Protokoll der Sitzung vom 26.11.2020

Es geht auch nicht, dass Störer und Provokateure gezielt ins Parlament geschleust werden.

(Abg. Anton Baron AfD: „Gezielt“!)

Das war eine Attacke auf die Herzkammer unserer Demokra tie. Wer so agiert,

(Abg. Anton Baron AfD: „Gezielt“! So ein Schmarrn!)

dem kann es nicht um die Freiheit gehen, dem geht es einzig – –

(Beifall – Abg. Anton Baron AfD: Das war doch nicht gezielt!)

Nein, dann geht es nämlich nur noch darum, Demokratie und Rechtsstaat vorzuführen, zu missbrauchen und dann ihre Re geln zu sprengen. Das lassen wir nicht zu. Gefragt ist jetzt So lidarität und nicht Provokation.

(Beifall)

Jeder steht jetzt mit in der Verantwortung. Wir haben es alle selbst in der Hand, damit aus der Krise keine Katastrophe wird; denn die Gefahr besteht nach wie vor. In vielen Ländern der Welt ist die Situation noch weitaus dramatischer als bei uns.

Der schwedische Sonderweg, den manche auch immer laut stark für Deutschland gefordert haben, ist offiziell gescheitert und beendet.

(Zuruf: Ja!)

In Neapel sitzen schwer kranke Patienten in der Klinikeinfahrt in ihren Autos und werden dort notdürftig mit Sauerstoff ver sorgt, weil es für sie keine Betten mehr gibt. In der Schweiz sind die Intensivstationen voll. In den USA gab es zuletzt mehr als 2 100 Tote an einem einzigen Tag. Die Bilder und Berichte aus Texas haben alle erschüttert.

Aber auch in Deutschland starben allein vorgestern 410 Men schen. Das ist, als würde an einem Tag ein ganzes Dorf aus gelöscht. Deshalb müssen wir handeln. Darum geht es derzeit.

(Beifall)

Deshalb waren auch die Beschlüsse von Bund und Ländern am 28. Oktober richtig und nötig.

(Zuruf)

Das gilt nicht nur aus gesundheitlicher, sondern auch aus öko nomischer Sicht. Deshalb haben wir heute einen Antrag ge stellt, um auch die Beschlüsse von gestern sehr wohl im Par lament zu legitimieren. Denn darum muss es hier auch gehen, wenn wir uns damit befassen. Alle Daten zeigen: Wo immer es gelungen ist, die Infektionszahlen gering zu halten, sind auch die wirtschaftlichen Schäden geringer. Jeder Erfolg für ein flaches Infektionsgeschehen ist deshalb am Ende auch ein Erfolg für die Wirtschaft.

(Beifall)

Wie in diesem Punkt auch die neue ermutigende Konjunktur einschätzung der Bundesregierung zeigt, sind wir in Deutsch land noch immer auf dem richtigen Weg. Wir sehen: Natür lich beginnen die Beschränkungen seit dem 2. November zu wirken. Die steile, ungebremste Zunahme der Infektionszah len ist gestoppt, die exponentielle Wachstumskurve flacht ab.

Ich habe in der letzten Debatte hier am Redepult das Bild ei nes Radfahrers am Berg verwendet. Dieses hat Kollege Stoch dann aufgenommen. Er ist allerdings schon mit einem schnel len Fahrrad nach unten gefahren, wenn ich mich richtig erin nere. Ich sage es deshalb, weil wir inzwischen – aus meiner Sicht – das Ende des Anstiegs erreicht haben. Wir sind jetzt auf einem Hochplateau unterwegs. Aber die Strecke bleibt kräftezehrend.

Seit dem 8. November pendeln die Inzidenzwerte in BadenWürttemberg zwischen 130 und 140. Das ist noch immer viel zu hoch. Darauf hat der Ministerpräsident zu Recht hingewie sen. Aber das erste und wichtigste Ziel ist geschafft. Die Wel le ist zwar noch nicht gebrochen, aber sie türmt sich zumin dest nicht noch weiter auf. Man könnte sagen: Das Wasser steht uns bis zum Hals, aber immerhin steigt es derzeit nicht mehr. Das sind in diesen Zeiten ja schon die ersten guten Nachrichten.

(Beifall)

Ich halte es für klug, dass die MPK mit der Kanzlerin die La ge in enger Taktung erörtert und bewertet. Es war richtig, dass sich die Regierungschefs von Bund und Ländern am 16. No vember nicht gleich mit neuen Verschärfungen selbst überholt haben.

Ich will an dieser Stelle, Herr Kollege Rülke, vielleicht doch erwähnen – weil Sie sagen, die MPK sei nicht legitimiert; klar –, dass es darum geht, dass sich Bund und Länder verständi gen müssen. Schließlich ist zum einen die Bundesgesetzge bung gefordert, der Bundestag, und darüber hinaus sind die Länder in einem Bundesorgan, nämlich dem Bundesrat, ge fordert, wo sie zustimmen müssen.

Darüber hinaus haben wir im Gemeinschaftsverbund der Steu ern, der öffentlichen Haushalte eine Situation, wie wir sie in der Geschichte überhaupt noch nie hatten. Im Grunde genom men haben wir all die Hilfen, die jetzt auch weiterhin nötig sind und die zu Recht gefordert werden, natürlich sämtlich durch Schulden finanziert – die irgendwann wieder zurückge führt werden müssen. Insoweit hat sich der Bundesfinanzmi nister dieser Tage eingelassen.

Nun ist es so, dass die Maßnahmen die Chance und die Zeit brauchten, zu wirken. Aber genauso gilt: In dieser Lage und bei diesen Werten können wir über Lockerungen noch immer nicht so schnell nachdenken, denn tatsächlich haben uns die November-Beschränkungen im Kampf gegen die hohen In fektionszahlen unbestritten nicht so viel gebracht, wie wir al le gehofft haben. Deshalb brauchen wir natürlich auch weiter hin – das haben die Regierungschefs gestern bei ihren Be schränkungen vorgeschlagen – Behutsamkeit, Weiterentwick lung und auch Nachsteuerung.

Nach Lage der Dinge bleiben die Kontaktreduktionen länger notwendig, um die Überforderung des Gesundheitswesens weiterhin zu verhindern. Das ist auch Inhalt unseres Antrags – gerade weil wir die Schulen offen halten wollen, weil wir die Wirtschaft weiterhin am Laufen halten wollen. Dazu ste hen wir auch.

Deshalb will ich hervorheben: Dass sich – einmal mehr – al le Länder und der Bund überhaupt auf eine gemeinsame Li nie verpflichtet haben, wenn auch im Einzelfall mutmaßlich mit Bauchschmerzen, ist immerhin ein Wert an sich. Wir ha ben eben gehört: Auch die Landesregierung wird die neue Ver ordnung, die ab dem 1. Dezember bis zum 20. Dezember gilt, in Kraft setzen. Damit haben wir einen breiten, einen parteien übergreifenden und vor allem auch einen gesamtstaatlichen Konsens zwischen Bund und Ländern.

Ich kann nur weiterhin dringend appellieren, den Kampf ge gen Corona nicht zu einer Frage der Parteipolitik zu machen.

(Beifall)

Wenn wir wollen, dass die Leute weiter mitmachen, dann müssen wir bei aller Diskussion in der Politik auch in der La ge sein, uns hinter einer gemeinsamen Entscheidung zu ver sammeln. Das ist entscheidend dafür, dass die Menschen über haupt noch an Bord bleiben, dass sie durchhalten. Denn tat sächlich haben wir natürlich schon eine große Marathonstre cke hinter uns. Aber jetzt ist sozusagen der Glukoseteil ver braucht, und es wird hart, in die letzten Kilometer zu kom men.

Wir begrüßen, dass sich die Kanzlerin und die Ministerpräsi denten auf Erleichterungen für die Weihnachtstage verstän digt haben. Das ist, wie ich finde, übrigens auch ein Zuge ständnis an die zwischenmenschliche Wirklichkeit. Für viele

Menschen ist es sicher auch ein Licht der Hoffnung in diesen dunklen Monaten.

Trotzdem kann das Weihnachtsmotto in diesem Jahr nur hei ßen: Feiern mit Verantwortung. Denn ich finde es richtig, dass sich der Staat hier zurückhält. Niemand will, dass Politiker kleinlich regeln, wie wir Weihnachten verbringen. Es kommt ohnehin nicht infrage, dass am Heiligen Abend die Polizei an der Tür klingelt und kontrolliert, wer da alles unter dem Christbaum sitzt.

(Zuruf: „Unter dem Christbaum“!)

Umso mehr sind auch an den Festtagen Einsicht und – ich fü ge hinzu – Eigenverantwortung gefragt.

(Zuruf: „Unter dem Christbaum“!)

Auch vor dem Christbaum oder neben dem Christbaum, aber die Kinder unter 14 Jahren dürfen auch unter den Christbaum, Herr Kollege Gall.

(Zurufe, u. a.: Die zählen ja nicht!)

Ja, vielleicht begehen wir dieses Weihnachten auch ohne strenge Vorgaben einfach mit etwas weniger Rummel und mit etwas mehr Ruhe, damit sonst nach der Heiligen Nacht nicht für uns alle ein böses Erwachen kommt.

Wichtig ist, dass wir mit den Beschlüssen von gestern auch Perspektiven und Leitplanken für die Zeit nach Weihnachten haben. Die Akutmaßnahmen vom 28. Oktober, haben wir ge hört, gehen über in ein koordiniertes bewegliches System. Es setzt ein gemeinsames Rahmenwerk, wie wir auch über den Coronawinter kommen wollen, u. a. auch mit der neuen Inzi denzschwelle 200. Der Ministerpräsident hat es ja gesagt: Wir haben die Stufe unter einer Inzidenz von 35, die Stufe zwi schen 35 und 50, die Stufe über 50 und jetzt diese neue Schwelle mit einem weiteren, neuen Rahmen. Das Rahmen werk definiert und dosiert die föderalen und damit auch regi onalen Freiheitsgrade, und es benennt auch die Instrumente, mit denen wir auf ein differenziertes Geschehen differenziert reagieren können. Wir sind damit auch bundesweit nach glei chen Maßstäben handlungsfähig, und zwar sowohl bei sinken den als auch bei steigenden Zahlen.

Diesen Weg unterstützen wir. Ich verstehe auch, dass viele da rüber hinaus gern einen vollständigen, langfristigen, unfehl baren Masterplan hätten. Herr Kollege Rülke, Sie haben ja so zusagen diese Langfriststrategie mit einem Masterplan ange mahnt.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: So wie jetzt auch der IHK-Präsident!)

Ja, ich höre von vielen Verbänden Unterschiedliches. Jeder Verband, selbst die IHK und vergleichbare Verbände, ist In teressenvertreter. Ich antworte Ihnen: Die eine Strategie, die uns sicher, planbar und frei von Zumutungen durch diese Pan demie bringt, gibt es nicht.

(Zuruf: Ach was!)

Diese eine Strategie gibt es nicht. Es gibt sie übrigens auch nirgendwo sonst auf der Welt, nicht nur bei uns nicht. Wir

müssen weiter – das ist die Aufgabe – lagebezogen, mit Au genmaß, auch mit flexiblen Antworten entscheiden.

Mit den Beschlüssen von gestern ist auch klar: Es bleibt beim Vorrang für den Präsenzunterricht an den Schulen. Auch das ist eine gute Entscheidung, für die wir dankbar sind.

(Beifall)

Das Recht auf Bildung kann am besten im Klassenzimmer verwirklicht werden. Darüber sind sich die Kultusminister über alle Länder- und Parteigrenzen hinweg einig. Das ist kein Zufall, sondern es hat auch gute Gründe.

Ich will hier auch offen sagen: Ich weiß, dass gestern – zu Recht – auch innerhalb der MPK lange über die Frage der Fe rienzeit diskutiert wurde. Mit der vorgeschlagenen Lösung wird sich die Landesregierung auseinandersetzen. Unsere Fraktion macht kein Geheimnis aus ihrer Position: Im Grun de genommen sollte regional vor Ort die Schulgemeinschaft selbst entscheiden können und entscheiden, wie sie auch die vier freien beweglichen Ferientage legt etc. In dieser Sache wurden die Argumente für und wider schon angesprochen. Es geht um Fragen der Betreuung und um vieles andere mehr. In soweit sind wir da eigentlich zuversichtlich, dass man in die sen nachrangigen Fragen mit Sicherheit vor Ort die richtigen, klugen Entscheidungen findet und selbst auch mit entschei den kann.