Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir aus dem Produzieren der Überschriften herauskommen wollen, dann müssen wir Regierungshandeln – das wird die Opposition for cieren und überwachen – konkret gestalten. Dann müssen wir auch dafür sorgen, dass z. B. bei einem ganz wichtigen The ma wie der Integration keine Verdrängungssituation, keine Konkurrenzsituation eintritt zwischen den Menschen, die seit Jahren und Jahrzehnten hier leben, und den Menschen, die jetzt neu zu uns gekommen sind.
Wir brauchen gerade dort, wo es um bezahlbare Mietwohnun gen geht, aber auch dort, wo es um die Qualifizierung von Menschen für unseren Arbeitsmarkt geht, sehr viel mehr An strengungen, als ich dies bisher bei der Landesregierung er kennen kann.
Über das Thema Integration komme ich zum Thema „Zu schnitt der Ministerien“. Gerade in einer Zeit, in der das The ma Integration an oberster Stelle der politischen Agenda ste hen müsste, halte ich es für ein bedenkliches Zeichen, wenn ein eigenständiges Integrationsministerium in Baden-Würt temberg nicht fortexistiert. Wie wollen wir denn angesichts der Aufgabe der Integration zu uns gekommener Flüchtlinge gerade die Aufgaben in schulischer, in wohnungspolitischer, in arbeitsmarktpolitischer und vor allem auch in gesellschafts politischer Hinsicht lösen, wenn wir dieses Ministerium nun dem Sozialministerium anhängen und daraus ein Ministerium für den Zusammenhalt der Gesellschaft machen? Man kann das tun, meine sehr geehrten Damen und Herren, aber dann muss man auch durch konkretes Handeln deutlich machen, dass dieses Thema keine nachgeordnete Bedeutung hat.
Vor dem Hintergrund, dass wir gerade im Bereich der Integ ration der Menschen, die zu uns kommen, eine riesengroße Aufgabe haben – und zwar über die verschiedenen Altersgrup pen hinweg –, finde ich in der Regierungserklärung und auch im Koalitionsvertrag zu wenig, was konkret umgesetzt wer den kann.
(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Das ge hen wir zusammen noch mal durch! – Abg. Hans-Ul rich Sckerl GRÜNE: Machen Sie sich mal keine Sor gen!)
Wir haben z. B. im Bereich der Schulen – gut 30 % der Men schen, die zu uns kommen, sind zwischen null und 18 Jahren alt – gute Maßnahmen ergriffen. Ich glaube, da sind wir auch auf einem guten Stand. Aber die größte Gruppe derer, die zu uns kommen, sind Personen zwischen 18 und 34 Jahren.
Wir haben in den letzten eineinhalb Jahren festgestellt, dass unsere Institutionen, auch unsere Berufsschulen, überfordert wären, diese Aufgabe mit zu erledigen. Ich erwarte mir von dieser Landesregierung, dieses wichtige Feld zu bearbeiten, gerade für diese wichtige Altersgruppe, wenn es um bildungs politische Fragen geht, wenn es um arbeitsmarktpolitische Fragen geht, wenn es um die Eingliederung in den Arbeits markt geht, ganz konkrete Antworten zu geben. Da reicht es nicht, auf ein paar Sprachkurse hinzuweisen und darauf hin zuweisen, dass die Agentur für Arbeit da schon ein bisschen was macht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir soll ten den Anspruch haben, dass Baden-Württemberg ein Land wird, in dem Integration erfolgreich gestaltet wird.
Lassen Sie mich an der Stelle, an der der Anspruch formuliert wurde, dass das Sozialministerium jetzt das Ministerium für den Zusammenhalt der Gesellschaft wird, noch auf einen Punkt hinweisen: Wenn dieser Anspruch formuliert wird, dann muss dieser Anspruch auch erfüllt und hinterlegt werden. Ich glaube, dass dies eines der wesentlichen Felder ist, in dem bis her keine Konkretisierung stattfinden konnte, weil bei der Fra ge „Was ist eigentlich die Gesellschaft von morgen und über morgen?“ die wenigsten Überschneidungen zwischen der grü nen Fraktion und der CDU-Fraktion bestehen.
Deswegen sind wir sehr gespannt, wohin die bereits im Gang befindlichen Prozesse geführt werden, wenn es z. B. um die gemeinsamen Vorstellungen von Gleichstellung geht, wenn es um die Integration von Flüchtlingen, aber auch von Men schen mit Behinderung, um die Inklusions- und Teilhabestra tegie geht, wenn es um den Abbau von Diskriminierungen, Ehe für alle, das Familienbild, eine lückenlose Anwendung des Mindestlohns, Ganztagsschule und Kinderbetreuung geht. Wir warten darauf, dass hier ein gemeinsames Bild entworfen wird. Ich kann an der Aufstellung der Ministerien, vor allem auch an dem Inhalt der Regierungserklärung kein gemeinsa mes Bild der gesellschaftlichen Entwicklung von BadenWürttemberg feststellen, meine sehr geehrten Damen und Her ren.
Herr Kollege Reinhart, man kann natürlich den Kollegen Wolf jetzt dafür loben, dass er das Justizministerium übernommen hat.
Wie es dazu kam, ob Rufe, welches Ressort er nicht überneh men sollte, tatsächlich aus der Wirtschaft kamen oder ein biss chen bestellt waren, darüber kann man trefflich spekulieren.
Aber wenn Sie das jetzt als einen großen europapolitischen Wurf beschreiben, dass das Justizministerium um die Themen Europa und Tourismus bereichert wird,
glaube ich nicht, dass die Öffentlichkeit Ihnen das abnimmt. Das Thema Europapolitik war bisher im Staatsministerium in der Zuständigkeit eines eigenen Ministers und damit ganz an der Spitze der Landesregierung verankert. Ich glaube nicht, dass man mit dieser vielleicht auch aus Versorgungsgesichts punkten und innerparteilichen Machtverteilungskämpfen re sultierenden Verteilung der Ressorts und dem Zuschnitt der Ressorts
dem Anspruch, Europapolitik an die erste Stelle zu stellen, ge recht wird, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ein Journalist hat in der Beurteilung des Koalitionsvertrags die Frage gestellt: „Was sollte auch dabei herauskommen, wenn sich zwei im Wesenskern aufs Bewahren ausgerichtete Parteien die Macht teilen?“ Ich kann es Ihnen sagen: auf je den Fall mehr Staatssekretäre und mehr Stellen, die natürlich ausschließlich politisch besetzt werden.
Den Anspruch, den Sie, Herr Kollege Strobl, in den Koaliti onsverhandlungen fast wie ein Dogma vor sich hergetragen haben, nämlich den Anspruch „erst das Land“
brauchen Sie den Menschen nicht auf die Nase zu binden. Denn dass bei diesen politischen Entscheidungen, vor allem den personalpolitischen Entscheidungen, das Land wahr scheinlich das Letzte war, an das Sie gedacht haben, sollte, glaube ich, jedem klar sein.
Sie sind in die Koalitionsverhandlungen gegangen, ohne eine wirkliche Idee für die zukünftige Regierung zu haben. Die einzige Idee, die Sie hatten, war: Wie schaffe ich es, dass mög lichst viele Kolleginnen und Kollegen in die Regierung kom men und dann auch einen eigenen Dienstwagen bekommen?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es reicht nicht aus, wenn der Regierungssprecher verkündet, dass aus Spargrün den zwei Ministerposten gestrichen werden. Auch da sollten Sie die Öffentlichkeit ernster nehmen. Wenn Sie gleichzeitig eine zweistellige Zahl von Staatssekretären schaffen, dann ist vielleicht doch sehr durchsichtig, was die Motivation für die se Maßnahmen ist.
Wenn wir uns fragen, warum verschiedene personalpolitische Entscheidungen getroffen wurden, dann müssen wir doch ehr licherweise zueinander sagen: Wir müssen – auch für die Zu kunft des Landes Baden-Württemberg erscheint mir das sehr wichtig – die Sachfragen über die Fragen der Parteipolitik stel len. In vielen Bereichen scheint mir das bei dieser Regierung noch nicht angekommen zu sein.
Ich möchte auf den Widerspruch hinweisen: Die Grünen ha ben im Landtagswahlkampf plakatiert: „Regieren ist eine Stilfrage“.
Wenn ich mir die Diskussionen innerhalb der Regierungsfrak tion der CDU vor Augen führe und wenn ich mir die Entschei dungen, gerade die personalpolitischen Entscheidungen, be trachte, dann muss ich sagen, dass ich sehr überrascht bin. Denn viele Menschen im Land reiben sich an dieser Stelle wahrscheinlich verwundert die Augen. Herr Ministerpräsi dent, Sie haben in gerade einmal sechs Wochen Koalitions verhandlungen den Stil, den Sie in den letzten fünf Jahren als demokratischer und moderner Landesvater geprägt haben, of fensichtlich schon ein Stück weit dem Regierungsstil ange passt, den die CDU bis vor fünf Jahren fröhlich im Land ge predigt und exerziert hat.
(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD – Abg. Nicole Razavi CDU: Erfolg setzt sich durch!)
Ich möchte dringend alle Beteiligten dazu aufrufen, dass wir zukünftig, wenn es um diese Fragen geht, in einem offenen Diskurs, vor allem auch in transparenter Art und Weise der Öffentlichkeit in Baden-Württemberg unsere Entscheidungen erklären und verantworten. Denn ich halte es für ein schwie riges Zeichen, auch unter der Überschrift „Regieren ist eine Stilfrage“, wenn vieles von dem, was offensichtlich zwischen den Regierungsfraktionen oder den Spitzen der Regierungs parteien vereinbart wurde, nicht der Öffentlichkeit vorgelegt wird.
Vieles von dem, was wir im Koalitionsvertrag lesen – Sie ha ben vorhin den Begriff „Liebeslyrik“ verwendet; so weit wür de ich jetzt nicht gehen –, ist offensichtlich nicht vollständig.
Denn dass es auch schriftlich niedergelegte Nebenabreden gibt, sollte etwas sein, was jemandem, der Transparenz, Of fenheit und Beteiligung der Bürgerschaft hochhält, nicht pas siert. Wir brauchen Offenheit – gerade wenn es um Regie rungspolitik geht, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Deswegen wird die SPD – ich darf zum Schluss kommen – gerade das einfordern, was von Ihnen selbst im Koalitionsver trag niedergelegt wurde. Dort steht nämlich auf Seite 67: