Lassen Sie uns jedes Jahr am Internationalen Frauentag Bi lanz ziehen, wie es um die Fortschritte in den verschiedenen Bereichen bestellt ist.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen, liebe Kollegen! Das Jahr 2018 markiert einen ganz besonderen Jahrestag im Kampf der Frauen um politische Gleichberechtigung. Vor hundert Jahren trat in Deutschland das Frauenwahlrecht in Kraft.
Als erste Frau überhaupt in einem deutschen Parlament ergriff die Abgeordnete Marianne Weber im Karlsruher Ständehaus das Wort, also in einem Vorläuferparlament dieses Hauses. Sie stellte schon damals ganz selbstbewusst klar – ich zitiere sinn gemäß –: „Wir Frauen sind für die Aufgaben im Parlament besser vorbereitet, als vielleicht die meisten von Ihnen glau ben.“ Das hieß damals: Männer aufgepasst, wir Frauen kön nen es besser, als ihr denkt. Ich kann diesen Satz heute, hun dert Jahre später, nur 1 : 1 wiederholen. Er ist heute genauso richtig wie damals.
(Beifall bei der CDU und den Grünen sowie Abge ordneten der SPD – Abg. Rüdiger Klos AfD: Und ge nauso falsch!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der Grünen und der SPD – Zuruf: Sehr richtig! – Abg. Rüdiger Klos AfD: Steile These!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Anton Ba ron AfD: Eijeijei! – Weitere Zurufe – Glocke der Prä sidentin)
Unter Günther Oettinger waren es deutlich mehr Frauen: Mi nisterin Stolz, Ministerin Gönner, Ministerin Schavan, Staats sekretärin Gurr-Hirsch, Staatssekretärin Lichy und Ministe rin Werwigk-Hertneck. Es waren also deutlich mehr Frauen. Das will ich nur einmal einwerfen.
(Abg. Anton Baron AfD: Mit Rechnen haben es die Grünen nicht so! – Weitere Zurufe – Unruhe – Glo cke der Präsidentin)
Liebe Kolleginnen und Kolle gen, ich bitte um etwas Ruhe. Wir sind ein Parlament. Zwi schenrufe sind erlaubt. Sie sollten aber so sein, dass Frau Abg. Razavi mit dem Mikrofon die Chance hat, ihre Rede vernünf tig zu Ende zu bringen. – Vielen Dank.
Gut. – Alle die Genannten machen ihre Arbeit gut. Doch bei allen Fortschritten, die wir in den letzten hundert Jahren zweifellos gesehen haben, ist noch viel Luft nach oben. Bis heute müssen Frauen ihren Anspruch auf volle Teilhabe besonders rechtfertigen. Eine Frau in einem Spitzenjob ist nach wie vor eine besondere Nachricht und nicht selbstverständlich.
Seien wir doch einmal ehrlich: Trotz gleicher und vielleicht sogar höherer Qualifikation als die männlichen Kollegen muss sich eine Frau oft genug immer noch sehr viel mehr bewei sen. Die Frage „Kann die das überhaupt?“ steht zumindest un ausgesprochen immer noch oft im Raum – bei Männern und bei Frauen.
Das gilt draußen in den Unternehmen, das gilt im öffentlichen Dienst, das gilt auch bei uns hier im Parlament. Davon, mei ne lieben Kolleginnen und Kollegen, müssen wir wegkom men.
(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. An ton Baron AfD)
In den Vorständen der börsennotierten deutschen Unterneh men kommt auf 13 Männer auch heute noch nur eine Frau. Nur gut ein Fünftel der deutschen Professuren sind mit Frau en besetzt, obwohl die Studentinnen mittlerweile in der Mehr heit sind.
Noch nicht einmal auf jedem zehnten Chefsessel in den 1 100 Rathäusern in Baden-Württemberg sitzt eine Bürgermeiste rin. Schauen wir einmal in die landesbeteiligten Unternehmen – das hat Herr Kollege Deuschle vor ein paar Jahren abge fragt –: Von 1 193 Führungskräften sind gerade mal 217 Frau en. Wir haben also auch da im Land selbst einen großen Nach holbedarf.
Für mich ist klar: Frauen leisten im realen Leben nicht selten mehr als Männer. Denn sie sind es, die heute oft die Doppel belastung zwischen Beruf und Familie zu stemmen haben. Sie sind es, die beim Chef häufig und härter um Anerkennung und um faire Bezahlung kämpfen müssen. Sie sind es, die im Zweifel auch wesentlich öfter die Anstrengungen der häusli chen Pflege stemmen und vieles mehr. Ja, es sind die Frauen, die den Laden zusammenhalten und am Laufen halten. Das ist die Wahrheit.
Wahr ist aber auch: Wir Frauen haben oft einen anderen Blick aufs Leben und auch einen anderen Blick auf uns selbst. Vie le Frauen – übrigens auch immer mehr Männer – wollen ganz bewusst eine ausgewogene Balance zwischen Beruf und Fa milie. Andere entscheiden sich auch 2018 bewusst für die Fa
milie und gegen bezahlte Arbeit. Sie bringen sich ein im Eh renamt, in der Elternarbeit, in der Nachbarschaftshilfe, viel leicht auch in einem Kommunalparlament. Diese Arbeit ist unbezahlt, aber vor allem unbezahlbar. Auch diese Frauen ver dienen unseren Respekt; auch ihre Entscheidung muss mög lich bleiben.
Wir sollten gerade am Weltfrauentag auch ihre Leistungen für unser Miteinander, für unsere Gesellschaft wertschätzen. Wir sollten es niemandem erlauben, die selbstbestimmten Lebens entwürfe von Frauen gegeneinander auszuspielen. Das wäre sicherlich nicht das, was sich unsere Vorgängerinnen vor hun dert Jahren erkämpft haben.
Die Freiheit, sich selbst zu entscheiden, ist ein hohes Gut, und sie ist auch etwas Gutes. Lassen Sie uns also nicht den Feh ler machen, durch falsch verstandenen Gleichstellungseifer nun auch noch die Frauen in die Männerklischees von gestern zu zwingen.
Damit wäre für unsere Gesellschaft und auch im Übrigen für uns Frauen nichts gewonnen. Frauen können und wollen den Weg in die Spitze oft nicht gehen, weil ihre Ansprüche an das richtige Gleichgewicht dann nicht mehr erfüllbar wären.
Wenn wir also die gläserne Decke nachhaltig durchbrechen wollen, dann helfen uns letztendlich keine Quoten und keine Regulierungen; wir brauchen vielmehr eine Veränderung der Kultur. Wir müssen den Beweis führen, dass Führungsaufga ben im Job und Familienarbeit vereinbar sind, dass auch Aus zeiten keine Karrierekiller sind und es auch ganz oben eben nicht nur um Härte geht, sondern vor allem um Kompetenz.
Apropos Kompetenz – das sage ich auch an unsere eigene Ad resse durchaus selbstkritisch –: Es sind nicht immer nur die Männer oder die Gesellschaft, die uns mit der Frage „Kann die das?“ im Weg stehen, oftmals sind wir es auch selbst, die die Frage stellen: Kann ich das?
Kurzum: Wir Frauen brauchen wirkliche Veränderungen, wir brauchen selbst mehr Mut und Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten und zum Wettbewerb auf Augenhöhe. Was wir nicht brauchen und wollen sind ein Schutzstatus und paterna listische Förderprivilegien.
Damit bin ich beim Wahlrecht. Auch hier sollten wir es uns nicht zu einfach machen. Wir dürfen nicht die Lösung des Pro blems suchen, indem wir einfach Stellschrauben am Regel werk verändern. Eine Liste allein bringt nicht automatisch mehr Frauen ins Parlament.
Im Einzelfall mag das sogar ins Gegenteil umschlagen. Eini ge Frauen, die hier heute im Parlament sitzen, wären unter Umständen nicht da, wenn es bei der letzten Wahl ein Listen wahlrecht gegeben hätte.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der AfD so wie der Abg. Gabriele Reich-Gutjahr FDP/DVP – Abg. Anton Baron AfD: Genau! So ist es!)
Wenn wir es ernst meinen, dass wir mehr Frauen im Landtag wollen, dann brauchen wir keine Liste. Nein, wir müssen statt dessen alle miteinander in den Parteien dafür sorgen, dass mehr Frauen in den Wahlkreisen kandidieren, dass sie den Weg ins Mandat genauso selbstverständlich anstreben, wie es die Männer tun.