Antrag der Fraktion der FDP/DVP und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Wird die grün-schwarze Landesregierung den grün-roten Kurs der einseitigen Fixierung auf die Pflichtganztagsschule fortführen oder sich für Wahlfreiheit einsetzen? – Druck sache 16/64 (Geänderte Fassung)
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Rede zeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Gestatten Sie, dass ich meine Rede mit drei Zitaten beginne:
Echte Wahlfreiheit zu haben, die den Bedürfnissen mei ner Kinder und unserer Familie am ehesten gerecht wird. Die Möglichkeit, auf individuelle Bedürfnisse meiner Kin der einzugehen, diese gezielt zu fördern und in ihrer ge samtheitlichen Entwicklung individuell zu unterstützen. Fähig- und Fertigkeiten zu erlernen, die nicht in der Grundschule angeboten und vermittelt werden. Ich möch te entscheiden können!
Ich habe selbst vor 15 Jahren von offenen Systemen pro fitiert, als ich als junge Mutter zwischen verschiedenen Arbeitszeitmodellen wechseln konnte und die Betreuung meines Grundschulkindes jeweils anpassen konnte. Wir brauchen diese Flexibilität, weil der Arbeitsmarkt das Gleiche von den berufstätigen Eltern verlangt.
Um meinen Kindern die Möglichkeit zu geben, Kind zu sein. Soziale Kontakte unter Freunden zu pflegen. Spie len zu können. Weiterhin auch an Vereinsaktivitäten teil zunehmen und nicht nur fünf Tage die Woche nur an die Schule zu denken. Dieses Leben erfahren die Kinder im Job noch früh genug. Als Vereinsvorstand ist es für die Vereine wichtig, dass die Kinder auch noch die Vereins aktivitäten wahrnehmen können.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, treffender als diese Zitate kann man eigentlich nicht auf den Punkt bringen, worum es bei der offenen Ganztagsschule geht. Die Zitate stammen übrigens alle von Unterzeichnern der Onlinepetiti on „GRUNDSCHULE: Für ECHTE Wahlfreiheit und Frei willigkeit im Ganztag!“, die vor knapp zwei Wochen angelau fen ist.
Dass das Thema „Ganztag, offen oder verpflichtend?“ zahl reiche Bürgerinnen und Bürger umtreibt, hat auch die Kultus ministerin bemerkt und für morgen einen Ganztagsgipfel an beraumt. Noch hat sie uns allerdings nicht wissen lassen, wo hin die Reise gehen soll.
Als sie zu Beginn ihrer Amtszeit zum Thema Ganztag befragt wurde, sprach sie noch von einem „Flickenteppich“. Das ließ die Anhänger der Wahlfreiheit besorgt aufhorchen, denn die jetzige Kultusministerin hatte sich bereits in ihrer Zeit als Stuttgarter Schulbürgermeisterin als Verfechterin der eisen harten Linie –
Ganztag oder gar nicht Ganztag – profiliert. Für Zwischenlö sungen wie den offenen Ganztag oder Horte als Ergänzung zur Schule war im eisenmannschen Modell kein Platz mehr. Das Modell war damit im Grunde genommen die Blaupause für das Ganztagsmodell von Grün-Rot. Nur die verpflichtend rhythmisierte Ganztagsschule nahm die damalige Regierungs koalition ins Schulgesetz auf.
Wenn nun jemand nach dem Verbleib der offenen Ganztags schule fragte, kam von Grün-Rot damals reflexartig die Ant wort: „Die haben wir doch schon. Wir nennen das Wahlform, und die steht ja auch im Schulgesetz.“ Die Wahlform bedeu tet aber nur, dass eine Schule einen Ganztagszug und einen Halbtagszug anbietet. Da der Ganztag zwingend rhythmisiert zu erfolgen hat, wie § 4 a Absatz 1 des Schulgesetzes verfügt, kann ein Halbtagsschüler auch nicht einfach an einzelnen An geboten des Ganztags teilnehmen, weil diese über den ganzen Tag verteilt sind. Wahlform heißt im Klartext: Ganztag oder gar nicht Ganztag.
Im Unterschied dazu bedeutet die offene Ganztagsschule Un terricht am Vormittag und offene Angebote nachmittags. Das bedeutet deshalb ein Mehr an Wahlfreiheit, weil die Eltern da rüber entscheiden, an welchen Nachmittagen ihr Kind die Schule besucht und an welchen nicht.
An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, sei mit ei nem zweiten sorgsam gepflegten Missverständnis aufgeräumt. Anders als von Grün-Rot behauptet, besitzt auch die offene Ganztagsschule einen verbindlichen Rahmen. Der Gesetzent wurf der FDP/DVP-Landtagsfraktion zur Einführung einer of fenen wie einer gebundenen Ganztagsschule im Schulgesetz sah vor, dass die Anmeldung für ein offenes Angebot mindes tens für ein Schulhalbjahr verbindlich ist.
Der liberale Gesetzentwurf bekam von der grün-roten Regie rungsmehrheit aber bekanntlich keine Chance. Dabei ist die offene Ganztagsschule offenbar beliebt, so beliebt, dass ihr selbst die Privilegierung der verpflichtend rhythmisierten Ganz tagsschule kaum etwas anhaben konnte. Trotz lockender bes serer Ausstattung mit bis zu zwölf Lehrerwochenstunden pro Klasse haben seit dem Schuljahr 2014/2015 bis jetzt laut Lan desregierung nur 132 offene und teilgebundene Ganztagsschu len auf den verpflichtenden Ganztag nach dem Schulgesetz umgestellt. 222 Ganztagsschulen sind demnach im Schulver such geblieben.
Der Städtetag verweist darauf, dass aktuell nur 16 % der 2 400 Grundschulen im Ganztagsbetrieb sind, und darauf, dass die grün-rote Landesregierung 2014 noch mit einer Ganztags grundschulquote von rund 70 % bis 2023 rechnete. Eine Um frage von INSA-CONSULERE im Auftrag der CDU/CSUFraktionsvorsitzendenkonferenz kam 2014 zu dem Ergebnis, dass 62 % der Eltern eine Ganztagsschule mit freiwilligen An geboten am Nachmittag wünschen. Weitere 16 % halten eine Halbtagsschule für ausreichend, und nur 20 % sind für ver pflichtende Ganztagsschulen.
Auch die Erfolgsgeschichte der Horte belegt den Bedarf an flexiblen Betreuungsmöglichkeiten. Zwischen dem Schuljahr 2011/2012 und dem Schuljahr 2014/2015 hat sich die Zahl der vom Land geförderten Horte von landesweit 16 487 auf 20 558 erhöht. Davon sind 2 579 Neugruppen. Das bedeutet eine Stei gerung um knapp ein Viertel in vier Jahren. Mit einer steigen den Tendenz wird gerechnet.
Dass mit der Einführung der verpflichtenden Ganztagsschule die Hortbezuschussung gekippt wird, wirkt völlig aus der Zeit gefallen. Weder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird so gefördert, noch wird der Wunsch vieler Familien nach ei genständiger Gestaltung ihrer freien Zeit respektiert.
Wir Freien Demokraten sind außerdem davon überzeugt, dass die Verankerung der offenen Ganztagsschule im Schulgesetz dabei hilft, dass Schule in der Zivilgesellschaft auch veran kert bleibt. Die FDP/DVP-Fraktion hat die Monetarisierung ausdrücklich unterstützt. Die Schulen können ihnen zugewie sene Personalmittel demnach zur Hälfte für Kooperationen mit außerschulischen Partnern verwenden. Besser aber wäre ein Kooperationsbudget für alle Schulen und damit ein ech ter Anreiz, beispielsweise mit Sport- oder Musikvereinen, mit Musik- oder Kunstschulen, mit Trägern der Jugendarbeit und vielen anderen gemeinsam schulische Angebote zu entwickeln und auch durchzuführen.
Gleichzeitig sollte es nach unserer Auffassung auch weiterhin Angebote, das heißt eine Zivilgesellschaft außerhalb des Schul betriebs geben. Mit der einseitigen Fixierung auf die verpflich tend rhythmisierte Ganztagsschule ignorierte die grün-rote Landesregierung nicht nur die Realität und die Bedürfnisse unserer Gesellschaft, sondern konterkarierte sie. Das grün-ro te Ganztagsmodell ist nichts anderes als ein einseitiges Scheu klappenzwangsmodell.
Die Kommunen sind da deutlich weiter als die Landesregie rung. Ich zitiere aus der „Südwest Presse“ vom 22. Novem ber:
Die Förderpolitik des Landes nach dem Motto „Ganzoder-gar-nicht“ werde der Lebenswirklichkeit an den Schulen nicht gerecht und erzeuge dort lähmende Kon flikte, sagte Bildungsdezernent Norbert Brugger. „Wir müssen respektieren, dass ein Teil der Elternschaft flexi ble Angebote gegenüber verbindlichen Ganztagsangebo ten bevorzugt.“
Wir Freien Demokraten fordern deshalb, neben der verpflich tenden auch die offene Ganztagsschule ins Schulgesetz auf zunehmen und die Horte unabhängig von der Ganztagsschu le wieder zu fördern. Die CDU hat im Übrigen einem gleich lautenden FDP/DVP-Antrag vor einem Jahr bereits zuge stimmt.
Die Onlinepetition hat übrigens mittlerweile – Stand heute Morgen – die Marke von 1 113 Unterstützern geknackt. Da zu gratuliert die FDP/DVP-Fraktion den Initiatoren sehr herz lich. Gern würden wir auch Grün-Schwarz, der Landesregie rung, zur Einsicht gratulieren, dass erfolgreicher Ganztagsbe trieb und Wahlfreiheit untrennbar miteinander verbunden sind.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Für uns sind Verlässlichkeit und Qualität die wichtigsten Leitlinien für die kommenden Jahre in der Bildungspolitik. Daher war die ge setzliche Verankerung der Ganztagsschule an Grundschulen und den Grundstufen der Förderschulen eine der wichtigsten bildungspolitischen Maßnahmen der letzten Legislatur. Da mit wurden die Rahmenbedingungen für die Ganztagsgrund schule nicht nur enorm verbessert, sondern sie wurden auf ei ne qualitativ hochwertige Grundlage gestellt.
Gemeinsam mit den Kommunen wurde dabei klar vereinbart, dass das Land die Ganztagsschule so ausstattet, dass vor Ort ein gutes Konzept umgesetzt werden kann, und die Schulträ ger – die Gemeinden und Kreise – sich nach wie vor für fle xible Angebote einsetzen. Ein gutes pädagogisches Konzept ist dabei für uns die wichtigste Voraussetzung, um den Schü lerinnen und Schülern im Ganztagsbetrieb die bestmögliche Förderung mit auf den Weg zu geben.
Aber nicht nur die individuelle Förderung ist ein wichtiger Mehrwert in diesem Ganztagskonzept. Auch die Einbindung von außerschulischen Partnern, um ein breites Zusatzangebot im sportlichen, musischen oder künstlerischen Bereich zu lie fern, ist ein wichtiger Baustein in unserem Ganztagskonzept.
Für uns Grüne ist eines klar: Qualität und Verlässlichkeit sind auch in der Ganztagsschule die wichtigste Grundlage. Denn Ganztagsschule ist für uns mehr als nur ein Betreuungsange bot.
Natürlich sind wir auch in regem Austausch darüber, wie die ses Schulgesetz in der Öffentlichkeit, wie es vor Ort ankommt. Daher haben wir bereits im September ein Fachgespräch zum Ganztagskonzept durchgeführt. Wir haben mit allen an der Ganztagsgrundschule Beteiligten gesprochen. Das Ergebnis dieses Fachgesprächs war völlig klar: Für dieses Ganztags schulkonzept wurde viel Lob ausgesprochen.
Weder der Landeselternbeirat, der Landesschülerbeirat, die Lehrerverbände noch die anwesenden Schulen – keiner von ihnen – sahen gravierenden Änderungsbedarf. Dieses Fach gespräch hat uns damit gezeigt: Das Gesetz ist eine sehr gute Grundlage für die Umsetzung der Ganztagsgrundschule in Ba den-Württemberg.
Wir haben dabei auch Kritik mitgenommen. Diese kam vor allem von den außerschulischen Partnern – mit dem Hinweis, sie würden noch zu wenig vor Ort eingebunden. Diese Kritik nehmen wir gern auf. Unser Interesse ist dabei völlig klar: Wir wollen, dass die außerschulischen Partner gut in die Ganztags grundschule integriert und gut beteiligt werden. Daher wird es unser Anliegen sein, zu prüfen, wie wir die Rahmenbedin gungen verbessern können, damit außerschulische Partner besser mit in die Ganztagsschule eingebunden werden.
Als zweite Kritik wurde geäußert, dass das Mittagsband nicht Teil des pädagogischen Konzepts ist. Da wurde eher der Wunsch geäußert, auch das Mittagsband mit in die Pädagogik aufzu nehmen und zu versuchen, gerade für Kinder an Grundschu len auch in der Mittagspause ein familiäres Umfeld zu ge währleisten, das diese brauchen, und den Schulen die Mög lichkeit zu geben, auch das Mittagsband zu integrieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Qualität ist auch für die Eltern das wichtigste Kriterium. Dies zeigt die repräsen tative Umfrage der Bertelsmann Stiftung zur Ganztagsschu le, deren Ergebnis im September veröffentlicht wurde. Eine Kernaussage hierbei war: Eltern von Kindern an Ganztags schulen sind zufriedener als Eltern von Kindern an Halbtags schulen.
Im Detail hat die Umfrage gezeigt, dass die besten Noten für die – für die Chancengerechtigkeit notwendige – individuel le Förderung an gebundene Ganztagsschulen vergeben wur den. Dort zeigten sich 70 % der Eltern davon überzeugt, dass
die individuelle Förderung bestmöglich umgesetzt wird. Bei den offenen Ganztagsangeboten waren es 63 %.