Es ist klar, dass diese Einschränkungen heftig sind, und es ist klar, dass diese bittere Pille niemandem im Land schmecken wird, aber es ist eben leider nötig.
Ich wage aber schon die Frage, ob es uns allen nicht leichter gefallen wäre, wenn man auf die Pläne für Lockerungen nicht von Anfang an verzichtet hätte, wenn man nicht groß verspro chen hätte, was man nicht halten kann. Und ich wage die Fra ge: Wäre es nicht viel besser gewesen, sich nicht so lange, so überaus lange nur an das Prinzip Hoffnung zu klammern? Wä re es nicht besser gewesen, schneller und beherzter zu han deln, um dann vielleicht auch schneller wieder bessere Zah len zu haben? Wäre das nicht die berechtigtere Hoffnung ge wesen?
Stattdessen wurde gehofft, dass sich das Virus irgendwie von ganz allein aus dem Staub macht, wie man das seit dem Früh jahr gehofft hat: Nach Pfingsten ist es weg, nach den Sommer
ferien, im Herbst, vielleicht ist es ja an Weihnachten weg. Das war die Hoffnung. Sie war verständlich und herzensgut, aber grottenfalsch. Man hing ihr immer wieder an – und das war eben keine lässliche Sünde.
Was das verkrampfte Festklammern an dieser Hoffnung in Verbindung mit dem Glauben an unterkomplexe Lösungen so angerichtet hat, sehen wir doch am besten an den Schulen in unserem Land. Im Frühjahr, als die Pandemie noch neu war, hörte man noch auf Experten und Wissenschaftler. Da kamen Virologen in den Nachrichten und nicht die Bewerber um den CDU-Vorsitz. Da zeigten die Kameras Krankenhäuser und nicht jeden verblendeten Coronaleugner, der eine Fahne hal ten kann.
Damals hat man Schulen und Kitas geschlossen: pauschal, komplett, ohne Unterscheidung, was – das ist richtig – aus epidemiologischer Sicht die reine Lehre ist.
Doch die Politik muss eben abwägen zwischen der reinen Leh re und der Notwendigkeit, dieses Land am Laufen zu halten. Sie muss einen Weg wählen zwischen der Aufgabe, die Pande mie zu bekämpfen, und der Aufgabe, Hunderttausenden jun gen Menschen ihre Bildung zu garantieren, Betreuung sicher zustellen und vor allem für Chancengleichheit zu sorgen.
Im Frühjahr haben wir die pauschalen Schließungen kritisiert, und wir hatten zu Pfingsten ein Konzept vorgestellt, das wir das „krisenfeste Klassenzimmer“ genannt haben. Es ging aus drücklich um Wege, wie wir in einer Krise, während einer Pandemie und mit diesem Virus Bildung gestalten können, ge rade in Zeiten einer zweiten Welle, um die Unterscheidung zwischen älteren und jüngeren Schülerinnen und Schülern, um einen Mittelweg zwischen Präsenz und Fernunterricht und auch um angemessene Lösungen für Kitas und Kindergärten. An Pfingsten hat das niemanden so recht interessiert, scheint mir. Lehrer ja, Schüler auch, und auch die Eltern. Wir sind mit diesem Konzept unterwegs – aber die Landesregierung, vor allem die Kultusministerin? Die Zahlen gingen doch runter.
Und eine Studie hat ergeben, dass kleine Kinder angeblich nicht die großen Infektionstreiber sind. Also schummelte man sich noch bis zum Ende des Schuljahrs durch, und nach den Sommerferien kam man dann mit einer neuen Erkenntnis: Au gen zu und Fenster auf. Und die Schule bleibt auf jeden Fall offen – für alle Klassenstufen; koste es, was es wolle.
Studien, die längst belegt hatten, dass Kinder und Jugendli che ebenfalls Träger und damit Überträger des Virus sein kön nen, wurden offensichtlich ignoriert. Am 18. November – ich habe die Pressemitteilung da – hatten wir Sie aufgefordert, den Schulen zu ermöglichen, angesichts der stark gestiegenen Infektionszahlen auf alternative Konzepte auszuweichen,
um eben komplette Schulschließungen zu verhindern. Wir ha ben damals gesagt: So wie jetzt, fahren Sie mit 180 – Ent
Und als die Experten sich immer lauter meldeten, hatte die Kultusministerin auch schon mal die Nerven, letzte Woche ei ne ganze Wissenschaftsakademie wie die Leopoldina abzu kanzeln – diese sei nicht auf der Höhe der Zeit. Wer glaubt, in diesen Zeiten Wissenschaftsbashing betreiben zu können, in denen es doch darauf ankommt, den wissenschaftsbasier ten gesellschaftlichen Konsens zu bewahren,
Wo waren denn der Schutz und die Fürsorgepflicht gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften? Keine Mas ken, keine Luftfilter, die man in den Monaten seit März auf ihre Wirksamkeit hätte prüfen können. Frau Eisenmann, seit März warten die Schulen auf Ihre Unterstützung. Seit März arbeiten die Schulen an und über der Belastungsgrenze. Wo sind Ihre Pläne und Strategien für den verantwortlichen Um gang mit dem Virus bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Betriebs an Schulen und Kitas?
Und, Herr Ministerpräsident, ich kann Sie da nicht außen vor lassen. Sie tragen Verantwortung für die Arbeit Ihrer Kabi nettsmitglieder. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass wir seit März an den Schulen eine Situation haben, in der sich viele Menschen alleingelassen fühlen mit dieser herausfordernden Situation. Dies ist eine Verantwortung von Grünen und CDU in dieser Regierung, die keine verantwortliche Bildungspoli tik betreibt, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Meine Damen und Herren! – Herr Abg. Stoch, warten Sie bitte. – Meine Damen und Her ren! – Die Uhr habe ich im Blick.
Wer glaubt, sich in diesen Zeiten auf seinen Wahlkampf und nicht auf seine Verantwortung ge genüber den Menschen konzentrieren zu müssen,
der ist in einer Regierung fehl am Platze. Was Ihnen wichtig ist, kann man ja auch daraus ablesen, dass wohl am 11. De zember in einer Kabinettssitzung zur Vorbereitung der Minis terpräsidentenkonferenz die Kultusministerin nicht anwesend war
und stattdessen in Hintergrundgesprächen mit Journalisten zu sammensaß. So sieht also die Prioritätensetzung in einer Kri se aus, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Wir können doch quer durch den Kabinettsgarten weiterma chen. Erst jetzt lese ich in den Maßnahmen echte Schritte zur Sicherung unserer Alten- und Pflegeheime, ihrer Bewohne rinnen und Bewohner, ihrer Belegschaften. Jetzt, erst jetzt hat man den Eindruck, dass der Staat seine Verantwortung für die se Heime wahrnehmen will, so wie wir es seit Langem in meh reren Entschließungsanträgen hier in diesem Haus gefordert haben. Aber ich will mich gar nicht daran erinnern, wie lan ge und störrisch Sozialminister Lucha immer wieder so tat, als gingen ihn Pflegeeinrichtungen nichts an, als sei Corona dort quasi Privatsache. Viel zu lange waren diese Einrichtun gen und die Kliniken bei der Beschaffung von Schutzkleidung oder bei der Organisation von Tests für die Beschäftigten so wie ihre Bewohnerinnen und Bewohner auf sich allein ge stellt.
Vieles hat zu lange gedauert in diesem Land – viel zu lange. Wir haben deswegen wertvolle Zeit verloren, aber auch wert volles Vertrauen der Menschen in diesem Land.
Und über das unsägliche Chaos mit dem Beginn der Weih nachtsferien brauche ich nichts mehr zu sagen, denke ich. Das war ein peinlicher Hickhack der ganz traurigen Spitzenklas se. So etwas darf nicht passieren, schon gar nicht drei Mal vor und zwei Mal zurück.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Virus fordert, dass wir Konsequenzen ziehen; Konsequenzen wie die deutlich beherz teren Schritte, die nun endlich folgen, nachdem wir das Schei tern des sogenannten „Lockdowns light“ seit mehr als zwei Wochen immer deutlicher erkennen können.
Die Landesregierung sollte aber auch endlich Konsequenzen für ihre Arbeit ziehen. Kommen Sie aus dem Mus, wenn es um das Tempo Ihrer Entscheidungen geht. Und hoffen Sie nicht immer und immer wieder, dass die Zeit, die Sie sich ge lassen haben, von den Menschen in Baden-Württemberg wie der hereingeholt wird. Würden Sie in Ihrer Koalition auch nur ein kleines bisschen weniger zaudern und streiten, dann müss ten Sie Ihre Verordnungen nicht immer erst in der Nacht vor dem Inkrafttreten über das Land schicken, dann könnten sich alle Betroffenen ein klein wenig besser vorbereiten, gleich ob
Zweitens: Ändern Sie dringend die Paradigmen, an denen Sie Ihre Politik ausrichten. Alles, was wir uns aufbürden, tun wir, um das Virus zu bekämpfen. Und alles, was wir tun, muss dem Test standhalten, dass es auch wirksam ist, um dieses Virus zu bekämpfen. Es geht nicht um die Unterscheidung, Herr Mi nisterpräsident, was wir für gesellschaftlich wichtig halten und was wir für gesellschaftlich weniger wichtig halten. Wir müs sen danach unterscheiden, ob die Maßnahmen gegen das Vi rus wirken oder nicht gegen das Virus wirken. Daran muss sich diese Politik orientieren, meine sehr geehrten Damen und Herren.