Protokoll der Sitzung vom 06.04.2017

Damit können die Realschulen ohne starre Vorgaben flexibel auf die Zusammensetzung ihrer Schülerschaft reagieren und die Schülerinnen und Schüler gemäß ihrer Leistungsfähigkeit adäquat unterrichten. Deshalb gibt es die vorgesehene Erhö hung auf 20 Poolstunden pro Zug im Endausbau bis zum En de dieser Legislaturperiode. Dies stärkt die Realschulen. Es gibt ihnen deutlich mehr Möglichkeiten, gemäß dem Leis tungsvermögen zu fördern und die Schülerinnen und Schüler erfolgreich zu einem Schulabschluss zu führen. Das Niveau der Realschule wird dadurch gestärkt, und somit wird auch die Qualität des Unterrichts deutlich erhöht. Auch dies steht unter der Überschrift „Stärkung von Qualität und Leistung in unserem Schulsystem“.

Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass beide Themen, die wir heute diskutieren, von sehr großer Bedeutung sind. Ich

freue mich, dass wir diese jetzt im April 2017 konkret auf den Weg bringen können. Das zeigt deutlich: Der grün-schwarzen Landesregierung, der grün-schwarzen Koalition ist es wich tig und ernst mit dem Thema „Qualität, Verbesserungen an unseren Schulen in den einzelnen Schularten“. Dieses machen wir Schritt für Schritt, konsequent und zügig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der FDP/DVP)

Meine Damen und Her ren, für die Aussprache hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort Frau Kollegin Boser.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Änderung des Schulgesetzes setzen wir zwei Punkte aus dem Koalitionsvertrag um: zum einen die Vorlage der Grundschulempfehlung an der weiter führenden Schule und zum anderen die Weiterentwicklung der Realschule.

In Bezug auf die Vorlage der Grundschulempfehlung gibt es drei Punkte, die für uns in diesem Zusammenhang sehr wich tig sind. Der erste wichtige Punkt ist, dass trotz allem der El ternwille nach wie vor zählt, sodass letztendlich die Eltern die Entscheidung darüber treffen, an welcher Schule sie ihre Kin der anmelden.

Damit diese Entscheidung am Ende gut getroffen werden kann, wird ein gutes Beratungskonzept benötigt. Das ist für uns der zweite in diesem Zusammenhang wichtige Punkt. El tern brauchen im Vorfeld, in der Grundschule, ein durchgän gig gutes Beratungskonzept, damit sie diese Entscheidung ver antwortungsvoll treffen können. Aber ich bin davon über zeugt, dass Eltern bei uns in Baden-Württemberg die Entschei dung, wo sie ihre Kinder letztlich anmelden, sehr wohl über legt treffen, wie sie es auch in anderen Angelegenheiten tun.

Der dritte Punkt, der uns in diesem Zusammenhang sehr wich tig ist, ist, dass nicht allein die Vorlage der Grundschulemp fehlung oder die Grundschulempfehlung an sich Auskunft da rüber geben, welche Leistung und welches Wissen bei den Kindern vorhanden ist. Damit nicht allein auf der Grundlage der Grundschulempfehlung darüber entschieden wird, welche individuelle Förderung für die Kinder wichtig ist, soll paral lel zur Vorlage der Grundschulempfehlung auch die Lern standsdiagnose in Klasse 5 Fortbestand haben. Denn durch die Lernstandsdiagnose bekommen die Lehrer ein gutes Feed back zum Wissensstand der Kinder.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Ein Punkt, der sich für uns seit der letzten Legislaturperiode nicht verändert hat, ist, dass wir nach wie vor sagen, dass die Grundschulempfehlung keinerlei Auskunft darüber gibt, wel chen Lernstand die Kinder haben. Ein Kreuz auf der Grund schulempfehlung, ob für Hauptschule, Realschule oder Gym nasium empfohlen, sagt nichts darüber aus, welche Note im Hintergrund stand oder warum diese Empfehlung ausgespro chen wurde. Hatte das Kind in Deutsch möglicherweise eine

Drei, und warum hatte es in Deutsch eine Drei? Es sagt nichts darüber aus, ob das Kind beispielsweise eine Lese-Recht schreib-Schwäche hat, ob diese überhaupt diagnostiziert wur de.

Gerade deswegen braucht es neben der Grundschulempfeh lung weitere Instrumente, die darauf hinweisen, was die Kin der können, wenn sie in die fünfte Klasse kommen, und wo sie gefördert werden sollen. Ein Instrument dafür ist die Lern standsdiagnose, es kann aber auch das Beratungsgespräch der Eltern mit dem Schulleiter der weiterführenden Schule sein. Daher ist für uns wichtig, dass eine gute Beratung im Vorfeld stattfindet, damit die Eltern die Entscheidung verantwortungs voll treffen können.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Die zweite Änderung des Schulgesetzes, über die wir heute beraten, betrifft die Realschulen. Damit wird ein Abschnitt des Koalitionsvertrags zwischen Grün und Schwarz umgesetzt; wir setzen damit aber auch einen Weg fort, den wir in der letz ten Legislaturperiode gemeinsam mit der SPD aufgenommen haben: die Weiterentwicklung der Realschulen mit dem Ziel, dort neben der mittleren Reife zukünftig auch den Hauptschul abschluss anbieten zu können.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Das Ziel war früher anders, Frau Kollegin! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Zuhören!)

Das Ziel ist nach wie vor der mittlere Abschluss. Aber die Realschulen wollten – und können dies zukünftig – auch den Hauptschulabschluss anbieten, lieber Kollege Zimmermann. Das war ein Wunsch der Realschulen, dem wir in diesem Fall nachkommen, was wir mit einem sehr guten Konzept verbun den haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Damit die Realschulen den Hauptschulabschluss künftig gut anbieten können, braucht es natürlich entsprechende Unter stützung. Mit der Änderung des Schulgesetzes kommt eine Erhöhung der Zahl der Poolstunden an den Realschulen. Das ist ein wichtiger Bestandteil und dient dazu, die individuelle Förderung zu verbessern. Des Weiteren wird es – das ist uns, den Grünen, wichtig – neue Fortbildungsmöglichkeiten für die Lehrkräfte an den Realschulen geben. Denn die Lehrerin nen und Lehrer sollen auf die Herausforderungen auch gut vorbereitet werden.

Am Ende, meine sehr geehrten Damen und Herren, stehen bei de Punkte im Einklang mit dem, was wir unter guter Bildung für Baden-Württemberg verstehen. Denn letztlich ist es egal, wo die Kinder in unserem Land die Schule besuchen, ob sie Schüler einer Grundschule, einer Realschule, einer Gemein schaftsschule oder eines Gymnasiums sind. Am Ende zählt für uns das Prinzip: Beste Bildung für alle in unserem Land, egal, woher sie kommen, egal, wohin sie gehen. Unser wich tigstes Ziel ist es, die Kinder in unserem Land bestmöglich zu fördern und zu fordern, damit sie ihren Weg optimal gehen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion er teile ich das Wort dem Kollegen Röhm.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Wir haben festgestellt, dass es weder eine linke noch eine rechte Mitte gibt – so hat es Manfred Lucha vorhin sinngemäß formuliert –; vielmehr gibt es, wie ich in Anlehnung an einen berühmten bayerischen Politiker ergänzen möchte, nur eine Position der Vernunft. Diese Posi tion ist bei den beiden Themen, die wir jetzt behandeln, bei Grün-Schwarz beheimatet. Lieber Herr Dr. Timm Kern, die FDP/DVP sitzt mittendrin, und deswegen gehen wir davon aus, dass sie auch zustimmt.

(Lachen des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP – Abg. Thomas Blenke CDU: Quo vadis, FDP?)

Worum geht es in dieser Debatte? Es geht zum einen um die Grundschulempfehlung. Die wesentlichen Inhalte sind von der Frau Ministerin und von Kollegin Boser bereits angespro chen worden. Ich möchte noch eines ergänzen: Es ist richtig, dass die Grundschulempfehlung auf einem fundierten Urteil beruht und eine Entwicklungsbeschreibung darstellt, die dann in die Lernstandserhebung in Klasse 5 einmündet. Wir soll ten aber auch einmal gemeinsam darüber nachdenken, was in dem einen halben Jahr noch alles passiert. In dieser Zeit ma chen die Kinder ja noch einen riesigen Entwicklungsschritt, und diese Entwicklung sollten wir vielleicht auch noch in ir gendeiner Form, wenigstens mit einem Satz, dokumentieren und würdigen. Denn dies führt nochmals zu einem Mehr an Chancengerechtigkeit und bildet eine noch solidere Basis für die weiterführende Schule.

Kommen wir zur Realschule: Die Stärkung der Realschule ist uns natürlich ein Herzensanliegen. Das weiß man. Wir sind unserem Koalitionspartner sehr dankbar dafür, dass er diesen Weg mitgeht – und dies mit der nötigen Überzeugung. Unse re Realschulen sind inzwischen mehr als 50 Jahre alt. Wir ha ben vor wenigen Wochen auch das 50-Jahr-Jubiläum der be ruflichen Gymnasien gefeiert. Diese Schulformen waren und sind jetzt wieder leistungsstarke Schulen, übrigens Schulen, die mit der größten Selbstverständlichkeit ihre primären Auf gaben erfüllt haben, nämlich qualifizierte Schulabgänger für Handwerk und Industrie bereitzustellen und darüber hinaus – hier meine ich die beruflichen Gymnasien – mit ihrer Viel schichtigkeit in der Orientierung dafür zu sorgen und dafür geradezustehen, dass für Industrie und Handwerk auch quali fizierte Ingenieure bereitstehen. Diese Aufgaben haben sie hervorragend erfüllt,

(Vereinzelt Beifall)

und wir wollen, dass sie diese Aufgabe auch zukünftig wei terhin erfüllen.

(Beifall bei der CDU – Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Dafür haben wir geeignete Maßnahmen ergriffen – diese sind bereits genannt worden –: In § 7 des Schulgesetzes ist jetzt neben der binnendifferenzierenden Förderung ausdrücklich auch die äußere Leistungsdifferenzierung erwähnt. Die Schu len können agieren; sie haben die Aufgabe, die Kinder in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und – in der Regel – Eng lisch entsprechend vorzubereiten. Daneben haben sie die Mög lichkeit, in den wichtigen naturwissenschaftlichen Fächern

Biologie, Chemie und Physik ebenfalls leistungsdifferenziert zu unterrichten. Dafür stellen wir aufwachsend diese 20 Pool stunden zur Verfügung.

Noch ein Letztes, was noch nicht angesprochen worden ist, möchte ich ansprechen: Die gestärkte Realschule eröffnet den Kindern zum einen die Möglichkeit, nach einer Orientierungs stufe, die auf M-Niveau unterrichtet wird, nach Klasse 9 den Hauptschulabschluss zu machen, und zum anderen, den mitt leren Bildungsabschluss nach Klasse 10 zu machen.

Jetzt kommt das Entscheidende: Wer in Klasse 9 gut abschnei det, sehr gut abschneidet, hat die Möglichkeit, an ein und der selben Schule in Klasse 10 einzutreten und den mittleren Bil dungsabschluss zu machen. Ebenso haben die Kinder, die ei nen sehr guten Hauptschulabschluss gemacht haben – das wird natürlich häufiger der Fall sein –, die Möglichkeit, durch ei nen Wechsel in den Realschulzug in zwei Jahren zum mittle ren Bildungsabschluss zu kommen. Das heißt, sie verlassen das Schulgebäude, wenn sie fleißig sind und zielstrebig arbei ten, eventuell zusammen mit denen, mit denen sie eingeschult worden sind, oder ein Jahr später. Der Besuch einer zweijäh rigen Berufsfachschule entfällt damit.

Das ist eine herausragende Stärkung der Realschule. Wir wol len alles dafür tun, dass die Realschule, die die schwierigste Aufgabe hat, deren Schülerschaft die größte Heterogenität aufweist, weiterhin erfolgreich arbeiten kann.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD)

Für die AfD-Fraktion er teile ich dem Kollegen Dr. Balzer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen Abgeordnete! Wir haben jetzt zur Änderung des Schulgesetzes zum Thema Grund schulempfehlung einiges durchaus Nette gehört. Es ist ja auch sehr wichtig und erfreulich, über eine großartige Zukunft als Verbesserung gegenüber der Gegenwart zu sprechen. Bezüg lich der Bundespolitik glaube ich daran weniger. Aber im Land sieht es ja etwas anders aus.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wir sprechen doch gerade über Bildungspolitik, Herr Dr. Balzer!)

Ja, genau. – Schön ist es auch, über eine großartige Vergan genheit zu sprechen. Wir erinnern uns an den März 2011 – das ist nur sechs Jahre her –: der Lehrer nicht als Lernbegleiter, wie heute von den lieben Kollegen der Grünen geplant, son dern, damals der neueste pädagogische Schrei, als Übergangs lotse. Sie erinnern sich.

Über den Köpfen der Grundschüler und deren Eltern hänge das „Damoklesschwert“ Grundschulempfehlung. Dieser un erträgliche Druck laste seit der ersten Klasse auf den Schü lern. Ich durfte mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, den damaligen Landesvorsitzenden des Verbands Bildung und Er ziehung, Gerhard Brand, zitieren.

Die damalige Kultusministerin Marion Schick CDU begrün dete die Bildungsempfehlung mit dem Begriff „Bildungsge rechtigkeit“

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Tolle Frau!)

und verwies auf die umfangreiche Beratung der Eltern durch ausgebildete Lehrkräfte. Den Grünen im Landtag war diese Denkweise schon damals ein Dorn im Auge. Deren bildungs politische Sprecherin, Renate Rastätter, war überzeugt, dass wir „nicht begabungsgerecht“ auf die Schulen verteilen. Ich zitierte mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, aus einer Aus gabe der „Stuttgarter Zeitung“ vom März 2011.

Aus bestimmten Wohngebieten kämen zu viele Gymnasias ten, und aus bildungsfernen Schichten gingen zu wenige Kin der ins Gymnasium. Und überhaupt: Die Lehrer würden mit der Bildungsempfehlung ein Lebensurteil fällen. Das kann ja schon gar nicht sein.

(Heiterkeit des Abg. Anton Baron AfD)

Ministerin Marion Schick wies darauf hin, dass nicht nur das allgemeinbildende Gymnasium die allein selig machende Schul form sei – eine bahnbrechende Erkenntnis –, sondern dass je der Beruf für Glück und Zufriedenheit im Leben sorgen kön ne. Und im Übrigen gebe es auch noch andere Schulwege zum Studium.

(Beifall des Abg. Klaus Dürr AfD)

Ein Jahr später, im Jahr 2012, war es dann so, dass doch noch einige Grundschullehrerinnen und -lehrer die Beratungslö sung der verbindlichen Empfehlung vorzogen. Dies hat auch mit Entscheidungskraft zu tun. Übrigens konnte auch schon damals beobachtet werden, dass manche Eltern gar nicht mehr zum Beratungsgespräch kommen wollen. Und Pädagogen kri tisierten diese Gespräche als zu schön und zu harmonisch. Heute begrüßt der VBE – der Verband Bildung und Erziehung – den vorliegenden Gesetzentwurf.