Protokoll der Sitzung vom 22.06.2017

Ich nenne die Initiative Wirtschaft 4.0 vom Mai dieses Jahres. Frau Wirtschaftsministerin, herzlichen Dank dafür. Über 20 Organisationen wurden zu einem Unterstützungsnetzwerk für die KMUs zusammengeführt, um genau diesen Unternehmen eine wichtige Unterstützung in Form von Anlaufstellen zu leisten. Die Unternehmen wissen, an wen sie sich wenden können, wenn es um Ausstattungsfragen geht, wenn es um Qualifizierungsfragen geht. Ich erwähne weiter die Digitali sierungsprämie gerade für die Ermöglichung von Qualifizie rungsmaßnahmen, die Innovationsgutscheine, die Digitallot sen, die bei den Kammern angesiedelt sind, die im Grunde niederschwellige Angebote in den KMUs ermöglichen, damit auch dort letzte Ängste, letzte Hemmschwellen abgebaut wer den.

Meine Damen und Herren, der Antrag der CDU-Fraktion vom 12. September 2016, über den wir heute sprechen – zugege ben, er ist einige Monate alt; das hängt allerdings mit den Ge schäftsabläufen in diesem Haus zusammen –, ist nach wie vor hochaktuell. Aus diesem Antrag geht hervor, dass es in Ba den-Württemberg unser Ziel sein muss, gerade weil unser Land international eine sehr exponierte Stellung im wirtschaft lichen Bereich hat, Gewinner der Digitalisierung zu werden. Aber Gewinner können wir nur werden, wenn wir auch die Arbeitswelt in den Griff nehmen, sprich viel dafür tun, dass wir Flexibilisierungsformen der Arbeit in den Unternehmen verwirklichen. Da dürfen wir keine Zeit verlieren. Deswegen habe ich sehr wenig Verständnis dafür, dass Bundesministe rin Nahles das Projekt Weißbuch „Arbeiten 4.0“ mehr oder weniger beerdigt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Die Lern- und Experimentierräume, die es lediglich noch in Internetplattformen gibt, sind etwas, was rechtlich schon bis her möglich war. Das ist viel zu wenig. Wir wollen über die bisherigen gesetzlichen Leitplanken hinaus den Unternehmen

Möglichkeiten einräumen, Flexibilisierungsformen der Arbeit anzubieten. Das wird jetzt von Frau Nahles leider nicht er möglicht. Aber wir verlieren ein wertvolles Jahr, bis im Sep tember eine neue Bundesregierung in Berlin gewählt worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, was gehört zur Flexibilisierung? Zunächst einmal: Bitte keine ideologischen Scheuklappen auf setzen. Wir wollen, dass auch vor Ort gemeinsame Lösungen der Arbeitnehmervertretungen und der Unternehmensleitun gen ermöglicht werden. Wir wollen, dass nach den vernünfti gen Grundsätzen des „Leadership“ flexible Arbeitsformen er möglicht werden, dass eine Balance entsteht zwischen Tätig keiten außerhalb und innerhalb des Unternehmens. Für Soft wareentwickler, Informatiker oder Programmierer ist es durch aus üblich, nicht jeden Tag im Unternehmen tätig zu sein.

Wir wollen mehr als bisher eine Flexibilisierung der Arbeits zeiten ermöglichen, wenn diese vor Ort von allen Beteiligten gewünscht wird, um gerade auch im Sinne der Beschäftigten dem Thema „Gesundheits- und Arbeitsschutz“ gerecht zu wer den.

Wir wollen auch Freiräume für Qualifizierung ermöglichen. Denn der Qualifizierungsbedarf ist enorm. Dazu brauchen wir eine Flexibilisierung und eine Öffnung des bestehenden Ar beitszeitgesetzes des Bundes. Frau Ministerin, ich denke, hier müssen wir im Grunde daran arbeiten, dass wir nach der Bun destagswahl in der nächsten Legislaturperiode unseren Ein fluss aus Baden-Württemberg heraus in Richtung Berlin gel tend machen. Denn die Unternehmen brauchen die Freiräu me, um sich dieser gewaltigen Herausforderung, dieser Me gaherausforderung stellen zu können.

Wir sind in Baden-Württemberg gut aufgestellt. Wir wollen keine Risikodebatten – wir werden jetzt in diesem Hohen Haus möglicherweise auch über Risiken diskutieren –, son dern müssen dieses Thema als eine gigantische Chance für die Unternehmen begreifen. In diesem Sinn gilt es, verschiedene Maßnahmen in die Wege zu leiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort dem Kollegen Schoch.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der CDU ist schon 2016 gestellt worden. Deshalb habe ich einmal nach geschaut, was die Presse geschrieben hat, als dieses Thema sehr stark im Vordergrund stand. So titulierte der SPIEGEL:

Deutschland diskutiert voller Angst über die digitale Re volution

Daher, denke ich, ist es richtig, den Antrag der Fraktion der CDU und dieses Thema entsprechend aufzugreifen.

Die Digitalisierung stellt eine große gesellschaftliche Heraus forderung dar und hat daher einen hohen, zentralen Stellen wert im Koalitionsvertrag bekommen. Uns Grünen ist es wich tig, den Prozess der Digitalisierung aktiv und human zu ge stalten.

Wir leben in einer Zeit, in der wir uns eine Kommunikation ohne Internet, Smartphone, Apps oder auch Social Media kaum noch vorstellen können. Die Art und Weise, wie wir heute kommunizieren, produzieren, uns vernetzen, uns mobil fort bewegen und konsumieren, hat sich bereits elementar verän dert. Wir sind in einem tief greifenden Wandel namens Digi talisierung. Die Digitalisierung wird einen einschneidenden Veränderungsprozess in der gesamten Kommunikationswei se mit sich bringen, dem wir uns in allen Branchen stellen müssen.

Bei den Arbeitsplätzen werden neben dem Arbeitsort und der Arbeitszeit auch Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung stärker zum Thema werden. Das schafft neue Freiräume und birgt auch die Chancen für eine humanere, familienfreundli chere und ökologischere Arbeitswelt.

Digitalisierung beinhaltet aber natürlich auch Risiken. Digi tale Anwendungen und die fortschreitende Digitalisierung bringen vielfältige Änderungen mit sich wie ein hohes Poten zial für ökologische und digitale Transformation der Wirt schaft – sei es z. B. in der Gesundheitsbranche, der Kultur- und Kreativwirtschaft, bei der Energie- und Ressourceneffi zienz, in der industriellen Produktion, sei es in der Automo bilbranche, der Elektronikbranche, der Sensortechnik oder eben auch im Handwerk und bei den Dienstleistungen.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Potenzial ist enorm. Da rum arbeitet die Landesregierung aktuell die landesweite Di gitalisierungsstrategie Baden-Württembergs aus, die wir als Fraktion gern konstruktiv begleiten. Denn wir wollen, dass die mittelständischen Betriebe gerade im ländlichen Raum weiterhin spitze bleiben, dass Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden.

Wir sehen die Digitalisierung als Innovations- und Nachhal tigkeitsmotor. Daher gilt für uns: Der Dreiklang aus Ökono mie, Ökologie und Teilhabe als Teil sozialer Gerechtigkeit ist der zentrale Treiber der Prosperität von morgen.

Forschung und Entwicklung gerade im Bereich der Digitali sierung sind für uns eine Herzensangelegenheit. Wir begrü ßen es, dass die Landesregierung – neben dem flächendecken den Ausbau der Breitband- und Glasfasertechnologie für ein leistungsstarkes Internet – mit einer wissenschaftlichen Stu die der Universität Hohenheim die Auswirkungen dieses Di gitalisierungsprozesses begleitet.

International genießt unser Land einen exzellenten Ruf im IKT-Sektor. Daher ist es unser Anspruch, dass in Baden-Würt temberg innovative Lösungen für das digitale Zeitalter weiter fortentwickelt werden. Es ist uns auch wichtig, dass bei uns im Land neue Technologien eingesetzt und Geschäftsideen sowie Geschäftsgründungen im Hochtechnologiebereich rea lisiert werden.

Wir haben die besten Voraussetzungen dafür, den Standort Ba den-Württemberg zur innovativsten Leitregion im Bereich der Digitalisierung zu machen. Diese Chance wollen wir nutzen, um Arbeitsplätze und Wertschöpfung im Ländle zu sichern.

Insbesondere mittelständische Unternehmen, aber auch Fami lienunternehmen – gerade im ländlichen Raum – und eben auch das Handwerk bilden das Rückgrat der Wirtschaft in un

serem Land. Das müssen wir entsprechend unterstützen. Ge rade in diesem Bereich wurden zwischen 2010 und 2015 310 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Darauf können wir zu Recht stolz sein, und wir können dankbar für die Stär ken des Mittelstands und die gut ausgebildeten Fachkräfte sein.

Wie bereits erwähnt, stellt uns die Digitalisierung ohne Zwei fel vor neue Herausforderungen. Die Grenzen zwischen Ar beit und Freizeit, zwischen abhängiger und selbstständiger Tä tigkeit, zwischen Selbstbestimmung und Selbstausbeutung können verschwimmen. Darum ist es wichtig, entsprechende vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen. Die geltenden sozialen Arbeitsstandards für die digitale Arbeitswelt müssen weiterentwickelt werden, und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit einem effektiven Beschäftigungsda tenschutz muss ausgebaut werden.

Wir benötigen Regelungen für Leiharbeit und befristete Be schäftigungsverhältnisse. Doch Flexibilität hat eben auch ih ren Preis. Sie muss sich zum einen für die Unternehmen, aber auch z. B. für die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitneh mer entsprechend rentieren. Wir brauchen eine faire Balance zwischen den Flexibilitätsinteressen der Wirtschaft und dem Schutzbedürfnis der Beschäftigten.

Sehr geehrte Damen und Herren, zum Schluss möchte ich noch daran erinnern, dass wir als Fraktion dieses Thema sehr intensiv bearbeiten und auch entsprechend im Rahmen einer Anhörung „Arbeitswelt und Digitalisierung“ aufnehmen wer den. Daher ist das Thema Digitalisierung bei uns in guten Händen.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die AfD-Fraktion er teile ich das Wort Frau Kollegin Wolle.

Sehr geehrter Herr Präsident, ver ehrte Kollegen! Die Digitalisierung der Wirtschaft nimmt langsam konkrete Formen an. Dabei gilt es, die Chancen für die Unternehmen in Baden-Württemberg zu nutzen.

Industrie 4.0 stellt sowohl die Unternehmen als auch die Ge sellschaft im Ganzen vor große Herausforderungen. Daher muss dieser Prozess durch die Politik begleitet und gefördert werden. Die eingeleiteten Aktivitäten des Wirtschaftsministe riums, z. B. hinsichtlich der Clusterbildung, gehen dabei in die richtige Richtung. Jedoch weisen auch Sie darauf hin, dass kleine und mittlere Unternehmen aufgrund ihrer begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen die großen Verlierer sein könnten. Daher müssen diese – auch nach Meinung der AfD – unbedingt unterstützt werden.

Das Weißbuch „Arbeiten 4.0“ zeigt ganz klar auf, dass mit der Digitalisierung der Wirtschaft auch eine große Arbeitszeitfle xibilisierung einhergeht und dass dies sowohl von den Arbeit gebern als auch von den Arbeitnehmern gewünscht wird. Al lerdings muss dieser Flexibilisierungsbedarf der Unternehmen mit dem berechtigten Anspruch der Arbeitnehmer auf Schutz und Gesundheit in Einklang gebracht werden.

(Beifall bei der AfD)

Hinsichtlich der flexiblen Beschäftigungsformen äußert sich das Ministerium in seiner Stellungnahme derart unkritisch po sitiv, dass ich hier näher darauf eingehen muss. Gerade hin sichtlich Leiharbeit und Werkverträgen förderte eine aktuelle Recherche des SWR erhebliche Missstände zutage. Inzwi schen arbeiten in diversen Unternehmen in unserem Ländle bei gleicher Tätigkeit drei Klassen von Arbeitnehmern bei er heblichen Einkommensunterschieden. Die Bezahlung eines Leiharbeitnehmers ist dabei zum Teil so niedrig, dass dieser mit Hartz IV aufstocken muss.

Die Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, die zum 1. April in Kraft getreten ist, kann dabei nur als April scherz angesehen werden. Das prekäre Beschäftigungsverhält nis Leiharbeit wird geradezu als reguläre Beschäftigung ze mentiert. So kann z. B. durch den Abschluss eines Tarifver trags die gesetzlich maximale Verleihdauer von 18 Monaten deutlich verlängert werden, und zwar – wie unlängst durch die IG Metall geschehen – auf 48 Monate, also vier Jahre. Und das, meine Damen und Herren von der SPD, nennen Sie dann soziale Gerechtigkeit!

(Abg. Andreas Stoch SPD: Sie fordern doch ständig die Abschaffung von Arbeitnehmerrechten! – Gegen ruf des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD: Nein! Wer sagt das?)

Sie sind im Bund in der Regierungsverantwortung. Und was machen Sie für die Menschen, die hier schon länger leben und arbeiten?

(Beifall bei der AfD)

Man sagt der AfD bekanntlich immer wieder nach, in ein Ewiggestriges zurückzuwollen. Aber was ist eigentlich so schlecht an fairen Arbeitsbedingungen, bei denen die Men schen in Sicherheit leben können? Statt mit einem auf die Bundestagswahl ausgerichteten Einkommensteuervorschlag auf Stimmenfang zu gehen, sollten Sie für faire Arbeitsbedin gungen sorgen.

(Beifall bei der AfD – Abg. Andreas Stoch SPD: Das ist unglaublich!)

Wir, die AfD, befürworten grundsätzlich den digitalen Wan del. Er sollte aber nicht von Auswüchsen einer Art Lohnskla verei begleitet werden. Wir fordern daher die Regierung auf, ihrer Verantwortung für die Arbeitnehmer im Land gerecht zu werden und dieses Instrument nicht weiter auszubauen, bevor nicht alle offensichtlichen Missstände beseitigt worden sind.

Die Frage des zukünftigen Qualifikationsbedarfs unter Indus trie 4.0 wurde dabei ganz außer Acht gelassen. Um weiterhin wirtschaftlich erfolgreich zu sein, muss das Ausbildungsni veau permanent höher werden. Kann das unser rot-grün-schwar zes Bildungssystem leisten? Wir sagen: Nein. Statt Leistungs denken haben wir Gleichmacherei. Statt Vermittlung von Fach kenntnissen haben wir oft eine geschmacklose, nicht altersge rechte Sexualaufklärung.

(Zuruf von der SPD: Jesses!)

Das Bildungsniveau sinkt stetig. Seit Jahren beklagen Unter nehmer wie Professoren den immer schlechter werdenden Ausbildungsstand der Schulabgänger.

Meine Damen und Herren der Regierung, das können wir uns auf Dauer nicht leisten. Daher fordert die AfD eine Rückkehr zum mehrgliedrigen Schulsystem, die Beendigung der Frühse xualisierung und auch der Gleichmacherei.

Danke schön.

(Beifall bei der AfD – Abg. Andreas Stoch SPD: In welchem Land leben Sie eigentlich?)