Protokoll der Sitzung vom 17.12.2020

(Beifall)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Kößler das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Das britische Drama neigt sich seinem Ende zu. Das war schon öfter so, und wir wurden jeweils eines Besseren belehrt. Jetzt geht es aber um den Austritt. Die Frage ist nur, wie der Austritt gestaltet wird.

Meine Damen und Herren, die EU und Großbritannien haben vereinbart, die Verhandlungen bis Sonntag fortzuführen. Das ist gut so und auch verantwortungsvoll. Es bleibt noch wenig Zeit, und diese Zeit muss genutzt werden, um die Beziehung zukunftssicher zu machen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ob es tatsächlich gelingen wird, kann niemand sagen, doch muss natürlich das Ziel sein, eine Einigung zu erzielen, und sei es in der letzten Minute.

Doch eines ist klar: Die Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien werden auch weiterhin bestehen müssen, und sie werden, wenn es gut gemacht wird, für beide Teile gewinn bringend sein.

(Beifall)

Drei Themen sind im Augenblick noch strittig, und zwar der Zugang der EU-Fischer zu britischen Gewässern, die Forde rung nach fairen Wettbewerbsbedingungen unter Einhaltung der Sozial-, Umwelt- und Beihilfestandards, und ferner ist noch strittig, wie Streitschlichtungen bei Verstößen gegen ein Abkommen erledigt werden.

Die Fischereirechte sind eine emotionale Sache. Sie sind für wenige Anrainer wichtig, aber die emotionale Seite überwiegt dort.

Aber wichtig für die EU sind die Wettbewerbsbedingungen. Die Regeln für den Binnenmarkt müssen eingehalten werden.

Der freie und faire Binnenmarkt ist ein wichtiger Garant für Beschäftigung und Wachstum. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die hohen Umwelt- und Sozialstandards, die im Augen blick gelten, ausgehöhlt werden.

(Zurufe, u. a. Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los]: Die werden Sie sowieso nicht halten können! Wie wollen Sie die bezahlen?)

Marktverzerrungen zugunsten Großbritanniens darf es nicht geben. Aber keine Beziehung darf so sein, dass sie auf Kos ten des Marktes geht.

Meine Damen und Herren, die Folgen eines harten Brexits sind uns allen bekannt. Sie treffen vor allem Großbritannien. Die Vorredner haben es ja schon ausführlich dargestellt. Es zeigt sich, dass die ersten Folgen schon zu sehen sind: Hams terkäufe und Staus an den Grenzen zeigen, dass im Grunde genommen der Brexit schon begonnen hat.

Herr Abg. Kößler, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Fiechtner zu?

Nein, nein, die lasse ich nicht zu.

Wirtschaftlich wird es uns alle treffen, insbesondere natürlich das Exportland Baden-Württemberg. Großbritannien liegt zur zeit im gegenseitigen Handel an der sechsten Stelle unserer Handelsländer. Wir handeln Waren und Dienstleistungen mit Großbritannien in Höhe von 13,6 Milliarden €. Wir sind na türlich insgesamt auf den Brexit vorbereitet. Dank des Euro paministers und der Wirtschaftsministerin haben wir schon früh einen Folgenabschätzungsbericht erstellt, und wir haben Kontaktstellen für Unternehmen, Verbände und Institutionen.

Ich habe hier bereits mehrfach die Hoffnung geäußert, dass der Brexit auch positive Folgen im Sinne eines Zusammen halts für Europa hat. Wir müssen natürlich aus diesem Ereig nis auch Lehren ziehen.

Meine Damen und Herren, was muss Europa in Zukunft tun? Die Europäische Union ist einer der größten Binnenmärkte der Welt. Wir haben politisches Gewicht, und wir stehen für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Aber reicht das für die Zukunft? Wir stehen längst nicht mehr so unangefoch ten da wie in der Vergangenheit. Aufstrebende Mächte fordern uns wirtschaftlich und politisch heraus. Insbesondere will ich da China nennen.

Günther Oettinger, der vor zwei Jahren einmal hier im Land tag eine Rede gehalten hat, hat Folgendes gesagt:

Europa muss endlich erwachsen werden.

Erwachsen werden bedeutet, dass Europa den Blickwinkel verändern muss, weg von der Binnenorientierung und hin zu einer Weltorientierung.

(Beifall)

Beschränken wir uns nicht auf die Schaffung einer weiteren engeren Union, sondern werfen wir den Blick in die Zukunft. Legen wir die Schwerpunkte auf eine nach außen handlungs fähige Union: für ein Europa, das in der Lage ist, die großen

Fragen der Zeit zu beantworten; für ein Europa, das nach au ßen mit einer gemeinsamen Außenpolitik auftritt; für ein Eu ropa, das seine Außengrenzen durch vollwertigen Küsten- und Grenzschutz schützt; für ein Europa, das sich bei der Verbre chensbekämpfung auf Europol und eine gute Zusammenar beit im Justizbereich stützt und das auf eine europäische Cy berabwehr zählen kann; für ein Europa, das im Rahmen einer Verteidigungsunion gemeinsame Streitkräfte hat; für ein Eu ropa, das Maßstäbe für den freien Handel setzt und natürlich seine Normen mit Abkommen – in Bezug auf andere Länder – gut schützen kann; für ein Europa, das auf eine Partnerschaft mit Afrika setzt und internationale Freihandelszonen schafft; für ein Europa, das im Klimaschutz führend ist und damit Vor bild für andere Länder ist;

(Zuruf: Sehr gut!)

für ein Europa, das Wissen schafft und seine Innovationsfüh rerschaft erhält, und zwar indem es die europäische For schungsunion und den europäischen Forschungsraum weiter ausbaut, den digitalen Binnenmarkt, die Datenunion und eine europäische Suchmaschine schafft.

Wenn wir gemeinsam Antworten auf diese Fragen finden und geben, dann wird auch für künftige Generationen der Wohl stand in der EU fortwirken. Für ein Land im Herzen Europas – insbesondere Baden-Württemberg ist dies; wir profitieren von der EU gewaltig – ist es wichtig, dass wir im besten Sinn proaktiv europäisch handeln und denken. Kurz benennen möchte ich hier die Donauraumstrategie, die Frankreich-Kon zeption und natürlich unseren Part bei den „Vier Motoren für Europa“.

Meine Damen und Herren, unser Handeln muss europäische Vielfalt beinhalten: unser gemeinsames Kulturerbe, unsere Vielzahl an Traditionen, Sprachen und Symbolen, unser brei tes Spektrum an Lösungsansätzen und guten Ideen. Die Vor teile der Vielfalt gilt es zu erkennen, sie auf europäischer Ebe ne zu bündeln und Skaleneffekte daraus zu ziehen. Wenn wir das tun, dann haben wir eine gute Chance für eine gute Zu kunft Europas als lebenswerter Kontinent. Unser Motto muss lauten: In Vielfalt geeint.

Vielen Dank.

(Beifall)

Für die AfD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Sänze das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst danken wir der SPD, dass sie das Thema „EU und Brexit“ aufgerufen hat. Auch wir hatten ein ähnli ches Thema für die Aktuelle Debatte in Erwägung gezogen. Denn die EU im Dezember 2020 ist eine ganz andere als noch vor einem Jahr. Der Umgang mit dem Austritt Großbritanni ens ist dabei fast noch das Unwichtigste. Vielleicht kommt in den letzten Tagen vor dem Austritt noch ein Handelsabkom men zustande, vielleicht auch nicht.

Zu kritisieren ist auf jeden Fall die Verhandlungsführung durch die EU und das Versagen der deutschen und der badenwürttembergischen Regierung, für die Interessen unseres Lan des einzustehen. Allein in Baden-Württemberg stehen 30 000 Industriearbeitsplätze auf dem Spiel. Man hört von der Lan

desregierung jedoch nichts. Sowohl den Inhalt als auch das Auftreten der EU selbst, namentlich von dem Franzosen Bar nier, kann man nur mit den Worten „hochmütig“ und „impe rial“ beschreiben. So kann man nicht verhandeln,

(Beifall)

und man darf gespannt sein, ob überhaupt ein Abkommen zu stande kommt.

Aber das eigentliche Problem ist nicht der Brexit, sondern das, was hinter ihm steht. Dahinter steht eine EU, die, schlichtweg gesagt, ihren eigenen Zielen nicht genügt, die nämlich dabei, Europa an der Spitze der Industrienationen zu halten, total ver sagt hat.

Blicken wir auf die reale Leistungsbilanz dieses europäischen Friedensprojekts. Zur Währungspolitik nur so viel: EU und EZB sind eine einzige Finanzkatastrophe.

(Beifall)

Die Nettozahlungen Baden-Württembergs an die EU werden sich mindestens auf rund 7 Milliarden € pro Jahr erhöhen. Un sere einst harte Währung wurde zur Weichwährung. Wer dies nicht glauben will, erinnere sich an die Parität D-Mark zum Schweizer Franken, die es nahezu nominal unverändert zum heutigen Euro gibt – und bitte nicht den Umrechnungsfaktor 1,95583 vergessen.

Kommen wir zu Technologie und Forschung: Wissen Sie, wie viele der 20 innovativsten Unternehmen weltweit aus Deutsch land kommen? Null. Wissen Sie, wie viele der 20 innovativs ten führenden Unternehmen weltweit aus der EU kommen? Null. Wissen Sie, wie viele der zehn wichtigsten Internetsei ten aus Deutschland kommen? Null.

(Abg. Bernd Gögel AfD: Das sind Tatsachen!)

Wissen Sie, wie viele der 13 wichtigsten Internetseiten aus Europa kommen? Null.

(Zuruf)

Eine einzige kommt aus Europa, und zwar aus Russland.

(Zurufe)

Zur Digitalwirtschaft: Deutschland steht in der Digitalwirt schaft abgeschlagen auf Rang 5 der Technologienationen in der Welt.

(Zuruf)

Südkorea meldet 2,5-mal so viele entsprechende Patente beim EU-Patentamt an wie Deutschland – ich wiederhole: 2,5-mal so viele. Betrachtet man die fünf Länder USA, China, Japan, Südkorea und Deutschland, stellt man fest: Da ist unser Tech nologieanteil gerade einmal 7 %. 93 % der digitalen Zukunft finden woanders statt.

Aber es wird noch schlimmer: Unser digital abgehängtes Land ist noch das Beste in der EU.

(Vereinzelt Lachen)