Protokoll der Sitzung vom 23.11.2016

Ich darf hier auch noch einmal deutlich machen: Wenn ich das 2014 allein hätte entscheiden können, hätte ich mich aus schließlich für die gebundene Form ausgesprochen. Wie ge sagt: Das Gesetz war ein Kompromiss.

Diese Flexibilität reicht der FDP/DVP nicht. Es geht Ihnen er kennbar ausschließlich um die Betreuung. Von pädagogischen Überlegungen oder der oft beschworenen Qualität lese ich in Ihrem Antrag kein Wort. Liebe Kollegen, Ihre Klientel sorgt selbst für Pädagogik und Qualität; die kann es sich auch leis ten.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP schüttelt den Kopf. – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Deshalb muss ich hier ganz deutlich sagen: Der Antrag der FDP/DVP ist eine Gefahr für die gebundene Ganztagsschule. Sie wollen das Bällebad nach Muster eines schwedischen Mö belhauses einführen und das auch noch bezuschusst bekom men.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Oh! Jetzt aber! Sie müssen das Niveau etwas steigern! – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Vermutlich wird es Sie nicht wundern, dass wir Ihren Antrag ablehnen müssen.

Ich bin einmal gespannt, meine Damen und Herren, was wir morgen als Ergebnis aus dem Ganztagsgipfel mitnehmen. Ich denke, die bessere Einbindung der außerschulischen Partner ist auch ein Thema, mit dem wir uns vor Ort immer wieder beschäftigen müssen. Ich bin auch zuversichtlich, dass wir hier und heute nicht die letzte Debatte zum Thema Ganztags schule geführt haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Gedeon.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Schon wie der? – Zuruf: Der will die Abschaffung!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte die hervorragenden Ausführungen des Kollegen Balzer im Praktisch-Konkreten noch durch ein paar philosophisch-konzeptionelle Begriffe er gänzen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Darauf freu en wir uns aber! – Abg. Winfried Mack CDU: Oje! Darauf haben wir gewartet!)

Die Halbtagsschule, wie wir sie kennen, ist der ideale Kom promiss zwischen Schule und Freizeit, zwischen grundsätzli chen Gegensätzen, die die menschliche Entwicklung ganz ent scheidend bestimmen: am Vormittag die Strukturierung, die Formierung durch die Schule, am Nachmittag die Öffnung, die Entfaltung, die Entwicklung von Fantasie, am Vormittag die Dominanz des Fremden, der Fremderfahrung in der Schu le, am Nachmittag die Dominanz der eigenen Erfahrung in der Natur oder in der Gruppe, wo auch immer,

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

am Vormittag das Kollektiv, in das sich der Einzelne vor al lem einzuordnen lernen muss, am Nachmittag dann der Frei raum vom Kollektiv, die Möglichkeit der Individuationsent faltung, die Möglichkeit der Entwicklung des Individuums – und nicht zuletzt der Gegensatz zwischen Staat und Gesell schaft: am Vormittag der Einfluss über die Schule durch den Staat, am Nachmittag durch die Gesellschaft insgesamt, die ja viel mehr als der Staat ist. Ich meine nicht nur die Ehren ämter, die Vereine, die ohne die Nachmittagsfreizeit gar nicht mehr agieren können, sondern auch und nicht zuletzt natür lich die Familie, die auch noch Zeit braucht, um die eigenen Kinder beeinflussen zu können.

In diesem Sinn ist die Halbtagsschule der Goldstandard, den wir aus verschiedenen sozialpolitischen Gründen natürlich nicht umsetzen können. Es müssen Kompromisse geschlos sen werden in dem Sinn, dass dann, wenn z. B. beide Eltern teile arbeiten, eine Nachmittagsbetreuung – nicht ein Nach mittagsunterricht – stattfinden muss. Deswegen ist die offene Ganztagsschule ein gut realisierbarer und gut vertretbarer Kompromiss, an dem wir festhalten sollten.

Die verpflichtende Ganztagsschule aber stellt eine dirigisti sche, individualfeindliche, kollektivistische Politik dar. Sie führt letztlich zu einer totalen Verstaatlichung der Kinder, und das wollen wir nicht.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Dr. Eisenmann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wird die grün-schwarze Landesregierung den grünroten Kurs der einseitigen Fixierung auf die Pflichtganztags schule fortführen oder sich für Wahlfreiheit einsetzen?“

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jetzt eine klare Antwort! – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Ja oder nein?)

Ja, wenn ich die Frage verstanden hätte, könnte ich auch ei ne klare Antwort geben.

(Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: So schwer ist die ei gentlich nicht!)

Nein, sie ist einfach aus der Zeit gefallen.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Ach so!)

88 % der Ganztagsschulen in Baden-Württemberg werden in Wahlform geführt. Wie man da von Pflicht reden kann – flä chendeckend in Baden-Württemberg –,

(Beifall bei der CDU)

habe ich nicht verstanden.

Frau Boser hat eben angesprochen, dass das Gesetz eine gu te Grundlage ist. Das sehe ich genauso. Es bietet den Eltern die Wahlfreiheit, die sie brauchen. Das ist unser Grundsatz. Es ist der Grundsatz dieses Gesetzes, und es ist der Grundsatz dessen, was die grüne Landesregierung, die grün-schwarze Landesregierung fortführen wird.

(Heiterkeit – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Ein freudscher Versprecher!)

Na ja, es war ja Ihr Ansatz.

Herr Kern, Sie haben gesagt, dass wir uns noch nicht festge legt hätten, wohin die Reise gehen soll. Das stimmt. Für mor gen haben wir 450 Fachleute eingeladen, die sich mit der Fra ge befassen, wie wir den Ganztagsbereich auf der Basis des sen, was wir haben, weiterentwickeln können. Ich freue mich, dass sich übrigens auch Fachleute hier aus diesem Haus über die Fraktionen hinweg mit angemeldet haben. Es ist ein Aus tausch, bei dem es darum geht, die Basis, die wir haben – fle xibel, Wahlfreiheit –, weiterzuentwickeln. Was wäre denn das für ein Politikstil, wenn ich bereits im Vorfeld Antworten ge ben würde und morgen mit denen, die dieses Thema gestal ten, offen diskutieren möchte? Das ist ein Politikstil, der nicht für die grün-schwarze Landesregierung steht, aber offensicht lich für die FDP/DVP.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD – Abg. Tobias Wald CDU: Sehr gut! – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Können Sie mir mal sagen, mit welcher Position Sie da reingehen?)

Herr Kern, ganz ruhig.

(Heiterkeit)

Herr Kern, ich glaube, außer der FDP/DVP hat jeder den An satz des morgigen Ganztagsgipfels verstanden.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Ach so!)

In Foren haben wir definiert, wo die Themenfelder sind, was die weitere Einbindung der außerschulischen Partner angeht. Wie funktioniert die Monetarisierung? Wie können wir mehr Flexibilität auf der Basis von gebundenen Ganztagsschulen ei nerseits – qualifiziert, rhythmisiert, auf hohem Niveau – und genau der Wahlfreiheit andererseits erreichen, die die Eltern

brauchen? Wollen wir mehr flexibilisieren? Das steht im Ko alitionsvertrag zwischen Grünen und CDU. Wer lesen kann, ist im Vorteil.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Es geht nicht darum, heute schon zu sagen, was wir machen wollen. Wir gehen offen in die Beratschlagung mit jenen, die die Verantwortung haben. Deshalb habe ich auch angekündigt – das meinen wir ernst –, dass wir morgen offen über Prob lemstellungen diskutieren, beispielsweise auch über das, was der Städtetag durchaus zu Recht anspricht, nämlich mehr und nicht weniger Flexibilität.

Wir werden morgen keine Entscheidungen treffen, weil das absolut unfair denen gegenüber wäre, die sich detailliert mit den Themen befassen. Wir werden in einer zweiten, gleichen Konferenz im Frühjahr präsentieren, was wir uns vorstellen können, erarbeitet auf der Basis der Ergebnisse vom morgi gen Tag. Wir wollen eine inhaltliche Weiterentwicklung, und zwar im Sinne einer Verbesserung und nicht einer Verschlech terung. Wir wollen gebundene und intensivere flexible Ange bote, wie es in der Einladung zur morgigen Konferenz steht und überall zu lesen ist. Deshalb verstehe ich den Ansatz der heutigen Debatte leider gar nicht.

Sie sprachen an, was in Stuttgart der Fall ist. Das ist ein gu tes Beispiel. Stuttgart ist eine Großstadt. Großstädte und länd liche Gebiete haben unterschiedliche Bedarfe. Auf die wollen wir mit unseren Ganztagsangeboten künftig noch besser re agieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das großstädtische Konzept der Landeshauptstadt Stuttgart – übrigens auf der Basis der Wahlfreiheit – funktioniert bestens. In Stuttgart besteht in allen Schulen, bis auf wenige Ausnah men, Wahlfreiheit. Dieses Konzept wurde vom Stuttgarter Ge meinderat – übrigens einschließlich der Stimmen der FDP – einmütig getragen.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Das kann ja in Stuttgart richtig sein! Aber es ist für andere Städte nicht richtig! – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das sagt sie doch!)

Sie sollten vielleicht daran arbeiten, Ihre Kommunikation zu verbessern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich weiß nicht, was da misszuverstehen ist.