Protokoll der Sitzung vom 19.07.2018

Bleiben Sie auch heute gesund!

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion spricht Frau Abg. Sabine Hartmann-Müller.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem Koaliti onsvertrag beschlossen Grüne und CDU, das Wohn-, Teilha be- und Pflegegesetz zu evaluieren und weiterzuentwickeln. Ich begrüße es sehr, wenn sich die Opposition mit unserem Koalitionsvertrag auseinandersetzt –

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Welchem?)

und wenn sie ihn auch noch inhaltlich unterstützt, umso schö ner!

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wunder bar!)

An dieser Stelle hört mein Lob aber auch schon auf, denn die FDP/DVP fordert in ihrem Gesetzentwurf zwar viel, doch las sen sich die Forderungen in drei Worten zusammenfassen: in praktikabel, trägerinteressenorientiert und rückwärtsgewandt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Rainer Hinderer SPD)

Lassen Sie mich an zwei Punkten verdeutlichen, warum die CDU den Entwurf ablehnt:

Erstens: Die FDP/DVP verkennt, dass der Teilhabegedanke des Gesetzes in der Praxis nicht nur umgesetzt, sondern be reits gelebt wird. So heißt es in der Mitteilung der Landesre gierung, Drucksache 16/3221, von Ende 2017:

Es hat sich gezeigt, dass sowohl die selbstverantworteten als auch die ambulant betreuten Wohngemeinschaften als neue Wohnform... stark an Bedeutung gewinnen.

Die Behauptung, es fehle eine Gründungsdynamik, ist daher schlichtweg falsch. Im Gegenteil, seit 2014 nimmt die Zahl der Wohngemeinschaften ständig zu. Allein 2017, also inner halb eines Jahres, wurden 50 neue Wohngemeinschaften ge gründet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen – Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Zweitens: Die FDP/DVP verkennt, dass das WTPG gerade für den ländlichen Raum große Bedeutung hat. Dies erfuhr ich bereits in meinem ersten Monat als Abgeordnete. Denn die geschaffenen alternativen Wohnformen sind ein wichtiger Pfeiler für eine gelingende Quartiersentwicklung vor Ort, vor allem mit Blick auf den demografischen Wandel. So wurde meine Wahlkreisgemeinde Küssaberg im Rahmen der Quar tiersentwicklung 2020 für ihr Projekt „Wohnen im Alter“ vom Land ausgezeichnet, und einige Monate später freute sich die Gemeinde Lauchringen über eine größere Landesförderung für ihr Projekt „Wohnen im Riedpark“.

Was zeigen uns diese beiden Beispiele? Sie zeigen, dass mit dem WTP-Gesetz

(Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: WTPG!)

die Voraussetzungen für flexible, bedarfsgerechte Wohn- und Versorgungsformen geschaffen wurden.

Und, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP/DVP, be vor Sie uns nun vorhalten, diese Positionierung passe nicht zu unserem damaligen Abstimmungsverhalten: Ja, wir hatten große Skepsis, ob es gelingen würde, das Gesetz mit Leben zu erfüllen. Deshalb haben wir es seinerzeit abgelehnt. Aller dings hat uns die Realität eines Besseren belehrt: Viele neue Wohngemeinschaften sind entstanden, und dieser Trend ist ungebrochen. Diese Entwicklung wollen wir nicht abwürgen, sondern auch in Zukunft erhalten.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Sie hingegen möchten statt neuer Wege alte beschreiten. Sie möchten die eindeutige wirtschaftliche, räumliche und orga nisatorische Abgrenzung zwischen den einzelnen Betreuungs formen auflösen – mit der Folge, dass der Charakter ambulan

ter Wohngruppen geschwächt und verwässert würde. Das darf keinesfalls passieren.

Das vorliegende Papier macht also eines offenkundig: Bei der FDP steht nicht der Mensch im Mittelpunkt, es sind die Trä ger. Denn mit der Umsetzung ihrer Forderungen würden wir die Wahlfreiheit und die Selbstbestimmtheit unzulässig ein schränken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Liebe Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einmal die Stärke des Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetzes hervorheben. Das Herzstück ist eine breite Palette ambulan ter Wohn- und Betreuungsformen. Das Gesetz nimmt eine wohltarierte Unterscheidung vor zwischen ambulant betreu ten und selbstverantworteten Wohngemeinschaften. Das Ge setz stärkt somit nicht nur Selbstbestimmung und Teilhabe, es fördert auch die Lebensqualität und ganz besonders die Viel falt. Das Gesetz zeigt außerdem auf: Alters- und pflegegerech tes Wohnen ist eine Chance für alle Kommunen, egal, ob in Stuttgart, Mannheim oder Küssaberg.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP/DVP, möch ten genau jene zwei Eigenschaften, die das WTPG so groß machen, klein machen. Sie wollen die Vielfalt ambulanter Be treuungsformen als Ergänzung zur stationären Pflege verrin gern und die Stärkung des häuslichen Miteinanders in einem familiären Umfeld schwächen. Sie möchten uns neuen Wein in alten Schläuchen verkaufen. Wir von der CDU lehnen dan kend ab und bleiben für heute beim Bier.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und Abgeordne ten der Grünen – Abg. Nicole Razavi CDU: Sehr gut!)

Für die AfD spricht Frau Abg. Dr. Baum.

(Zuruf von der SPD: Du liebe Zeit!)

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, meine Damen und Herren! Ältere Menschen haben An spruch auf Unterstützung und auf Teilhabe am gesellschaftli chen Leben. Daher ist es zu begrüßen, dass mit dem Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz neue Wohnformen geschaffen wur den, die sich den Bedürfnissen der alternden Bevölkerung an passen, und dies stets unter den Prämissen Eigenverantwor tung und Selbstbestimmung.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Geknüpft an nur sehr wenige, einfach zu erfüllende Vorgaben, bestätigte sich auch mit dem zugehörigen Bericht der Landes regierung konsequenterweise, dass die ambulant betreuten Wohngemeinschaften als neue Wohnformen seit Inkrafttreten des WTPG in Baden-Württemberg stark an Bedeutung zuge nommen haben: Die Zahl der Wohngemeinschaften ist von ursprünglich 20 bei Beginn vor drei Jahren auf heute über 300 gestiegen.

Kein Gesetz ist so gut, als dass es nach dem Inkrafttreten nicht noch im Detail verbessert werden könne. So setzen wir stets große Priorität auf Entbürokratisierung mit dem Ziel, gute Dinge schnell und einfach voranzutreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Dabei müssen der Kern und die Intention der Sache aber stets im Fokus bleiben.

Was ist also der Grundgedanke dieses Gesetzes, und warum werden die ambulant betreuten Wohnformen so gut angenom men? Die Antwort darauf lautet, dass diese neu geschaffenen Wohngemeinschaften den Bewohnern ein häusliches Zusam menleben in einem normalen, überschaubaren und familien ähnlichen Umfeld ermöglichen sollen.

Deshalb möchte ich vor diesem Hintergrund zwei Punkte des FDP/DVP-Gesetzentwurfs besonders hinterfragen. Das ist zum einen die geforderte Zulassung von mehreren ambulant betreuten Wohneinheiten in unmittelbarer Nähe. Wir regen hierbei die Frage an, ob diese Aufhebung zum Nutzen der Be wohner wäre oder ob hier hauptsächlich wirtschaftliche Inte ressen vertreten werden, um es dem Anbieter zu ermöglichen, möglichst viele Wohngemeinschaften in einem Gebäude zu bündeln, der Fokus hier also auf Quantität statt auf Qualität gelegt wird.

Zum anderen möchte ich die Personalfrage ansprechen. Wür de es wirklich der Entbürokratisierung dienen, beim Personal auf eine fachliche Qualifikation und festgeschriebene Zusatz zeiten bei zusätzlichen Bewohnern zu verzichten? Ich glaube nicht. Zu erwähnen wäre hierbei, dass selbstverständlich mit steigender Anzahl der Bewohner auch die Anforderungen stei gen. Betrachtet man jedoch wieder den Ursprungsgedanken dieser Wohnform, ist festzustellen: Man würde wohl an der falschen Stelle sparen.

Da es sich um die erste Lesung handelt, lasse ich die rechts logischen Fehler des Gesetzentwurfs beiseite und weise ledig lich darauf hin, dass unter dem Deckmantel der Entbürokra tisierung und der Gründungsdynamik keine Möglichkeiten für lukrative Unternehmen auf dem Rücken der Schwachen ge schaffen werden dürfen.

(Beifall bei der AfD)

Mit dem WTPG soll sichergestellt sein, dass die Bedürfnisse und Interessen, vor allem aber die Würde von hilfsbedürfti gen Menschen gewahrt werden. Wir sehen mit dem Gesetz entwurf diesen Ursprungsgedanken leider gefährdet.

Lassen Sie mich noch zwei weitere Anmerkungen zum WTPG machen. Wir setzen uns dafür ein, dass alle genannten Anbie ter gleichermaßen fair behandelt werden. Gerade bei der Fi nanzierung darf es nicht sein, dass, wie in dem Bericht der Landesregierung angesprochen, Privaten sowie Bürgergenos senschaften beispielsweise bei der Vergabe von Mitteln durch die Stiftung Deutsches Hilfswerk keine Möglichkeiten einge räumt werden. Hier regen wir eine Verbesserung an.

Wir sind bereit, mit Ihnen Lösungen zu finden, um unnötige Bürokratie abzubauen und dafür zu sorgen, dass sich der Fo kus noch mehr auf die Betreuung richten kann. Das sehen wir im vorliegenden Entwurf nicht. Vielmehr droht er den Kern

gedanken des Gesetzes auszuhöhlen. Wir unterstützen unbü rokratische Lösungen immer, vergessen aber nicht, dass im Mittelpunkt unseres Handelns das Wohl des Menschen stehen muss.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Ich freue mich auf anregende Diskussionen im Sozialaus schuss.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Wölfle das Wort.