Protokoll der Sitzung vom 26.10.2016

Gestünde man den Ländern mehr steuerliche Autonomie, al so zentrale Gestaltungs- und Erhebungskompetenz, zu, die den Wettbewerbsgedanken zwischen den Ländern in sich trägt, würde die Eigenverantwortung der Länderebene auch auf der Einnahmeseite gestärkt. Erst das wäre dann eine Neuregelung im Sinne des föderalen Gedankens. Davon ist in der ganzen Reform nichts, aber auch wirklich gar nichts zu sehen.

(Beifall bei der AfD)

Was den angeblichen Transparenzzugewinn durch die Neure gelung anbelangt, so erzählt uns der Herr Ministerpräsident auch hier ein Märchen. Klar, was Herr Kretschmann sieht, ist, dass der Länderfinanzausgleich in seiner gegenwärtigen Form abgeschafft wird und entsprechend eine Stufe des Finanzaus gleichssystems wegfällt. Das stimmt. Das scheint auf den ers ten Blick auch der Transparenz zuträglich zu sein. Was Herr Kretschmann aber nicht sieht, nicht sehen will oder uns be wusst verschweigt – ich weiß es nicht –, ist, dass die parla mentarische Kontrolle und die politische Verantwortung der Länder geschwächt wird, weil der horizontale Ausgleich nun eben voll in die Umsatzsteuer und in die Bundesergänzungs zuweisungen verschoben wird.

Zudem ist so noch weniger ersichtlich als bislang, was die Ge berländer nun zur grundgesetzlich gebotenen Gleichwertig keit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet beisteuern. Es wird noch weniger als bislang ersichtlich, wie arg der durch aus begründete Solidaritätsgedanke – den negieren wir ja gar nicht – hier nun durch eine fortbestehende, lediglich neu or ganisierte Übernivellierung überstrapaziert wird. Genau das scheinen die beteiligten Entscheidungsträger aber wohl auch zu wollen. Wir Baden-Württemberger aber dürfen das nicht wollen und können das auch nicht wollen.

(Beifall bei der AfD)

Warten wir einmal ab, inwieweit der verhandelte Kompromiss in dieser Form tatsächlich Gesetz wird. Ich bin gespannt. Ich habe da durchaus noch hoffnungsvolle Zweifel, erfordert die ser Kompromiss doch eine ganze Reihe von Grundgesetzän derungen. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der verein barten Reformen steht für mich auf einem sehr wackligen Fun dament. Wir werden es sehen.

Abschließend bleibt zu konstatieren, dass die Chance, föde rale Finanzbeziehungen transparent, konsistent, effizient und anreizkompatibel zu gestalten, mit dieser Form der Neurege lung komplett vertan wurde. Wir, die AfD, sagen Ihnen zu al

ledem in aller Klarheit: Misserfolge als Erfolge zu verkaufen und zu feiern, das geht auf Dauer nicht gut.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Der kollektive, einheitsparteienübergreifende Selbstbelobi gungsmodus ist auch in Bezug auf die Neuordnung des bun desstaatlichen Finanzausgleichssystems völlig fehl am Platz.

Seien Sie versichert: Wir werden mit Argusaugen darüber wa chen, was Sie mit dem sauer verdienten Steuergeld der Ba den-Württemberger so anstellen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Überlegen Sie sich also gut, was Sie hier tun. Es gibt nämlich wieder eine Opposition in Deutschland, die darauf achtet – so lästig Ihnen das auch sein mag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Fraktionsvorsitzenden Stoch.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Ich möchte vorwegschicken, dass der ge fundene Kompromiss im Rahmen der Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen die Unterstützung der SPDFraktion findet. Ich möchte aber gleichzeitig auch vorweg schicken, dass der gefundene Kompromiss aufgrund der vie len Interessen der Personen, die da am Tisch sitzen, letztlich ein zufriedenstellendes, aber kein euphorisch zu begrüßendes Ergebnis ist.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich glaube, das Wichtigs te, was wir als Vertreter eines der Geberländer in Deutschland konstatieren müssen, ist, dass wir zunächst, für die Zeit ab 2020, neue Handlungsspielräume gewinnen, wenngleich – ich möchte darauf dann auch noch näher eingehen – wir sehr ge nau darauf achten müssen, dass die grundsätzliche Ordnung, dass die Kompetenzzuweisung zwischen Bund und Ländern nicht in negativer Weise – nämlich zulasten der Länder – ver schoben wird. Ich glaube, hier ist jetzt eine Grenze erreicht, und wir, das Bundesland Baden-Württemberg, müssen hier sehr, sehr wachsam sein.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU so wie des Abg. Andreas Schwarz GRÜNE)

Lassen Sie mich aber mit einem Punkt beginnen, der vielleicht auf den ersten Blick etwas überraschend wirkt. Es gibt näm lich in dem Beschluss der Regierungschefs einen etwas ver steckten Punkt, der aber letztlich Auslöser für die langen und schwierigen Verhandlungen von Bund und Ländern über die Finanzbeziehungen ab 2020 war. Ich spreche von der Schul denbremse.

Unter Punkt 2 – Stärkung des Stabilitätsrates – heißt es in dem Beschluss der Regierungschefs:

Der Stabilitätsrat überwacht künftig auch die Einhaltung der Schuldenbremse durch Bund und Länder.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin im vergan genen Sommer von CDU und Grünen heftig attackiert wor den, als ich Aussagen zur Schuldenbremse getroffen und u. a. gesagt habe:

Ein schuldenfreier Haushalt ist kein Selbstzweck. So kann es besser sein, heute Straßen mit überschaubarem finan ziellen Aufwand zu sanieren, als später mehr zu zahlen.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Aha!)

Das hat einen sehr aktuellen Anknüpfungspunkt.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Genau!)

Nach den Äußerungen des Ministerpräsidenten und der Fi nanzministerin in der gestrigen Regierungspressekonferenz scheint dies offensichtlich ja auch in der Umsetzung Teil der Politik des Landes Baden-Württemberg zu sein. Deswegen habe ich mich über die Aufregung gewundert. Ich habe das, was im Grundgesetz steht, ja nicht infrage gestellt, sondern lediglich das wiedergegeben, was im Grundgesetz steht. Dort steht nämlich, dass eine Nettokreditaufnahme auch nach 2020 zulässig ist, wenn wir uns z. B. in einer Rezession befinden und trotz Rezession dringend notwendige Investitionen finan zieren müssen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben gestern im Gegensatz zu mir aber die Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert ist, grundsätzlich infrage gestellt. Sie haben nämlich, wenn Sie so wollen, eine neue Mauschelei erfunden.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Ach!)

Sie definieren jetzt eine bestimmte Art von Ausgaben einfach als Schuldentilgung und bieten damit eine gänzlich neue De finition der Schuldenbremse an. Sie sagen im Klartext, dass die Finanzierung bestimmter Ausgaben über neue Schulden unter dem Strich gar keine Kreditaufnahme sei, weil mit den Ausgaben ja eine implizite Verschuldung, z. B. der Sanie rungsstau bei Straßen und Brücken, reduziert werde. Herr Mi nisterpräsident, damit kehren Sie aber zurück zu der Schul denbremse des Grundgesetzes, die wir jahrzehntelang hatten, nämlich zu der Vorgabe, dass neue Schulden nur in Höhe neu er Investitionen zulässig sind.

Jetzt wäre es ja das eine, wenn Sie nur politisch erklären wür den, Sie wollten mit einem Sanierungsprogramm die implizi te Verschuldung des Landes reduzieren. Das ist eine Argumen tation, die ich durchaus nachvollziehen kann.

Sie gehen aber einen entscheidenden Schritt weiter. Da wun dert mich – gerade bei den Aussagen der CDU in der Vergan genheit –, dass hier nunmehr eine Änderung der Landeshaus haltsordnung beschlossen werden soll, damit das Ganze dann doch irgendwie zur Schuldenbremse passt,

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Der dazugehöri gen Verordnung!)

weil Ihnen die Schuldenbremse, die heute in Baden-Württem berg gesetzt ist, nicht passt. Sie wollen nicht, wie es diese Schuldenbremse vorschreibt, im kommenden Haushaltsjahr rund 300 Millionen € tilgen – und das, obwohl Sie derzeit im Geld schwimmen und obwohl genau jetzt der richtige Zeit

punkt zum Schuldentilgen wäre und immer noch genügend Geld da ist, um in Straßen, Brücken und Gebäude des Landes und im Übrigen auch in Bildung zu investieren.

(Beifall bei der SPD)

Ich werde gleich aufzeigen, warum das unmittelbar auch für die Bund-Länder-Finanzbeziehungen eine Rolle spielt.

Nein, Sie wollen jetzt 300 Millionen € ausgeben und schrei ben auch noch über die Landeshaushaltsordnung fest, dass diese Ausgabe dem Tilgen von Schulden gleichkomme. Mit dieser Mauschelei führen Sie die grundgesetzliche Schulden bremse geradezu ad absurdum. Ich bin sehr gespannt, wie der Stabilitätsrat, der ja in der Regelung der Bund-Länder-Finanz beziehungen eigens genannt wird, der die Einhaltung der Schuldenbremse überwachen soll, diese kreative Buchführung von CDU und Grünen bewertet.

Herr Ministerpräsident, eigentlich müsste man Ihnen gratu lieren. Im Koalitionsvertrag erklären Sie öffentlich: „Wir wol len die Schuldenbremse in der Landesverfassung verankern.“ Das klingt mutig, das klingt seriös, und das klingt so, als ob es Grüne und CDU mit der Schuldenbremse so richtig ernst meinten.

Beim Lesen der Zusatzvereinbarungen klingt das Ganze schon ein bisschen anders. Da heißt es auf Seite 3, nach der Auflis tung von Mehrausgaben in Höhe von über 2 Milliarden €:

Bei einer Übertragung der Schuldenbremse in die Lan desverfassung wird es keine Verschärfung im Vergleich zum Schuldenaufnahmeverbot im Grundgesetz der Bun desrepublik Deutschland geben.

Damit ist doch klar: Die Verankerung in der Landesverfas sung – wir haben erst vor Kurzem hier im Hohen Haus darü ber diskutiert – ist aus Sicht der Regierung eher ein symboli scher Akt. Denn das Grundgesetz gilt – das wird wohl nie mand infrage stellen – ohnehin in Baden-Württemberg. Aber bei Grünen und CDU geht es offensichtlich weniger um Po litik, sondern vielmehr um Politikmarketing.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, das Land Baden-Württemberg hat bei der Einigung der Regierungschefs etwas Positives für das Land erreicht. Ich glaube, Herr Kolle ge Rülke, die Erwartungen in den Raum zu stellen, dass all die Punkte, die Sie zu Recht angesprochen haben, im Rahmen dieser Verhandlungen erledigt werden könnten, war von vorn herein eine Illusion.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Nicht alle! Aber wenigstens ein paar!)

Deswegen müssen wir bei allem Verkünden von politischen Leistungen auch immer auf dem Teppich bleiben. Da schaue ich insbesondere Sie, Herr Kollege Schwarz, an. Es sollte für uns hier im Hohen Haus eine klare Aussage sein, dass durch diese Einigung zum Bund-Länder-Finanzausgleich eine Re gelung gefunden wurde, die uns hilft, ab dem Jahr 2020 Pla nungssicherheit zu haben. Dass wir aber davon reden könn ten, dass wir die Bund-Länder-Finanzbeziehungen in transpa renter Weise endgültig, ein für alle Mal geklärt hätten, ist ei

ne Illusion, und dies sollten wir so den Menschen nicht erzäh len.

(Beifall bei der SPD)

Die CDU überrascht mich immer wieder, so auch heute. Denn wir haben ja in den vergangenen Monaten häufig Kommenta re von der CDU zu den laufenden Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen gehört, gerade hier im Land. Ich erinnere mich – der Herr Ministerpräsident hat darauf hin gewiesen –: Die frühere, von Grünen und SPD getragene Lan desregierung hat sich um einen solchen Kompromiss auf der Ebene der Bundesländer und in den Verhandlungen bemüht.

Der Herr Ministerpräsident hat auch die Rolle von Nils Schmid in diesen Verhandlungen angesprochen. Wir sprachen ja im Dezember 2015 auch von einem Durchbruch in den Verhand lungen. Damals, im Dezember 2015, klang das z. B. von Herrn Mack von der CDU noch ganz anders. Er hat damals von ei nem miserablen, ja gar von einem katastrophalen Verhand lungsergebnis für Baden-Württemberg gesprochen.