Protokoll der Sitzung vom 10.05.2017

(Ein Abgeordneter niest. – Abg. Anton Baron AfD: Feinstaub in Stuttgart!)

und bei hohem Arbeitsanfall flexibel zu reagieren. Starre Ar beitszeitgrenzen sind hier hinderlich.

Angesammelte Überstunden können in ruhigeren Zeiten ab gebaut werden. In der Praxis lässt sich das in aller Regel sehr gut organisieren.

Das Bedürfnis nach Flexibilisierung ist breit und vielfältig. Deswegen ist es – nach fast 25 Jahren – notwendig, das Ar beitszeitgesetz grundlegend zu überprüfen und zu novellie ren.

Die Risiken der Digitalisierung dürfen aber nicht außer Acht gelassen werden. Das wurde schon angesprochen und ist mir persönlich sehr wichtig. Die Regelungen des Arbeitszeitrechts haben einen wichtigen Zweck. Sie dienen dem Schutz der Ge sundheit der Beschäftigten.

Die arbeitsmedizinischen Erkenntnisse zur Belastung durch überlange Arbeitszeiten – beispielsweise Muskel-Skelett-Er krankungen oder auch psychische Erkrankungen, die dadurch bedingt sind – müssen mit in die Diskussion einfließen. Auch heute gibt es immer noch eine große Anzahl von Beschäftig ten, die vor Erreichen des Rentenalters erwerbsunfähig wer den. Dies ist sowohl für die Beschäftigten als auch für die Be triebe, für die Wirtschaft und für die Gesellschaft in unserem Land ein Problem. Deswegen gilt: Wir brauchen differenzier te Schutzvorschriften.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Andreas Schwarz und Alexander Schoch GRÜNE)

„Differenziert“ heißt, dass wir nicht alle Branchen über einen Kamm scheren können. Die Tätigkeiten und Berufsbilder sind sehr vielfältig und bringen unterschiedliche körperliche und psychische Beanspruchungen mit sich. Deshalb setzen wir nicht auf starre, pauschale Regelungen. Vielmehr müssen wir praktikable Lösungen finden. Einfache Lösungen – das ist mir auch klar – wird es nicht geben. Wir müssen pragmatisch an die Sache herangehen. Da haben wir auch gute Chancen.

Schauen wir mal über die Grenzen Deutschlands hinaus in an dere Länder. In der derzeitigen öffentlichen Debatte wird Ös

terreich als Musterbeispiel für Flexibilisierung genannt. Wir haben, ich habe genauer hingeschaut. Auch in Österreich kön nen Abweichungen nur unter ganz engen Voraussetzungen er reicht werden; sie müssen kollektiv vereinbart und dann von Behörden genehmigt werden. Also: Wir sind hier in Deutsch land auf einem guten Weg.

Die Flexibilisierung muss mit dem Schutz der Gesundheit al ler Beschäftigten einhergehen. Das ist natürlich eine Heraus forderung, die sich hier stellt. Einfache, pauschale Lösungen wird es daher nicht geben. Ich meine, um eine passgenaue Fle xibilisierung zu ermöglichen, brauchen wir tarifliche und be triebliche Lösungen.

Frau Nahles hat in ihrem Entwurf des Weißbuchs „Arbei ten 4.0“ angekündigt, sogenannte Experimentierräume zu schaffen. Was bedeutet das? Sie möchte in Betrieben, wenn die Tarifpartner es ihnen ermöglichen, unter bestimmten Vo raussetzungen, zeitlich befristet auf zwei Jahre, Ausnahmere gelungen zum geltenden Arbeitszeitrecht vereinbaren und möchte diese dann evaluieren und in eine Gesetzesänderung einfließen lassen.

Mir dauert das viel zu lange. Zum einen ist der Prozess gar nicht erst gestartet worden; wir hoffen, dass dies vor der Bun destagswahl noch der Fall sein wird. Zum Zweiten: Weitere zwei Jahre zu warten und das nur auf bestimmte Bereiche ein zugrenzen macht keinen Sinn. Wir setzen hier auf die Tarif partner in unserem Land. Wir vertrauen den Tarifpartnern. Deswegen wundert es mich, warum Frau Nahles so zaghaft agiert. Mit Blick auf diejenigen, die jetzt handeln müssen, wundert es mich auch, warum Sie, die SPD, heute diese Ak tuelle Debatte aufgerufen haben. Sie sind am Zug, Sie müs sen handeln.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der AfD – Zuruf des Abg. Andreas Stoch SPD)

Das erwarten wir auch von Frau Nahles. Sie können es ihr gern ausrichten.

Wenn Tarifpartner auf Augenhöhe miteinander verhandeln, dann werden sinnvolle und ausgewogene Regelungen geschaf fen, die eben auch individuelle Flexibilisierung ermöglichen. Ich denke, das muss unser Ziel sein. Wir brauchen keine staat lichen Detailregelungen.

(Beifall des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP)

Deshalb lautet mein Appell ganz klar: Lassen Sie uns das Ar beitszeitgesetz im Rahmen der gesetzten Grenzen für mehr ta rifliche Abweichungen öffnen.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der FDP/DVP)

Genau das wäre auch ohne einen großen gesetzgeberischen Aufwand möglich; da muss man nicht ins Detail gehen. Ich hoffe, dass dies zeitnah passiert.

Ich möchte noch auf einen weiteren Bereich eingehen, und zwar auf die Beschäftigten, die keiner tariflichen Bindung un terliegen, für die es keine tariflichen Regelungsmöglichkeiten

gibt. Ich sehe hier die Möglichkeit einer gesetzlichen Lösung für eine Flexibilisierung mit Augenmaß. Denkbar wäre bei spielsweise, für einen begrenzten Zeitraum die tägliche Höchstarbeitszeit zu überschreiten oder auch Mindestruhezei ten zu unterschreiten, natürlich mit der Bedingung, dass ein Ausgleich zeitnah durch Minderarbeit und längere Ruhepau sen erfolgen muss.

Die notwendige Flexibilisierung – ich möchte das hier auch noch einmal ganz deutlich betonen – muss mit einem entspre chenden Gesundheitsschutz einhergehen. Das muss gesichert werden; wir müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh mer auch entsprechend schützen. Ein Arbeitgeber, der flexi bilisieren will, muss deutlich machen, dass ihm die Gesund heit seiner Beschäftigten wichtig ist. Das ist natürlich auch bei vielen Unternehmen der Fall.

Es muss unser Ziel sein, einfache und leicht verständliche Re gelungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen zu treffen. Ein Mehr an Flexibilität darf nicht in eine überbor dende Bürokratie ausarten. Deshalb – das ist mir auch klar – wird das eine anspruchsvolle Aufgabe für den Gesetzgeber sein. Auch hier ist Frau Nahles gefordert. Ich freue mich auf ihre Initiative, zeitnah einen Gesetzesvorschlag auszuarbei ten. Herr Schweickert, wir werden uns dann bei der Reform des Arbeitszeitgesetzes konstruktiv in diesen Prozess einbrin gen. Deswegen sage ich noch einmal ganz klar: Eine Bundes ratsinitiative jetzt, zu dieser Zeit, macht keinen Sinn. Wir müs sen abwarten, was sich jetzt auf Bundesebene tut.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Thomas Axel Palka AfD)

In der zweiten Runde erteile ich das Wort für die CDU-Fraktion Herrn Abg. Gramling.

Liebe Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der zweiten Runde möchte ich noch einmal ganz kurz auf die Gastronomen und die Beschäf tigten in der Gastronomie eingehen. Ich kann die lieben Kol leginnen und Kollegen von der SPD nur auffordern: Gehen Sie einmal in Ihren Wahlkreis,

(Abg. Andreas Stoch SPD: Da sind wir ständig! – Abg. Reinhold Gall SPD: Oh mein Gott!)

gehen Sie da einmal in ein Restaurant. Wenn Sie vor der Tür stehen, schauen Sie mal auf die Öffnungszeiten, schauen Sie, wann das Restaurant noch geöffnet hat, gehen Sie rein, spre chen Sie mit den Servicekräften. Fragen Sie mal die Service kräfte, in welchem Zeitraum Sie ein warmes Essen bekom men können. Denn der Koch muss ja auch entsprechend in der Küche stehen.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Sagen Sie bloß! Tatsäch lich!)

Auch das gehört zur Flexibilisierung der Arbeitswelt. Wenn Sie das alles gemacht haben, dann können wir, glaube ich, noch einmal darüber reden. Nicht nur der DEHOGA fordert eine Flexibilisierung, sondern auch die Beschäftigten in der Gastronomie selbst fordern sie.

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD – Glocke der Präsidentin)

Gehen Sie einmal in die Restaurants. Ich war dort.

(Glocke der Präsidentin)

Moment! Herr Abg. Gramling, warten Sie bitte. – Ich darf um Ruhe bitten! Liebe Frau Abg. Wölfle, Moment! Wenn Sie eine Frage haben, dann stellen Sie – –

(Abg. Andreas Stoch SPD: Das war ein Zwischen ruf!)

Die kann sie stellen.

Moment! Drei oder fünf Zwi schenrufe gleichzeitig, und dann sagen Sie, man müsse für mehr Ruhe sorgen. Da müssen Sie sich schon entscheiden, welche Linie Sie vertreten.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Vorher absprechen! – Zu ruf des Abg. Dr. Nils Schmid SPD)

Jetzt rede ich, Herr Abg. Dr. Schmid.

Jetzt hat Herr Abg. Dr. Fulst-Blei eine Zwischenfrage. Lassen Sie die Zwischenfrage zu?

Gern, wenn die Zeit – –

Das wird nicht auf die Rede zeit angerechnet.

Herr Kollege Gramling, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ist Ihnen bekannt, dass insbesondere im Bereich Hotel- und Gast stättengewerbe nach Auskunft der Gewerkschaft NGG vor al lem die schwierigen Arbeitszeiten eine Ursache dafür sind, dass es dort immer weniger Bewerberinnen und Bewerber für Ausbildungsplätze gibt, und sind Ihnen Beschwerden bekannt, dass beispielsweise zwischen dem Arbeitsende bei einer Tä tigkeit in einem Hotelgewerbe und dem Arbeitsbeginn am nächsten Morgen manchmal nur fünf Stunden liegen, und wie stehen Sie dazu?

Vielen Dank für die Zwischen frage. Das ist mir bekannt, und es ist auch nicht so, dass ich keine Gespräche führen würde. Ich habe selbst sogar einmal einen halben Tag in einer Küche nicht nur geredet und disku tiert, sondern auch mitgearbeitet, um einmal einen Eindruck vor Ort zu bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Was ist dort gesagt worden? Es geht nicht darum, dass wir sa gen: Mehrarbeit. Wir wollen eine Flexibilisierung. Wir wol len, dass zielorientiert

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

auch zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Arbeitszeitgesetz geändert wird.

Da sind wir wieder beim Punkt: Wir warten jetzt eigentlich nur auf das Bundesarbeitszeitgesetz. Es wäre wünschenswert,