Protokoll der Sitzung vom 08.06.2016

Ich darf Sie aber schon noch einmal daran erinnern, Herr Kol lege Rülke: Als es darum ging, ob die FDP Verantwortung übernimmt, haben Sie, bevor es überhaupt Gespräche gege ben hat, schon abgelehnt, in eine Sondierungsverhandlung zu gehen.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Wenn Sie jetzt in dem, was wir beschlossen haben, lustvoll herumgestochert und mit dem Florett gefochten haben – das liegt Ihnen, scheint es, offenbar mehr –, dann ist es auch gut so.

(Heiterkeit – Beifall bei den Grünen und Abgeordne ten der CDU)

Baden-Württemberg ist in einer guten Verfassung, aber in ei nem schwierigen Umfeld. Das sollten wir nicht vergessen. Wir sind außerordentlich herausgefordert.

Es geht darum, unsere offene Gesellschaft in schwierigen Zei ten zu verteidigen, sie weiterhin in der europäischen Integra tion und Familie zu halten. Ich will deswegen noch einmal den Fraktionen GRÜNE, SPD, CDU und FDP/DVP für die sen großen Konsens danken, dass wir alle entschieden wol len, dass wir dieses Land, das mitten in Europa liegt, auch mit ten in Europa halten. Denn Europa ist unsere Zukunft.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Ich bin dankbar, dass die Vertreter dieser vier Fraktionen klar gesagt haben, dass sie alle daran mitarbeiten wollen, dass wir Europa wieder stärken, dass wir die europäische Krise, wie sie sich in der Flüchtlingskrise gezeigt hat, überwinden müs sen und dass die Zukunft dieses exportorientierten Landes nur darin liegen kann, eine starke Stimme, eine starke Stellung in Europa zu haben.

Wir müssen alle Kräfte anspannen, um der Bevölkerung in Baden-Württemberg deutlich zu machen: Europa ist jetzt seit 70 Jahren ein Raum des Friedens, der Freiheit und auch des Wohlstands – etwas, was es niemals zuvor in der europäischen Geschichte gegeben hat. Deswegen ist es so wichtig, dass wir gemeinsam daran arbeiten, Europa aus der Krise herauszufüh ren, und der Bevölkerung klarmachen: Der Weg zurück ins

Nationale oder gar ins Nationalistische kann niemals der Weg von Baden-Württemberg sein, kann nicht der Weg von Deutsch land sein. Dafür müssen wir gemeinsam wieder alle Kräfte anspannen. Ich freue mich darüber, dass diese Gemeinsam keit da ist, um die Menschen in Baden-Württemberg davon zu überzeugen, dass wir mehr Europa brauchen und nicht we niger –

(Zuruf von der AfD)

selbstverständlich ein Europa, wie es mein Vorgänger Teufel sehr prominent vertreten hat, ein Europa der Subsidiarität,

(Zuruf von der AfD)

ein Europa, in dem an der richtigen Ebene und an der richti gen Stelle auch das Entscheidende gemacht wird. Darauf wird es ankommen.

Gerade wir, die europafreundlichen Parteien, müssen darauf schauen, dass diese Dinge auch wieder ins Gleichgewicht kommen. Das ist, glaube ich, wichtig; das möchte ich auch noch einmal deutlich unterstreichen.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Zuruf von der AfD)

Meine Damen und Herren, wir stehen gut da, aber in einem schwierigen Umfeld. Wir sind herausgefordert durch den in ternationalen Terrorismus, wir sind herausgefordert durch weltweite Flüchtlingsströme und Wanderungsbewegungen, wir sind herausgefordert durch einen harten globalen Wettbe werb, und wir sind auch gesellschaftlich herausgefordert, dass wir der wachsenden Polarisierung, die wir in allen Industrie nationen zurzeit beobachten können, entgegentreten und die Kräfte des Zusammenhalts, die Ligaturen, den Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält, stärken. Wenn das dieser Koali tion gelingt – und dafür hat sie gute Voraussetzungen –, dann hat sie sich schon gelohnt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Deswegen glaube ich, dass sich die Reife und die Kraft einer demokratischen Gesellschaft am klarsten darin zeigen, wie wir uns in einer Krise aufstellen und wie wir uns darin bewäh ren, ob unsere Grundrechte auch Bestand haben, wenn viel fach von ihnen Gebrauch gemacht wird, ob wir die Werte auch leben, wenn es einmal eng wird, und ob wir unsere Offenheit auch in schwierigen Zeiten leben können.

Kaum war diese Regierung im Amt, mussten wir gleich mit diesen schlimmen Unwetterkatastrophen fertig werden. Ich denke, dass es trotz der schweren Schäden, die wir dort über all sehen mussten – der Innenminister und ich waren ja auch vor Ort –, doch erfreulich ist, wie in einer solchen Situation die Solidarität der Bevölkerung sofort vorhanden ist, die Be völkerung sofort agiert und die Hilfsbereitschaft überwälti gend ist. Aber in einer solchen Situation ist es auch erfreulich, zu sehen, dass wir ein wohlgeordnetes und funktionierendes Gemeinwesen haben, in dem der Staat, die Kommunen und Landkreise in der Lage sind, sofort zügig an die Behebung der Schäden zu gehen und den Menschen, die Hab und Gut ver loren haben, zu helfen. Das zeigt: Dieses Land ist so aufge stellt, dass es auch schweren Herausforderungen begegnen kann und in diesen Herausforderungen zusammenhält.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Andreas Kenner SPD und Dr. Fried rich Bullinger FDP/DVP)

In einer solchen Situation, Herr Meuthen, die Unwetteropfer gegen die Flüchtlinge auszuspielen, das ist einfach nur schä big.

(Lebhafter Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Zuruf von der SPD: Typisch! – Zuruf von der AfD)

Das Land hat sofort ein Soforthilfeprogramm aufgelegt, von dem – Stand gestern – schon über 700 Millionen € abgerufen worden sind.

(Zurufe: 700 000!)

Entschuldigung, 700 000 € sind schon abgerufen worden. – Das Land wird Sondermittel zur Verfügung stellen, um etwa der Gemeinde Braunsbach, die in ganz schwerwiegender Wei se außerordentlich betroffen ist, auch jenseits der Kriterien, die wir sonst haben, zu helfen. Aber auch allen anderen Kom munen, die betroffen sind, wird das Land selbstverständlich helfen; das ist gar keine Frage. Das Kabinett hat die Beschlüs se dazu in zwei Kabinettssitzungen schon gefasst. Die Bevöl kerung kann sich darauf verlassen, dass ihr das Land in solch einer schweren Katastrophe zur Seite steht.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, dieses Land ist in guter Verfas sung. Aber dass es in guter Verfassung bleibt, dafür haben wir, glaube ich, die richtigen Weichenstellungen gelegt.

Es war natürlich kein Zufall, dass den Schwerpunkt im Be reich der Wirtschaft die Digitalisierung darstellt. Denn die di gitale Revolution wälzt unsere ganzen gesellschaftlichen Be reiche um. Natürlich hat diese Koalition dieses Thema nicht erfunden – ich war der erste Ministerpräsident, der dazu eine Regierungserklärung abgegeben hat –, aber diese Koalition wird diese ganze Frage vertiefen und zu einem ihrer Schwer punkte in der Arbeit machen, weil die digitale Revolution al le Bereiche durchdringt. Nicht nur Wirtschaft und Dienstleis tung, auch der Verkehr, auch der Medizinbereich, ja auch un sere Schulen werden sich dadurch grundlegend ändern, und es wird auch dort das Ende der „Kreidezeit“ eingeläutet wer den, sodass wir sehen können, dass alle Bereiche geradezu umgepflügt werden.

Darauf müssen wir uns vorbereiten und die richtigen Rahmen bedingungen dafür schaffen. Das tut dieser Koalitionsvertrag. Wenn Sie immer sagen, das sei nicht konkret genug, dann ma chen Sie bitte Vorschläge, wo es konkreter sein soll.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Gern!)

Die habe ich leider vermisst. Dass die Opposition sagt: „Das ist alles zu wenig, und da und da muss man noch mehr ma chen“, das ist ja nicht unerwartet, und das dürfen Sie auch gern tun. Legen Sie ihre weiter gehenden Vorschläge auf den Tisch; wir haben nichts dagegen. Denken Sie immer daran: Eine gu te Opposition regiert mit – aber nur, wenn sie konstruktiv ist und auch die entsprechenden konstruktiven Vorschläge macht. Darauf setzen wir, darüber freuen wir uns und sind für Vor

schläge in dieser Richtung jederzeit offen. Wir wollen ja alle gemeinsam dieses Land gestalten.

Was ist ganz besonders wichtig, und wo setzt der Koalitions vertrag noch einen Schwerpunkt? Es geht ja nicht nur um ei ne neue Technologie, die auf uns zukommt und die schon im Gange ist. Es geht darum, dass aus dieser neuen Technologie neue Geschäftsmodelle kreiert werden und dass wir mit die sen neuen Geschäftsmodellen wirtschaftlich angegriffen wer den. Das muss man sehen. Das ist die eigentliche Herausfor derung, vor der unsere Wirtschaft steht.

Deswegen setzt der Koalitionsvertrag in den Themen Grün dermentalität und Start-ups einen klaren Schwerpunkt. Das ist genau das, was wir zusammen mit der Wirtschaft machen müssen: Plattformen schaffen, um zu ermöglichen, dass auch bei uns gute Rahmenbedingungen für eine Start-up-Kultur herrschen.

Man muss natürlich sehen: Das ist in unserem Land ein biss chen anders als in Berlin. Wir haben schon eine gut florieren de Wirtschaft, wir haben schon hervorragende Betriebe in al len Sektoren. Da neue Ideen zu schaffen ist eine andere Her ausforderung als in Berlin. Das muss man einfach sehen.

Deswegen bin ich froh, dass die Betriebe in unserem Land, sowohl die großen Konzerne als auch die Mittelständler, er kannt haben, dass sie auch in ihren eigenen Unternehmen sol che Inkubatoren, also Plattformen, und damit Raum für Startups in den eigenen Konzernen und Unternehmen schaffen. Ich bin erfreut darüber, dass das wirklich in vielen Sektoren ge schieht.

Unsere Aufgabe muss es jetzt nicht sein, den großen Konzer nen Vorschläge zu machen – die können das schon selbst –, sondern es geht darum, das auch in der ganzen Breite des Mit telstands, insbesondere bei den kleinen und mittleren Betrie ben, umzusetzen. Es ist hauptsächlich Aufgabe der Regierung, dafür die Rahmenbedingungen und die Plattformen zu schaf fen. Da bin ich mit der neuen Wirtschaftsministerin völlig ei nig. Das werden wir auch ganz konsequent tun. Das genau ist das, was die Regierung machen kann. Sie kann die Innovati on der Wirtschaft nicht ersetzen, sondern muss die Rahmen bedingungen dafür schaffen, dass Plattformen entstehen, auf deren Basis der Austausch stattfindet und diese Innovationen tatsächlich in allen Bereichen umgesetzt werden. Das werden wir mit großer Leidenschaft und großem Ernst tun.

Auch was die Infrastrukturen betrifft, nämlich den Breit bandausbau über Glasfaser, werden wir noch einmal zusätz lich erhebliche Mittel einstellen. Herr Oettinger hat ja gesagt: „Funklöcher sind schlimmer als Schlaglöcher.“ Ich will noch mals wiederholen: Wir wollen beides nicht. Aber es ist schon richtig, dass wir da keine weißen Stellen im Land mehr haben dürfen. Deswegen wird das Land große Anstrengungen unter nehmen, um auch da weiterzukommen und weiter an der Spit ze zu bleiben. Ich denke, da sind die Grundlinien im Koaliti onsvertrag wirklich sehr gut aufgezeichnet.

Dazu kommt der zweite Bereich. Das sind natürlich unsere Universitäten, ganze Forschungslandschaften. Da qualifiziert der Koalitionsvertrag einerseits klare Leuchtturmprojekte wie das Cyber Valley und anderes, aber wir versuchen auch, uns da in der ganzen Breite aufzustellen, z. B. die Gründerkultur, die Ausgründungen an unseren Hochschulen und Universitä

ten zu forcieren wie etwa am KIT in Karlsruhe, wo das schon gut klappt. Da müssen wir schauen, dass dieser Spirit auch an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften breit in die Fläche kommt. Denn das ist ein wichtiger Punkt, damit wir neue Unternehmensgründungen bekommen. Auch da müssen wir diese Kultur der Neugründungen, des Unternehmertums verankern.

Dafür sind in der Schulpolitik mit dem neuen Fach Berufs- und Studienorientierung schon die Grundlagen gelegt worden, um die jungen Leute in unserem Land darauf hinzuweisen, dass man nicht nur als Angestellter einen guten Job haben und sein Geld verdienen kann, sondern auch als Unternehmer. Auch das wird eine Aufgabe der Regierung sein, dies beson ders in den MINT-Fächern voranzutreiben.

Man kann also sagen, dass die Grundlinien für diese wichti ge Agenda im Koalitionsvertrag gelegt sind, aber dass sie auch im Verkehrsbereich oder im Medizinbereich, wo wir ebenfalls diese tiefen Umbrüche haben, umgesetzt werden.

Jetzt komme ich zur Schulpolitik. Natürlich steht dazu nichts Aufsehenerregendes im Koalitionsvertrag. Meine Damen und Herren, das ist gewollt, das ist ganz genau gewollt.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Ja! Das ha ben wir erkannt!)

Die Strukturreformen sind eingeleitet. Da haben wir einen großen Kompromiss gefunden. Dafür will ich noch einmal wirklich einen besonderen Respekt an die beiden Verhand lungspartner aussprechen. Das war wirklich das schwierigste Feld, bei dem es einen guten Kompromiss zu finden galt. Die sen guten, tragfähigen Kompromiss haben wir gefunden. Ich möchte sagen, das geht wirklich in Richtung Schulkonsens. Ich habe jetzt auch von den Oppositionsfraktionen SPD und FDP/DVP keine grundlegende Kritik daran gehört. Ich glau be, es ist entscheidend wichtig, dass wir jetzt aus der Phase der Strukturreform herauskommen hin zu der Frage: Wie stei gern wir nun die Qualität in den Schulen und des Unterrichts selbst?

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Das wird der neue Schwerpunkt dieser Regierung sein.

Da haben wir, glaube ich, mit der neuen Kultusministerin ei ne erfahrene Akteurin, die aus einer Großstadt Erfahrung mit bringt, wie Bildungspolitik in einer modernen Gesellschaft gestaltet sein muss. Dafür sind ganz solide Grundlagen gelegt worden. Ich habe auch keine grundlegende Kritik daran ge hört. Insofern kann ich auch da mit der Aufwartung zufrieden sein, die wir da bekommen haben.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)