Protokoll der Sitzung vom 30.11.2016

(Beifall des Abg. Emil Sänze AfD)

sondern dies sind Affekte, die die Probleme eher vergrößern, als dass sie zu ihrer Lösung beitragen würden.

Auch der von sogenannten Experten aus Wissenschaft und Po litik prognostizierte Untergang der britischen Wirtschaft ist bislang ausgeblieben. So ist etwa im Jahresvergleich das bri tische Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal nach dem Bre xit-Referendum um 2,3 % gestiegen – deutlich kräftiger, als die Optimisten unter den Skeptikern erwartet hätten.

Dass Großbritannien indes angesichts seiner internationalen Verflechtungen und seiner freihändlerischen Ideengeschichte nun ausgerechnet in dumpfen Isolationismus zu versinken droht, steht nicht zu befürchten. Viel zu stark ist auch inner halb der Brexit-Befürworter die Fraktion derjenigen, für die offene Märkte, offene Gesellschaften und nationale Souverä nität keinen Widerspruch bedeuten, sondern einander bedin gen. Es sollte daher in unserem ureigenen Interesse sein, ei nen fairen und pragmatischen Trennungsprozess konstruktiv zu begleiten, anstatt unter Krawall- und Empörgehabe Türen zuzuschlagen.

Baden-Württemberg sollte seine Möglichkeiten nutzen, hier zum Nutzen des Landes Weitsicht und Augenmaß walten zu lassen, und es sollte schrille Töne gegen das austrittswillige Königreich – welches für uns sicherlich auch in Zukunft in vielerlei Fragen wichtig sein wird – geflissentlich unterlassen.

(Beifall bei der AfD)

Was die Brexit-Folgen im Einzelnen bedeuten, sollte in einem Klima der Ruhe und der Sachlichkeit erörtert werden, bei spielsweise die Frage nach gemeinsamen Forschungsprogram men und deutsch-britischen Studentenaustauschen.

Dass nun Martin Schulz als Außenminister in spe demnächst möglicherweise ausgerechnet Amtskollege von Boris John son und dass Frank-Walter Steinmeier als designierter Bun despräsident Amtskollege von Donald Trump werden könn ten, entbehrt in diesem Zusammenhang nicht einer gewissen Ironie.

Meine Damen und Herren, in der EU-Flüchtlingspolitik muss endlich wieder Sinn für die Wirklichkeit handlungsleitend sein. Die Plädoyers der Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tsche chien und Slowakei für einen konsequenten europäischen Grenz- und Küstenschutz sind aus unserer Sicht unbedingt aufzugreifen. Überlegenswert ist auch, ob an der Zwölfmei lenzone vor der libyschen Küste ein Marineabwehrschirm auf gezogen werden kann. Denn in Libyen existiert keine funkti onierende Zentralregierung. Jedes Boot, das von dort auf bricht, kann auch zurückgebracht werden.

(Beifall bei der AfD)

Auf keinen Fall darf man die Migranten aufnehmen und nach Europa bringen, wie es jetzt geschieht. Dadurch wird auch das internationale Schleusertum gefördert. Europa muss seine Grenzsicherheit wieder eigenverantwortlich organisieren, und der Kontrollverlust von 2015, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf sich auf keinen Fall wiederholen.

(Beifall bei der AfD)

Das gemeinsame konzertierte und koordinierte Vorgehen der Länder zur Schließung der sogenannten Balkanroute war ein praktisches Beispiel gelebter europäischer Solidarität – gegen den Wunsch etlicher Entscheidungsträger in Berlin und Brüs sel. Aber gerade auch viele Bürger in Baden-Württemberg sind den Regierungen dieser Länder ausgesprochen dankbar, dass sie die Kraft und die Courage aufbrachten, die Herrschaft des Unrechts – wie Horst Seehofer es nannte – zu beenden. Nur sichere, kontrollierte Grenzen können Terroristen und Menschenschmugglern entgegentreten.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Als ei nen Schritt in die richtige Richtung sehe ich den Ausschuss der Regionen. Die Vertretung der regionalen und lokalen Ge bietskörperschaften in der EU muss vom Europäischen Par lament, vom Europäischen Rat und von der Kommission zu legislativen und nicht legislativen Maßnahmen, die die Städ te und Regionen betreffen, angehört werden. Hier ist ein ge deihliches und kooperatives Zusammenwirken auf jeden Fall zweckdienlich.

Ich bedanke mich sehr herzlich.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion er teile ich Herrn Abgeordnetenkollegen Hofelich das Wort.

Werter Herr Präsident, Kollegin nen und Kollegen! Ich darf für die sozialdemokratische Frak tion zum Europabericht – für dessen Vorlage wir sehr herzlich danken, Herr Minister – Stellung nehmen.

Aus der vorangegangenen Debatte ist mir noch ein Satz, ein Satzfetzen in Erinnerung. In ihm ist von „lächerlichen EU- und Globalisierungsgötzen“ gesprochen worden. Das ist nicht richtig. Wir sind in Europa baden-württembergische Patrioten und deutsche Patrioten, die wissen, dass Weltoffenheit und Welthandel Garanten unseres Glücks und unseres Wohlstands sind, meine Damen und Herren. Das ist die richtige Deutung dessen, was hier gesagt wird –

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

fairer Welthandel übrigens, in der Zukunft mehr denn je.

Wir haben durch die Präsidentschaftswahl in Amerika eine Si tuation, die Europa fordert. Es ist völlig klar, dass die USA auf ihrer Agenda stehen haben, mehr auf sich selbst zu schau en. Das mag man kritisieren, aber das wird Fakt sein. Dadurch wird Europa in eine andere Rolle kommen müssen. Es wird in eine Rolle kommen müssen, bei der es sich nicht überall auf der Welt engagiert, aber sich mehr engagieren muss. Eu ropa muss dies für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität tun – die Werte Europas seit 1789. Das ist unsere Aufgabe. Des wegen muss Europa handlungsstärker werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Baden-Württemberg ist eine staatlich verfasste europäische Region. Deswegen – Herr Minister, da sind wir uns einig – kommt auf uns in diesem Konzert auch eine besondere Ver antwortung zu – sicher auch im Ausschuss der Regionen, aber eben auch mit den Stimmen, die wir vor allem an anderer Stel le haben.

Ich möchte als positive Zwischenmeldung auch zum Bericht sagen – ich schließe mich da den Kollegen Kößler und Frey an –: Die Kommission selbst ist auch lernfähig. Das darf man an dieser Stelle einmal sagen. Der mehrjährige Finanzrahmen, der jetzt überprüft und vorgelegt wird, beinhaltet Modifikati onen, bei denen klar ist: Wir machen vor allem das, was eu ropäischen Mehrwert hat, und das ist richtig.

Die Fachpolitiken werden vorangetrieben. Die Fachpolitiken setzen eben auch darauf, dass Stärken Stärken bleiben und Stärken gestärkt werden. Deswegen sind wir auch nicht sozu sagen nur immer Reparaturbetrieb an anderer Stelle.

Wir haben, was den überquellenden Aufwand durch manche europäische Bürokratie angeht, die klare Aussage von Herrn Juncker, dass er mit dem Programm REFIT – ich glaube, so heißt es – in der Lage sein will, etwas dagegen zu tun. Aller dings muss klar sein: Das muss auch vor Ort bei uns ankom men und darf nicht nur eine reine Sprechblase sein, meine Da men und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der Grünen und der CDU)

Wichtig ist, dass wir in den Krisen, die wir hatten – die Flücht lingskrise, die Ukrainekrise, die Krimkrise, die Eurokrise –, und bei dem, was wir jetzt gerade vor uns sehen, auch agie ren. Dazu möchte ich in der verbleibenden Zeit noch ein paar Sätze zur Positionierung sagen.

Was den Brexit angeht, ist viel gesagt worden. Klar ist, dass der Satz gilt, Herr Kößler: „You can’t have the cake and eat it.“ Das geht nicht. Nur einer hat das einmal anders gesagt, als er für eine Frau gesungen hat: Billy Joel. In dem betreffenden Lied hat er gesagt: „She can have the cake and eat it, too.“ Aber das gehört irgendwo anders hin.

Wir haben hier die eindeutige Situation, dass wir angesichts der Schwere dieses Votums auch konsequent sein müssen.

Klar ist: Wenn man einmal draußen ist, dann ist man auch draußen. Dann beginnt man die Gespräche wieder von vorn. Aber es sollte keine halblauen Sachen geben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Vereinzelt Bei fall bei der FDP/DVP)

Ich meine aber auch, dass sich Europa und Großbritannien mit der Frage auseinandersetzen müssen, warum die City of Lon don mit den Börsen und den Bankinstituten für Europa ge stimmt hat und Mittelengland mit den darbenden Industriebe trieben gegen Europa gestimmt hat. Irgendetwas stimmt in der Wahrnehmung europäischer Politik aus großbritannischer Sicht nicht, meine Damen und Herren. Das kann uns nicht ruhen lassen.

Deswegen meine ich, dass die Zukunft auch den Dialog mit Großbritannien bringen wird. Denn wir hoffen, dass sich die Mehrheitsverhältnisse in Großbritannien ändern werden und die „Eisprinzessin“,

(Oh-Rufe)

die in der Downing Street derzeit vorndran ist, auch für die Politik, die von außen auf Europa einwirkt, nicht stilbildend wirkt, meine Damen und Herren.

Zur Türkei: Wir sind in einer Situation, in der wir den Dialog weiter brauchen. Die Auseinandersetzungen, die wir jeden Abend im Fernsehen sehen, sind ein Hinweis darauf, dass die Türkei plural ist – sie ist nur plural mit einem Präsidenten, der das Diktat und nicht den Diskurs bevorzugt und der mittler weile in eine Sphäre gekommen ist, die für uns in keinster Weise mehr akzeptabel ist. Aber wir brauchen weiterhin den Dialog. Ich denke, dass die vorhandenen Möglichkeiten uns durchaus auch für zukünftige Gespräche zur Verfügung ste hen werden – seien es die abgestuften Beitrittsverhandlungen, seien es aber auch Themen wie die Zollunion oder der Euro päische Wirtschaftsraum.

Deswegen sage ich: Es ist auch mit Blick auf die Türkinnen und Türken, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten bei uns le ben, wichtig, dass wir den Dialog nach außen mit dem Dia log nach innen kombinieren.

Ich finde es tragisch, dass es bei uns Leute gibt, die durchset zen, dass die Türken hier schon einem bestimmten Stereotyp genügen, Stilwort Reislamisierung usw. Es gibt Elternbeirä tinnen und -beiräte, es gibt Sportkameradinnen und Sportka meraden, es gibt Menschen, die mit uns zusammen in die Schule gegangen sind, die in diesem Land integriert sind und normal leben. Leider gibt es überall auf der Welt eine Verro hung im Ton, aber das ist nicht spezifisch einzelnen Ethnien zuzuordnen. Deswegen sage ich: Wir brauchen in diesem Land auch einen Respekt gegenüber den Türkinnen und Tür ken, damit wir auch in die Türkei hinein arbeiten können. Es geht nicht ohne Dialog, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Damit sind wir, Herr Präsident, bei der Frage der Flüchtlinge, die ich jetzt nicht mehr ansprechen kann. Ich möchte das, was von den Vorrednern der CDU und der Grünen gesagt worden ist, unterstreichen.

Ich bin der festen Meinung, dass wir – Europa – die Debatte über die Fluchtursachen weiter führen müssen.

Auf der Reise des Ministerpräsidenten nach Rom, auf der ich ihn begleiten durfte, waren wir bei den Maltesern und haben uns mit ihnen über die Weltlage unterhalten. Es ist einfach so: Wenn Sie in Nigeria an der Küste einen Menschen fragen, wa rum er nicht mehr Fischer ist, sondern Pirat geworden ist, dann sagt er: „Weil meine Fanggründe von anderen Fangflotten lei der abgefischt worden sind.“ Deswegen brauchen wir auch ei ne Debatte über die Fluchtursachen.

Wir werden nicht alle Tränen der Welt trocknen können, aber wir müssen in mehr Verantwortung hineinkommen, meine Da men und Herren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich das Wort Herrn Kollegen Dr. Schweickert.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Ihnen, Herr Hofelich, dankbar, dass Sie über die Werte und die Lerneffekte der Kommission und auch in Europa insgesamt gesprochen ha ben. Denn nur so lässt sich erklären, dass die Staats- und Re gierungschefs in der Erklärung von Bratislava zum Ausdruck gebracht haben, dass man auch diesem gefühlten Verlust von Kontrolle und den Ängsten, die immer auch mit der Migrati on verbunden sind und oftmals auch eng mit Terrorismus ein hergehen, mit Vorrang begegnen muss, und dass man auch klare Ziele aufgestellt hat. Man hat erklärt, dass man unkon trollierte Migrationsströme, wie es sie 2015 gegeben hat, nicht noch einmal in diesem Ausmaß haben möchte. Vielmehr möch te man wieder die Kontrolle über die EU-Außengrenzen ge winnen und zu Schengen zurückkehren. Ich glaube, das zeigt, dass Europa da etwas gelernt hat.

Wenn ich dann aber Vorgänge in anderen Staaten verfolge – Kollege Berg hat die Visegrad-Staaten genannt und ist darauf eingegangen, wie Polen in Bezug auf den Brexit vorgeht –, dann muss ich Ihnen schon sagen: Wenn wir eine Politik an fangen, dass sich Rosinenpickerei lohnt, haben wir in Europa irgendetwas falsch gemacht, meine Damen und Herren.