Protokoll der Sitzung vom 14.06.2018

Sie haben es erwähnt: Unser Förderprogramm „Landärzte“ hat seit 2012 ebenso gute Unterstützung und wichtige Anreize für die Niederlassung im ländlichen Raum gesetzt. Über 100 Hausärzte, Kinder- und Jugendärzte bekamen bis zu 30 000 €, wenn sie sich in einer ländlichen und förderfähigen Gemein de niedergelassen haben. Seit Auflage des Programms im Jahr 2012, das ursprünglich einmal aus Bundesmitteln finanziert worden war, wurden mit insgesamt 2 Millionen € zahlreiche Praxisübernahmen oder Neueinrichtungen von Hausarztpra xen sowie Anstellungen von Ärztinnen oder Ärzten gefördert. Das Programm wird wirklich sehr gut angenommen. Das zeigt die große Nachfrage. Der von uns für dieses Jahr vergrößerte Fördertopf war früher als erwartet aufgebraucht. Darum wer den wir für die nächsten Jahre Neuansätze prüfen und in das Programm einfließen lassen. Wir starten deswegen auch im kommenden Jahr eine neue Förderperiode.

Bei der Investitionsförderung und Unterstützung bei der Über nahme und Neugründung ist auch die Kassenärztliche Verei nigung aktiv. Herr Kollege Hinderer, Sie haben es erwähnt: Das Programm „Ziel und Zukunft“ bündelt dies. Wir werden uns in Zukunft noch stärker aufeinander abstimmen. Die wich tigsten Maßnahmen sind die finanzielle Förderung der Nie derlassung in unterversorgten Gebieten und die Förderung des praktischen Jahres im ländlichen Raum. Finanziert wird es pa

ritätisch von der Ärzteschaft und vom krankenkassenfinan zierten Strukturfonds.

Schließlich werden natürlich die telemedizinischen Maßnah men einen immer größeren Beitrag leisten. Noch einmal, lie ber Herr Kollege Hinderer: Im Rahmen unserer Digitalisie rungsstrategie und von „docdirekt“ waren wir bei der Debat te der Ärztekammer dabei. Wir sind sehr dankbar für das gu te Verhältnis, das wir mit Herrn Präsident Clever haben. Un sere vorweg gegebene Zusage, die Evaluation in der beschrie benen Form sicherzustellen, war mit eine Voraussetzung da für, dass ein solches Projekt durchgeführt werden kann. In sol chen Sachen wird nie jemand etwas für sich allein reklamie ren.

(Abg. Rainer Hinderer SPD: Es hat sich so angehört!)

Natürlich nicht. – Das Wichtige und Gute ist eben – Sie wa ren ja auch beim MDK-Tag – das abgestimmte solidarische Miteinander.

Unser Gesamtportfolio „Digitalisierung in Medizin und Pfle ge“ mit 4,3 Millionen € im Jahr 2017 und knapp 4 Millionen € im Jahr 2018 und den Folgejahren beinhaltet Projekte, bei de nen es Apps in der Pflege gibt, bei denen es Beratungssegmen te gibt. Schauen Sie es sich auf unserer Homepage an. Als ein ziges Bundesland hat Baden-Württemberg auch einen Beirat für die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie. Uns wird vom Bundesgesundheitsministerium unisono bestätigt, dass das Land Baden-Württemberg in seiner Digitalisierungsstra tegie von allen Bundesländern mit Abstand am Weitesten ist, und das auch mit gutem Recht, weil wir es uns hart erarbei ten. Wir haben ja diese Themen in der letzten Legislaturperi ode immer wieder miteinander entwickelt.

(Zuruf des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP)

Die Quartiersentwicklung muss ich nicht mehr erwähnen. Frau Krebs hat dies bereits getan. Aber eines will ich wirklich sagen: Unser Modellprojekt „Sektorenübergreifende Versor gung“, das – Herr Haußmann, Sie waren ja auch dabei – Re gierung und Opposition in der letzten Legislaturperiode ge meinsam auf den Weg gebracht haben, lieber Herr Glück, hat te zum Ergebnis, dass wir jetzt in der Bund-Länder-AG die unterschiedlichen Entgeltstrukturen, die unterschiedlichen Planungsstrukturen ersetzen und im wahrsten Sinn des Wor tes die Mauer, die heute zwischen „ambulant“ und „stationär“ steht, einreißen. Das gilt für die Zuständigkeiten und Einzel verantwortlichkeiten in der Verantwortungsgemeinschaft. Das zeigt auch die heutige Debatte. Wir können bei einer sinken den Zahl von handelnden Akteuren nur im Miteinander und in einem besseren Abstimmen im positiven Sinn bestimmte Bürokratien überwinden und den einzelnen Berufsgruppen mehr Kompetenzen geben.

Das sehen wir auch in der Pflege. Das kommt heute ein biss chen zu kurz. Das, was Baden-Württemberg bei der Professi onalisierung und Akademisierung der Pflege macht – auch aufgrund unserer Enquetekommission –, geht in die Richtung, dass in der Pflege auch wieder Selbstbeauftragung möglich wird. Das ist das von Frau Krebs beschriebene Konzept, dass eben nicht immer wie gewohnt der Arzt kommt, sondern auch gut ausgebildetes, im Team arbeitendes Fachpersonal. Ich den ke nur an unsere Partnerregion Ontario, wenn es darum geht,

wie man sektorenübergreifende Versorgung mit digitalen und personellen Lösungen sicherstellt.

Vielen Dank, liebe CDU, für die Beantragung der Debatte. Wir sind auf einem guten Weg.

Die Kollegin Bauer wird jetzt noch für ihr Fachgebiet kurz ih re Überlegungen darstellen.

(Zuruf von der AfD: Die Betonung liegt auf „kurz“!)

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich nun Frau Ministerin Bauer für die Landesregierung. Dann haben Sie in der zweiten Runde die Möglichkeit, seitens des Parlaments darauf zu reagieren.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Kol leginnen und Kollegen! Während wir hier diese Aktuelle De batte führen, tagt die Kultusministerkonferenz. Sie verhandelt zeitgleich zur heutigen Plenarsitzung über das Thema „Neu regelung der Zulassung zum Medizinstudium“. Deswegen ist es mir in der Tat nicht ganz leichtgefallen, die Entscheidung darüber zu treffen, wo ich heute sein soll. Ich habe mich für das Hohe Haus hier entschieden, weil es mir wichtig war, hier einen aktiven Beitrag zu dem Thema zu leisten, über das wir hier mit gutem Grund diskutieren.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Thomas Dörf linger CDU)

Die Diskussion über die Zulassung zum Medizinstudium, die Reaktion auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das uns ab verlangt, länderübergreifend die Zulassungsregelungen für das Medizinstudium neu zu betrachten, steht unter der Maßgabe: Wie gewähren wir Chancengerechtigkeit und Chancenoffen heit beim Zugang zum Studium?

(Abg. Dr. Heiner Merz AfD: Gender!)

Es ist ja allen bekannt: Es gibt hier sehr viel mehr Bewerbe rinnen und Bewerber als Studienplätze. Deswegen ist es über haupt keine einfache, sondern eine heikle und schwierige Fra ge, wie die Zulassung geregelt wird.

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

Die Debatte über die Zulassung zum Medizinstudium hat da her Berührungspunkte mit dem, worüber wir heute diskutie ren. Sie ist natürlich nicht deckungsgleich. Aber am Ende wer den wir, wenn wir Lösungen finden wollen – auch für die Fra ge der Versorgungssicherheit –, beide Themen zusammen den ken müssen. Die Fragen lauten: Wie wird geregelt, wer in wel cher Priorität einen Studienplatz für das Medizinstudium er hält? Wie sieht es aus mit unseren Bedarfen und den gesell schaftlichen Aufgaben, die wir im Land regeln wollen?

Deswegen auch von meiner Seite Dank für die Debatte. Das Thema ist es wert, dass diese Debatte geführt wird. Die The matik ist kompliziert und facettenreich. Viele Menschen sind in vielfacher Weise davon betroffen und interessiert daran, wie wir mit dem Thema umgehen.

Ich möchte mich in aller Kürze noch einmal auf die Punkte fokussieren, die mein Haus, das Wissenschaftsministerium, in dieser Diskussion betreffen. Wir sind mit dem Versorgungs teil am Ende nicht befasst. Wir sind nur mit der Frage befasst: Was haben das Studium, die Studierenden, die Zulassung zum Studium mit dem Thema „Versorgung mit Hausärztinnen und Hausärzten“ zu tun?

Es sind drei Punkte, in denen das Wissenschaftsministerium berührt ist. Das ist erstens die Frage: Wen wählen wir zum Studium aus, und wie sind die Mechanismen der Auswahl? Also: Wer bekommt einen der begehrten Studienplätze? Der zweite Komplex ist die Frage: Haben wir überhaupt ausrei chend Studienplätze? Dieses Thema ist ja heute in der Debat te auch schon andiskutiert worden. Und der dritte Komplex ist: Wie sieht es denn mit den Studieninhalten aus? Kommt das Thema Allgemeinmedizin bzw. „Praxisorientierung im Bereich der Allgemeinmedizin“ ausreichend im Studium vor? Welchen Stellenwert hat das Thema in der Lehre und auch in der Forschung? Ich will in aller Kürze auf diese drei Punkte eingehen.

Ich fange beim letzten Punkt an: Wie ist es denn mit den In halten des Studiums? Wir haben in Baden-Württemberg sehr früh wichtige Weichen gestellt, um das Thema Allgemeinme dizin aufzuwerten. An allen Standorten in Baden-Württem berg wird bis 2020 sichergestellt sein, dass es eine eigene Pro fessur für dieses Thema gibt. In Heidelberg und in Tübingen sind diese Professuren schon besetzt. An den anderen Stand orten ist das Verfahren aufgesetzt. Überall soll auf hohem Ni veau in der Lehre und in der Forschung das Thema „Versor gung und Allgemeinmedizin“ abgebildet sein.

Wir haben auch ein Kompetenzzentrum aufgebaut, das lan desweit vernetzt, verbindet, Forschungsfragen identifiziert und dem Thema einen anderen Stellenwert und eine andere Sicht barkeit gibt. Ich glaube, es ist heute schon zu Recht gesagt worden: Es wird wahrgenommen, dass in Baden-Württem berg Allgemeinmedizin wichtig genommen wird. Deswegen haben wir auch schon die ersten Erfolge, die sich in den Zah len, die Herr Minister Lucha dargestellt hat, niederschlagen.

Zum zweiten Komplex: Brauchen wir mehr Studienplätze in diesem Bereich oder nicht? Wir haben in der Tat Bereiche, in denen es so etwas wie Überversorgung gibt. In anderen Be reichen zeichnet sich eine Unterversorgung ab – übrigens nicht nur in der Allgemeinmedizin; hier wären auch die Psy chotherapie und die geriatrischen Bereiche zu nennen.

Es gibt auch Mangelsituationen bei den klinischen Forschern, und über die Jahre hinweg ändern sich solche Mangel- und solche Überversorgungssituationen natürlich auch. Deswegen ist es auch so kompliziert, auf Mangel in bestimmten Berei chen mit Quoten zu reagieren. Denn ein Quotenmodell wirkt ja erst in einer ganz langen Frist, aber Verschiebungen erge ben sich vielfach, und je mehr Mangelsituationen wir bear beiten müssen, desto schwieriger ist es, mit dem Instrument der Quote zu arbeiten.

Es besteht also ein Bedarf, mehr Studienplätze anzubieten. Wir haben in den letzten Jahren einen Ausbau um etwa 10 % vorgenommen. Wir haben in Baden-Württemberg im Ver gleich der Bundesländer einen Anteil von round about 1 500 Anfängerplätzen. Das ist etwas mehr, als wir nach dem Kö

nigsteiner Schlüssel tun müssten. Deswegen könnten wir auch sagen: Wir haben unsere Pflicht getan. Es gibt ja Bundeslän der, die gar nichts machen.

Man kann das auch anders sehen und mit gutem Grund auch sagen: Wir wissen heute z. B. über das geänderte Erwerbsver halten Bescheid. Wir wissen, dass für die Arbeit, die früher zwei Personen gemacht haben, heute wegen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Schnitt eher drei Personen ge braucht werden. Das ist legitim.

Vor diesem Hintergrund kann man in der Tat zu dem Schluss kommen, dass es Sinn macht, dass wir auch in Baden-Würt temberg weitere Studienplätze ausbauen. Ich halte es für ver tretbar, über ein Plus von 10 % – das sind 100 bis 150 Studi enplätze – durchaus nachzudenken.

Ich möchte dem Hohen Haus aber bei dieser Gelegenheit auch sagen: Umsonst gibt es das nicht. Es gibt keinen Studienplatz, der teurer ist als ein Medizinstudienplatz. Wir werden uns des wegen darüber verständigen müssen, dass wir, wenn wir die Qualität halten wollen – ich gehe jetzt einmal fest davon aus, dass es hier um Qualität geht –, dafür dann kontinuierlich und strukturell auch mehr Ressourcen in die Hand nehmen.

Zum dritten Bereich: Wer wird ausgewählt, und wie kommt man ins Studium? Mir ist wichtig, zu betonen – das Bundes verfassungsgericht hat uns ja ein paar wichtige Hinweise ge geben –: Es ist richtig, und es ist eine gute Rückmeldung, dass klargestellt wurde: Es reicht nicht aus, ein Einser-Abitur vor zuweisen oder die Zahl hinter dem Komma beim Abischnitt zu werten und sonst nichts.

Das Bundesverfassungsgericht hat uns auf diesem Weg be stärkt. Denn in Baden-Württemberg nutzen wir schon heute die Spielräume, die es bislang gegeben hat, um das Thema „Gutes Abitur“ – wir wollen nicht leugnen, dass es eine Rol le spielt – mit dem Thema „Medizinspezifisches Testverfah ren“ zu kombinieren. Wir haben den Medizinertest in BadenWürttemberg im Einsatz. Er ist vor Jahrzehnten in Heidelberg entwickelt worden. Er wird inzwischen an allen Standorten genutzt, und sukzessive kommen die Medizinischen Fakultä ten in anderen Bundesländern hinzu, die diesen Medizinertest auch anwenden.

Wir haben also schon heute überprüfte und belastbare Erfah rungen mit dem Thema Testen. Wir wollen diesen Weg wei ter beschreiten. Denn eines muss auch klar sein – das Bundes verfassungsgericht war auch da deutlich –: Das Warten auf ei nen Studienplatz – bis zu 15 Semester – ist sicher keine zu sätzliche Qualifizierung, um ein guter Arzt oder eine gute Ärz tin zu werden. Deswegen ist es gut, wenn wir die Wartequo te abschaffen. Sie müssen sich einmal vorstellen: Bis zu 20 % der Studienplätze wurden bislang über die Wartequote verge ben. Deswegen ist es richtig und macht es großen Sinn, dass wir die Wartequote abschaffen und sie durch das, was ich Ta lentquote nenne, ersetzen

(Abg. Dr. Christina Baum AfD: Sehr gut! – Unruhe)

durch einen Zugangsweg, bei dem eine Vergabe ausschließ lich über medizinspezifische Testverfahren erfolgt, der Talen ten auch jenseits dessen, was man in der Schule geleistet hat, eine Möglichkeit gibt.

Frau Ministerin, lassen Sie ei ne Zwischenfrage von Herrn Abg. Glück zu?

Ich würde gern diesen Gedanken zu Ende aus führen, und dann lasse ich die Frage zu.

Ich möchte die Testkomponente mit einer weiteren Neuerung kombinieren und weiterentwickeln. Der Medizinertest ist ja kein Wissenstest; da wird nicht noch einmal Abiwissen zu sätzlich abgeprüft. Vielmehr werden mit dem Medizinertest Auffassungsvermögen, Schnelligkeit, Belastbarkeit, räumli ches Sehvermögen und Ähnliches getestet – schon auch das schnelle Anwenden von Wissen und die Fähigkeit der Umset zung in die Praxis.

Wir wollen diesen Test um eine neue Komponente ergänzen, die spezifisch soziale, kommunikative Fähigkeiten, Empathie fähigkeit, Reflexionsvermögen in schwierigen Situationen, auch Teamfähigkeit testet. Es gibt solche Verfahren. Diese sind aufwendig, aber sie geben uns verlässlich Rückmeldung über solche Fähigkeiten, die man insbesondere im Umgang mit Patientinnen und Patienten braucht und die deswegen für das Thema Allgemeinmedizin besonders wichtig sind.

Mit dieser Erweiterung des Testverfahrens geben wir meines Erachtens sehr wichtige und gute Signale an die jungen Leu te, die daraus erkennen können, welche Profile, welche Talen te wir suchen.

(Abg. Winfried Mack CDU: Das ist dringend notwen dig!)

Dabei geht es eben nicht nur um Wissen und um das Abitur, sondern auch um etwas anderes. In dieser neuen Kombinati on – die wir hoffentlich, sobald der Staatsvertrag auf den Weg gebracht sein wird, in Baden-Württemberg ermöglichen kön nen – werden wir an die jungen Leute wichtige Signale dazu senden, worum es uns beim Medizinstudium geht.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Frau Ministerin – –

(Zuruf des Abg. Andreas Glück FDP/DVP)