(Beifall bei der CDU und den Grünen sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP und des Abg. Stefan Räpple AfD)
Es ist keine Frage, dass unser Land Baden-Württemberg – wir haben gestern sehr ausführlich darüber gesprochen – ein welt offenes Land, ein tolerantes Land, ein modernes Land ist, aber auch ein Land mit einer großen Geschichte.
Aber über dieses Land hinaus sind wir in ganz Deutschland ebenfalls mit einer großen Verfassungsgeschichte mit Höhen und Tiefen unterwegs. Auch diese Verfassungsgeschichte hat Grundlagen – wir haben gestern über Europa gesprochen –, Grundlagen des christlichen Abendlands auf den Säulen der sieben Hügel von Rom – des Römischen Rechts –, dem grie chischen Geist der Akropolis, Golgota und dem jüdischen Ein gottglauben, aber später auch auf der Basis der Aufklärung, der Kunst, der Kultur und all dem, was Europa ausmacht. All das sind die Grundlagen, aus denen auch die Verfassungsge schichte resultiert und sich entwickelt hat. Mit der ersten deut schen Verfassung von 1848 und übrigens auch mit der badi schen Verfassung von 1818, der ersten Verfassung im dama ligen Deutschen Bund, haben wir Grundlagen, die Einlass ge funden haben in unser Grundgesetz, aber übrigens auch in die
Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die unter dem Vorsitz von Roman Herzog erarbeitet wurden und dann in den Lissabon-Vertrag gemündet sind.
Darin sind die Grundrechte, die Menschenrechte, die Frei heitsrechte mit einer großen historischen Erfahrung verankert. Natürlich gehören dazu die Rechte im Sinne von Freiheits rechten gegenüber dem Staat, aber auch Rechte für den Ein zelnen. Dazu gehört die Religionsfreiheit, die positive und die negative Freiheit, einer Religion anzugehören oder ihr fern zubleiben, oder die Koalitionsfreiheit, Vereinigungen anzuge hören oder ihnen fernzubleiben.
Warum sage ich das? Wir führen heute eine Aktuelle Debat te, die leider notwendig geworden ist und in der zu Recht ein gangs gesagt wurde: Jahrzehntelang war es Konsens über al le politischen Grenzen hinweg, dass Antisemitismus und Ras sismus in Deutschland nie wieder salonfähig werden dürfen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das war und ist Teil un serer Staatsräson, es ist eine Frage der Vernunft, es ist ein Ge bot des menschlichen Anstands, und dies gebietet auch die Ehrfurcht vor den Opfern des Holocaust. Wer immer gehofft hat, dass dieser Konsens auch mit dem Erscheinen der neuen Partei Bestand haben würde, sieht sich jetzt natürlich zu Zwei feln veranlasst. Deshalb ist es gut, dass wir heute darüber spre chen.
Die Pamphlete des Abgeordnetenkollegen Gedeon, über die wir auch in den Medien gelesen haben, legen offen, dass es da Gesinnungen gibt, die einen Gärprozess darstellen. Des halb will ich schon darüber sprechen und zu bedenken geben: Es geht nicht darum, dass sich einer hier irgendwie unge schickt ausdrückt oder einmal im Eifer – was in der Politik vorkommt – etwas übertrieben hat; so etwas kann passieren. Tatsächlich haben wir es hier ganz offensichtlich mit mehr zu tun, nämlich mit einem knallharten systematischen Antisemi tismus, der direkt anschließt an eine feindselige Ideologie des Neonazismus. Und das darf nicht sein.
Deshalb, Herr Kollege Meuthen, sage ich Ihnen hier ganz of fen: Mit Ihrem Populismus beschwören Sie Geister, die Sie nicht mehr loswerden. Sie müssen sich heute klar erklären und müssen sich davon distanzieren. Sie wollen zwar, habe ich ge lesen, den Abgeordnetenkollegen jetzt aus der Fraktion aus schließen. Wir wollen aber natürlich schon hören, wie diese Mehrheit hierfür aussieht. Wir haben noch nicht gehört, wie wirklich die Zahl war.
Haben Sie eine Zweidrittelmehrheit, wie Sie sie anscheinend brauchen? Ich denke, Sie werden uns das hier heute erläutern.
Aber ich will auch auf etwas Weiteres hinweisen. Heute Mor gen ist in der WELT Folgendes zu sehen: Ein Abgeordneter der CDU trägt im Landtag Brandenburg ein Boateng-Trikot, und daneben sitzt Ihr Kollege Gauland.
Ich habe mittlerweile das Gefühl und auch die Überzeugung, dass es System geworden ist, erst zu provozieren,
Das ist ein verhängnisvoller Tanz auf den Leitplanken der plu ralistischen Demokratie. Sie inszenieren sich hier als Tabu brecher und als Sprachrohr einer schweigenden Mehrheit, um dann wieder zurückzurudern. Tatsächlich wird aber dadurch auch – das wissen Sie doch – ein Nährboden entfaltet, und da von müssen Sie sich distanzieren. Die FAZ hat am 4. Juni ge titelt, was den Kollegen Gedeon angeht: „Im Eiferer-Modus gegen Juden“. Solche Überschriften darf es in Deutschland nicht geben. Auch das will ich an dieser Stelle deutlich sagen.
Deshalb sage ich Ihnen: Dieser Fall zeigt: Eine bürgerliche Fassade darf nicht zu einer billigen Kulisse werden. Dem tre ten wir mit ganzer Entschlossenheit entgegen. Wir lassen nicht zu, dass Sie einem Denken die Tür öffnen, das in Deutschland seit 70 Jahren aus gutem Grund keinen legitimen Platz mehr hat. Deshalb erwarte ich von Ihnen heute eine klare Distan zierung.
Meine Damen und Herren! Antisemitismus ist das, was man mir in vielen Zeitungen und jetzt auch hier in diesem Hohen Haus vorwirft.
Man bezieht sich auf einige Zitate in meinen Büchern, die ich vor sieben bzw. vor vier Jahren veröffentlicht habe. Ich möch te dazu Folgendes feststellen:
Erstens: Ich bin kein Antisemit. Ich hetze nicht gegen Juden, ich verunglimpfe sie nicht, ich verachte sie nicht – nirgend wo.
Zweitens: Ich leugne nicht den Holocaust. Er ist ein geschicht liches Faktum und noch mehr: Er ist ein entsetzliches Verbre chen.
Auf der Grundlage dieser drei Überzeugungen halte ich es wie bei jedem anderen Thema für notwendig, Kritik zu üben. Die se Kritik ist zulässig, sie ist legitim, und sie ist notwendig.
Meine Damen und Herren, hüten wir uns davor, den Begriff „Antisemitismus“ inflationär zu gebrauchen.
Hüten wir uns davor, ihn damit zu verschleißen, denn wir brauchen ihn noch. Wir haben die Situation, dass gerade heu te ein neuer Antisemitismus in gefährlicher Weise nicht zu letzt über die muslimische Zuwanderung in unsere Gesell schaft eindringt.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Widerspruch bei den Grünen – Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜ NE: Unverschämt!)
Meine Damen und Herren, ich habe meine Zeit gegenüber meiner Fraktion eingehalten. Ich schaue auf meine Uhr und sehe, dass das der Fall ist. Der Blick auf diese Uhr, meine Da men und Herren, erinnert mich an Folgendes: Diese Uhr hat ein jüdischer Geschäftsfreund meines Vaters vor vielen Jah ren meinem Vater geschenkt, 1947, kurz vor meiner Geburt. Deswegen brauche ich nur auf meine Uhr zu schauen, um zu wissen, dass ich kein Antisemit bin.
(Beifall bei der AfD – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das war eine bestechende Argumentati on!)
(Abg. Daniel Rottmann AfD, ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „I love Israel“ tragend, schüttelt Abg. Dr. Wolfgang Gedeon AfD die Hand. – Zurufe von der SPD: Herr Präsident, das T-Shirt! – Da steht ei ner im T-Shirt! – Das geht ja gar nicht!)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich muss zugeben, dass ich in diesem Moment einigermaßen sprachlos über dieses groteske Schauspiel bin.