Protokoll der Sitzung vom 01.02.2018

Vereinzelte schwarze Schafe dürfen aber auch nicht dazu füh ren, dass das bewährte Genossenschaftsmodell aufsichtsrecht lich überreguliert wird. Das betrifft nicht nur die europäische Ebene – wir alle haben die Diskussion bei der Bankenstabili sierung bzw. der Finanzmarktstabilisierung erlebt –, sondern auch kapitalmarktaufsichtsrechtliche Vorschriften auf Bun desebene. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass nur durch eine gemeinsame politische Intervention die Verwal tungspraxis der BaFin bei der Umsetzung des Kapitalanlage gesetzbuchs entschärft werden konnte und dadurch regiona len Energiegenossenschaften Luft zum Atmen blieb.

Ich begrüße, dass die Genossenschaften in diesem Jahr die große Aufmerksamkeit erfahren, die sie verdienen, und wün sche mir, dass die Kenntnis über die Chancen der genossen schaftlichen Organisationsform wächst und deren Ideale durch das Raiffeisenjahr und durch Debatten wie die heutige eine größere Verbreitung finden.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Patrick Rapp CDU und Dr. Erik Schweickert FDP/DVP)

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Abg. Professor Dr. Schweickert.

Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! Wir können uns vonseiten der FDP/DVP-Fraktion den Geburtstagswünschen anschließen. Ich möchte aber schon diesen etwas verklärten Blick, der hier teilweise auf Herrn Raiffeisen und seine Genossenschaften gerichtet wurde, dem gegenüberstellen, was die CDU eigent lich vorhatte, nämlich zu zeigen, was die Landesregierung speziell für Raiffeisengenossenschaften im Jubiläumsjahr tut und was auch die Genossenschaften tun können. Da, muss ich schon sagen, hätte ich mir etwas mehr Substanz bei ein paar Themen gewünscht.

Ich möchte es noch einmal konkretisieren: Auf die Frage, was die Landesregierung im Jubiläumsjahr an Schulen und Uni versitäten für die Genossenschaftsidee macht, weisen Sie da rauf hin, dass es eine Forschungsstelle für Genossenschafts wesen gebe. Da steht nichts von Konferenzen zum Raiffeisen

jahr, da steht nichts von Schriftenreihen zum Jubiläum oder von Sonderprogrammen im Bereich der Forschung. Sie ver weisen auf etwas Bestehendes. Wir müssen nicht dankbar sein, dass hier etwas nicht rückabgewickelt wird. Das ist mir, ehr lich gesagt, zu wenig für dieses bedeutende Ereignis.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Zu Frage 20, bei der nach den Erwartungen der Landesregie rung an die Genossenschaften gefragt wird, werden Dinge wie Dorfläden etc. genannt. Ja, das ist wichtig, da stehen wir da hinter. Aber da wird mit keinem Wort auf die bestehenden Ge nossenschaften eingegangen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Genau!)

Ziel muss doch sein, dass diese fortgeführt werden. Denn die se lösen schon jetzt die gesellschaftlichen Probleme.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Was wäre denn unser ländlicher Raum ohne die bestehenden landwirtschaftlichen Genossenschaften? Was wären denn die Kulturlandschaften mit ihren Steilhängen ohne die Winzer- und Weingärtnergenossenschaften bei uns in Baden-Württem berg?

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Und wie katastrophal sähe denn die Wohnraumsituation ohne die bestehenden Wohnungsbaugenossenschaften aus, meine Damen und Herren? Diese Genossenschaften brauchen ge nauso unsere Unterstützung, aber die werden hier nicht er wähnt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

Ich finde es auch etwas unspezifisch, wenn auf die Frage nach Förderprogrammen für Genossenschaften geantwortet wird, die Genossenschaften könnten an den allgemeinen Fördertöp fen für den ländlichen Raum teilhaben. Das ist in einem Jahr, in dem wir den Raiffeisengedanken in den Mittelpunkt stel len, nach meinem Dafürhalten zu wenig.

Herr Kollege Podeswa, vielleicht hat auch, dass nicht immer so trennscharf zwischen Raiffeisengenossenschaften und Ge nossenschaften anderer Form, z. B. Konsumgenossenschaf ten, unterschieden worden ist, dazu geführt, dass Sie auf die Idee gekommen sind, die von Schulze-Delitzsch gegründeten Volksbanken zusammen mit den Sparkassen zu erwähnen. Wie Sie darauf gekommen sind, hat sich mir intellektuell nicht ganz erschlossen.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Das ist nicht das Einzige, was sich einem da nicht erschließt!)

Aber zumindest zeigt mir das, dass wir schauen müssen, wo für die Genossenschaften stehen. Die zu Ziffer 9 der Großen Anfrage getroffene Aussage zur Mitgliederförderung statt Ge winnmaximierung ist richtig.

(Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch: So steht es im Gesetz!)

So steht es im Gesetz. – Da müssen wir uns einmal anschau en, was Raiffeisen damit gemacht hat. Ich frage dann Frau Gurr-Hirsch: Ist das „Traubengeld“, das die Mitglieder erhal ten, kein Überschuss, nur weil es bilanziell, buchhalterisch nicht als Gewinn verbucht wird? Meine Damen und Herren, lösen wir uns doch von dem Gedanken, dass eine Genossen schaft rein den gesellschaftlichen Part hat – nein. Egal, wohin Sie schauen, stellen Sie fest: Die Janusköpfigkeit der Genos senschaften – das ist das Stichwort, unter dem das zusammen kommt – bedeutet immer: Es ist eine Gewinnerzielungsab sicht damit verbunden. Wirtschafts- und Sozialverein, die Raiffeisengenossenschaften waren immer beides, meine Da men und Herren.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Die Genossenschaften müssen sich heute auf dem Markt ge nauso halten wie andere Unternehmen auch. Deswegen ist je der Milchbauer mit seinen Kühen Unternehmer, jeder EDE KAler ist Unternehmer, jede Winzergenossenschaft ist ein Pro totyp dieser Raiffeisengenossenschaften, deren Geburtstag wir heute feiern.

Jetzt müssen wir schauen, was die Landesregierung für die Genossenschaften getan hat. Wo wurden denn gesetzliche Rahmenbedingungen diesbezüglich geändert? Was hat man hier getan? Wie sieht es denn bei der L-Bank-Förderung aus, meine Damen und Herren? Da muss ich schon sagen: Das ist mir etwas zu wenig.

In der Antwort auf die Große Anfrage widerspricht sich die Landesregierung selbst. Denn einerseits steht dort, dass die Gewinnerzielungsabsicht nicht im Fokus stehen dürfe,

(Abg. Martin Hahn GRÜNE: Was?)

während auf eine andere Frage geantwortet wird, es würden drei Genossenschaften seit 2012 von der L-Bank gefördert, was damit begründet wird, dass sie keine Gewinnerzielungs absicht hätten.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/ DVP)

Da könnte man doch zumindest einmal auf die Idee kommen, die Förderrichtlinien der L-Bank daraufhin zu überprüfen, dass man den Fall, dass keine Gewinnerzielungsabsicht be steht, aber feststeht, dass Überschüsse vor Thesaurierung er wirtschaftet werden, abbildet. Das wäre z. B. ein Punkt, bei dem man nach vorn schauen könnte, meine Damen und Her ren.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig!)

Was in diesem Bereich ebenfalls möglich wäre – das wäre, denke ich, auch im Sinne von Herrn Raiffeisen, der sich mit bestehenden Zuständen in seiner Zeit niemals abgefunden hat –, ist, sich zu überlegen, wie wir Genossenschaften fit machen können für das Zeitalter 4.0.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig!)

Man sollte nicht einfach nur schreiben, es gebe hier zu wenig Start-ups. In diesen Bereich der Share Economy passen doch die Genossenschaften perfekt hin.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig! – Zuruf des Abg. Claus Paal CDU)

Dann muss man aber dafür sorgen, dass auch die Möglichkeit besteht, dass ein Mitglied einer Genossenschaft vom imma teriellen Wert einer Genossenschaft profitiert.

(Zuruf des Abg. Claus Paal CDU)

In anderen Ländern gibt es Genossenschaften, die uns das vor machen,

(Zuruf des Abg. Dr. Patrick Rapp CDU)

die uns das in Nischenbereichen genau so vormachen, sei es im Bereich Tomaten oder im Bereich anderer Produkte.

Da kann man unheimlich viel lernen. Da wäre es schon gut, wenn wir hier etwas mehr Innovation hätten, wenn dies etwas mehr in den Fokus gestellt würde. Denn Raiffeisen hat es ver dient.

Ich schließe mich der Aussage des Kollegen Weirauch kom plett an: Es darf nicht sein, dass Vorgänge wie bei EVENTUS, Allgäuland und andere kriminelle Vorgänge dazu führen, dass der Genossenschaftsgedanke in Misskredit gezogen wird.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Hier muss die Devise lauten: Dann muss richtig kontrolliert werden – aber nicht mit überbordender Bürokratie, teilweise bei Kleinstgenossenschaften mit Prüfpflicht, oder bei größe ren Banken, die aufgrund der europäischen Bankenregulie rung gar nicht mehr wissen, wie sie die Anforderungen erfül len sollen. Dafür ist es viel zu wertvoll, was wir hier haben.

Das sind meine Punkte. Ich bitte die Landesregierung, dahin gehend noch mehr tätig zu werden. Dazu dient auch, dass wir heute den Geburtstag „200 Jahre Raiffeisen“ feiern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der AfD und der SPD – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr gut!)

Für die Landesregierung er teile ich Frau Staatssekretärin Schütz das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Entwicklung der Ge nossenschaften in Deutschland und in Baden-Württemberg ist außer mit Friedrich Wilhelm Raiffeisen auch mit Hermann Schulze-Delitzsch eng verbunden. Unabhängig von Raiffei sen rief Schulze-Delitzsch im 19. Jahrhundert eine Hilfsakti on ins Leben, die den in Not geratenen Handwerkern zugute kommen sollte. Nach seiner Auffassung war eine nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen nur im Zu sammenschluss einzelner, schwacher Einheiten und durch Ab bau von Fremdbestimmung zu erreichen.

Genossenschaften basieren auf den Prinzipien der Selbsthil fe, der Selbstverantwortung und der Selbstverwaltung. Eine Gemeinschaft trägt ein Unternehmen und hat entsprechende Mitspracherechte und Mitwirkungspflichten – unabhängig von der Höhe der Einlagen.