Protokoll der Sitzung vom 10.05.2017

Wer will denn dagegen sein?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Das gilt auch für den Beamtenbund. Bei ihm geht es weniger um das Thema „Ich will den Kunden bedienen“, sondern um Familienzeiten. Es geht um Flexibilisierung und die Frage, wie man damit umgeht. Auch dort besteht der Wunsch, die Arbeitszeit flexibel anzupassen. Diese Liste würde sich un endlich fortsetzen lassen.

Auch ist die jetzige Regelung – das ist auch bei den Vorred nern zum Ausdruck gekommen – eben nicht praxisgerecht. Wir kennen doch alle die Gaststätte, die ihre Öffnungszeiten reduziert und mehr Ruhetage einschieben muss, um mit der Mannschaft die gesetzlichen Vorgaben einhalten zu können.

Zu den Landwirten. Herr Minister Hauk – er ist gerade nicht da – hat es im Plenum ebenfalls zu Recht schon angeprangert: Warum erlauben wir den Landwirten – hier geht es auch um Qualitätssicherungsgründe – nicht, frühmorgens zu ernten, wenn es kühl ist, und dann wieder abends, sondern lassen sie es in der Mittagszeit machen? Aber dazu muss man das Ar beitszeitgesetz ändern. Ebendiese Flexibilität brauchen wir, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf von der FDP/DVP: Jawohl!)

Herr Kollege Born, Sie haben die Ausnahmeregelungen der Tarifverträge angesprochen. Wenn man nur die Summe be trachtet, kann man vielleicht noch sagen: Okay, das ist rich tig. Aber mit der Flexibilisierung der Höchstarbeitszeit haben wir nun einmal ein Problem, und wer die Wetterkapriolen kennt – – Ich will dem Landwirt nicht sagen: Jetzt ist nach zehn oder elf Stunden Schluss. Da muss halt mal an einem Tag etwas mehr gearbeitet werden, dafür ist dann die nächste Woche frei, weil man da gar nicht ernten kann.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Das ist die Flexibilisierung, die wir brauchen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir brauchen sie nicht nur bei tarifgebundenen Unternehmen, sondern auch über Betriebsvereinbarungen bei nicht tarifge

bundenen Unternehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.

(Zuruf von der SPD: Arbeitszeit!)

Womit Sie recht haben, ist die Tatsache, dass die Arbeitszei ten nicht beliebig ausgeweitet werden dürfen. Ja, da bin ich voll und ganz bei Ihnen. Das ist übrigens auch die Position der Industrie. Frau Präsidentin, ich zitiere Südwestmetall-Chef Stefan Wolf. Er sagt:

Uns stört nicht so sehr die Dauer der wöchentlichen Ar beitszeit als vielmehr die Tatsache, dass wir sie nicht so flexibel einsetzen können, wie das notwendig und zeitge mäß wäre.

Somit wäre auch eine 35-Stunden-Woche überhaupt nicht in frage zu stellen. – Warum nehmen Sie denn den Ball nicht auf und zeigen hier eine gewisse Flexibilität, liebe Kolleginnen und Kollegen?

(Beifall bei der FDP/DVP)

Dann noch einmal zum Ministerium: Wir haben ja – Frau Hoffmeister-Kraut – ein Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau; Wirtschaft und Arbeit liegen also in einem Haus. Herr Ministerpräsident Kretschmann hat beim Ressort zuschnitt gesagt: „Das ist eine Riesenchance.“ Ja, es ist eine Riesenchance, aber es wäre dann auch die Aufgabe des Mi nisteriums, dies zu erkennen, aufzuzeigen und die Möglich keiten voranzubringen. Dort passiert mir zu wenig.

Frau Hoffmeister-Kraut, ich hoffe, Sie gehen nachher einmal auf dieses Thema ein; denn mir kommt es eher so vor, dass in Ihrem Ressort hier der Bereich Arbeit und dort der Bereich Wirtschaft ist und diese beiden nicht miteinander reden. Wer hat denn da jetzt also die Oberhand? Ich frage mich immer: Sind es die Grünen, die die CDU ausbremsen, oder ist es der Bereich Arbeit, der den Bereich Wirtschaft ausbremst? Ich bin einmal auf Ihre Antwort gespannt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Vor allem ist das Ganze auch nicht durch uns als Opposition zur Sprache gekommen. Hier sitzt Kollege Reinhart. Kollege Reinhart hat sich zu diesem Thema geäußert – vollkommen ohne Druck –, genauso wie Kollege Hauk, weil sie es wich tig finden. Wenn Sie sich für eine Bundesratsinitiative einset zen, dann sagen wir Ihnen: Ja, das ist richtig, aber dann müs sen Sie im Ausschuss auch dafür stimmen. Das rufe ich übri gens auch der AfD zu. Wenn Sie möchten, dass man sich im Bundesrat dafür einsetzt, dann muss die Fraktion im Aus schuss auch dafür stimmen. Das gilt für die beiden Fraktio nen, die hier rechts sitzen.

Deswegen müssen wir von den starren Regeln weg. Auch Frau Hoffmeister-Kraut sagt immer wieder, dass das Ganze der Wirklichkeit nicht mehr gerecht wird. Sie sagen sogar, dass die zweijährige Experimentierphase aus Sicht der Landesre gierung im Weißbuch entbehrlich sei. Da bin ich gespannt, wie die Grünen auf so etwas reagieren. Die Forderungen, die Sie erheben, sind richtig, aber Sie müssen Ihren Ankündigun gen auch Taten folgen lassen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Machen, nicht schwätzen!)

Ja, so kann man es auch sagen.

Wovor hat der Gesetzgeber bei diesem Thema Angst? Warum helfen wir nicht dem Schwiegervater unseres stellvertreten den Ministerpräsidenten, der beim DEHOGA gesagt hat – ich zitiere –:

... dass wir das Arbeitszeitgesetz

in der nächsten Legislaturperiode –

so ändern, dass Sie den nötigen Spielraum haben.

Lassen Sie uns aus Baden-Württemberg, dem Tourismusland, dem Wirtschaftsland genau diesen Akzent setzen.

Zum Thema Gründerszene wurden Sie gestern Abend auch befragt. Da muss man schon sagen: Was da aus Berlin von Frau Nahles kommt, das wird nicht nur bezüglich der Arbeits zeit, sondern auch bezüglich der sonstigen Themen dem Gan zen einfach nicht gerecht.

Gehen Sie einmal mit einem Freelancer mittagessen, der bei einem Unternehmen an einem IT-Projekt arbeitet. Er ist nicht nach sechs Monaten fertig, sondern er ist vielleicht zwei Jah re bei dem Unternehmen. Aber dann soll er wie ein Arbeit nehmer behandelt werden. Wir sind in einem Land, in dem der Begriff „Wirtschaft 4.0“ nur in Sonntagsreden verwendet wird, aber dann, wenn man handeln soll, vergessen wir es. Das ist der falsche Weg, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Dr. Christi na Baum AfD)

Herr Kollege Born, Sie haben gesagt: Zuhören bei diesem Thema. Stimmen Sie für eine Anhörung zu diesem Thema, damit wir tatsächlich alle Bereiche – Arbeitnehmer- und Arbeit geberseite, Gewerkschaften – hören! Herr Kollege Schoch, Sie haben ausgeführt, Sie sprechen mit den Sozialpartnern. Las sen Sie uns das nicht nur bilateral tun, sondern im Rahmen ei ner Anhörung in diesem Haus. Herr Kollege Gramling, brin gen Sie dann die Punkte von Wirtschaft 4.0 auch im Rahmen dieser Anhörung ein. Dann sind wir auf einem guten Weg, und dann gilt es, diese wichtigen Fragen zu klären.

Dann haben wir vielleicht nicht die Antwort auf Herrn Kretschmanns Schlafprobleme, aber wir sind sicher – Sie kön nen da auch sicher sein –, dass uns dieses Thema keine Ruhe lassen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

Für die Landesregierung er teile ich das Wort Frau Ministerin Dr. Hoffmeister-Kraut.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen

und Herren! Die Digitalisierung der Arbeitswelt wird ermög licht und bedingt eine Flexibilisierung der Arbeitszeit. Wir ste hen hier vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die auch aus unterschiedlichen Perspektiven in dieser Debatte beleuch tet wurden. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen sich dieser De batte gleichermaßen stellen.

Digitalisierung und Flexibilisierung sind eng miteinander ver knüpft. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Ge staltung der Arbeitszeiten auch jetzt in dieser Phase – in die ser wichtigen Phase, in diesem Strukturwandel – auf dem Prüfstand steht. Wir sehen das als Chance für alle Beteiligten.

Ich möchte – Herr Schweickert, es freut mich, dass Sie es hier noch einmal ganz deutlich geäußert haben – hier noch einmal die Position von Wolfgang Schäuble nennen, der sich ganz klar für die Flexibilisierung ausgesprochen hat und nicht für eine Erhöhung der Gesamtarbeitszeit.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Machen! Machen, nicht aussprechen!)

Herr Rülke, ich bin nicht die Bundesarbeitsministerin. Herr Schweickert hat mich auch um meine Position gebeten. Es ist ganz klar: Der Grünbuchprozess ist abgeschlossen, das Weiß buch ist erstellt. Andrea Nahles ist am Zug. Wir sind davon ausgegangen, dass das Gesetzgebungsverfahren bereits hätte eingeleitet werden sollen. Wir warten darauf. Die Zeit ist na türlich eine besondere: Die Bundestagswahl steht bevor.

(Abg. Anton Baron AfD: Vor der Bundestagswahl sollen alle machen!)

Wir vonseiten des Landes und ich als Arbeitsministerin ver folgen mit Argusaugen, was auf Bundesebene passiert. Die Diskussion hat in einem ganz ausführlichen Umfang stattge funden. Wir erwarten jetzt eine Initiative, ein Gesetzgebungs verfahren. Da, Herr Schweickert, werden wir auch aktiv. Wir erwarten das zeitnah. Deswegen macht es keinen Sinn, jetzt eine Bundesratsinitiative zu starten. Diese würde völlig ins Leere laufen. Wir müssen jetzt abwarten, was auf Bundesebe ne passiert, und uns dann entsprechend positionieren und ein bringen.

Herr Born, jetzt möchte ich vorneweg noch ganz kurz auf die Einbindung der Tarifpartner eingehen. Ich richte gerade den Transformationsbeirat ein. Im Rahmen dieses Gremiums sind wir in einem engen Austausch, in einer engen Zusammenar beit mit den Tarifpartnern, in diesem Fall mit der IG Metall. Bei allen Dialogen und Gesprächen, die wir durchführen, bin den wir immer Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein und beach ten wir beide Perspektiven. Wir sind mit beiden Seiten in ei nem intensiven Austausch, im Dialog. Denn – das haben Sie heute zu Recht festgestellt – Wirtschaftspolitik, Arbeitspoli tik leisten hier einen ganz wesentlichen Beitrag. Das eine geht nicht ohne das andere. Wir brauchen motivierte Menschen, die für die hiesigen Betriebe arbeiten. Das ist eine Grundvo raussetzung, und das ist uns in Baden-Württemberg auch im mer überwiegend gelungen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. An dreas Schwarz GRÜNE)

Klarstellen möchte ich aber auch, dass ich eine – das möchte ich betonen – ermöglichende Haltung einnehme. Wenn wir das ganze Spektrum beachten, das durch die Digitalisierung ermöglicht wurde, möchte ich betonen, dass ich für flexible und selbstbestimmte Arbeitszeitmodelle stehe – auch und ge rade weil diese die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bes ser ermöglichen. E-Mails auch mal zu Hause zu beantworten, wenn die Kinder schlafen – das kenne ich aus eigener Erfah rung –, das wünschen sich auch viele Beschäftigte. Auch für dieses Anliegen müssen wir pragmatische Lösungen finden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Andreas Schwarz und Alexander Salomon GRÜNE und Daniel Rottmann AfD)

Auch die Arbeitgeber wünschen sich verstärkt Flexibilisie rung – teilweise haben wir dies auch schon ermöglicht –, um vorübergehende Arbeitsspitzen abzudecken

(Ein Abgeordneter niest. – Abg. Anton Baron AfD: Feinstaub in Stuttgart!)