Protokoll der Sitzung vom 26.10.2016

Der Herr Ministerpräsident hat auch die Rolle von Nils Schmid in diesen Verhandlungen angesprochen. Wir sprachen ja im Dezember 2015 auch von einem Durchbruch in den Verhand lungen. Damals, im Dezember 2015, klang das z. B. von Herrn Mack von der CDU noch ganz anders. Er hat damals von ei nem miserablen, ja gar von einem katastrophalen Verhand lungsergebnis für Baden-Württemberg gesprochen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Lieber Kollege Reinhart, Sie haben vorhin von einem Sieg der Vernunft gesprochen. Was denn nun: ein Sieg der Vernunft oder ein katastrophales Ergebnis? Auch die CDU müsste sich an diesem Punkt einmal entscheiden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der AfD – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

Ich möchte noch einmal sagen: Wir, die SPD, haben den Vor schlag der Regierungschefs vor gut einem Jahr mit erarbeitet und fanden ihn gut, auch weil wir gesehen haben, was realis tisch erreichbar ist. Wir finden auch den jetzt gefassten Be schluss grundsätzlich und unter dem Strich gut, der ja im We sentlichen dem Vorschlag von 2015 folgt. Herr Ministerprä sident, wir sind froh, dass dieses gute Ergebnis für BadenWürttemberg erreicht wurde, plädieren aber bei der Frage, wer dafür Verantwortung trägt, für einen Tick Ehrlichkeit.

Herr Kollege Schwarz, wenn Sie hier zu einer Quasi-Heilig sprechung anheben,

(Heiterkeit)

möchte ich eines doch ganz klar sagen: Die Länder, an der Spitze Olaf Scholz, haben hier sehr gut und sehr hart mit dem Bundesfinanzminister verhandelt. Wenn ich es so sagen darf: Seit der Ministerpräsident als Mitglied der B-Länder-Gruppe der CDU-Ministerpräsidenten tagt, habe ich das Gefühl, dass der Einfluss Baden-Württembergs nicht gestiegen ist, sondern dass Baden-Württemberg jetzt bei den B-Ländern am Katzen tisch sitzt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD und der CDU, u. a. Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Im Ge genteil!)

Da gibt es auch einen Katzentisch; da seien Sie mal sicher.

Selbstverständlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir gleichzeitig so ehrlich sein, zu sagen: Es ist kei ne Lösung für alle Tage, und es ist auch keine Lösung, die zu

einer überbordenden Transparenz in den Beziehungen zwi schen Bund und Ländern führt. Aber natürlich begrüßen wir es, wenn der bisherige Länderfinanzausgleich wegfällt und durch einen Finanzausgleich über die Umsatzsteuerverteilung ersetzt wird.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Also doch!)

Wir freuen uns auch darüber, dass der Tarif zum Ausgleich unterschiedlicher Finanzkraft abgesenkt wird. Wir sollten uns aber keine Illusionen machen: Klar ist, dass die Neuregelung nicht zwingend auch zu einer Vereinfachung führt.

Ich möchte bei der grundsätzlich positiven Bilanz gleichzei tig doch auf einige aus unserer Sicht problematische Punkte – Sie nannten es „Kröten“ – hinweisen.

Erstens: Die zusätzlichen Bundesmittel, von denen wir bei der Umsatzsteuer profitieren, werden zum größten Teil als Fest betrag gewährt. Mit fixen 2,6 Milliarden € für Baden-Würt temberg geht es um 311 Millionen €. Zieht der Bund einen Schlussstrich unter drei Politikfelder, die nach der Föderalis musreform den Ländern zur Bearbeitung übertragen wurden, für die die Länder aber vom Bund noch bis 2020 sogenannte Entflechtungsmittel erhalten – – Es geht um kommunale Stra ßen und den ÖPNV, es geht um Hochschulbauten, und es geht um die soziale Wohnraumförderung. Da die zusätzlichen Bun desmittel eben nur als Festbetrag gewährt werden und nicht als zusätzliche Umsatzsteuerpunkte, haben wir hier auf mitt lere und lange Sicht ein strukturelles Finanzierungsproblem, von dem ausgerechnet diese aus unserer Sicht sehr wichtigen Politikfelder betroffen sind. Das Land wird sich hier mit zu sätzlichen Landesmitteln stärker engagieren müssen als bis lang, und das wird für das Land – das müssen wir den Men schen auch sagen – ein finanzieller Kraftakt, meine sehr ge ehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens: Besonders dramatisch sehen wir, die SPD, diese Frage bezogen auf den sozialen Wohnungsbau. Da bekommen wir bis einschließlich 2019 doppelt so viele Mittel, wie uns ab 2020 aus dem Festbetrag zur Verfügung stehen. Wenn wir also nicht aufpassen, droht spätestens ab 2020 gerade in ei nem der wichtigsten Handlungsfelder für das Land, nämlich bei der sozialen Wohnraumförderung, ein deutlicher Rück gang. Wir Sozialdemokraten werden darauf achten, dass Grü ne und CDU die Mittel in diesen Bereichen nicht zurückfah ren. Baden-Württemberg braucht eine Offensive für bezahl bare Wohnungen, und da muss das Land auch aus eigenen Mitteln mehr Geld in die Hand nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Drittens: Herr Ministerpräsident, bei aller Kritik: Sie haben uns an Ihrer Seite, wenn es darum geht, dem Zentralismus des Bundes mit einem Plädoyer für den Föderalismus zu begeg nen. Baden-Württemberg hat eine Protokollnotiz hinterlegt – die übrigens öffentlich und nicht geheim ist –,

(Beifall des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD)

und diese Protokollnotiz lässt erkennen, dass wir skeptisch sind, wenn es um mehr Zentralisierung und weniger Födera

lismus geht. Wir unterstützen die Landesregierung bei ihrem Plädoyer für die föderale Ordnung Deutschlands, und wir un terstützen das Land konkret auch bei der Erwägung, ob eine sogenannte Opt-out-Lösung des Landes bei der Infrastruktur gesellschaft des Bundes zu überdenken ist, wenn es nämlich um unsere Bundesstraßen geht. Wir glauben nicht, dass der Bund das allein macht und dass dies vor allem auch immer im Interesse des Landes geschieht.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Daniel Rottmann AfD – Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Herr Ministerpräsident, zum Thema Bildung auch noch ein Wort vonseiten der SPD im Land Baden-Württemberg: Ich finde es überraschend, aber teilweise auch übertrieben, wenn von Bundespolitikern – auch der SPD – das Thema Koopera tionsverbot allzu schnell in den Mund genommen wird. Aus meiner Sicht hat der Bund im Rahmen der finanziell angemes senen Ausstattung der Länder eine Verantwortung dafür, dass Länder im Bildungsbereich handlungsfähig sind. Aber der Bund hat sich im Rahmen der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern aus bildungspolitischen Fragen herauszu halten. Das ist gute föderale Tradition, meine sehr geehrten Damen und Herren, und so wird es auch in Zukunft bleiben.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Rein hart CDU)

Vielleicht, Herr Ministerpräsident, denken Sie ja bei Ihrer Kri tik bezüglich der goldenen Zügel des Bundes ab und zu auch an die goldenen Zügel, die Sie den baden-württembergischen Kommunen anlegen wollen. Leider sind Sie auch hier wider sprüchlich unterwegs. Ich darf dazu Ihren Parteifreund, den Oberbürgermeister von Freiburg, zitieren, der es auf den Punkt bringt, wenn er in Sachen Kommunalfinanzen sagt:

Ich bin entsetzt, wie in der Landesregierung agiert wird.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Anton Baron AfD und Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Nehmen Sie sich das zu Herzen, Herr Ministerpräsident! Neh men Sie sich das zu Herzen, Herr Ministerpräsident, und las sen Sie der Einigung der Regierungschefs von Bund und Län dern eine Einigung des Landes mit seinen Kommunen – und zwar nicht zulasten seiner Kommunen – folgen. Eine Eini gung, wie sie SPD und Grüne in der vergangenen Legislatur periode mehrfach hinbekommen haben, eine Einigung auf gleicher Augenhöhe und nicht von oben herab, eine Einigung, die Land und Kommunen gemeinsam stärkt und nicht gegen einander ausspielt, eine Einigung, wie wir sie zu Recht vom Bund verlangt und erreicht haben, sollten wir auch gegenüber den Kommunen in unserem eigenen Bundesland zustande bringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Nun erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Gedeon.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ein Gesichtspunkt ist nicht genü

gend berücksichtigt worden, und zwar der grundsätzliche Ge sichtspunkt: Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass wir heute diese Struktur von Geber- und Nehmerländern haben? Liegt die Ursache nach wie vor darin, dass Bodenschätze so unterschiedlich verteilt sind? Zu der Zeit, als die Kohle noch die wichtigste Energiequelle war, hatte Nordrhein-Westfalen einen tatsächlichen Standortvorteil. Das ist aber heute sicher lich nicht mehr so. Denn mir ist nicht bekannt, dass in Bre men und in Berlin kein Öl gefunden würde, während es in Ba den-Württemberg und in Bayern nur so sprudeln würde. Sol che Unterschiede haben wir schon einmal nicht als Grundla ge.

(Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch: Sie haben zwei Minuten, gell?)

Das Gleiche gilt auch für die klimatische Situation. Auch der von Ihnen viel diskutierte Klimawandel tritt nicht nur in ei nem Bundesland wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen auf, während die Situation in Bayern und Baden-Württemberg wunderbar wäre.

Das alles ist nicht der Fall, meine Damen und Herren. Der ent scheidende Grund ist die Verschiedenheit der Haushaltsphi losophien zwischen den Ländern, die wir Nehmerländer nen nen, und den Ländern, die wir Geberländer nennen. Ich mei ne nicht die Haushaltsphilosophien der letzten Jahre, sondern die der letzten Jahrzehnte. Es sind im Wesentlichen Leute wie Strauß, Späth und Filbinger gewesen, die die Grundlagen für die heutige Aufteilung in Geber- und Nehmerländer gelegt hatten.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das war der Landtag von Baden-Württemberg! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Vor allem Filbinger! – Zuruf der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch)

Das ist der entscheidende Unterschied zu den Ländern, die zu nächst von Rot und später von Rot-Grün regiert worden sind, in denen nicht die ökonomische, sondern die ideologische Haushaltsführung an erster Stelle stand. Das heißt, man hat aus ideologischen Gründen immer mehr ausgegeben, als man eingenommen hat.

Diese Ideologisierung ist heute weit fortgeschritten, und zwar in einer Art und Weise, dass auch die Geberländer die Philo sophie der Nehmerländer übernommen haben und wir deshalb bald nur noch Nehmerländer haben werden und der Geber nur noch der Steuerzahler sein wird.

Gegen die Ideologisierung haben Sie während der gesamten Verhandlungen über den Länderfinanzausgleich nichts getan. Im Gegenteil ist es ja so: In der Flüchtlingspolitik

(Unruhe)

oder in der Europapolitik wird systematisch die ökonomische Vernunft ausgeschaltet. Das wenige, was hier von Herrn Kretschmann und von Herrn Seehofer als Erfolg gefeiert wird, ist allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie sagen ja selbst, Herr Kretschmann: „Die wesentlichen Fragen sind noch offen.“ Deshalb kann man von dicken Brettern überhaupt nicht reden.

Herr Schwarz, von Halleluja-Gesängen müssen wir uns wirk lich verabschieden. Allenfalls könnte man sagen...

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abg. Dr. Gedeon.

... – ja –: Es kreiß ten die Berge und gebaren ein Mäuslein. Oder, noch besser, mit Shakespeare: Viel Lärm um nichts.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Punkt 1 der Tagesordnung ist damit erledigt.