Protokoll der Sitzung vom 30.11.2016

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der Abg. Nicole Razavi CDU)

Die Migrationsbewegungen in Richtung Europa beschäftigen weiterhin auch uns im Land. Ich stimme mit der Landesregie rung überein, dass wir ein krisenfestes und solidarisches Sys tem brauchen. Außerdem müssen wir endlich helfen, die Fluchtursachen ernsthaft zu verringern. Wir müssen Verant wortung dafür übernehmen, die Lebensbedingungen der bei uns jetzt Schutz suchenden Menschen in ihren Heimatländern zu verbessern. Aufnahmelager in Ägypten sind hier keine Lö sungsbeiträge. Mit ihren Waffenexporten und der in Teilen un

fairen Handelspolitik ist auch die Bundesrepublik Mitverur sacherin von Flüchtlingsbewegungen.

Wir müssen umgehend einen konsequenten Politikwechsel der EU und der Mitgliedsstaaten anstoßen, um Fluchtursachen zu reduzieren. Dazu gehört zweifellos auch die Förderung von Rechtsstaatlichkeit. Mit Sorge blicken wir deswegen in die Türkei.

Die Kanzlerin und unsere Kolleginnen und Kollegen im Eu ropäischen Parlament haben das vorübergehende Einfrieren der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert. Ange sichts der neuesten Entwicklungen tritt auch ein Beitritt in weite Ferne. Dies darf aber kein Ende der Gespräche über De mokratie und Rechtsstaatlichkeit bedeuten. Unsere Solidari tät mit der türkischen Zivilgesellschaft ist sicher, aber nicht mit Erdogan.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der AfD sowie der Abg. Nicole Razavi CDU)

Der Dialog ist ein Kernzeichen funktionierender Demokrati en; das gilt im bilateralen wie im innerstaatlichen Geschehen. Auch in Baden-Württemberg müssen wir heraus aus der Kom fortzone. Wir dürfen die Diskussion über unsere Werte nicht einigen wenigen überlassen.

(Abg. Anton Baron AfD: Aha!)

Nein, wir müssen sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ei ner funktionierenden Demokratie betrachten.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Lassen Sie uns unsere Grundwerte und Grundrechte rückver sichern und sie offensiv nach draußen tragen. Es sind letztlich diese Grundwerte, die die Basis unseres Kontinents bilden – Freiheit, Gleichheit, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit –, es sind die Prinzipien funktionierender Demokratien. Europa und die EU leben, solange wir für diese Werte streiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen, der Abg. Karl-Wilhelm Röhm und Norbert Beck CDU sowie des Dr. Stefan Fulst- Blei SPD)

Für die CDU-Fraktion er teile ich das Wort dem Kollegen Kößler.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol legen! „Grundwerte stärker betonen“ – da stimme ich dem Kollegen Frey zu. Das heißt, wir müssen in Zukunft natürlich auch deutlich machen, was Europa bedeutet und welche Grund werte wir haben. Wir müssen es allen Staaten in Europa klar sagen.

Zunächst möchte ich dem Ministerium für den umfassenden Bericht danken. Er ist sehr detailliert, sehr aufschlussreich, sehr zukunftweisend. Ich denke, wir haben hierdurch eine zu sätzliche Information, was in Europa vor sich geht.

Ich möchte auf das Jahr 2016 zurückkommen. Es war ein schlimmes Jahr für Europa, es gab sehr schwierige Situatio nen, es gab schwere Stunden.

(Abg. Anton Baron AfD: Wer hat wohl Schuld dar an?)

Ich werde jetzt nicht darauf antworten.

Es gab schwierige Situationen, insbesondere was den Terror betrifft. Unsere Nachbarn wurden überfallen; Terroranschlä ge in Frankreich und in anderen Staaten waren die Folge. Aber Gott sei Dank haben wir in Europa gute Sicherheitsbehörden, eine gute Zusammenarbeit, und das ist die europäische Ant wort auf die Terrorgefahr. Wir müssen die gemeinsame Si cherheitspolitik und Innenpolitik stärken. Unsere Sicherheits behörden müssen noch enger zusammenarbeiten.

(Zuruf von der AfD)

Es darf keine Friktionen beim Informationsaustausch geben.

Ich möchte jetzt noch auf die Flüchtlingsbewegung eingehen. Wir haben auch in diesem Bereich eine ganz schwierige La ge. Die Flüchtlingsströme haben im Jahr 2015 Europa ein Stück weit überrollt. Wir haben jedoch auch dies in den Griff bekommen.

(Abg. Anton Baron AfD: Das haben wir noch nicht in den Griff bekommen!)

Ich danke der Kanzlerin, dass sie einerseits Menschlichkeit gezeigt hat und andererseits auch dafür gesorgt hat, dass das jetzt in ganz geordneten Bahnen weitergeht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Reinhold Gall SPD: Na ja, so viel hat sie nicht gemacht, die Kanzlerin!)

Wir haben einen guten Grenzschutz. Innerhalb von sechs Mo naten hat sich die EU dazu entschlossen, die Grenz- und Küs tenwache zu organisieren. Wir brauchen dort natürlich gute Mannschaften, gute Wachen, und wir müssen dafür sorgen, dass sie ausreichend ausgerüstet sind. Es ist auch wichtig, dass wir das Schengen-System neu organisieren. Die Entscheidung der EU, dass ein Land, das die Schengen-Grenzen nicht selbst kontrollieren will oder kann, den Schengen-Raum verlassen muss, ist eine gute Entscheidung. Wir brauchen kontrollierte Außengrenzen, und wenn ein Land sie nicht selbst kontrollie ren kann, wird dies von der EU übernommen.

Lassen Sie mich auf das Thema Brexit eingehen. Das BrexitVotum war eine historische Entscheidung zum Nachteil von Europa. Daran gibt es keinen Zweifel. Fast sechs Monate nach dieser Abstimmung gibt es in England kein Konzept.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Ich habe heute Morgen in der Frankfurter Allgemeinen Zei tung gelesen: „den Kuchen essen und ihn zugleich behalten“. Das sei das Rezept der englischen Regierung. Das kann es nicht sein. Wer den Kuchen isst, wer austritt, der muss drau ßen bleiben, der kann sich keinen neuen Kuchen bestellen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen)

In England spürt man im Augenblick, dass das Brexit-Votum zum Schaden des englischen Königreichs ist. Der britische Schatzmeister hat von der Brexit-Traumwelt gesprochen. Er hat deutlich gemacht, wie groß der Schaden für die Volkswirt schaft dieses Landes ist.

(Abg. Anton Baron AfD: Wer trägt die Verantwor tung?)

Ja, ich hätte gern – –

Lieber Kollege, lassen Sie sich nicht durcheinanderbringen.

Ich lasse mich nicht durchein anderbringen,

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

aber es ist natürlich störend, wenn es ständig Kommentare während einer Rede gibt. Aber dies ist natürlich typisch für Sie.

Das englische Wachstum sinkt von 2,2 % auf 1,4 %, und der Schuldenstand wird sich auf 90 % des Bruttoinlandsprodukts erhöhen. Das Land wird im Jahr 2021 insgesamt 142 Milliar den € Schulden haben. Aufgrund des Absturzes des englischen Pfunds werden in England Vermögen von 1,5 Billionen € ver loren gehen bzw. sind bereits verloren gegangen. Verlierer ist somit die Bevölkerung von England, insbesondere die schwa che Bevölkerung und diejenigen, die geringe Einkommen be ziehen.

Was den Zeitplan betrifft: Bisher hat England noch keinen echten Zeitplan vorgelegt. Aber eines ist klar: Zuerst muss der Antrag nach Artikel 50 gestellt werden, dann wird die Kom mission über den Fahrplan entscheiden, und erst dann kommt es zu Verhandlungen.

Lassen Sie mich zum Schluss über den mehrjährigen – –

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, ich bitte Sie, die Redezeit zu beachten. Sie haben schon überzogen.

Ganz kurz noch: Der mehrjäh rige Finanzrahmen ist ein guter Rahmen für die Zukunft Eu ropas; insbesondere hat er eine erhöhte Flexibilität. Auf der einen Seite setzt er Prioritäten für Wachstum und Beschäfti gung und natürlich auch für die Organisation und Bewälti gung der Flüchtlingsthematik und dafür, dass wir hier auch in Zukunft geordnete Bahnen bekommen, auf der anderen Seite aber bleibt es – das ist der entscheidende Punkt – bei der Bud getsumme.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen sowie des Abg. Peter Hofelich SPD)

Für die AfD-Fraktion er teile ich das Wort dem Abgeordnetenkollegen Berg.

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Gäste! Als das europapolitisch ein schneidendste und in seiner Wirkung wohl auch weitreichends te Ereignis der vergangenen Monate darf mit Fug und Recht der auch heute schon oft angeklungene sogenannte Brexit ge nannt werden. Erstmals in der Geschichte der EU hat damit ein Mitgliedsstaat beschlossen, die EU zu verlassen, was zahl reiche politische, rechtliche und auch praktische Fragen auf wirft.

Während aus den Institutionen Brüssels, aber insbesondere auch aus Teilen der politischen Klasse Deutschlands einige sehr hässliche Drohgebärden und Kraftmeiereien in Richtung Vereinigtes Königreich zu vernehmen waren, geht unser Nach barland Polen hier einen sehr pragmatischen und klugen Weg, einen Weg mit Augenmaß, der auch uns anzuempfehlen wä re. Die polnische Regierungschefin Beata Szydlo hat sich sehr klar für einen guten Kompromiss mit den Briten ausgespro chen und gesagt, ihr Land werde sich bei den Austrittsver handlungen mit der EU als konstruktiver Partner einbringen. – Das sagte sie unlängst vor einem Treffen mit der britischen Premierministerin Theresa May. – Beide Länder müssten die besten Möglichkeiten für ökonomische und sicherheitspoliti sche Zusammenarbeit bekommen.

In jedem Fall macht Polen vor, wie realpolitische Interessen wahrung idealerweise auszusehen hat. Jedenfalls sind Ver wünschungen und Lamentos, vorgetragen mit dem Tremolo der Weinerlichkeit gegen die – in Anführungsstrichen – „Ab trünnigen“, kein Ausweis politischer Klugheit,

(Beifall des Abg. Emil Sänze AfD)