Protokoll der Sitzung vom 15.10.2020

Jetzt geht es wieder um Verantwortung, Geduld und Rück sichtnahme. Wir wollen, dass Kitas und Schulen offen blei ben. Wir wollen, dass die Wirtschaft weiter an Fahrt gewinnt. Das schaffen wir nur, wenn wir Wichtiges von Wünschens wertem unterscheiden.

Wir stehen, wie die Kanzlerin es richtig gesagt hat, an einer Wegscheide. Im Frühjahr haben wir gesehen, was wir errei chen können, wenn wir als Gesellschaft zusammenhalten. Las sen Sie uns auch diese zweite Coronawelle gemeinsam bre chen!

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Nun erteile ich Herrn Frakti onsvorsitzenden Stoch für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Zunächst einmal möchte ich zum Aus druck bringen, dass ich sehr froh bin, dass wir, der Landtag von Baden-Württemberg, heute die Gelegenheit haben, von Herrn Ministerpräsident Kretschmann aus erster Hand die ges tern getroffenen Beschlüsse und die Inhalte der gestrigen Ge spräche übermittelt zu bekommen. Wir wissen, dass das nicht immer der Fall war. Deswegen möchte ich es ausdrücklich be tonen. Wir sind froh darüber, dass wir, das Landesparlament von Baden-Württemberg, heute Morgen über diese Maßnah men diskutieren können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was der Minis terpräsident gesagt hat, gibt, glaube ich, den Ernst der Lage wieder. Wir haben heute – das ist die aktuelle Zahl – 6 638 festgestellte Neuinfektionen in Deutschland an einem Tag.

(Abg. Anton Baron AfD: Wie viele davon sind krank?)

Das ist der höchste jemals gemessene Wert.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Was heißt Infektionen?)

Ich denke, meine sehr geehrten Damen und Herren, damit soll te allen – allen hier im Haus und allen in unserer Gesellschaft – klar sein, dass wir jetzt dringend handeln müssen. Wir hat

ten in Baden-Württemberg vorgestern noch 700 und gestern 850 festgestellte Neuinfektionen.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Was heißt Infektionen?)

Das ist ein Mehrfaches der Zahlen vom Juli dieses Jahres, und es ist auch mehr als beim bisherigen Höhepunkt der Krise im Frühjahr. Deswegen gilt: Corona ist nicht vorbei, wie uns die Hobbyvirologen im Sommer mit aus dem Zusammenhang ge rissenen Statistiken beweisen wollten. Wir müssen weiter vor sichtig sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Ja, ich weiß, wir testen mehr als früher. Aber das erklärt eben nicht diese hohen Zahlen.

(Abg. Anton Baron AfD: Die Krankenhäuser sind leer, Herr Stoch!)

Wir haben jetzt weniger Reiserückkehrer aus den ausländi schen Risikogebieten als im August und im September.

Die Statistik hat in den letzten Wochen ausgewiesen, dass der Schwerpunkt der Infektionen eher bei Menschen in mittlerem Alter lag. Diese haben die Infektionen häufig ohne Sympto me oder nur mit relativ leichten Symptomen überstanden. Aber es war eben absehbar, dass mit einer immer weiter stei genden Zahl, mit einer gar exponentiell steigenden Zahl von Infektionen auch wieder Menschen aus den vulnerablen Grup pen betroffen werden.

Es geht darum, dass wir jetzt gerade aus Respekt und aus So lidarität mit den Menschen, die das Coronavirus eben nicht so leicht wegstecken können, alles dafür tun, dass diese Entwick lung gestoppt und diese Kurve gebrochen wird. Das gilt nicht nur für Menschen, die in Pflegeheimen arbeiten, das gilt auch für die Menschen, die in Lebensmittelgeschäften, Vereinen, Restaurants oder im öffentlichen Nahverkehr arbeiten.

Der Schutz unserer alten und vorerkrankten Mitbürger wird mit diesen steigenden Infektionszahlen unweigerlich gerin ger. Die Stadt Stuttgart meldete am Dienstag, dass 31 Bewoh ner und 18 Mitarbeiter eines Pflegeheims positiv auf das Vi rus getestet worden sind.

(Abg. Udo Stein AfD: Wie viele Kranke?)

Der Kreis Karlsruhe meldete gestern fünf verstorbene Bewoh ner eines Pflegeheims und über 50 weitere Infizierte.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Was heißt infiziert?)

Was muss denn noch passieren, damit endlich jeder versteht, dass jetzt wieder gehandelt werden muss, meine sehr geehr ten Damen und Herren?

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [frakti onslos]: Was heißt infiziert?)

Herr Abg. Stoch, lassen Sie ei ne Zwischenfrage des Herrn Abg. Stein zu?

Nein. – Jede und jeder Einzelne muss dazu ihren und seinen Beitrag leisten. Verbote müssen nun leider verschärft werden.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Da ken nen sich die Sozis aus!)

Sie müssen aber eben auch eingehalten werden und ihre Ein haltung muss kontrolliert werden. Und nicht alles, was nicht verboten ist, muss noch unbedingt von jedem gemacht wer den. Nichts oder jedenfalls nicht mehr zu tun als bisher ist da her keine Alternative. Wir wollen Tote vermeiden.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Sie schaf fen Tote!)

Das haben wir bisher schon gut geschafft. Das haben wir bes ser geschafft als viele vergleichbare Länder.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Sie schaf fen Tote!)

Aber darum allein geht es nicht. Wir müssen dafür sorgen, dass wir nicht auf einen zweiten Lockdown zulaufen. Unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft und vor allem unsere Bil dungssysteme würden das nicht schaffen. Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir alles dafür tun, dass Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft weiter funktionie ren. Ein Leben unter Coronabedingungen muss weiterhin möglich sein.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Derzeit ist es, glaube ich, schwieriger als noch im Frühjahr, die Einsicht zu erzeugen, dass wir handeln müssen. Im Früh jahr – wir erinnern uns an das Geschehen Mitte März – wa ren wir alle erschrocken und von den Bildern, die uns aus um liegenden Ländern erreicht haben, teilweise auch geschockt. In den letzten Wochen und Monaten ist hingegen der Eindruck entstanden, dass wir nicht mehr so gut aufpassen müssen, weil sich das Infektionsgeschehen nicht zum Negativen entwickelt. Spätestens jetzt muss allerdings jedem klar sein, dass mit dem Herbst und dem Winter, die heraufziehen, eine andere Situa tion vorliegt, die für das Infektionsgeschehen offensichtlich ganz relevant ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

Deswegen müssen wir ganz genau hinschauen, in welchen Be reichen sich das Infektionsgeschehen besonders gut entfalten kann. Es war wichtig, dass gestern die Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin darüber gesprochen haben, welche konkreten Maßnahmen notwendig sind. Wir brauchen in der Bevölkerung das Gefühl, dass die richtigen, dass einheitliche Maßnahmen getroffen werden, dass wir das Infektionsgesche hen wieder überall in den Griff bekommen, meine sehr geehr ten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU)

Deswegen geht es jetzt auch darum, dass die Landesregierung diese Linie hier konsequent verfolgt. Das heißt erstens, dass die Regelungen hier in Baden-Württemberg konsequent und

verständlich sein müssen. Das heißt aber zweitens auch, dass sie inhaltlich von der gesamten Landesregierung vertreten werden müssen, dass die Landesregierung nicht an einem Tag eine Verordnung erlässt, die anderntags von Mitgliedern der Regierung kritisiert wird. Diese Regelungen müssen – drit tens – konsequent angewandt werden, und deren Anwendung muss kontrolliert werden. Sonst brauchen wir keine Regeln; sonst verstehen die Menschen die Regeln nicht.

(Beifall bei der SPD)

Es macht keinen Sinn, Herr Kollege Lucha, wenn in Presse konferenzen gesagt wird: „Es läuft alles ganz gut. Es ist alles wunderbar.“ Es wurde gar die Aussage getroffen, dass wir vo raussichtlich im vierten Quartal dieses Jahres einen Impfstoff haben werden. Diese Aussage mussten Sie kurz danach wie der zurücknehmen.

(Zuruf)

Ich erinnere an Ihre Aussagen von Anfang März; damals hat ten wir das Gefühl, alles laufe gut, alles sei im Griff. Dann mussten wir den Menschen von einem auf den anderen Tag sagen: „So leicht funktioniert es doch nicht.“

Wir, die politisch Verantwortlichen in diesem Land, müssen den Ernst der Lage auch nach außen tragen. Wir müssen deut lich machen, dass bestimmte Dinge, die nicht notwendig, son dern vielleicht nur angenehm sind, im Moment nicht in der Weise ausgeübt werden können wie zu normalen Zeiten. Das ist unsere Verantwortung insgesamt. Deswegen sollten wir dieses Signal vom Landtag von Baden-Württemberg aussen den.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU)

Jetzt geht es um die Frage der Wirksamkeit der Regeln. Schau en Sie sich das Stufenkonzept der Landesregierung an. Jetzt wurde die zweite Stufe ausgerufen. In der zweiten Stufe wer den verstärkt Appelle ausgesandt und Kontrollen vorgenom men. Tatsächlich sind die Regeln in der Gesellschaft in den letzten Wochen nicht auf mehr Akzeptanz gestoßen, sondern die Akzeptanz der Regeln hat sich eher abgeschliffen. Deswe gen stehen wir jetzt unmittelbar vor dem Ausrufen der dritten Stufe des Pandemieplans.

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

Meine sehr geehrten Damen und Herren, meiner Ansicht nach müssen wir mit den Menschen offen und ehrlich darüber spre chen, was noch möglich ist und was nicht möglich ist. Das greift natürlich in unser Leben ein, gerade wenn es um die Frage geht, ob private Feiern noch in großem Rahmen mög lich sind. Wir wissen, dass private Feiern in aller Regel wich tige Punkte sind, an denen das Infektionsgeschehen wieder aufflammen kann.

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])