Protokoll der Sitzung vom 14.06.2018

Aktuelle Debatte – Onlinehandel: Für Steuergerechtigkeit und faire Wettbewerbsbedingungen – beantragt von der Fraktion GRÜNE

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landes regierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 unserer Geschäftsord nung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort Frau Abg. Wal ker.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Wir alle kennen das: An einem vollgepackten Arbeits tag bleibt oftmals keine Zeit für einen kurzen Abstecher in die Stadt, um einkaufen zu gehen oder ein paar Besorgungen zu machen. Der lokale Einzelhandel ist zwar nach wie vor die bevorzugte Einkaufsadresse, aber viele shoppen – den Um ständen geschuldet oder weil sie es auch gern tun – hin und wieder auch im Internet. Mit ein paar Klicks wandern ge wünschte Produkte von Plattformen wie E-Bay, Amazon und Co. in den digitalen Warenkorb und werden dann mit der Post bequem zu uns nach Hause geliefert.

In Deutschland wachsen die Umsätze im Onlinehandel Jahr für Jahr. 2017 betrug der Umsatz fast 60 Milliarden €; jeder achte Euro im gesamten Einzelhandelsumsatz wurde im In ternet generiert. Gegenüber 2016 entsprach dies einem Wachs tum von 11 %. Ein Ende dieses Wachstums ist derzeit nicht in Sicht.

Aus den klassischen Onlineshops sind inzwischen riesige di gitale Plattformunternehmen geworden, die, wie ich schon sagte, z. B. Amazon, Alibaba oder E-Bay heißen. Viele Tau send Händler vertreiben weltweit ihre Produkte über diese di gitalen Marktplätze. Das heißt, die wirtschaftliche Bedeutung und die Größe dieser Plattformunternehmen sind dramatisch gestiegen, gerade im Handel.

Das muss für den stationären Einzelhandel nicht unbedingt ei ne Bedrohung sein. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass auch viele etablierte Händler zunehmend diese Vertriebs kanäle entdecken. Die Wachstumsraten im Onlinehandel sind gerade für diese stationären Händler in den vergangenen Jah ren groß gewesen. Aber gerade diese Händler pochen eben auch auf faire Wettbewerbsbedingungen im Onlinehandel. Wir werden gleich noch darauf zu sprechen kommen, wo es da um Wettbewerbsverzerrungen geht.

Die digitale Plattformwirtschaft bietet enorme Wachstums chancen, Innovationspotenzial. Sie stellt für Konsumenten, Produzenten und Händler einen Zugang zu Märkten dar, der für sie bisher unerreichbar war. Manche Beobachter verbin den mit Plattformwirtschaft gar große Demokratisierungs-, Gleichheits- und Wohlstandsversprechen. Wir beobachten aber auch, dass sich manche dieser Versprechen ins Gegenteil verkehrt haben. Einige wenige Digitalkonzerne beherrschen auf eine Art und Weise den Markt, wie wir es uns vor weni gen Jahren noch nicht vorstellen konnten.

Kennzeichen dieser Plattformwirtschaft sind Wachstum und Skalierung, das bedingungslose Streben nach Marktmacht und Monopolstellung. Daraus ist eine Art internationaler digitaler Turbokapitalismus geworden, dessen Entwicklung die Politik herausfordert und sie allzu oft – das muss man ehrlich zuge ben – in den vergangenen Jahren schlicht überfordert hat.

Denn eines ist bis jetzt nicht erkennbar: Kein Kennzeichen der digitalen Giganten ist eben eine Orientierung am Gemein wohl und an den nationalen Regulierungen. Die global agie rende Internetökonomie entzieht sich vielfach nationalstaat lichen Regeln und Gesetzen. Das haben wir bei Facebook beim Thema Datenschutz gesehen, wir sehen es bei Apple, Google und Co., wenn es um das Thema Ertragsteuern geht, und wir sehen es aktuell bei den Onlineplattformen und -markt plätzen beim Thema Umsatzsteuer.

Was die Umsatzsteuer betrifft, ist klar: Bei allen Einkäufen gilt – egal, ob in der Fußgängerzone oder auf den großen On lineplattformen –, dass für alle Waren Umsatzsteuer abgeführt werden muss, die der Endkunde in Form von Mehrwertsteu er bezahlt. In Deutschland stammen immerhin fast ein Drittel unserer Steuereinnahmen aus der Umsatzsteuer. Als Endver braucher finden wir diese fein säuberlich ausgewiesen auf un seren Rechnungen – eigentlich.

Aber auf diesen Internetplattformen tummeln sich mittlerwei le auch eine Vielzahl außereuropäischer Anbieter, die für ih re Verkäufe in Deutschland eben keine Umsatzsteuer abfüh ren. Vielfach stammen die Händler aus Südostasien oder aus China. Beim zuständigen Finanzamt in Neukölln sind gerade einmal 400 Anbieter mit Sitz in China oder Hongkong um satzsteuerlich registriert, während Experten schätzen, dass 5 000 bis 6 000 chinesische Anbieter auf den deutschen Ab legern z. B. von Amazon oder E-Bay tätig sind. Das heißt, mehr als 90 % dieser Anbieter besitzen nicht einmal eine deut sche Umsatzsteuernummer. Die Steuerausfälle für die deut sche Hand werden auf einen hohen dreistelligen Millionenbe trag pro Jahr geschätzt.

Gegenüber den steuerehrlichen Anbietern, die Umsatzsteuer abführen, haben diese Händler natürlich einen beträchtlichen Wettbewerbsvorteil, und angesichts niedriger Gewinnmargen im Einzelhandel ist ein Preisvorteil von 19 % kaum wettzu machen. Das heißt, die Wettbewerbsbedingungen sind im Mo ment ungleich und unfair. Ich finde, das dürfen wir nicht ein fach achselzuckend hinnehmen. Das Internet ist kein rechts freier Raum, der Rechtsstaat nicht außer Kraft gesetzt, nur weil die Geschäfte online abgewickelt werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Man kann daran aber auch erkennen, dass unser Steuerrecht und unsere Verfahren aus der Welt vor der Globalisierung und Digitalisierung kommen. Nicht nur bei der Umsatzsteuer, auch bei der Besteuerung des Ertrags hinkt das Steuerrecht bislang den Realitäten der global agierenden Konzerne hinterher.

Diese Schwäche unseres Steuerrechts ist nicht nur ein Prob lem fehlender öffentlicher Steuereinnahmen, sondern es geht hier natürlich auch um den Verstoß gegen das Prinzip der Steuergerechtigkeit. Es ist niemandem zu vermitteln, dass steuerehrliche Einzelhändler auf Waren sitzen bleiben, die be trügerische Konkurrenten steuerfrei auf Straßen ausliefern – Straßen, die die Ehrlichen mit ihren Steuern bezahlt haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Das sehen wir genauso bei den Ertragsteuern. Auch da ist es niemandem zu vermitteln, dass jedes mittelständische Unter nehmen dort Steuern auf seine Erträge zahlt, wo diese anfal len, aber die milliardenschweren Digitalkonzerne mühelos Wege finden, das Zahlen von Steuern zu umgehen.

Die Steuergerechtigkeit ist ein grundlegendes Prinzip unserer sozialen Marktwirtschaft. Die aktuelle Bevorteilung interna tionaler Konzerne gerade bei der Besteuerung und der mas senhafte Betrug beim Onlinehandel unterhöhlen fundamenta le Grundsätze unserer Wirtschaftsordnung. Deswegen muss die Politik hier rasch handeln. Unser Steuerrecht und unsere Steuerverwaltung müssen fit gemacht werden für die digitale Welt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Es geht dabei nicht um Schutz vor Globalisierung oder Schutz vor Digitalisierung. Es geht auch nicht um mehr Steuerein nahmen. Es geht um den Schutz der marktwirtschaftlichen Ordnung vor Wettbewerbsverzerrung und Betrug.

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Sehr gut!)

Das ist die erste und die wichtigste Aufgabe kluger Wirt schafts- und Ordnungspolitik.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Die mittelständischen Unternehmen in unserem Land wollen sich mit Qualität, mit Kundennähe und Innovation am Markt behaupten und wollen nicht mit einer Armada von Rechtsan wälten, Unternehmens- und Steuerberatern gegen unfaire Wett bewerbsbedingungen kämpfen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Es ist völlig klar, dass solche Regeln, die wir eigentlich brau chen – der Ordnungsrahmen, den wir für diese Wirtschaft brauchen –, natürlich nicht allein auf nationaler Ebene durch zusetzen sind. Das ist vollkommen klar. Es wird jetzt auf ver schiedenen Ebenen an dem Thema gearbeitet. Natürlich brau chen wir europäische, am besten globale Regeln.

Deswegen ist es auch zu begrüßen, dass es für die Bekämp fung des Steuerbetrugs auch im Onlinehandel bereits konkre te Planungen und Lösungsansätze auf EU-Ebene gibt. Aber bei diesen Prozessen dauert es oft sehr lange, bis es zu dem entsprechenden Ordnungsrahmen kommt. Wir können es uns

schlicht und ergreifend nicht leisten und dürfen es uns auch nicht leisten, dass dieser Steuerbetrug weiter fortgesetzt wird und hier auf dreistellige Millionenbeträge verzichtet werden muss. Wir brauchen das Geld dringend für das Gemeinwohl, für viele wichtige Dinge hier in unserem Land, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Ich bin deswegen unserer Finanzministerin sehr dankbar, dass sie das Thema jetzt angepackt hat. Sie hat aktuell mit dem hes sischen Finanzminister eine Initiative zur Bekämpfung des Steuerbetrugs im Onlinehandel gestartet. Danach sollen Be treiber von Internetmarktplätzen ab dem kommenden Jahr in Haftung genommen werden, wenn Händler auf ihren Plattfor men die Umsatzsteuer nicht abführen.

Es ist jetzt gerade, am 25. Mai, auf der Länderfinanzminister konferenz auf den Weg gebracht worden, dass alle gewerbli chen Händler auf diesen Plattformen steuerlich registriert sein müssen. Wenn das nicht der Fall ist, wenn nicht abgeführt wird, werden die Betreiber der Plattform in Haftung genom men und müssen die entsprechenden Steuerausfälle zahlen.

Ich finde, das ist ein erster Schritt, mit dem die digitalen Platt formunternehmen jetzt stärker dafür in die Verantwortung ge nommen werden, was auf ihren Marktplätzen geschieht. Das sorgt nicht zuletzt für mehr Steuergerechtigkeit. Das stützt auch die steuerehrlichen Anbieter hier in der heimischen Wirt schaft in Baden-Württemberg und ist ein wichtiger Aspekt, wenn es um das Thema Verbraucherschutz geht. Es zeigt ein fach ein ehrliches und transparentes Angebot, an dem sich die Kundinnen und Kunden orientieren können.

Auf europäischer Ebene müssen weitere Schritte folgen; das ist ganz klar. Dieser Schritt zeigt aber, dass man auch natio nal handeln kann und dass man damit noch mehr Dynamik in das Thema „Ordnungsrahmen für die digitale Welt“ bringen muss.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Wald das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.

(Beifall des Abg. Daniel Rottmann AfD)

Diese klugen Worte stammen von Goethe, und dieses Zitat passt – wie so oft bei Goethe – zu unserem heutigen Thema.

Denn wir wissen längst, dass der deutsche Staat im Internet ausgetrickst wird, und wir – das sage ich ganz bewusst für die CDU-Landtagsfraktion – wissen längst, dass diese Trickserei beendet werden muss, dass wir diesen Onlinebetrug auf den Plattformen nicht wollen und dass wir handeln müssen. Das tun wir jetzt. Wir werden verhindern, dass diese Trickserei weitergeht.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Abg. Anton Baron AfD: Da wissen Sie mehr als Ih re Bundesregierung!)

Der Startschuss für das Gesetzgebungsverfahren gegen Um satzsteuerbetrug beim Onlinehandel ist gefallen. Die Finanz ministerinnen und Finanzminister der Länder haben auf ihrer Jahrestagung Ende Mai den Entwurf einer Haftungsregelung für die Betreiber von elektronischen Marktplätzen beschlos sen, und die CDU-geführte Bundesregierung erstellt derzeit den Gesetzentwurf.

Geplant ist, dass das Gesetz bereits zum 1. Januar 2019 in Kraft tritt. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Betreiber von elektronischen Marktplätzen für die nicht entrichtete Umsatz steuer auf Lieferungen haften, und zwar auch für jene Verkäu fe, die andere Händler auf den Onlineplattformen ausführen.

Dabei geht es, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem um Händler aus Fernost, beispielsweise aus China. Es gibt Be richte von Insidern – das kann man in vielen glaubwürdigen Quellen nachlesen –, dass sich auf deutschen Onlinemarkt plätzen bis zu 6 000 chinesische Anbieter tummeln – 6 000! Doch nur ein Bruchteil dieser Onlinehändler aus der Volksre publik oder aus Hongkong sind umsatzsteuerrechtlich in Deutsch land registriert. Das muss aufhören. Das muss beendet wer den.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Denn tatsächlich zielen die Haftungsregelungen nicht vorran gig auf die Betreiber der elektronischen Marktplätze. Das Ziel besteht darin, dass sich auch ausländische Onlinehändler in Deutschland steuerrechtlich registrieren und natürlich auch ordnungsgemäß ihre Umsatzsteuer abführen.

Betreiber von Onlineplattformen werden künftig haften, wenn Händler ihnen keine Bescheinigung des zuständigen Finanz amts vorlegen. Das wird dafür sorgen, dass die Betreiber end lich selbst ein Interesse daran haben, dass der Betrug beendet wird. Denn die Betreiber des elektronischen Marktplatzes haf ten auch dann, wenn sie nicht registrierte oder steuerunehrli che Händler weiter auf ihren elektronischen Marktplätzen han deln lassen. Damit wird zukünftig dem Missbrauch vorge beugt.

Steuergerechtigkeit wiederherstellen, gleiche Wettbewerbsbe dingungen für inländische und ausländische Unternehmen schaffen sowie die Einnahmebasis des Staates sicherstellen, das sind die CDU-Ziele, und die werden wir auch erreichen.