Protokoll der Sitzung vom 01.06.2016

Meine Damen und Herren, gu ten Morgen! Ich eröffne die 4. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Krankgemeldet sind heute Herr Abg. Dr. Patrick Rapp sowie Herr Abg. Jürgen Walter.

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Lede Abal feiert heu te einen runden Geburtstag.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Welchen? – Wei tere Zurufe – Vereinzelt Heiterkeit)

Im Namen des Hohen Hauses gratuliere ich Ihnen, lieber Kol lege Lede Abal, ganz herzlich und wünsche Ihnen alles Gute, viel Erfolg und Glück.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion der SPD für Umbesetzungen im Prä sidium. – Ich stelle fest, dass Sie den vorgeschlagenen Um besetzungen zustimmen.

Damit können wir in die Tagesordnung eintreten. Heute ha ben wir nur einen einzigen Tagesordnungspunkt, den ich hier mit nun aufrufe:

Regierungserklärung des Ministerpräsidenten

Ich erteile das Wort Herrn Ministerpräsident Winfried Kretsch mann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Da men und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn einige Worte zur aktuellen Unwetterkatastrophe in Baden-Württemberg sagen. Wir alle haben die dramatischen Bilder der Zerstörung und Verwüstung vor Augen – die Gerölllawine in Braunsbach, die überfluteten Straßen und Häuser in Schwäbisch Gmünd. Un ser tief empfundenes Mitgefühl gilt vor allem den Familien und den Menschen, die auf tragische Weise ihr Leben verlo ren haben. Ihren Angehörigen spreche ich mein herzliches Beileid aus, und ich denke, ich darf hierbei im Namen des gan zen Hauses sprechen.

Viele Menschen haben über Nacht ihr Hab und Gut verloren. Ihnen möchten wir das Signal senden: Wir lassen sie nicht al lein. Wir werden uns kümmern und werden helfen. Dazu wer de ich mir heute Nachmittag gemeinsam mit Innenminister Strobl vor Ort einen Überblick verschaffen.

Den Einsatzkräften und den vielen Helferinnen und Helfern, die Tag und Nacht unter widrigsten Umständen ihr Bestes ge geben haben, danken wir für ihre hervorragende Arbeit. Auch sie haben die Anerkennung des gesamten Hauses.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, ich komme nun zur Regierungs erklärung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kolle gen! Verantwortung ist der Ausgangspunkt und der Antrieb dieser neuen Landesregierung – Verantwortung für unser Land und seine Menschen, Verantwortung für eine gute Zukunft.

Es ist richtig: Diese Koalition war nicht unser erklärtes Ziel. Aber die Wählerinnen und Wähler haben uns den Auftrag ge geben, einen neuen Weg zu gehen. Diesen Auftrag haben wir mit Demut und Respekt angenommen. Wir sind aufeinander zugegangen, haben uns zusammengerauft und uns der Verant wortung gestellt. Denn für beide Koalitionspartner gilt: Das Land kommt zuerst.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Diese grün-schwarze Koalition ist ein echtes Novum in der Geschichte unseres Landes, und genau deshalb passt sie so gut zu Baden-Württemberg. Denn wir Baden-Württemberger sind traditionsbewusst und bodenständig, aber wir sind auch neugierig und innovativ. Im Land der Tüftler und Denker ist aus dem Antrieb, Neues zu schaffen, schon viel Wegweisen des entstanden. In diesem Geist wollen wir Baden-Württem berg in den kommenden fünf Jahren verlässlich und erfolg reich regieren. Wir wollen Bewährtes erhalten und mutig neue Wege gehen. Wir wollen die vor uns liegenden Herausforde rungen mit Mut und Leidenschaft, mit Beharrlichkeit und Au genmaß angehen und unser Land voranbringen.

Der grün-schwarze Koalitionsvertrag ist ein demokratisches Reifezeugnis, und er ist das Ergebnis intensiver Verhandlun gen guter Demokratinnen und Demokraten. Deshalb möchte ich allen meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen, die an dem Koalitionsvertrag mitgearbeitet haben, insbeson dere dem Landesvorsitzenden der CDU, Thomas Strobl, und den Landesvorsitzenden meiner Partei, Thekla Walker und Oliver Hildenbrand.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Gemeinsam wollen wir die besten Traditionen unseres Lan des aufgreifen und weiterentwickeln. Dabei denke ich an Lo thar Späth und seine konsequente Innovationsorientierung.

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)

Sein Credo war: „Was der Professor weiß, das muss der Un ternehmer jederzeit bei ihm abrufen können.“ Mit diesem Wil len zur Innovation hat er auch die Chancen der Globalisierung für unser Land genutzt.

Ich denke an Erwin Teufel, seine Leidenschaft für Maß und Mitte und dafür, öffentliche Aufgaben so nah wie möglich an den Menschen zu erledigen. In diesem Sinn hat er sich auch für eine Vertiefung der europäischen Integration eingesetzt.

Ich denke an die letzte Koalition aus Grünen und Sozialde mokraten, die wichtige Reformen vorangebracht und neue Schwerpunkte gesetzt hat, etwa durch die Verbindung von Ökologie und Ökonomie, einen Aufbruch in der Bildungspo litik oder die Politik des Gehörtwerdens.

Diese Fäden greifen wir auf, führen sie zusammen, entwickeln sie weiter und verbinden sie zu etwas Neuem. In diesem Geist werden wir unser Land verlässlich und erfolgreich regieren. Davon bin ich überzeugt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Die starke Verankerung von Grünen und CDU in der aktiven Bürgerschaft unseres Landes wird uns dabei zugutekommen. Beide Parteien vertreten die gesellschaftliche Mitte BadenWürttembergs. Wir sind also im besten Sinn eine bürgerliche Koalition. Das ist eine gute Voraussetzung dafür, den gesell schaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Genau das ist unser Anspruch.

So werden wir die großen Herausforderungen meistern, die vor uns liegen. Dazu zähle ich die Integration der Flüchtlin ge, die dauerhaft bei uns bleiben, die Verteidigung unserer of fenen Gesellschaft und die Stärkung der inneren Sicherheit, den Kampf gegen den Klimawandel und die Weiterführung der Energiewende und der ökologischen Modernisierung, die Weiterentwicklung eines leistungsstarken, gerechten Bil dungssystems, die Konsolidierung des Landeshaushalts und die Einhaltung der Schuldenbremse sowie die Gestaltung des digitalen Wandels.

Sie alle haben den Koalitionsvertrag gelesen; ich möchte ihn daher heute nicht in allen Facetten und Details wiederholen. Stattdessen werde ich auf fünf Schwerpunkte der künftigen Arbeit der Koalition eingehen: Das sind Innovation und Di gitalisierung, Nachhaltigkeit in Ökologie und Finanzpolitik, ein leistungsstarkes und gerechtes Bildungssystem, die Stär kung der sozialen und inneren Sicherheit, Integration und ge sellschaftlicher Zusammenhalt.

Meine Damen und Herren, unserem Land ging es selten so gut wie heute. Wir sind die Wachstumslokomotive in Deutsch land und Innovations-Europameister, wir haben Rekordbe schäftigung und die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa. Dieser Erfolg beruht in erster Linie auf dem Fleiß und dem Weitblick von Unternehmerinnen und Unternehmern, Ar beitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Deshalb haben wir al len Grund, mit Zuversicht nach vorn zu blicken.

Unser Anspruch ist es, diese Spitzenstellung zu halten und möglichst auszubauen. Dazu werden wir die Wettbewerbsfä higkeit der Unternehmen in unserem Land stärken, indem wir bürokratische Belastungen abbauen und bei neuen Gesetzen schon von vornherein minimieren. Genehmigungen betrieb

licher Investitionen werden wir beschleunigen und den Tech nologietransfer in den Mittelstand umfassend stärken.

Wir werden erhebliche Mittel in den Erhalt und den Ausbau der Straßen investieren und für ein attraktives Angebot von Bussen und Bahnen sorgen – im ländlichen Raum genauso wie in den urbanen Zentren.

All das sind wichtige Bausteine für ein wirtschaftlich starkes Baden-Württemberg. Für noch entscheidender halte ich es al lerdings, dass wir Baden-Württemberger mit Neugier und Ent deckerfreude, mit Mut und Zuversicht in die Zukunft gehen. Denn wir befinden uns mitten in der digitalen Revolution. Sie verändert grundlegend die Art und Weise, wie wir produzie ren und konsumieren, wie wir arbeiten und leben. Wir befin den uns am Beginn einer Phase, in der die Weltmärkte neu verteilt werden – und damit auch die Lebenschancen und der Wohlstand der nächsten Jahrzehnte.

Die erste Halbzeit des digitalen Wandels haben wir gegen die USA verloren. Währenddessen hat Asien weiter zu uns auf geschlossen. Jetzt läuft die zweite Halbzeit. Dabei geht es um die Digitalisierung unserer industriellen Kernbranchen. Wer in dieser Phase in erster Linie eine Kultur der Sicherheit pflegt und sich darauf konzentriert, Fehler zu vermeiden, riskiert sei ne Sicherheit und seinen Wohlstand.

Um an der Spitze zu bleiben, müssen wir etwas riskieren. Wir müssen uns trauen, Dinge radikal neu zu denken. Wir müssen eine Innovationskultur in den Mittelpunkt unserer Politik stel len.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Dazu gehört für mich auch eine Kultur des Scheiterns. Wir werden uns dafür einsetzen, dass Menschen nicht schief an geschaut werden, wenn sie im ersten Anlauf nicht erfolgreich waren. Denn niemand kann sicher voraussagen, welche Stra tegien, welche Produkte, welche Dienstleistungen und wel che Geschäftsmodelle in Zukunft erfolgreich sein werden, schon gar nicht der Staat. Deshalb wollen wir diejenigen för dern, die mit Neugier und Mut, mit Tüftler- und Unternehmer geist versuchen, die Chancen der Digitalisierung auszuloten und zu nutzen.

Um dieses Versprechen real zu hinterlegen, werden wir uns auf Bundesebene dafür einsetzen, die Rahmenbedingungen für privates Wagniskapital zu verbessern. Auf Landesebene werden wir den Wagniskapitalfonds zu einem „Innovations fonds Baden-Württemberg“ weiterentwickeln. Wir wollen ihn für privates Kapital öffnen und setzen auf den engen Aus tausch der privaten Investoren mit Gründerinnen und Grün dern. So können neue Wissensnetzwerke entstehen, die zum Erfolg von Neugründungen beitragen.

Auch darüber hinaus wollen wir alle Innovationspotenziale maximal ausschöpfen: in der Bildung, in Wissenschaft und Forschung und in der Wirtschaft. Dabei werden wir uns nicht in Einzelfragen verzetteln, sondern eine umfassende, ressort übergreifende Digitalisierungsstrategie verfolgen. Sie ist beim stellvertretenden Ministerpräsidenten im Innenministerium angesiedelt.

Diese Strategie soll breit angelegt sein und über die Industrie im engeren Sinn hinausgehen. Was wir brauchen, ist eine Wirt

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)

schaft 4.0. Nicht verzetteln bedeutet aber auch, dass wir Kern branchen definieren wollen, die für Baden-Württembergs Zu kunft besonders wichtig sind. Ich glaube, dass wir hier auf un seren Stärken aufbauen müssen.

Wir werden Kinder und Jugendliche bestmöglich auf die di gitale Welt vorbereiten und läuten mit digitaler Bildung das Ende der „Kreidezeit“ im Klassenzimmer ein.

(Heiterkeit der Staatssekretärin Friedlinde Gurr- Hirsch)

Wir wollen, dass die Kinder in Baden-Württemberg die neu en digitalen Kulturtechniken nicht nur bedienen, sondern auch begreifen und beherrschen lernen. Wir werden die Medienbil dung und den Informatikunterricht stärken, pädagogisch be gleitete digitale Lernmethoden nutzen und eine digitale Bil dungsplattform für alle Schulen schaffen. Ferner werden wir unternehmerisches Denken zum Inhalt unserer Bildungsplä ne machen. Wir wollen die Kinder und Jugendlichen in unse rem Land nicht nur auf ein Leben als Angestellte vorbereiten, sondern ihnen auch die Möglichkeit bieten, sich als Unterneh merinnen und Unternehmer zu betätigen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Wir setzen auf unsere Hochschulen und unsere exzellenten Forschungsinstitute als Impulsgeber, Denkfabriken und Kre ativzentren unseres Landes. Wir schaffen eine umfassende, hochschulübergreifende Digitalisierungsoffensive. Wir wer den die Chancen nutzen, die die Digitalisierung in Lehre und Campusmanagement bietet, und die digitale Infrastruktur für Forschung und Lehre ertüchtigen.

Unser Ziel ist es, die Hochschulen dabei zu unterstützen, ih ren Campus zu einem Zukunftslabor für Innovationen zu ma chen und in ihren Studiengängen die Themen Innovation und Gründung zu verankern.