Protokoll der Sitzung vom 10.11.2016

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 17. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württem berg.

Urlaub für heute habe ich Frau Abg. Häffner, Frau Abg. Nie mann und Herrn Abg. Dr. Schmid erteilt.

Krankgemeldet sind Frau Abg. Erikli, Herr Abg. Glück, Herr Abg. Hahn, Herr Abg. Maier, Herr Abg. Dr. Merz, Herr Abg. Dr. Rösler und Herr Abg. Walter.

(Unruhe)

Ich darf um etwas Ruhe bitten.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ganztägig Frau Staatssekretärin Schütz, Frau Staatssekretärin Dr. Splett sowie Frau Abg. Boser und Frau Abg. Wolle, die Frau Staats sekretärin Schütz auf einer Delegationsreise nach Belgien und in die Niederlande begleiten. Ab 12:00 Uhr entschuldigt hat sich Frau Staatssekretärin Gurr-Hirsch.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung ein treten, komme ich noch auf ein Ereignis vom Ende der gest rigen Plenarsitzung zu sprechen. Herr Abg. Räpple, Sie haben gestern Mitglieder des Landtags in einem Zwischenruf als „Volksverräter“ bezeichnet. Sie wurden von Herrn Vizepräsi dent Klenk nach der Sitzung dazu befragt und haben dies be kräftigt. Dies ist ein unparlamentarisches Verhalten.

(Abg. Alexander Salomon GRÜNE: Ein undemokra tisches Verhalten!)

Ich erteile Ihnen hiermit im Nachhinein förmlich einen Ord nungsruf.

Außerdem werde ich diesen Vorgang auf die Tagesordnung der nächsten Präsidiumssitzung nehmen.

Lassen Sie mich bitte zum generellen Verfahren in solchen Fällen noch etwas sagen: Es ist bei der üblichen Lautstärke bei Aussprachen weder mir und meinem Kollegen Klenk noch den Schriftführern möglich, alle Zwischenrufe zu verstehen. Auch der Zwischenruf des Abg. Räpple war gestern von hier oben nicht zu hören. Ich möchte klarstellen, dass zu Zwischen rufen im Plenum keine Aussprache über die Art oder den In halt sowie die Behandlung des Zwischenrufs erfolgen kann.

Nun treten wir in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Studierst du noch oder gründest du schon? – Hochschulen als Quelle der Gründerkultur – be antragt von der Fraktion GRÜNE

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landes regierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 unserer Geschäftsord nung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

In der Aussprache erteile ich das Wort für die Fraktion GRÜ NE Herrn Abg. Salomon.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, sehr geehrte Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht kennen Sie das Format „Die Höhle der Löwen“. Wenn nicht: Es handelt sich nicht um den Land tag; das hätte man gestern Morgen ja vermuten können, so, wie die Debatte verlaufen ist. Vielmehr ist das ein Sendungs format, in dem Start-ups auf Investoren treffen. Es geht dar um, dass man Business Cases, Ideen hat und dass dann ein Zuschlag durch Investoren erteilt wird, zum einen durch be reitgestellte Mittel, zum anderen aber auch durch eine strate gische Partnerschaft.

Leider – das muss ich auch als Mitglied des Rundfunkrats des SWR sagen – ist das kein Format des SWR, sondern es läuft auf einem privatrechtlichen Sender. Aber der Link, die Ver bindung zur heutigen Debatte führt darüber, dass erst vor Kur zem das Start-up Studybees aus Mannheim sich dort vorge stellt hat, auch wenn es leider nicht den Zuschlag erhalten hat. Bei dieser Start-up-Firma geht es darum, dass für Studieren de Seminare angeboten werden – eine gute, eine spannende Idee. Sie können sich das – ausgelöst durch die heutige De batte – ja einmal anschauen.

Nun ist Gründung aber per se kein Unterhaltungsformat. Sol che Formate wie „Die Höhle der Löwen“ können jedoch da zu beitragen, dass zumindest verstanden wird, wie und woher das Neue in die Welt kommt. Das ist ein guter Beitrag. Tatsa che ist darüber hinaus, dass Baden-Württemberg in allen In dizes von Forschung und Entwicklung immer ganz vorn liegt. Das ist ein Verdienst der Industrie und deren Forschungsab teilungen; es ist ein Verdienst der Fraunhofer-Institute und der Innovationsallianz. Aber ganz besonders möchte ich natürlich unsere hervorragenden Hochschulen in den Mittelpunkt stel len; denn hier kommt das Neue in die Welt.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Deswegen müssen Hochschulen auch die Quellen der Grün derkultur sein.

Aber einmal ganz grundsätzlich: Warum brauchen wir denn überhaupt Gründungen? Meine Antwort: Veränderung ist der Sauerstoff unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Wenn wir morgen noch erfolgreich sein wollen, müssen wir uns in ei nem globalen Markt ständig selbst Konkurrenz machen, uns neu erfinden. Dabei muss das Hauptaugenmerk aus meiner Sicht, aus unserer Sicht nicht in erster Linie auf Firmen wie Bosch, SAP und Daimler liegen, sondern auf den kleinen und mittleren Unternehmen, den KMUs in unserem Land. Denn diese bilden das Fundament und den Nährboden unseres Er folgs.

Nun gibt es ein kleines Problem in dieser gesamten Debatte: Innovation kann man nicht staatlich verordnen. Wir können kein Gesetz machen und sagen: Innovation muss jetzt gesche hen. Aber wir können die Rahmenbedingungen dafür schaf fen, dass Innovation möglich ist, und dann sind wir gehalten, die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um ei ne Gründerkultur in unseren Hochschulen zu gewährleisten.

Die Zutaten hierfür heißen Kreativität und das entsprechende Handwerkszeug. Nun wachsen nicht in jeder Umgebung wie in einem Gewächshaus die Ideen gleich aus dem Boden. Ich will mich weder inhaltlich noch vom Stil her an die gestrige Debatte anlehnen. Aber ich glaube, wenn man über Qualität von Bildung diskutiert, darf man Bildung nicht hauptsächlich als Wissensansammlung verstehen. Bildung ist unserer An sicht nach mehr; gerade im Lichte der stärker werdenden Di gitalisierung ist es nämlich ziemlich sicher, dass ein Großteil der repetitiven Aufgaben und Handlungen in Zukunft substi tuiert werden.

Das stellt unseren bisherigen Bildungsbegriff vor ein immen ses Problem. Gerade wenn wir über Gründung, über Selbst ständigkeit reden, müssen wir Bildung insbesondere auch un ter dem Stichwort der Förderung von Kreativität verstehen. Kreativität braucht zur Entfaltung zuallererst einmal Freiräu me und natürlich – was immer vergessen wird – auch Zeit. Man wird nicht automatisch kreativ, sondern man braucht auch den Raum und die Zeit.

Deswegen ist es mir besonders wichtig, dass wir alles dafür tun, das Studium so zu organisieren, dass solche anregenden Freiräume vorhanden sind: für Praktika, für die Möglichkeit des Ausprobierens, für den mutigen Blick über den diszipli nären Tellerrand – Stichwort Interdisziplinarität –, für den Schritt ins Unbekannte. Deswegen haben wir im Koalitions vertrag auch festgelegt, dass wir uns noch einmal die Studi enbedingungen dahin gehend anschauen werden, ob solche Freiräume auch innerhalb der derzeitigen Studiengänge mög lich sind oder ob es da Handlungsbedarf gibt.

Die zweite Zutat, die man braucht, um Innovationen zu schaf fen und Gründungen zu ermöglichen, ist ein solides Hand werkszeug, das zur Kreativität dazugehört. Also: Wie entwick le ich einen Businessplan? Wie wird aus meiner Idee ein Ge schäftsplan, oder wie erreiche ich, dass eine Idee auch wirk lich umsetzbar ist? In Baden-Württemberg, aber auch in Ge samtdeutschland gab es immer wieder gute Ideen. Das Stich wort, das immer wieder erscheint, ist das Format MP3, das in Deutschland in den Fraunhofer-Instituten erfunden wurde.

Doch bei der internationalen Vermarktung hatten wir nicht den gewünschten Erfolg, teilweise auch nicht bei der Elekt romobilität.

Die Frage lautet also: Wie gestalten wir den Weg von der Idee zum Produkt? Das ist ein wesentlicher Baustein, wenn man über dieses Thema redet.

Wer heute Ingenieurwissenschaft, Medizin oder Physik stu diert, der hat nicht per se und auch nicht automatisch die Kenntnis davon, wie man ein Unternehmen gründet oder wie man ein Produkt an den Markt bringt. Das ist ein Ansatzpunkt, den wir angehen müssen. Deswegen freue ich mich, dass Frau Ministerin Theresia Bauer die Initiative zu dem Programm „Gründungskultur in Studium und Lehre“ ergriffen hat. Ge nau hier und beim soliden Handwerkszeug im Studium jen seits der Wirtschaftsfächer ist anzusetzen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Ich glaube, da darf man ruhig klatschen. – Dabei dürfen wir den Gründungsgedanken nicht auf die Wirtschaft beschrän ken, sondern wir sollten auch soziale Innovationen in den Blick nehmen. Dazu noch zwei Gedanken: Das Förderpro gramm „Reallabor“ setzt bisher vor allem auf den wechsel seitigen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis. Zu die sem Bereich könnte aus meiner Sicht bei zukünftigen Aus schreibungen auch das Thema Gründungskultur eine größere oder überhaupt eine Rolle spielen.

Ich möchte noch auf ein Projekt von internationaler Aufmerk samkeit zu sprechen kommen. Im Sommer dieses Jahres gab es im ZKM in Karlsruhe – als Karlsruher Abgeordneter habe ich ein besonderes Augenmerk auch darauf – den Landeskon gress des Wettbewerbs „shareBW“, mit dem das Land BadenWürttemberg nach Gründungen an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit, Sharing Economy und Markt gesucht hat.

Schauen Sie sich das bei Gelegenheit einmal an. Jetzt gibt es nicht nur Studybees, sondern auch „store2be“ oder die Gar tenpaten. Das sind sehr tolle Projekte, die viel zu wenig Auf merksamkeit haben und die für unsere Gesellschaft im sozia len und ökologischen Bereich wirklich etwas tun. Dieses For mat „shareBW“ sollten wir daher auf jeden Fall fortsetzen. Denn wir brauchen mehr soziale und ökologische Innovatio nen im Unternehmertum, um die globalen Herausforderungen zu bewältigen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Lassen Sie mich einen weiteren Gedanken in die Debatte ein bringen. Sharing muss man gestalten. Ich höre immer wieder, dass Sharing per se schlecht sei oder per se gut sei. So ist es nicht. Es ist nicht digital entweder 0 oder 1, sondern es gibt dazwischen viele Graubereiche. Sharing bedeutet bestimmt nicht nur Uber und Airbnb, sondern Sharing kann unseren Ressourceneinsatz optimieren und kann zur nachhaltigen Ent wicklung beitragen. Hier sehe ich wirklich eine unglaublich große Chance für unsere Gesellschaft, aber auch um die glo balen Herausforderungen zu bewältigen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Bei einer solchen Debatte darf natürlich die Frage nicht feh len: Was ist, wenn es einmal nicht klappt? Denn das gibt es

natürlich auch. Nicht alles ist erfolgreich und gut, sondern es gibt auch die andere Seite der Debatte.

Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu einem Zitat von Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagen. In seiner Re gierungserklärung sagte er:

Um an der Spitze zu bleiben, müssen wir etwas riskieren. Wir müssen uns trauen, Dinge radikal neu zu denken.... Dazu gehört für mich... eine Kultur des Scheiterns.

Das ist richtig. Trotzdem ist meine Devise – ich sage ganz be wusst „trotzdem“ –: Wer in Baden-Württemberg gründet, will etwas Gescheites auf die Beine stellen, der will nicht den kurz fristigen Erfolg, sondern will, dass sein Unternehmen und sei ne Gründung gelingen und dass am Schluss des Tages etwas herauskommt. Ich meine, das prägt die Wirtschaft und das Ge dankengut hier in Baden-Württemberg. Das ist hier anders als in anderen Regionen, in Berlin oder woanders. Wir wollen, dass es gelingt, und wollen nicht nur den kurzfristigen Erfolg. Das ist, glaube ich, ein wesentlicher Aspekt, der in BadenWürttemberg vorangestellt werden soll.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Wenn es dann doch einmal schiefgeht – da hat der Minister präsident doch recht –, dann gilt es, aufzustehen, die Kleidung zu richten, den Schmutz abzuwischen und es noch einmal zu versuchen. Das anzuerkennen, darum geht es auch bei dieser Debatte.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Frau Abg. Kurtz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, mei ne sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut und wichtig, dass wir uns in einer Aktuellen Debatte damit beschäftigen, was wir vonseiten der Politik möglicherweise leisten können, um in Baden-Würt temberg die Gründerkultur voranzubringen. Denn die Inno vationskraft junger Unternehmerinnen und Unternehmer ist ein entscheidender Baustein für den wirtschaftlichen Erfolg in unserem Land. Unternehmensgründungen von heute sind häufig der Mittelstand von morgen.

Dabei werden unsere Hochschulen immer wichtiger. Es wird zunehmend ihre Aufgabe sein, Impulse für Existenzgründun gen zu geben und Start-ups zu fördern. Denn Tatsache ist: In Deutschland gibt es eine rückläufige Unternehmensgrün dungsquote. Baden-Württemberg steht im Bundesvergleich bei Unternehmensgründungen im „Deutschen Start-up-Moni tor 2016“ recht gut da. 12,4 % der in Deutschland ansässigen Start-ups haben ihren Sitz in Baden-Württemberg. BadenWürttemberg liegt auf dem dritten Platz nach Berlin und Nordrhein-Westfalen. Die Region Stuttgart/Karlsruhe wird in diesem Monitoring zusammengefasst und gilt sogar als einer der fünf deutschen Gründungs-Hotspots. Das verwundert uns nicht; denn wir haben ja gerade dort starke Universitäten und Fachhochschulen. 8,9 % der Start-ups in Deutschland befin den sich in Stuttgart oder in Karlsruhe.

Wir sehen also: Baden-Württemberg steht im Vergleich gut da, aber es gibt natürlich noch ganz schön Luft nach oben. Deswegen haben wir es uns zum Ziel gesetzt, Baden-Würt temberg zur dynamischsten Gründerregion in Europa zu ma chen.