Protokoll der Sitzung vom 26.11.2020

Vor diesem Hintergrund hätte diese Sondersitzung, die wir heute, am Donnerstag, n a c h dem Treffen der Minister präsidenten durchführen, sinnvollerweise auch durchaus schon am vergangenen Dienstag stattfinden können, damit nämlich dieser Landtag v o r der Runde der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten bei der Bundeskanzlerin debattieren kann, damit er debattiert, bevor Beschlüsse gefasst werden, damit die Landesregierung dem Landtag zuhören kann und nicht nur der Landtag der Landesregierung. Das hatten wir in der vergangenen Woche entsprechend angeregt.

(Beifall – Zuruf)

Aber nein, es hat nicht sollen sein. Die Ministerpräsidentin nen und Ministerpräsidenten beraten sich, es werden Papiere erstellt, diese tauchen umgehend in den Medien auf. Und am Dienstag diskutiert man Sinn und Zweck der Maßnahmen nicht im Landtag, sondern in der Landespressekonferenz.

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Gestern tagte die Länderrunde dann mit der Kanzlerin, und heute will uns die Landesregierung Informationen präsentie ren, die in wesentlichen Teilen schon seit Montag in den Nach richten laufen.

Wir meinen, das ist der Rolle des Parlaments nicht angemes sen. Wir halten das für falsch, und wir halten das für hochmü tig, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.

(Beifall)

Das zeigt auch, was Sie von diesem Parlament halten. Es zeigt, dass Ihre wortreichen Bekundungen, den Landtag

schneller, stärker und auch früher einzubinden, eben doch nur Lippenbekenntnisse sind. Seit Wochen wiederholen Sie – –

Herr Abg. Stoch, lassen Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Weber zu? Herr Abg. Weber möchte eine Zwischenfrage stellen.

Das könnten wir auch nachher klä ren. Aber bitte.

Vielen Dank, Herr Stoch. – Sie ha ben zu Recht gerade angesprochen, wie wichtig die Rolle des Landtags in dieser Debatte ist und wie wichtig der Dialog ist. Ich möchte gern fragen, wie Sie es beurteilen, dass der Minis terpräsident offensichtlich kein Interesse an dem Dialog hat, weil er aktuell nicht hier ist.

(Zurufe – Unruhe)

Ich habe mich zu dieser Frage schon vor einigen Minuten gemeldet. Er ist schon eine ganze Weile nicht da. Er hat Ihre Rede leider nicht gehört.

(Zurufe, u. a.: Er saß die ganze Zeit vorn!)

Danke für Ihre Frage, Herr Kol lege Weber. Ich finde es immer bedenklich, wenn die Regie rung nur in Teilen anwesend ist, wenn der Ministerpräsident bei einer solchen Debatte nicht anwesend ist. Ich hoffe und gehe davon aus, dass er möglichst schnell wieder da ist. Denn ich glaube, es macht Sinn, wenn er auch der Opposition zu hören würde.

(Beifall – Unruhe)

Seit Wochen wiederholen Sie, es sei bei Corona unbedingt nö tig, „vor die Lage“ zu kommen. Ich sage Ihnen: Es ist auch nötig, dass dieser Landtag „vor die Lage“ kommt. Doch das lassen Sie nicht zu – nicht einmal, wenn es derart bequem ge wesen wäre wie in dieser Woche. Ganz ehrlich: Dafür fehlt mir jedes Verständnis. Ich kann mir auch allmählich nicht mehr einreden, dass das allein Hilflosigkeit ist.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Der Ministerprä sident ist da, Herr Stoch!)

Ich habe es doch gesehen, Herr Kollege Sckerl.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Junge, Junge, das ist echt – –! – Abg. Nicole Razavi CDU: Ein Blick durch die Scheibe nach rechts, Herr Kollege!)

Ich sehe es. Ich habe ihn hereinkommen sehen. Als die Fra ge gestellt wurde, war er aber nicht da.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Das könnt ihr ja noch mal in der Fraktion nachbesprechen!)

Deswegen muss ich das auch so beantworten. Ich habe ja kei ne hellseherischen Fähigkeiten und kann nicht um Ecken schauen.

(Zurufe)

Dass wir in diesem Landtag also nach vorn schauen, dass wir gemeinsam nach den richtigen Lösungen suchen, das haben Sie verhindert. Darum kann ich nicht verhindern, dass wir jetzt

noch einmal auf all die Fehler, die sich in den vergangenen Monaten angehäuft haben, zurückschauen. Es ist nie zu spät, auf Einsicht zu hoffen. Bei vielen unserer Vorschläge und Kri tikpunkte habe ich leider den Eindruck, dass sie nicht einmal im Ansatz verstanden wurden.

Ich fange einmal bei den jüngeren Mitbürgerinnen und Mit bürgern an, nämlich bei denen, die in die Schule und in die Kita gehen. Ich kann verstehen, dass viele dieser jüngeren Mitbürgerinnen und Mitbürger allmählich den Eindruck ha ben, dass die Schulpolitik in diesem Land an einer gehörigen Lernschwäche leidet.

Im Frühjahr wurden Schulen und Kitas geschlossen. Man hat te teilweise das Gefühl, dass das gar nicht so richtig von Be deutung sei. Manche hatten wohl den Eindruck, das seien ul kige Freizeitangebote, auf die man auch mal verzichten kön ne. Wer dagegen war, wer gefragt hat: „Was passiert eigent lich? Wann geht es an den Schulen wieder los?“, der war dann schnell ein Jammerlappen oder ein Querulant von der SPD. Alles gehe doch von zu Hause, hieß es, alles sei doch kein Problem.

Eine Notbetreuung galt nur für die Kinder, deren Eltern als systemrelevant eingestuft wurden, nicht aber für die Kinder, die aufgrund ihrer sozialen Situation dringend auf Hilfe, Un terstützung und vor allem auch auf Bildung angewiesen sind.

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem Herr Kollege Reinhart, und auch an die Kultusministerin gerichtet: Wenn Sie jetzt plötzlich Ihr Herz für die sozial Schwachen entdecken, um zu argumentieren, warum Sie keine sinnvollen Lösungen an Schulen einsetzen können, dann ist das für mich ein Vergießen von Krokodilstränen. Um diese Kinder haben Sie in dieser Landesregierung sich im Frühjahr nämlich über haupt nicht gekümmert.

(Beifall)

Es hat den ganzen Sommer gebraucht, bis die Kultusministe rin irgendwann begriffen hat, wie wichtig Schulen sind und dass Schließungen verhindert werden müssen. Leider hat es aber nicht dazu gereicht, zu verstehen, dass es nicht nur die Schließung, sondern auch die Radikalität war, die falsch war. Denn nun meint Frau Eisenmann, etwas gelernt zu haben. Sie sagt: „Die Schulen bleiben offen, und der Unterricht wird in Präsenz gehalten.“ Das will sie genauso radikal, wie sie im Frühjahr die Schließung wollte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Antwort ist für viele Menschen, die im Bildungssystem sind,

(Zuruf: Höchst hilfreich!)

zu wenig.

Die Menschen in diesem Land, egal, ob es Schülerinnen oder Schüler sind, die sich bei uns – ich bin sicher: auch bei Ihnen – melden, oder Lehrkräfte, Schulleiter, aber auch Eltern, ha ben Sorgen. Wenn in manchen Landkreisen in Baden-Würt temberg bereits jetzt ein Infektionsgeschehen mit Zahlen von über 200 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen herrscht, dann sind diese Eltern nicht mit dem Satz zu frieden: „Wir müssen alles dafür tun, dass Schulen und Kitas offen bleiben.“

Ich gebe Ihnen vollkommen recht: Der Präsenzunterricht an unseren Schulen ist das beste Instrument, um gute Bildungs chancen zu erreichen.

(Vereinzelt Beifall)

Aber, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn wir so tun, als ob es nur zwei Lösungen gäbe, nämlich die Schule für alle of fen zu halten oder dann, wenn wir es nicht mehr verantwor ten können, die Schule für alle zu schließen, dann beschädi gen wir diesen Bildungsstandort, wenn es nicht endlich ge lingt, Modelle zu entwickeln, die es den Lehrkräften erlauben, unter gesundheitlich verantwortbaren Umständen in den Schu len Bildungsinhalte zu vermitteln.

(Beifall)

Dann untergräbt nämlich eine solche Politik das Vertrauen in eine vernünftige Handlungsweise, und eine solche Politik ist auch gefährlich. Ich glaube, Frau Eisenmann hat noch nicht kapiert, dass eine solche Politik auch dann zur Schließung al ler Schulen führen kann, wenn ebendas, was wir alle hoffen, nämlich dass die Infektionszahlen wieder sinken, nicht er reicht werden kann.

Ich kann Ihnen sagen: Ich kommuniziere viel mit Schulen, aber auch mit Kultusministerinnen und -ministern anderer Länder. Und ich spüre bei den Gesprächen, dass sie Angst ha ben vor dem Vorwurf, man würde die Eltern und die Kinder wieder alleinlassen, wenn man die Schulen zumacht.

Ich rede mir, mit Verlaub, den Mund fusselig, dass ich gera de die größte Gefahr darin sehe, dass wir dann, wenn wir in nerhalb des Systems der Schule keine kreativen Lösungen fin den, alle gemeinsam Schiffbruch erleiden. Deswegen bin ich sehr froh, Herr Ministerpräsident, dass die Ministerpräsiden tinnen und Ministerpräsidenten gestern das beschlossen ha ben, was ich bereits in der letzten Woche gefordert habe, näm lich dass wir dort, wo die Gefahr einer Infektion signifikant steigt – – Und bei den Kindern ab 14 Jahren etwa sind die Kur venverläufe anders als bei den Fünf- bis Neunjährigen und bei den Neun- bis 13-Jährigen.

Dann kann ich doch an dieser Stelle überlegen – – Und viele Lehrkräfte und Schulleiter sagen mir: „Es ist ein sinnvoller Weg, dies zu machen. Wir können das pädagogisch erfüllen.“ Dann macht es doch Sinn, gerade für die älteren Schülerinnen und Schüler ab Klasse 8 Wechselmodelle, hybriden Unterricht zu ermöglichen. Denn viele Schulen sind darauf vorbereitet – ganz im Gegensatz zu dieser Kultusministerin, liebe Kolle ginnen, liebe Kollegen.

(Beifall)

Damit Sie nachher nicht daherreden, jetzt im November kön ne man ja ganz leicht davon reden, weise ich darauf hin: Wir haben in unserer SPD-Fraktion bereits im Mai, als die Schul schließung für die meisten Kinder noch andauerte, mit Schul praktikern, Eltern, Schülern, Lehrern gemeinsam ein Papier unter der Überschrift „Das krisenfeste Klassenzimmer“ ent wickelt. Das haben wir am 2. Juni vorgestellt, weil wir gehofft hatten, dass uns eine Vorbereitungszeit von gut dreieinhalb Monaten für das neue Schuljahr hilft, uns auf die veränderli chen Realitäten einzustellen.

Ich zitiere mal einen Satz aus diesem Papier. Wir haben ge fordert, schon jetzt klare Handlungsrichtlinien für verschie dene Verlaufsszenarien zu Beginn des neuen Schuljahrs zu er arbeiten. In dem Papier stand nicht: „Wir glauben, dass das Virus besiegt ist.“ Darin stand auch nicht: „Oh Gott, wir kön nen die Schulen nicht öffnen.“ Darin stand, dass wir für die unterschiedlichen Verlaufsszenarien angemessene Regelun gen brauchen, und zwar nicht, weil wir leichtfertig Schulen schließen wollen, sondern weil wir erreichen wollen, dass auch bei steigenden Infektionszahlen der Anspruch unserer Kinder auf Bildung erfüllt wird. Das ist die Aufgabe: differen zierte Lösungen – und nicht Pauschalierungen in diesem Land.

(Beifall)

So braucht es eben bei entsprechender Infektionsgefahr vor allem bei den älteren Schülerinnen und Schülern die Möglich keit, auch einen Wechselunterricht durchzuführen. Ich bin froh, dass sich die Ministerpräsidenten über das Wort der Kul tusminister hinweggesetzt haben, indem dies auch problem los möglich ist und auch keine Betreuungsproblematik bei den Eltern entsteht.

Auch das Ausnutzen räumlicher Reserven – – Gerade bei den Kindern, bei denen der Präsenzunterricht wichtig ist – also in den Klassen 1 bis 7 –, muss ich versuchen, den Mindestab stand einzuhalten. 30 Kinder und eine Lehrkraft in engen Klassenzimmern sind aus meiner Sicht bei so hohen Inziden zen, wie wir sie in manchen Landkreisen haben, nicht verant wortbar. Deswegen muss ich die Vorschläge nutzen – wir ha ben das in der letzten Woche auch getan –, auch andere Räum lichkeiten zu nutzen.