Protokoll der Sitzung vom 08.06.2016

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Dies wird die SPD-Fraktion nicht akzeptieren.

(Beifall bei der SPD – Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Das war jetzt ein Thema, zu dem sehr viel, allerdings wenig Konkretes gesagt wurde.

Kommen wir zu einem Thema, das Sie sich auch intensiv vor genommen haben – auch im Rahmen der Regierungserklä rung –, dem Bildungsthema. Jetzt muss ich zugeben, dass ich in diesem Bereich nicht ganz unbefangen bin. Aber als ich im Wahlkampf die Wahlplakate der CDU mit der Aufschrift „Bil dungschaos stoppen“ gesehen habe, war mir nicht klar, dass eigentlich die eigene Fraktion gemeint war.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht und was jetzt auch ein bisschen als Ende der Strukturdiskussion gefeiert wird, ist Bildungspolitik, wie sie in den letzten Jah ren aus der Sachnotwendigkeit heraus entwickelt wurde und entstanden ist.

Wir haben in Baden-Württemberg 2011 ein Bildungssystem vorgefunden, das von dem Anspruch, der in unserer Landes verfassung steht, dass jedes Kind möglichst unabhängig von seiner Herkunft und seiner wirtschaftlichen Lage beste Ent wicklungschancen und beste Bildungschancen haben soll, am weitesten entfernt war.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist die alte Lei er! Das ist doch Unsinn! Mir tut weh, was Sie sagen!)

Herr Kollege Röhm, das weiß ich, aber Sie müssen sich bei Ihren Zwischenrufen zukünftig daran gewöhnen, dass Sie da mit gegen Ihre eigene Regierungspolitik sprechen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Mit den Grünen können wir besser arbeiten! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das ist ein Zeichen!)

Schauen wir uns, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Strichliste an. Ich werfe dem Ministerpräsidenten an dieser Stelle nicht vor, zu wenig konkret geworden zu sein. Wenn wir uns an dieser Stelle die Strichliste anschauen, dann stel len wir fest, dass in den Politikfeldern, auf denen konkrete Maßnahmen angekündigt werden, wie z. B. die Erhöhung der Stundentafel in den Grundschulen – aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Schritt –, die zwei Vertiefungsstunden an den Gym nasien, der Ausbau der Realschulen durch zusätzliche Pool stunden, die Stärkung des Informatikunterrichts, die inklusi ve Beschulung und die Stärkung der beruflichen Gymnasien, die wichtigen Entscheidungen bereits getroffen sind.

(Beifall bei der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie wollten doch die Gemeinschaftsschule ha ben!)

Was hier verkündet wurde, das sind Entscheidungen, die noch von SPD-Ministern getroffen wurden.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da gibt es einen riesigen Unterschied!)

Aber – da gebe ich Ihnen völlig recht – Strukturmaßnahmen, Reformmaßnahmen im Bildungsbereich sind für alle Betrof fenen – für die Schulverwaltung, die Schulen, die Eltern, die Schülerinnen und Schüler und insbesondere für Lehrkräfte – immer mit großen Anstrengungen verbunden. Diese Anstren gungen waren aber unvermeidlich. Jetzt geht es darum, dass wir die Lehrkräfte an den Schulen unterstützen, damit sie die Reformmaßnahmen nachhaltig und gut umsetzen können. Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist mir zu wenig Substanz dabei, wenn es um die Ausstattung in die sem wichtigen Bereich Bildung geht.

Wir legen im Bildungsbereich die Grundlage für den wirt schaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg dieses Landes Ba den-Württemberg. Deswegen wird die SPD-Landtagsfraktion in den nächsten Jahren mit aller Vehemenz darauf drängen, dass es nicht erneut zu einer Diskussion über Stellenstreichun gen im Bildungsbereich kommt. Das, was an unseren Schu len an Herausforderungen zu bewältigen ist, ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass in Deutschland noch immer – ins besondere im Vergleich zu den anderen OECD-Ländern – zu wenig für Bildung ausgegeben wird. Das ist eine riesengroße Herausforderung für die Lehrkräfte an unseren Schulen. Des wegen werden wir alles dafür tun, dass keine erneute Spardis kussion eintritt.

Mich lässt aber auch eine Aussage der neuen Finanzministe rin Edith Sitzmann in einem Interview stutzen. Sie sagt näm lich, man müsse in allen Bereichen – auch im Bildungsbereich – schauen, wo man entsprechende Stellen reduzieren könne. Wir, die SPD-Landtagsfraktion, sagen: Wir brauchen jeden guten Lehrer und jede gute Lehrerin, um hervorragende Bil dung an Baden-Württembergs Schulen umzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Kommen wir zu einem weiteren Thema. Mit dem Bildungs thema hat der grüne Regierungspartner sicherlich eine deut

liche Handschrift im Koalitionsvertrag hinterlassen. Provo zierender will ich gegenüber der CDU gar nicht werden.

In einem anderen Feld, im Bereich der Innenpolitik, hat of fensichtlich die Einsicht gesiegt, dass die CDU ihr Wahlpro gramm im Prinzip 1 : 1 in den Koalitionsvertrag schreiben kann.

(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

Daran, ob das reicht, Herr Kollege Dr. Reinhart – Sie haben das vorhin angedeutet –, um der CDU wirklich nachhaltig ein landespolitisches Profil zu geben, habe ich ein bisschen Zwei fel. Das wird nicht reichen. Sie sagen: „Baden-Württemberg muss wieder zum sichersten Land werden.“ Ich entgegne Ih nen: Unter dem Innenminister Reinhold Gall ist Baden-Würt temberg das sicherste aller Bundesländer gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Aber ich möchte mich an dieser Stelle ein Stück weit mit dem Anspruch der Grünen beschäftigen, was von ihrer Politik in den Koalitionsvertrag eingeflossen ist. Denn die Grünen als liberale Bürgerrechtspartei – so ist häufig ihr Selbstverständ nis – haben offensichtlich an manchen Stellen nicht nur eines, sondern sämtliche Augen zugedrückt. Ich kann mich nicht da ran erinnern, dass die Grünen irgendwann für die Ermächti gungsgrundlage zu der präventiv-polizeilichen Erhebung von Kommunikationsverbindungsdaten oder der Ermöglichung der präventiven Telekommunikationsüberwachung auf die Straße gegangen sind.

Die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen und Poli zeibeamte war nach Ansicht der Grünen Jugend offensicht lich der Grund, weshalb der Rechtsstaat auf dem Spiel gestan den habe. Dazu muss ich sagen: Von grüner Handschrift ist in dem Bereich „Innere Sicherheit“ nichts mehr vorhanden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte nicht wissen, wie Ihre Basis, wie vor allem Ihre Wählerinnen und Wähler, die anderes von Ihnen erwartet haben, auf diesen Teil im Koalitionsvertrag reagieren.

(Beifall bei der SPD)

Neu ist auf grüner Seite offensichtlich die Erkenntnis, dass Polizei und Verfassungsschutz rechtsstaatlich und hochpro fessionell arbeiten – so auf Seite 61 des Koalitionsvertrags zu lesen.

Herr Kollege Zimmermann von der CDU wird sich gut daran erinnern, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass die da malige grüne Fraktionsvorsitzende unter großem Beifall der eigenen Fraktion dem Verfassungsschutz die Hälfte seiner Mitarbeiter streichen wollte. Offensichtlich ist eine Verände rung eingetreten.

Jetzt kommen wir zu den Versprechungen, Herr Kollege Dr. Reinhart. Es gab z. B. das Versprechen, 1 500 neue Stellen bei der Polizei zu schaffen. Wir sind gespannt, wie das insbeson dere vor dem Hintergrund der Aussage von Finanzministerin Sitzmann geschehen soll. Laut ihr soll es nämlich bei 1 400 Ausbildungsplätzen bleiben. Ich hoffe sehr, dass Sie nicht glauben, durch das Instrument des Freiwilligen Polizeidiens tes kaschieren zu können, dass Ihnen der Ausbau der Polizei um 1 500 Stellen gar nicht gelingen kann.

Jetzt kommen wir zur Ursachenforschung. An die Adresse der CDU gerichtet: Sie machen die Stärkung der Polizei offen sichtlich auf einmal zur Chefsache. Warum haben Sie nicht gehandelt, als es notwendig war? Sie wussten bereits zu Ihrer damaligen Regierungszeit, dass die Pensionierungswelle auf die Polizei zurollt. Trotzdem haben Sie nicht gehandelt.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Wir haben vorgesorgt!)

Sie haben während Ihrer Regierungszeit in großem Stil Poli zeistellen abgebaut, nämlich – Nachtigall – rund 1 500 Stel len.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das stimmt doch gar nicht! Durch ständiges Wiederholen wird es nicht besser! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Jeder hat ein Recht, besser zu werden, auch die SPD!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, 1 000 Stellen befin den sich im Vollzug, und 500 befinden sich im Nichtvollzug. Die Einstellungszahlen aus den Jahren 2004 und 2007 spre chen in diesem Zusammenhang Bände. Obwohl schon meh rere Hundert Polizisten mehr hätten eingestellt werden müs sen, sind lediglich zwischen 152 und 300 Polizeianwärter pro Jahr eingestellt worden.

Wer glaubt, dass die Wählerinnen und Wähler und die Öffent lichkeit so vergesslich sind, der spottet bei der Aussage, dass Sie Baden-Württemberg zum sichersten Land machen wol len.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: 90 % Zustimmung!)

Wenden wir uns einem ganz wichtigen Thema zu: der Sozial politik. Baden-Württemberg – der Ministerpräsident hat das betont – ist ein Land, in dem der gesellschaftliche Zusammen halt wichtig ist und vor allem nicht verloren gehen darf. Der gesellschaftliche Zusammenhalt setzt voraus, dass auch Men schen, die der Unterstützung der Allgemeinheit und des Staa tes bedürfen, nicht das Gefühl haben, an den Rand gedrängt zu werden. Den allermeisten Menschen in Baden-Württem berg geht es gut; das ist sehr gut so. Aber wir stellen fest, dass auch in unserem Land die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.

Der erstmalig in der vergangenen Legislaturperiode vorgeleg te Armuts- und Reichtumsbericht belegt dies. In diesem Be richt sind auch viele Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut aufgeführt. Herr Ministerpräsident, ich hätte mir gewünscht, dass dazu in der Regierungserklärung und im Koalitionsver trag sehr viel mehr gesagt worden wäre.

(Beifall bei der SPD)

Oder spielen diese Fragen beim Regierungshandeln plötzlich keine Rolle mehr? Ich möchte deutlich darauf hinweisen: Die se Maßnahmen werden Geld kosten. Wenn wir den gesell schaftlichen Zusammenhalt in Baden-Württemberg beschwö ren, dann müssen wir auch etwas dafür tun, dass der gesell schaftliche Zusammenhalt funktionieren kann. Dann muss So zialpolitik auch eine aktiv gestaltende Politik sein. Dann muss Sozialpolitik auch damit verbunden sein, dass man in diesen wichtigen Bereichen Investitionen vornimmt. Sich einfach aus der Verantwortung zu stehlen, indem man nur Überschriften

produziert, wird nicht ausreichen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte Ihnen beweisen, dass es sehr viel konkreter geht. Ein ganz wichtiges Thema ist aus meiner Sicht derzeit in Ba den-Württemberg der Wohnungsbau. Auch das Thema Woh nungsbau kommt in der gesamten Regierungserklärung so gut wie gar nicht vor. Anstatt dass Sie ein Programm mit attrak tiven Konditionen auflegen, das finanziell gut ausgestattet ist und einen klaren Auftrag beinhaltet, wie viele Wohnungen tat sächlich gebaut werden, wollen Sie eine Wohnraum-Allianz gründen. Dabei liegen die Vorschläge der Wohnungsbauwirt schaft bereits auf dem Tisch. Die Vorbereitungen dafür sind bereits in der vergangenen Legislaturperiode getroffen wor den, nämlich durch die Entwicklung eines Wohnungsbaube schleunigungsgesetzes, damit wir schnell mehr Menschen be zahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen können.

Denn wenn wir wollen, dass sich unsere Städte nicht so ent wickeln, dass es sich nur noch die Reichen leisten können, in nerstädtisch zu wohnen, sondern dass auch Familien mit Kin dern dort bezahlbaren Wohnraum finden, dann brauchen wir in diesem Bereich von der Landesregierung mehr Ehrgeiz und mehr Tatkraft, als in der Regierungserklärung deutlich wur de.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Wir schaffen das!)

Allein in der Landeshauptstadt warten fast 4 000 Haushalte auf eine Mietwohnung, die bezahlbar ist. In den kommenden fünf Jahren fallen landesweit rund 13 000 Sozialmietwohnun gen aus der Belegungsbindung. Das heißt, wir haben hier ei ne ganz konkrete und jetzt zu lösende Aufgabe. Da reicht es nicht, von Allianzen, Pakten und Bündnissen zu sprechen, die keine Ergebnisse, sondern nur weitere Papiere produzieren.

Wir brauchen deswegen eine große Offensive für den sozia len Mietwohnungsbau, um den heutigen und den zukünftigen Bedarf zu decken. Wir Sozialdemokraten schlagen vor, in den kommenden fünf Jahren 25 000 neue Sozialmietwohnungen – das sind 5 000 pro Jahr – zu schaffen, und dafür muss das Land 300 Millionen € pro Jahr aufwenden.