Protokoll der Sitzung vom 25.04.2018

Denn es gehört nicht zu ihrem kommunalen Selbstverwal tungsrecht, schulische Angebote für Einwohner von Nach barkommunen einzurichten und vorzuhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das bestehende Netz an allgemeinbildenden, beruflichen und privaten Gymnasien bietet für jeden Schüler in diesem Land einen Platz. Niemand in diesem Land macht das Abitur deshalb nicht, weil wir kei nen Stuhl in einem Klassenzimmer für ihn hätten.

Es ist richtig: Nicht jeder macht das Abitur an seiner Lieb lingsschule, und nicht jeder macht das Abitur in seiner Hei matstadt. Aber es ist auch nicht unsere Aufgabe, öffentliche Gelder dafür zu verwenden, zwei- und dreifach parallele Struk turen zu schaffen oder aufrechtzuerhalten, nur um es am En de jedem recht zu machen.

Verlässlichkeit, Vertrauen und Vertragstreue sind nicht nur Werte, die uns in einer Koalition wichtig sind. Es ist auch et was, was wir, das Land, den Kommunen und Schulträgern schuldig sind.

(Beifall bei der CDU)

Bevor ich das Wort gleich Herrn Abg. Dr. Balzer erteile, habe ich noch eine Informati on: Nach meinem Kenntnisstand haben sich die parlamenta rischen Geschäftsführer aller fünf Fraktionen darüber verstän digt, dass sich der Beginn der Ausschusssitzungen verspätet und wir in der Plenardebatte heute alle Tagesordnungspunkte beraten. Es wird also kein Punkt abgesetzt, und die Ausschuss sitzungen beginnen später als vorgesehen. – Vielen Dank.

Jetzt erteile ich Herrn Abg. Dr. Balzer für die AfD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen Abgeordnete! In der ersten Lesung des Gesetzentwurfs haben wir schon bemän gelt, dass wir nicht offen darüber abstimmen, ob eine gymna siale Oberstufe an den Gesamtschulen überhaupt gewollt wird. Wir sollten dieses strittige Thema nicht verbinden mit der Fra ge, ob Schulverbünde mit Gemeinschaftsschulen zulässig und sinnvoll sind oder nicht. Schulverbünde können sinnvoll sein. Aber diese Verknüpfung halten wir für nicht richtig.

Heute möchte ich jetzt auf ein weiteres Ungleichgewicht in diesem Verfahren hinweisen. Als Reaktion auf den PISASchock 2000 haben wir nach dem Motto „Viel hilft viel“ in

ganz Deutschland das Schulsystem umgekrempelt, umgebaut. Wir haben Lehrpläne und Bildungspläne neu geschrieben, um geschrieben und die Gymnasialzeit mit dem G 8 von neun auf acht Jahre verkürzt. Nun haben wir das G 8 mit einem beson deren Stress für Schüler, für Eltern und für Lehrer, und wir haben eine Gemeinschaftsschule – demnächst mit Oberstufe –, in der die Schülerinnen und Schüler ein Jahr mehr Zeit ha ben, um zum Abitur zu kommen. Ein 19-Jähriger ist bekannt lich deutlich reifer als ein 18-Jähriger – völlig unabhängig da von, welche Schulbildung er genießt.

Wir haben es also mit einer Ungleichbehandlung der G-8-Schü ler gegenüber den Schülern der Gemeinschaftsschule zu tun. Diese Ungleichbehandlung scheint noch niemandem aufge fallen zu sein.

Was machen die Eltern eines Kindes, das sie für intelligent halten, das aber vielleicht noch etwas mehr Zeit für seine Ent wicklung braucht, ein Kind, das eben ein bisschen verträumt ist? Wenn sie ihm das G 8 nicht zutrauen, werden sie das Kind, um ihm dieses eine Jahr zu geben, auf die Gemeinschaftsschu le schicken müssen. Vielleicht ist diese Ungleichbehandlung den Erfindern der Gemeinschaftsschule – SPD und Grünen – gar nicht unrecht.

(Abg. Raimund Haser CDU: Es gibt ja noch Real schulen!)

Diese strukturelle Ungerechtigkeit wird dafür sorgen, dass bei genau diesen betroffenen Eltern und Schülern die Meinung zur Gemeinschaftsschule erheblich positiver ausfällt, als es die Schulart eigentlich verdient.

(Beifall bei der AfD)

Ich habe den Eindruck, dem klassischen Gymnasium haftet in den Augen der SPD und der Grünen noch immer der Makel des sogenannten Bildungsbürgertums an. Dabei haben doch auch viele SPD-Politiker genau über dieses Gymnasium den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft. Das Feindbild „Bürger liches Gymnasium“ sollte von den Kollegen der SPD ad acta gelegt werden. Es ist mindestens genauso antiquiert wie die Idee des Klassenkampfs, die auch ab und zu ganz gern wie der aufgewärmt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zuruf von der SPD: Wie kommen Sie darauf?)

Ist denn nicht Deutschland genau eines der Länder, in denen seit Jahrzehnten wirklich hochwertige Schulbildung für jeden kostenlos ist? Oder haben Sie, Herr Dr. Fulst-Blei, etwa nicht eine kostenlose Schulbildung in Deutschland genossen? Ha ben Sie, haben wir nicht sogar eine kostenlose Hochschulaus bildung genossen? Gehen Sie einmal in andere Länder, schau en Sie nach England oder Frankreich oder in die hochgelob ten USA. Dort besteht eine tatsächliche soziale Segregation über die Schule. Dort ist der Anteil von Schülern, die eine Pri vatschule besuchen, viel höher als bei uns, weil die Schulge bühren so hoch sind, und diese sind eben nicht von jedermann zu bezahlen.

Wir sind allerdings nicht so naiv, zu glauben, das liege daran, dass Deutschland einfach nur irgendwie sozialer sei als ande re Länder. Es hat in erster Linie mit der geschichtlichen Ent wicklung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun.

Sehr viele Leute – aus welcher Schicht, aus welchem Stand auch immer – mussten damals bei null anfangen.

Deswegen ist diese Idee, dass die bisherigen Schullaufbahnen durch eine soziale Auslese über den Geldbeutel bestimmt wer den, Teil einer Klassenkampfrhetorik, die eigentlich fehl am Platze ist. Aber offensichtlich wollen Sie die Zerstörung des bürgerlichen Gymnasiums weiterbetreiben.

(Beifall bei der AfD)

Diese Ablehnung des sogenannten Bildungsbürgertums treibt sehr seltsame Blüten. Es wäre sogar kurios – wenn nicht vie le Schüler darunter leiden müssten. Sie wissen alle, was ich meine: Im Englischabitur musste jetzt ein literarischer Text bearbeitet werden. Darauf waren die Schüler nicht vorberei tet. Warum nicht? Nach Jahrzehnten des Unterrichtens von Alltagsenglisch statt hoher Literatur haben weder Schüler noch Lehrer damit gerechnet, und die Schüler haben sich über fordert gefühlt. Wie viele, das wissen wir aus der betreffen den Petition: über 30 000 Unterschriften. Im Fremdsprachen unterricht am Gymnasium sollte die Literatur neben dem so genannten Businessenglisch und der Alltagssprache eigent lich selbstverständlich ihren Platz haben.

(Beifall bei der AfD)

Die Vorbereitung auf die Prüfung hat offensichtlich gefehlt.

Es geht bei der Gemeinschaftsschule eher um andere Fragen. Es geht um die Frage, ob die Kinder in erster Linie in staatli cher Obhut erzogen werden sollen – eine alte sozialistische Idee – oder ob sie nachmittags für andere Dinge freihaben sol len – für Vereine und andere Freizeitaktivitäten. Diese Wahl freiheit wollen wir erhalten, ebenso wie die Wahlfreiheit, ob die Eltern ihr Kind nachmittags allein erziehen wollen – wenn sie es denn können – oder eben nicht. Diese Wahlfreiheit oh ne Diskriminierung der elterlichen Betreuung befürworten wir.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Aus diesem Grund werden wir ein Referendum zur Entschei dung „G 8 oder G 9?“ anregen, und das Demokratiestärkungs gesetz der AfD wird die Grundlage dafür bieten.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Fulst-Blei.

Herr Balzer, die SPD hat übrigens den G-9-Versuch in Baden-Württemberg durchge setzt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Mit den beiden Änderungen, die heute anstehen, haben wir uns bereits in der letzten Plenarsitzung intensiv auseinanderge setzt. Leider hat die Diskussion im Bildungsausschuss zu die sem Tagesordnungspunkt nicht viel Neues gebracht. Die Er möglichung von dauerhaften Verbünden von Schulen, die bei de den gleichen Abschluss anbieten, ist ein Fehler. Damit dro hen Provisorien zu Dauerlösungen zu werden.

Wer aber jetzt meint, dass die letzte Sitzung des Bildungsaus schusses deswegen langweilig gewesen wäre, der täuscht sich zutiefst. Im Gegenteil, die Mitglieder mussten die Aufführung einer Theaterinszenierung mitverfolgen, die in ihrer Provoka tion sicherlich nicht an die von Serdar Somuncu heranreicht, gleichwohl aber neue Sphären der Absurdität erreicht hat.

„Wat is eigentlich ’ne Regierung?“ Stellen wir uns mal ganz demokratisch. Eine Regierung ist eine auf parlamentarischer Mehrheit beruhende Kraft, die konzeptionelle Gedanken hat, welche auf der Grundlage klarer juristischer Bestimmungen rechtsstaatlich legitimiert umgesetzt werden.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Aber doch nicht in Baden- Württemberg!)

Und dagegen: „Wat is eigentlich ’ne Chaostruppe?“

(Beifall des Abg. Raimund Haser CDU)

Stellen wir uns mal ganz schwarz-grün. Eine Chaostruppe ist ein Verein, der sich bei einem wichtigen politischen Thema wie z. B. der Oberstufe an Gemeinschaftsschulen nicht eini gen kann und, statt weiter nach Lösungen zu suchen, das Handtuch wirft und lieber Gerichte die Arbeit machen lässt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Raimund Haser CDU: Waren Sie auf dem Parteitag der SPD?)

Kollege Haser, genauso im letzten Bildungsausschuss. Zur Erinnerung – Sie haben es selbst aufgeführt –: Einer unserer Streitpunkte in der letzten Debatte war die Frage, inwiefern das Kultusministerium für den Fall der Genehmigung einer Oberstufe an Gemeinschaftsschulen öffentlich-rechtliche Ver einbarungen von umliegenden Gemeinden verlangen kann. Der wesentliche Unterschied zur regionalen Schulentwick lung ist aber, dass hier das Veto einer einzelnen Gemeinde den gesamten Prozess stoppen kann. Bei der regionalen Schulent wicklung dagegen muss die übergeordnete Schulbehörde im Fall eines Dissenses entscheiden. Die nun vom Kultusminis terium vorgesehene Regelung kann sich also bei Einrichtung einer gymnasialen Oberstufe – wenn die Verbindlichkeit der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung verlangt wird – schlicht weg als Fortschrittskiller erweisen.

Aber nein, das kann ja nicht sein. Es gibt ja noch einen wei ßen Ritter. Die Grünen werden eine solche Politik zur Verhin derung der Gemeinschaftsschule niemals zulassen. Schließ lich hat ihr machtvoller Fraktionsvorsitzender der Kultusmi nisterin einen Brief geschrieben, und darin heißt es:

Die Einrichtung und Genehmigung von gymnasialen Ober stufen an Gemeinschaftsschulen ist für uns ein wichtiger Beitrag, um die Durchlässigkeit in unserem Schulsystem weiter zu verbessern und den Schülerinnen und Schülern ein optimales Angebot vorzuhalten.

Stimmt. – Weiter:

Nach den schulrechtlichen Vorgaben haben die Schulträ ger daher einen Anspruch auf die Errichtung und Geneh migung, wenn die rechtlichen Voraussetzungen und eine prognostizierte Mindestschülerzahl von 60 gegeben sind.

Absolut richtig. – Im weiteren Verlauf führt der Fraktions vorsitzende aus, dass die Regierungspräsidien im Falle eines Antrags auf Einrichtung und Genehmigung einer Oberstufe angewiesen worden seien, öffentlich-rechtliche Vereinbarun gen mit den Nachbargemeinden einzufordern. Konkret wird sich auf anhängige Verfahren in Wutöschingen und Bad Rap penau bezogen. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen dazu:

Die von Ihnen geäußerte Rechtsauffassung können wir nicht nachvollziehen. Aus diesem Grund akzeptieren wir nicht, dass die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag durch eine äußerst restriktive Ermessensausübung durch Ihr Ministerium unterlaufen wird.

Na bitte! Ich wusste es: Wir können uns auf die Grünen ver lassen – und wie wir verlassen worden sind, insbesondere die Gemeinschaftsschulen! Nichts passiert. Im Bildungsausschuss erklären Grüne und CDU lapidar: „Wir sehen uns vor Gericht; irgendjemand wird schon klagen.“ Beide Koalitionsfraktio nen erklären, dass man die Gerichte über die Streitfrage ent scheiden lassen will. Was das für einen sauberen Schulent wicklungsprozess bedeutet, brauche ich hier wohl nicht wei ter auszuführen. Im übelsten Fall drohen jahrelange Hänge partien.

(Beifall bei der SPD)

Unglaublich! Null politischer Handlungswille. Ist das Ihre Verbindlichkeit, Kollege Haser: „Wir sehen uns vor Gericht“? Als Nächstes kommt die Scheidung. – Die Rede habe ich üb rigens am Montag geschrieben, nicht heute früh.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)