Protokoll der Sitzung vom 11.04.2018

Was die Antwort des Ministeriums gar nicht im Blick hat, ist ein Abfall- und Müllproblem ganz besonderer Art. In einem FAZ-Artikel beschrieb der Vizepräsident des Verfassungsge richts, Kirchhof, wie der Bundestag in drei Jahren 64 000 EUDokumente verarbeiten und umsetzen musste – jeden Monat 1 800 Gesetzgebungsvorschläge und andere politische Akte. Der Bundestag – so Kirchhof – werde von dieser Dokumen tenflut „zugemüllt“.

Das Umweltrecht ist hierfür ein Paradebeispiel der negativen Art. Das Gutachten im Auftrag des Umweltministeriums, das in der Stellungnahme erwähnt wird, zeigt das am Beispiel des Abfallrechts. Wehmütig schreiben die Gutachter, wie das Ab fallgesetz bis 1996 ein überschaubares Regelungswerk mit le diglich 31 Paragrafen gewesen sei. Dann kam das Kreislauf wirtschafts- und Abfallgesetz als Umsetzung der europäischen Abfallrahmenrichtlinie. Mit der Aufzählung aller Verord nungen, die dadurch ausgelöst wurden, wäre ich mit meiner Redezeit hier überfordert. Dass allein die Broschüre „Ver pflichtende Umsetzung zur Getrenntsammlung von Bioabfäl len“ des Umweltbundesamts genau 200 Seiten lang ist, spricht für sich.

Die Zäune, die in den letzten Jahren um alle Grüngutsammel plätze gebaut werden mussten, wären besser als großer Fang zaun um die Gesetzesschleuder von Brüssel herumgebaut wor den. Das hätte uns vor vielem bewahrt.

(Beifall bei der AfD)

Das System siegt sich hier zu Tode. Sowohl das Gutachten als auch die befragten Mitarbeiter der Landratsämter und RPs konstatieren systematische Vollzugsschwächen.

Der englische Philosoph Roger Scruton beschreibt in seinem Buch „Grüne Philosophie: Ein konservativer Denkansatz“:

Im Falle der Europäischen Union, wo die Gesetzgeber Bürokraten sind, die vom Volk, das unter ihren Entschei dungen zu leiden hat, nicht in die Wüste gejagt werden können, ist die Regulierungsmaschinerie mittlerweile völ lig außer Kontrolle geraten.

Auch für eine ökologische Politik gilt, dass der Zweck nicht alle Mittel heiligt. Die Freiheit des Bürgers und unternehme risches Handeln sind Werte an sich.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Mit Vorschriften und Gängelungen sind Probleme noch nie mals nachhaltig gelöst worden. Wir sehen unsere Aufgabe da rin, Freiräume zu erhalten für Eigenverantwortung der Regi

onen und Subsidiarität, für den gesunden Menschenverstand und gegen die totale Regulierung durch anonyme Bürokraten.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Born.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei wahrscheinlich keinem ande ren Thema hängen der Umweltschutz im Kleinen, der Umwelt schutz daheim, und die vermeintlich große Umweltschutzpo litik so unmittelbar zusammen wie bei der Abfall- und Kreis laufwirtschaft. Jede Weiterentwicklung – das ist ja die Über schrift Ihres Antrags – würde scheitern, wenn sie nicht von den Haushalten getragen und vor allem von den vielen Müll werkern bei Wind und Wetter umgesetzt würde.

(Beifall bei der SPD)

Abfall- und Müllsortierung sowie Müllvermeidung werden in vielen Haushalten mit großem Engagement betrieben – hier für herzlichen Dank –, und Abfall- und Kreislaufwirtschaft ist für viele Menschen in Baden-Württemberg ein Knochenjob. Von hier aus gesagt, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Müllabfuhr, bei den Entsorgungsbetrieben: Wir wis sen um Ihren großartigen Dienst in unserem Land. Für Ihre Arbeit herzlichen Dank. Wir stehen in Solidarität an Ihrer Sei te.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der Grünen, der CDU und der AfD)

Nicht nur der Schutz unserer Umwelt und die Nutzung von Ressourcen, sondern dieser Knochenjob, der geleistet wird, und das Engagement der Haushalte setzen uns hier im Land tag bei der Debatte in eine besondere Verantwortung, nämlich dafür, dass wir nicht auf halber Strecke stehen bleiben. Das heißt, dass wir das, was sich gut weiterentwickelt hat, auch benennen, aber auch die kritischen Bereiche, in denen sich dringender politischer Handlungsbedarf abzeichnet, anspre chen.

Schlecht ist es, wenn viele Jahre, nachdem die Biotonne ein geführt wurde und sie für viele Millionen Haushalte längst ei ne Selbstverständlichkeit ist, Landkreise diese immer noch nicht oder nicht flächendeckend eingeführt haben.

(Abg. Anton Baron AfD: Wieso denn?)

Auch gibt es immer noch Landkreise, in denen die Bürger ih ren DSD-Verpackungsmüll irgendwo in Kellern oder Woh nungen sammeln müssen, um ihn dann selbst zum Wertstoff hof zu fahren. Was das für die Qualität der Sortierungen und für die Erfassungsquote heißt, kann sich jeder vorstellen.

Aber denken wir noch einmal weiter, was das für die Men schen heißt, die kein eigenes Auto zur Verfügung haben

(Abg. Anton Baron AfD: Die wenig Geld zur Verfü gung haben!)

oder die aufgrund ihrer körperlichen Verfasstheit gar nicht in der Lage sind, einmal eben zwei Säcke zum Wertstoffhof zu fahren.

Wir von der SPD wollen, dass in Baden-Württemberg flächen deckend eine rechtskonforme und bürgerfreundliche Abfall sammlung garantiert ist.

(Beifall bei der SPD)

Es ist schockierend, wenn laut dem Bericht der Landesregie rung bei Hunderttausenden von stillgelegten Fahrzeugen jähr lich nichts über den Verbleib gewusst wird. Immerhin geht es da nicht nur um eine Tonne Müll, da geht es auch nicht nur um Metall, sondern um viel Kunststoff, Glas, elektronische Bauteile und Textilstoffe. Der Umstand, dass die nicht alle entsorgt werden, sondern vielleicht auch irgendwie irgendwo noch weiter genutzt oder eingelagert werden, beruhigt kaum. Denn wir wissen, dass der größte Bestandteil davon doch ent sorgt wird, ohne dass wir Kenntnis davon haben, wie. Das muss beunruhigen. Das relativiert auch die stolz dargestellten Zahlen über die Wiederverwendung und Verwertung von Alt autos gemäß der EU-Richtlinie.

Bei der Erfassung und Verwertung von Verpackungen aller Art, aber auch bei Glas, Kartonagen und Kunststoffen ist die Landesregierung leider, wie die dargelegten Zahlen belegen, keinen wirklichen Schritt vorangegangen. Die Verwertung sta gniert auf bestehendem Niveau.

Es ist schlecht, dass der Anlauf zu einem Wertstoffgesetz 2016 scheiterte. Der Kompromissvorschlag von Nordrhein-West falen, Schleswig-Holstein und dem damals grün-rot regierten Baden-Württemberg wäre ein guter Weg gewesen. Vorgese hen war dabei, die Sammlung dieser Abfälle in die Hände öf fentlich-rechtlicher Entsorgungsträger zu legen, während die eigentliche Sortierung und Verwertung der Privatwirtschaft obliegen würde. Wir von der SPD-Fraktion treten weiter für diesen Weg ein. Die Sammlung von Wertstoffen gehört für uns Sozialdemokraten in öffentlich-rechtliche Hand.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Bettina Lisbach GRÜNE – Abg. Anton Baron AfD: Das wird teurer!)

Das war die Frage, die ich Ihnen stellen wollte: Betrifft das Wort „uns“, das Sie gebraucht haben, die grüne Fraktion oder die Regierung von Baden-Württemberg? Aber Sie haben uns da an Ihrer Seite. Denn es macht ja überhaupt keinen Sinn, dass man eine Bratpfanne oder ein Metallspielzeug nur des halb in den Restmüll werfen muss, weil kein grüner Punkt vom DSD darauf ist.

Wir brauchen deshalb nach wie vor eine Gesetzesnovelle, die sicherstellt, dass mit einer Wertstofftonne endlich die richtigen Stoffe erfasst werden anstatt nur die vom DSD gelisteten Pro dukte.

Klar ist: Die Kreislauf- und Abfallwirtschaft ist und bleibt ei ne Aufgabe, bei der es noch viele offene Baustellen gibt. Wir beschreiten einen Weg, der noch lange nicht zu Ende ist. Es war interessant, heute Ihren grün-schwarzen Weg aufgezeigt zu bekommen. Vor allem war es interessant, festzustellen, wie viele Widersprüche sich aufgetan haben, wie unterschiedlich Sie die Schwerpunkte setzen.

(Zurufe der Abg. Karl Rombach und Paul Nemeth CDU)

Das erklärt ein Stück weit, warum nach Ihren Jamaika-Ver handlungen nicht mehr als ein halber Satz dazu herausgekom men ist, nachdem Sie dort über Wochen so viel Papiermüll produziert hatten.

Wir haben uns das Ziel gesetzt, hier im Landtag weiter für ei ne nachhaltige, für eine ökologische, für eine sinnvolle Ab fallwirtschaftspolitik einzutreten,

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Nur im Landtag oder auch in Berlin?)

und wir setzen uns dafür auch in Berlin ein. Unsere Regie rungsmitglieder in der Bundesregierung sind da mit sehr viel Ehrgeiz gestartet. Sie von den Grünen haben leider keine Re gierungsmitglieder im Bund. Die Regierungsmitglieder der CDU werden wir überzeugen.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

So werden wir die großen Schritte machen. Wir werden ver langen, dass auch Sie in Baden-Württemberg Ihre Hausauf gaben machen. Wir zeigen auf, wo auch hier vor Ort die rich tigen Maßnahmen ergriffen werden können. Wir bleiben am Ball.

(Beifall bei der SPD – Abg. Andreas Stoch SPD: Sehr gut! – Zurufe der Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE und Anton Baron AfD)

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich das Wort Frau Abg. Reich-Gutjahr.

Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, der bis herige Diskussionsverlauf zeigt, dass wir in der Sache alle ei ner Meinung sind. Wer könnte einer anderen Meinung sein als der, dass man Müll vermeiden muss und dass man den ange fallenen Müll wiederverwerten muss? Ich glaube, darüber herrscht allgemein Konsens.

Worüber unterschiedliche Auffassungen bestehen, ist die Fra ge: Wie erreicht man das am besten? Das ist ja die Aufgabe, die die Politik letztlich hat. Dass wir, die Politik, unseren Bei trag leisten müssen in der Frage, wie der Grundsatz „Vermei den und Verwerten“ am besten umgesetzt werden kann – mit entsprechenden Vorschriften, aber auch mit Verwertungswe gen –, ist ganz klar. Ich glaube aber, über das Wie herrscht kei ne einheitliche Vorstellung.

Die Statistik, die wir in der Stellungnahme zu dem vorlie genden Antrag aufgezeigt bekommen haben, ist – je nachdem, wie man draufschauen will – erfreulich oder auch nicht. Er freulich ist, dass in vielen Bereichen die Werte nicht gestie gen sind, sondern eine Konstanz, teilweise auch eine Abnah me von Werten zu verzeichnen ist. Allerdings sind – der Kol lege von der CDU sprach es schon an – die Werte im Bereich der Bau- und Abbruchabfälle massiv gestiegen. Es wird ja auch erklärt, warum das so ist. Wir hören von vielen Stellen, dass es im Moment Probleme gibt, noch Deponien zu finden, auf denen Bauschutt abgelagert werden kann. Hier haben wir, die Politik, eine Aufgabe. Denn wir können uns dieser Pro blematik nicht verschließen, ob uns die Entwicklung des Ab fallaufkommens gefällt oder nicht.

Bei den Altfahrzeugen und ihrer Verwertung ist erfreulicher weise festzustellen, dass bei der Wiederverwertung, auch der stofflichen Wiederverwertung, die Werte, die in der Statistik aufgeführt werden, bereits 2015 über den Zielwerten lagen und schon da bereits die ab 2016 geltenden Zielwerte erreicht worden sind. Es ist erfreulich, dass wir solche Entwicklungen haben.

Das Sorgenkind ist der Verpackungsmüll. Als Gründe werden hier der Versandhandel, die Fast-Food-Mahlzeiten und der Mitnahmekaffee angeführt. Klar, die Menschen ändern ihr Verhalten, und wir müssen uns Antworten überlegen. Der Trend zum Coffee to go hat schon Start-ups mit der Idee „Bring your own cup“ auf den Plan gelockt. Ich glaube daher, auch die Industrie und die Menschen, die Gesellschaft mitge stalten, bringen Ideen ein, wie wir Verpackungsmüll reduzie ren können.

Die Problematik auf politischer Seite, die ich sehe, liegt da rin begründet, dass die grün mitregierten Länder auf Bundes ebene verhindert haben, dass der von der SPD 2015 einge brachte Entwurf eines Wertstoffgesetzes durchging. Es wur de ein abgespecktes Verpackungsgesetz verabschiedet, das zu mindest einige Elemente beinhaltet, die in die richtige Rich tung weisen. Aber natürlich ist das Ganze damit noch nicht zu Ende gebracht worden.

Dazu gehört zum einen die Einrichtung der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister in Berlin, die 2019 ihre Funktion aufnehmen wird. Dann wurden die dualen Systeme verpflich tet, eine bessere Verbraucherinformation über Sinn und Zweck der Mülltrennung durchzuführen. Auch wurde die Verpflich tung zu einer ökologischen Staffelung der Beteiligungsentgel te eingeführt, um einen stärkeren Anreiz zur stofflichen Wie derverwertung von Verpackungen zu setzen. Das sind Maß nahmen, die noch im Werden sind.

Wir würden es doch sehr begrüßen, wenn die grün mitregier ten Länder und auch unsere Regierung aufhören würden, die weitere Entwicklung der Wertstoffgesetzgebung zu behindern, und sich stattdessen positiv beteiligen würden. Denn was Ih ren Versuch angeht, dies wieder zu rekommunalisieren, sind wir natürlich völlig anderer Meinung als die SPD.