte Mal schon betont.
Der Gesetzentwurf umfasst verschiedene Punkte, auf die ich im Detail nicht eingehen will. Aber wir erweitern mit unse rem Gesetzentwurf sozusagen den Gegenstand in Richtung Volksantrag, Volksbegehren, Volksabstimmung, Kommunal wahlen, Wahlen zur Regionalversammlung des Verbands Re gion Stuttgart, Bürgerbegehren, Bürgerentscheide. Wir schaf fen damit über das Ende der Gültigkeit des Übergangsgeset zes am 24. Oktober 2021 hinaus – auch das ist gesagt worden – Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Die davon betroffenen Menschen freuen sich darauf. Jetzt dürfen sie wählen und müssen keinen Bittgang mehr in irgendeine Richtung antre ten.
Wir waren immer der Auffassung, dass die Inklusion die eine Seite der Medaille ist und der Gesetzgeber auf der anderen Seite das Recht schaffen muss, diesen Menschen uneinge schränkten Zugang zu diesem demokratischen Recht zu ge währen. Deswegen haben wir rechtzeitig reagiert.
Wir haben diese Regelungen dann im Übergangsrecht so aus gestaltet, dass wir sie umfassend gemacht haben. Wir haben in das neue Gesetz – das hat Herr Poreski auch gesagt – ein Thema hineingeschrieben, das über den vorliegenden Gesetz entwurf von SPD und FDP/DVP hinausgeht. Das ist das Bür germeisterwahlrecht bzw. die Wählbarkeit zum Bürgermeis ter. Ich hatte es das letzte Mal schon gesagt. Es ist im Übri gen eine Regelung, die – wie man erkennt, wenn man die Zu schriften bzw. die Stellungnahmen der Beteiligten durchliest – ein wunderbar heterogenes Echo ausgelöst hat.
Da hat es welche gegeben, die diese Regelung für völlig sinn los und überflüssig gehalten haben. Da hat es aber auch wel che gegeben, die sie für sinnvoll und notwendig gehalten ha ben. Ich glaube, dass wir im Rahmen dieser Abwägung zu ei nem guten Ergebnis gekommen sind.
Ich verhehle nicht: Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass die praktische Anwendung in diesem Zusammenhang wohl recht selten sein wird. Ich hoffe das zumindest, weil der Wäh ler die Weitsicht hat, die richtigen Leute zu wählen. Das ist meine feste Überzeugung.
Dann beschäftigt sich das Gesetz am Rande noch mit verschie denen Fragen bzw. mit den Stellungnahmen, die über den ei gentlichen Gesetzeszweck hinausgehen. Das wollten wir heu te nicht bearbeiten. Es sind durchaus interessante Aspekte, die man zu gegebener Zeit immer wieder mal diskutieren muss. Da wird zum einen von einer Möglichkeit gesprochen, Bür germeister abzuwählen, zum anderen wird vom Wahlrecht von EU-Bürgern für die Verbandsversammlungen des Verbands Region Stuttgart und auch über Erleichterungen des Zugangs zum Landtagswahlrecht gesprochen.
Ich erinnere daran, dass es dazu ein Organstreitverfahren gibt. Im Zusammenhang mit dieser Diskussion ist auch immer wie der kritisch gefragt worden, ob wir die richtigen Leute an der richtigen Stelle einbezogen hätten, insbesondere, was den An fang des Gesetzentwurfs anbelangt, die Landes-Behinderten beauftragte Stephanie Aeffner. Über die Zeitschiene kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Wenn Sie in die Gesetzes begründung schauen, sehen Sie ihre Stellungnahme. Inhalt lich begrüßt sie diesen Gesetzentwurf. Darauf ist es uns im mer angekommen. Das war uns wichtig.
Mit dem heutigen Tag gehört die von den Menschen so emp fundene Diskriminierung der Vergangenheit an. Wir ermögli chen gleichberechtigte politische Teilhabe aller Menschen und damit rechtzeitig vor den nächsten Wahlen den Zugang zu di rektdemokratischen Entscheidungen. Für die CDU-Landtags fraktion war immer wichtig, alle Menschen im Blick zu ha ben und für sie eine gute Politik zu machen. Ich glaube, das Signal kann heute deutlich werden.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! Ja, für etwa 6 000 Menschen mit Behinderungen ist das heute ein guter Tag – aber, liebe Kollegen Hockenberger und Poreski, bestimmt nicht wegen Ihnen. Denn ohne uns hätten wir heute eine Stunde früher Fei erabend, weil wir hier überhaupt nichts dazu beraten würden.
Das Recht, zu wählen, wird diesen 6 000 Menschen ab heute nicht mehr vorenthalten, und sie werden künftig mehr Unter stützung beim Wahlvorgang erhalten, um trotz ihrer Behinde rung das Wahlrecht ausüben zu können.
Es ist auch ein guter Tag für die Demokratie, denn endlich werden die verfassungswidrigen Regelungen in unserem Wahlrecht in verfassungskonforme Regelungen geändert.
Ich bin aber stolz darauf, dass wir mit diesem Gesetzentwurf bewiesen haben, dass man auch aus der Opposition heraus Ge setze durchbringen kann – wenn auch nur mit Druck.
In der ersten Lesung bin ich bereits auf die entscheidenden Punkte eingegangen. In dieser Ersten Beratung im Plenum und dann auch im Ausschuss wurde deutlich, dass eigentlich alle demokratischen Fraktionen diese Änderung unterstützen. Ich möchte es trotzdem an dieser Stelle wiederholen. Denn gemeinsam mit meiner Fraktion habe ich mich bereits sehr frühzeitig für die Änderungen, die wir heute nun beschließen werden, eingesetzt – und zwar bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrig keit entsprechender Regelungen im Wahlrecht im Bund.
Davon habe ich aber nichts mitbekommen, Herr Poreski. – Wir hätten – ich habe es in meiner Rede in der ersten Lesung schon gesagt – so, wie das auch andere Bundesländer gehand habt haben, die Entscheidung gar nicht erst abwarten müssen, um aus eigener Überlegung
Herr Poreski, ich weiß, es ist schwierig, zuzuhören, wenn man hier vorn die Wahrheit spricht – über ein Wahlrecht zu beschließen, das die Grundsätze der UN-Behindertenrechts konvention berücksichtigt. Das war mit der grün-schwarzen Mehrheit hier im Landtag leider nicht möglich.
Die zweite Chance dazu hatten wir nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Aber auch da wurde unser Ent wurf durch die grün-schwarze Koalition abgelehnt, und es wurde nur eine Übergangsregelung beschlossen. Die verfas sungswidrigen Regelungen blieben in unserem Wahlgesetz; ihre Anwendung wurde lediglich befristet ausgesetzt.
Und jetzt komme ich zu der Ursache, warum wir bei diesem Gesetzgebungsverfahren zwei fast inhaltsgleiche Gesetzent würfe behandeln: Die grün-schwarze Koalition hat ihr Ver sprechen eben nicht eingehalten, einen Gesetzentwurf zur Ab schaffung der verfassungswidrigen Regelungen einzubringen, sobald der Bundestag die entsprechenden Änderungen im Bundestagswahlrecht beschlossen hat.
Weder die Landtagsfraktion der Grünen noch die der CDU ha ben auf ein Erinnerungsschreiben unseres Parlamentarischen Geschäftsführers Reinhold Gall von Dezember 2019 über haupt reagiert – übrigens hat auch die Landes-Behindertenbe auftragte nicht reagiert. Reagiert hat nur die FDP/DVP.