Protokoll der Sitzung vom 11.10.2017

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

der Föderalismus ist aktionsfähig. Im Bund, meine Damen und Herren, spricht man über ein Musterpolizeigesetz. Der Blick nach Baden-Württemberg und – weil auch dieser sehr aktuell ist – der Blick nach Bayern genügen: Dort gibt es jetzt das Musterpolizeigesetz für den Bund und für alle Länder.

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Von Baden-Würt temberg lernen!)

Es zeichnet nicht nur den Föderalismus aus, sondern es zeich net auch diese Koalition und hoffentlich den Landtag von Ba den-Württemberg aus, dass wir so etwas miteinander hinbe kommen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Handlungsfähigkeit im Landtag, in der Koalition, in der Lan desregierung von Baden-Württemberg, das ist im Übrigen auch eine Blaupause für das, was im Augenblick in Berlin ver handelt wird, was in den nächsten Wochen verhandelt werden wird.

(Abg. Dr. Rainer Podeswa AfD: Viel Erfolg!)

Die Gefahren und die Bedrohungen für die Sicherheit in un serem Land, meine Damen und Herren, sind in den letzten Jahren gewachsen. Unsere Entschlossenheit, die Qualität und die Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden – auch die per sonelle Ausstattung – wachsen Gott sei Dank aber auch. Wir weichen nicht zurück. Wir nehmen auch diese furchtbare He rausforderung tatkräftig an.

Lassen Sie uns nach dem personellen Aufwuchs, nach der gu ten Ausstattung nun auch die rechtlichen Werkzeuge dafür schaffen, dass wir weiterhin mit ganzer Kraft für die Sicher heit in unserem Land Sorge tragen können. Zeigen wir, dass Politik in diesem Land handlungsfähig ist, dass diese Regie rung handlungsfähig ist, dass diese Koalition handlungsfähig ist, dass dieser Landtag handlungsfähig ist, und lassen Sie uns eine Gesetzgebung machen, die unser Land,

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Handlungsfähig macht!)

die Baden-Württemberg entscheidend sicherer macht.

Ich freue mich auf die Beratungen in den Ausschüssen. Dort können wir dann über all die Einzelheiten, die ich jetzt nicht ansprechen konnte – Alkoholverkaufsverbote, Alkoholkon sumverbote; das sind Themen, bei denen ja nun auch kein un mittelbarer Zusammenhang zum Polizeigesetz und zum Ver fassungsschutzgesetz besteht –, intensiv diskutieren.

Ich freue mich auf diese Debatten, und ich freue mich darü ber, dass dieser Landtag die Kraft hat, sich diesem wichtigen Thema handlungsfähig und entschlossen zuzuwenden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Meine Damen und Her ren, für die Aussprache zu den beiden Gesetzentwürfen und die Besprechung der Großen Anfrage Drucksache 16/2349 hat das Präsidium eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt. Der Fraktion der SPD steht für das Schlusswort zur Großen Anfrage eine zusätzliche Redezeit von fünf Minuten zur Verfügung.

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort dem Kollegen Sckerl.

Sehr geehrter Herr Prä sident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koaliti on – das hat der Innenminister bereits gesagt – legt heute Ge setzentwürfe mit neuen Eingriffsbefugnissen für Polizei und Sicherheitsbehörden vor, die wir in Baden-Württemberg so noch nicht hatten. Ich bin in den letzten Tagen oft gefragt wor den, warum Grüne in Baden-Württemberg so weitgehende Maßnahmen mittragen, und ich möchte versuchen, Ihnen dies zu erläutern:

Es geht uns natürlich um Sicherheit, Sicherheit für die Bürge rinnen und Bürger in unserem Land.

(Abg. Georg Nelius SPD: Die vorher nicht in Sicher heit gelebt haben?)

Wir spüren überall sehr viel Verängstigung; dies geht nicht nur aus Umfragen hervor, sondern das zeigt sich auch im All tagsleben. Es geht uns bei der Terrorismusbekämpfung aber auch um den Schutz von Freiheitsrechten. Das ist schon im mer ein zentrales grünes Anliegen gewesen, und das gilt auch und gerade jetzt.

Der Terror ist so nahe gerückt und stellt eine derart hohe – und wohl auch anhaltende, wenn auch in Baden-Württemberg noch immer abstrakte – Gefahr dar, dass die Terrorismusbe kämpfung selbstverständlich zu einem wichtigen grünen An liegen geworden ist. Es geht uns zentral um den Schutz der Individualität der Menschen. Nur wer frei von Angst leben kann, kann unabhängig und im wahrsten Sinn frei leben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Abg. Stefan Räpple AfD: Macht die Grenzen dicht!)

Wir verbinden dies mit dem Anspruch, nicht alles zu ermög lichen, was technisch möglich ist, sondern stets eine Abwä gung zu treffen. Weder wollen wir in einem Land leben, in dem tief in die Privatsphäre der Menschen eingegriffen wird, noch soll Baden-Württemberg ein Land sein, in dem zwar the oretisch jeder frei ist, aus Sorge um sein Leben aber mögli

cherweise bestimmte Orte nicht aufsucht und in ständiger Angst leben muss.

Wir wissen, dass wir nach den Terroranschlägen in Deutsch land und in Europa solche veränderten Verhaltensmuster, ins besondere im Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern, bereits tausendfach, auch in Baden-Württemberg, vorfinden. Daraus ergeben sich für die Sicherheitspolitik selbstverständ lich schwierige Abwägungsfragen, die wir ernst nehmen und mit denen wir verantwortungsvoll umzugehen versuchen.

Welche Konsequenzen muss Politik aus der neuen Bedro hungslage einerseits und der Freiheitsliebe der Baden-Würt tembergerinnen und Baden-Württemberger andererseits zie hen? Wir haben versucht, diese schwierigen Fragen differen ziert anzugehen. Zu sagen, dass man zwar die Bedrohung sieht, aber keine neuen Überwachungsmaßnahmen haben will, zu sagen, die Polizei sei hinreichend ausgestattet – nach dem Motto: wo ist das Problem? –, ist einfach, meine Damen und Herren, ist sehr einfach. Und zu sagen, dass man alle techni schen Maßnahmen, die verfügbar sind, umsetzen möchte, dass man möglichst viele Maßnahmen ergreifen möchte, ist eben so einfach.

Wir haben es uns nicht einfach gemacht. Über allem steht für uns: Sicherheit dient der Ausübung von Freiheitsrechten. Das ist sozusagen unser Credo. Nur wer sich sicher fühlt, kann glücklich in unserem Land leben, wird seine Meinung äußern, wird sich frei bewegen und Entscheidungen – das ist ganz ent scheidend – frei von Angst treffen. Das ist auch der zentrale Auftrag des Grundgesetzes.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Deshalb war es uns bei der Festlegung von neuen Eingriffs maßnahmen in einem vorgelagerten, präventiven Bereich – das ist tatsächlich das qualitativ Neue bei dieser Änderung des Polizeigesetzes – wichtig, so vorzugehen, dass wir diejenigen gezielt an ihrem Handwerk hindern, die konkret Anschläge planen und Leben bedrohen. Wir wollten unsere Polizei und unsere Sicherheitsbehörden nicht länger in der Situation ver harren lassen, immer erst dann richtig eingreifen zu können, wenn etwas passiert ist.

(Abg. Thomas Blenke und Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Genau!)

Es ist ein zentrales Anliegen dieser Koalition, so gut aufge stellt zu sein, dass Terroranschläge in Baden-Württemberg möglichst verhindert werden können.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Gleichzeitig müssen bei diesen Eingriffsmaßnahmen Grund rechte geschützt werden, meine Damen und Herren. Ich glau be, das ist uns einigermaßen zufriedenstellend gelungen.

(Zuruf des Abg. Rainer Stickelberger SPD)

Ein solches Gesetz stellt selbstverständlich auch immer einen Kompromiss dar.

Wir stellen jedenfalls sicher, dass die Eingriffsmaßnahmen minimalinvasiv sind. Sie sollen sich gezielt gegen den Gefähr der, aber nicht gegen die breite Bevölkerung in Baden-Würt temberg richten. Sie sollen den Kernbereich privater Lebens

führung schützen. Sie sollen unter Richtervorbehalt stehen, und – das ist ein wichtiges Anliegen – sie sollen strenge Pro tokollierungs- und Unterrichtungspflichten beinhalten. Die Maßnahmen sollen nach fünf Jahren daraufhin evaluiert wer den, ob sie wirksam sind, ob Grundrechtsverletzungen unver meidbar gewesen sind.

Zudem wollen wir, dass in all diesen Bereichen der Landes beauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit eng einbezogen wird, dessen kritische Begleitung der vorlie genden Gesetzentwürfe wir ausdrücklich begrüßen, auch ge wollt haben, ihn dazu ermuntert haben. Das hat sich in die sem Prozess bereits gelohnt.

Selbstverständlich müssen sich die Eingriffsmaßnahmen auch an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientieren, was, glaube ich, im Lichte des BKA-Urteils vollumfänglich gelungen ist.

Andererseits – der Minister hat es gesagt – führt überhaupt kein Weg daran vorbei: Die akut größte Bedrohung unserer Freiheit geht von extremistischem, islamistischem Terror aus.

(Abg. Anton Baron AfD: Linksterror!)

Wenn dies für eine solch überragend hohe Zahl der Menschen ein wichtiges, zentrales Thema ist, muss die Politik darauf ein gehen und kann es nicht ignorieren.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der AfD)

Ich sage auch: Wir würden dieses Anliegen nicht ernst neh men, wenn wir sagen würden: „Na ja, die Polizei soll jetzt ein bisschen mehr machen als Telefone abzuhören; jetzt erlauben wir ihr, SMS zu lesen“, wenn wir gleichzeitig wissen, dass die technische Entwicklung so vorangeschritten ist, dass die Kom munikation anders stattfindet, häufig über Whatsapp und an dere Messengerdienste, und wir ihr den Zugriff konkret dar auf nicht erlauben würden.

Wir nehmen deshalb Sorgen und Ängste von Menschen ernst, indem wir – wiederum unter Wahrung von Grundrechten – die Quellen-TKÜ entsprechend der Rechtsprechung des Ver fassungsgerichts in einen rechtlichen Rahmen bringen und in diesem engen Rahmen eine Software entwickeln lassen.

Herr Kollege Binder, ich habe mich natürlich ernsthaft mit Ih rer im Vorfeld geäußerten Kritik auseinandergesetzt. Es ist schon notwendig, dass wir einen Rechtsrahmen dafür haben, um überhaupt Aufträge an das BKA oder wen auch immer er teilen zu können, eine solche Software zu entwickeln. Dann wird man sehen, ob es eine Software gibt, die den rechtlichen Voraussetzungen entspricht. Vorher wird es keine Anwendung geben. Darauf können Sie sich selbstverständlich verlassen.

(Abg. Sascha Binder SPD: Also ist es technisch nicht möglich! – Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Da werden wir sehen – das werden wir sehr kritisch anschau en; darauf können Sie sich verlassen –, was die nächsten Mo nate bringen.

Wir haben auch Grenzen gesetzt. Es war ja presseöffentlich und ist deswegen auch nichts Neues, dass wir uns seitens der Grünen gegen die Onlinedurchsuchung ausgesprochen haben,

weil wir da verfassungsrechtliche Hürden sehen, die nach un serer Ansicht nicht überwunden werden können.